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VwGH 05.03.2018, Ra 2017/17/0907

VwGH 05.03.2018, Ra 2017/17/0907

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44;
RS 1
Da im vorliegenden Fall das Landesverwaltungsgericht über die Beschwerde des Finanzamtes mit abweisendem Erkenntnis entschied, liegen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 und 4 VwGVG nicht vor. Da das Finanzamt auf die Durchführung der von der mitbeteiligten Partei beantragten mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht verzichtet hatte, womit ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung von allen Parteien des Verfahrens nicht vorlag (), kommt auch ein Entfall der mündlichen Verhandlung nach § 44 Abs. 3 und 5 VwGVG nicht in Betracht. Das LVwG hätte daher eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt. Indem es deren Durchführung unterlassen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner sowie Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-412235/6/Gf/Mu-412236/2, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Landespolizeidirektion Oberösterreich; mitbeteiligte Partei: K H in W, vertreten durch Paischer & Schertler, Rechtsanwälte in 5280 Braunau am Inn, Salzburger Straße 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom wurde der Mitbeteiligte der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 (viertes Tatbild) iVm § 2 Abs. 1, 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz (GSpG) für schuldig erkannt und über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.000,- (sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

2 Dagegen erhoben sowohl der Mitbeteiligte als auch das Finanzamt Grieskirchen Wels Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG).

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde statt, hob das Straferkenntnis gemäß § 50 VwGVG auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren nach § 38 VwGVG iVm § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein (Spruchpunkt I.). Weiters wies es die Beschwerde des Finanzamtes Grieskirchen Wels als unbegründet ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei (Spruchpunkt III.).

4 Das LVwG traf zur Beurteilung der Vereinbarkeit von Regelungen des Glücksspielgesetzes mit Art. 56 AEUV ausführliche Feststellungen und gelangte nach umfangreicher Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes in rechtlicher Beurteilung zum Ergebnis, dass das in den §§ 3 ff GSpG normierte System des Glücksspielmonopols deshalb in Art. 56 AEUV keine Deckung finde und somit dem Unionsrecht widerspreche, weil es nicht auf einem durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses - wie etwa dem Spielerschutz und der Suchtvorbeugung oder der Kriminalitätsbekämpfung - basiere, sondern primär der Sicherung einer verlässlich kalkulierbaren Quote an Staatseinnahmen diene. Darüber hinaus seien die konkrete Ausgestaltung des Monopolsystems und die den staatlichen Behörden zur Abwehr von Beeinträchtigungen dieses Monopols gesetzlich übertragenen Eingriffsermächtigungen insbesondere mangels der gänzlich fehlenden Notwendigkeit einer vorhergehenden richterlichen Ermächtigung jeweils unverhältnismäßig.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen. Der Mitbeteiligte erstattete Revisionsbeantwortung und beantragte Kostenersatz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die vorliegende Revision erweist sich als zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Sie ist auch berechtigt.

7 Der Revisionsfall gleicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in den entscheidungswesentlichen Punkten jenem, der vom Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/17/0022, entschieden wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof, nach der vom EuGH geforderten Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, eine Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes nicht erkannt. Dieser Rechtsansicht hat sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , E 945/2016-24, E 947/2016-23, E 1054/2016-19, angeschlossen.

8 Eine Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes ist somit ausgehend von den Verfahrensergebnissen im Revisionsfall nicht zu erkennen.

9 Da das LVwG insoweit in unvertretbarer Weise die Rechtslage verkannte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

10 Darüber hinaus ist vorliegend auf Folgendes hinzuweisen:

Auch das Finanzamt Grieskirchen Wels erhob gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom Beschwerde an das LVwG; auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung durch das LVwG wurde mit Schreiben vom seitens des Finanzamtes ausdrücklich nicht verzichtet. Die Beschwerde des Finanzamtes wurde durch Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses als unbegründet abgewiesen, wobei das Verwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte und dies unter Verweis auf näher bezeichnete Rechtsprechung des EGMR damit begründete, dass "auch in Strafverfahren" eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich sei, wenn es "wie im vorliegenden Fall bloß um Eingriffsmaßnahmen im Umfeld von Verwaltungsübertretungen" gehe und "für die durch die angefochtene Entscheidung belastete Partei keine gravierenden Rechtsfolgen auf dem Spiel" stünden.

11 Das Verwaltungsgericht hat in Verwaltungsstrafsachen gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich Ausnahmen von der in Abs. 1 normierten Verhandlungspflicht. So entfällt die Verhandlung nach Abs. 2 leg. cit., wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Die Möglichkeit des Entfalles der Verhandlung gemäß § 44 Abs. 3 VwGVG setzt (unter anderem) voraus, dass keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat, bzw. dass ein einmal bereits gestellter Antrag auf mündliche Verhandlung mit Zustimmung aller Parteien zurückgezogen wurde. Ein Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 44 Abs. 4 leg. cit. kommt, neben den weiteren dort normierten Voraussetzungen jedenfalls nur soweit in Betracht, als das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat; gemäß § 44 Abs. 5 leg. cit. kann das Verwaltungsgericht schließlich von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten.

12 Da im vorliegenden Fall das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich über die Beschwerde des Finanzamtes Grieskirchen Wels mit abweisendem Erkenntnis entschied, liegen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 und 4 VwGVG nicht vor. Da das Finanzamt auf die Durchführung der von der mitbeteiligten Partei beantragten mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht verzichtet hatte, womit ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung von allen Parteien des Verfahrens nicht vorlag (), kommt auch ein Entfall der mündlichen Verhandlung nach § 44 Abs. 3 und 5 VwGVG nicht in Betracht. Das LVwG hätte daher eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt. Indem es deren Durchführung unterlassen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

13 Das angefochtene Erkenntnis war bereits wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

14 Dem Mitbeteiligten steht bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG kein Anspruch auf Kostenersatz zu.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170907.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
TAAAE-74968