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VwGH vom 15.04.2010, 2008/06/0206

VwGH vom 15.04.2010, 2008/06/0206

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde des Xin K, vertreten durch Dr. Christoph Brenner, Rechtsanwalt in 3500 Krems, Ringstraße 68, gegen den Bescheid der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Wien vom , Zl. 2 Vk 69/08, betreffend eine Angelegenheit gemäß § 103 Abs. 2 Z. 1a StVG (weitere Partei: Bundesministerin für Justiz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verbüßt derzeit in der Justizanstalt Stein eine lebenslange Freiheitsstrafe. Er wird - seit seiner Überstellung in die Justizanstalt Stein am - auf Grund einer besonderen Sicherungsmaßnahme gemäß § 103 Abs. 2 Z. 1a StVG in einem Einzelhaftraum angehalten. Er erhob mit Schreiben vom Beschwerde gegen diese Anhaltung. Diese zusätzliche Beeinträchtigung und Beschränkung seiner Lebensführung und Lebensqualität für die Zukunft sei lediglich auf Grund von Gerüchten und Spekulationen getroffen worden. Er habe sich keiner Ordnungswidrigkeit schuldig gemacht. Es würden ihm ständig irgendwelche schwerwiegenden und konkreten Ausbruchsvorbereitungen und mutmaßliche Fluchtverabredungen vorgehalten und zur Begründung herangezogen. Keine Behörde habe bis jetzt die "undokumentierten nachweislich getroffenen Fluchtvorbereitungen" gemäß § 106 Abs. 3 und §§ 107 ff StVG geprüft. Es sei dazu kein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Dies entspreche nicht dem Grundsatz der amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit gemäß § 37 AVG. Gemäß § 45 Abs. 3 AVG sei den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Auch in der Justizanstalt Graz-Karlau sei er aus denselben fragwürdigen, nicht näher erklärbaren Spezialpräventionsgründen in der Sicherheitsabteilung zwangsisoliert worden.

Die Überstellung von der Justizanstalt Garsten in die Justizanstalt Graz-Karlau sei damit begründet worden, dass Ausbruchsvorbereitungen vorlägen und damit im Zusammenhang konkrete Gegenstände, wie unerlaubte Kommunikationsmittel (Handy), Ausbruchswerkzeuge, aber auch Suchtmittelutensilien sicher gestellt worden seien. Er sei dazu weder einvernommen noch sei dazu je ein Verfahren eröffnet worden. Es könne nicht jeder Insasse, bei dem ein Handy und Suchtmittelutensilien gefunden würden, verdächtigt werden, einen Ausbruch vorzubereiten und gegen ihn eine Sicherheitsmaßnahme gemäß § 103 StVG festgelegt werden. Dass ein Ausbruchswerkzeug bei ihm gefunden worden sei, treffe nicht zu. Es sei in diesem Zusammenhang über ihn keine Ordnungswidrigkeit verhängt worden. Richtig sei, dass er in der Justizanstalt Graz-Karlau gemeinsam mit dem ehemaligen Mitgefangenen W. die Bewegung im Freien absolviert und dabei auch gesprochen habe. Allein daraus seien Ausbruchsvorbereitungen konstruiert worden, wobei sich offensichtlich andere Insassen durch tatsachenwidrige Behauptungen günstigere Haftbedingungen versprochen hätten. Obwohl W. schon im Juli 2007 wieder in den Normalvollzug übernommen worden sei, sei ihm das bislang versagt geblieben, worin eine grob fahrlässige Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit und gleiche Behandlung liege. Sein Leben als Strafgefangener werde somit unverhältnismäßig und widerrechtlich etwa durch Sportverbot, Tischbesuchsverbot, Ausschluss von Veranstaltungen und stupide Arbeit wie Stroh falten und glätten, eingeschränkt und beantrage er daher die Aufhebung der widerrechtlich beibehaltenen besonderen Sicherheitsmaßnahmen, die bereits durch das Vollzugsgericht Krems an der Donau mit Beschluss vom für beendet erklärt worden seien, und die Aufnahme in den Normalvollzug.

Die belangte Behörde gab dieser Beschwerde mit dem angefochtenen Bescheid insbesondere gestützt auf § 103 Abs. 2 und Abs. 6 StVG keine Folge. Sie begründete dies nach Anführung der relevanten gesetzlichen Bestimmunen insbesondere damit, dass das Landesgericht Krems an der Donau als zuständiges Gericht mit Beschluss vom die Anhaltung des Beschwerdeführers in Einzelhaft bis längstens angeordnet habe. Im Anschluss daran sei seitens der Anstaltsleitung die weitere Anhaltung unter der Auflage besonderer Sicherheitsmaßnahmen - konkret jener nach § 103 Abs. 2 Z. 1 lit. a StVG - also die Unterbringung des Strafgefangenen in einem Einzelhaftraum angeordnet worden, wobei er täglich zwischen 11.00 und 13.30 Uhr gemeinsam mit zwei weiteren Insassen angehalten werde. Zudem nehme der Beschwerdeführer täglich eine Stunde Bewegung im Freien mit Insassen einer anderen Abteilung in Anspruch.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit durchgehend in Haft. Aktenkundig seien Ausbruchsvorbereitungen im Rahmen einer Anhaltung im damaligen landesgerichtlichen Gefangenenhaus in Wien ebenso wie Fluchtvorbereitungen aus der Justizanstalt Garsten im Jahre 1994. Auch das damals zuständige Bundesministerium für Justiz weise im Rahmen der Klassifizierung auf die massive Gefährlichkeit des Beschwerdeführers hin, dessen Überstellung von der Justizanstalt Garsten in die Justizanstalt Stein im November 2006 erfolgt sei, nachdem auch in der Justizanstalt Garsten deutliche Hinweise auf Ausbruchsvorbereitungen bekannt geworden und in diesem Zusammenhang auch Gegenstände sicher gestellt worden seien.

Nach Erhebung der vorliegenden Administrativbeschwerde seien im April 2008 ein Mobiltelefon sowie ein beschädigtes Ladekabel in der Gegensprechanlage des Einzelhaftraumes des Beschwerdeführers aufgefunden worden. Der seit im Haftraum alleine untergebrachte Insasse wolle von der Existenz dieser Gegenstände nichts gewusst haben, obwohl noch im April 2008 über dieses Mobiltelefon insgesamt drei SMS ein- bzw. ausgegangen seien. Der Leiter der Justizanstalt habe im Rahmen eines Straferkenntnisses diesbezüglich am eine Ordnungsstrafe verhängt.

Auf Grund dieser Umstände und der besonderen Fluchtgefährlichkeit des Strafgefangenen halte die Justizanstalt Stein die Anhaltung des Beschwerdeführers unter besonderen Sicherheitsmaßnahmen weiterhin für erforderlich.

Ausgehend von den grundsätzlichen Zwecken des Strafvollzuges (§ 20 StVG) stehe der Gedanke der Sicherheit und die erzieherische Beeinflussung im Vordergrund. Die Anlasstaten des Beschwerdeführers seien der Schwerstkriminalität zuzurechnen und konkrete Ausbruchsvorbereitungen aktenkundig. Der Handy-Fund im April 2008 zeige, dass der Verurteilte auch unter Begehung von Ordnungswidrigkeiten versuche, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, sodass vorliegendenfalls eine sichere Verwahrung im Vordergrund stehe und die getroffenen besonderen Sicherheitsmaßnahmen rechtskonform und geboten seien, um die Zwecke des Strafvollzuges zu erfüllen.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat unter Geltendmachung von Vorlageaufwand die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Strafvollzugsgesetz, BGBl. Nr. 144/1969 (StVG), in der Fassung BGBl. I Nr. 109/2007 anzuwenden.

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"Besondere Sicherheitsmaßnahmen

§ 103. (1) Gegen Strafgefangene, bei denen Fluchtgefahr, die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr eines Selbstmordes oder der Selbstbeschädigung besteht oder von denen sonst eine beträchtliche Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung ausgeht, sind die erforderlichen besonderen Sicherheitsmaßnahmen anzuordnen.

(2) Als besondere Sicherheitsmaßnahmen, die eine zusätzliche Beschränkung der Lebensführung des Strafgefangenen mit sich bringen, kommen nur in Betracht:

1. die häufigere Durchsuchung des Strafgefangenen, seiner Sachen und seines Haftraumes;

1a. die Unterbringung eines Strafgefangenen, der entweder während der täglichen Arbeit oder während einer täglichen Freizeit von mindestens zwei Stunden in Gemeinschaft angehalten wird, für die verbleibende Zeit in einem Einzelhaftraum;

2. ...

(3) ...

(5) Besondere Sicherheitsmaßnahmen sind aufrechtzuerhalten, soweit und solange dies das Ausmaß und der Fortbestand der Gefahr, die zu ihrer Anordnung geführt hat, unbedingt erfordern.

(6) Die Anordnung besonderer Sicherheitsmaßnahmen steht dem Aufsicht führenden Strafvollzugsbediensteten zu. Dieser hat jede solche Anordnung unverzüglich dem Anstaltsleiter zu melden. Der Anstaltsleiter hat unverzüglich über die Aufrechterhaltung der besonderen Sicherheitsmaßnahme zu entscheiden. Die Aufrechterhaltung einer Maßnahme nach Abs. 2 Z 4 über eine Woche oder einer Maßnahme nach Abs. 2 Z 5 über 48 Stunden hinaus kann nur das Vollzugsgericht anordnen, das hierüber auf Antrag des Anstaltsleiters zu entscheiden hat (§ 16 Abs. 2 Z 4 und 5). Ordnet das Vollzugsgericht die Aufrechterhaltung der Maßnahme an, so hat es zugleich deren zulässige Höchstdauer zu bestimmen; fallen die Gründe, die zur Anordnung einer solchen Maßnahme geführt haben, vor Ablauf dieses Zeitraumes weg, so hat der Anstaltsleiter die Maßnahme unverzüglich aufzuheben (Abs. 5)."

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er im Zuge des Ermittlungsverfahrens von der Behörde zu keinem Zeitpunkt Gelegenheit bekommen habe, zu den ihm angelasteten Vorwürfen Stellung zu nehmen. Die Überstellung in die Justizanstalt Stein sei auf Grund eines Aktenvermerkes des Oberst H. vom erfolgt, wonach dem Beschwerdeführer Fluchtvorbereitungen mit dem Strafgefangenen W. vorgeworfen worden seien. Der Beschwerdeführer hätte zu keiner Zeit die Möglichkeit gehabt, sich zu diesen haltlosen Vorwürfen zu äußern. Er habe nur eine einzige nachgewiesene Ordnungswidrigkeit wegen unerlaubten Besitzes eines Geldscheines begangen. Die im Aktenvermerk festgehaltene Annahme angeblicher Fluchtvorbereitungen sei völlig haltlos: Danach würden auf Grund einer nicht näher genannten Person Fluchtvorbereitungen und Absprachen zwischen dem Beschwerdeführer und den Insassen A. und W. als gegeben angenommen, ohne diese näher zu hinterfragen. Der in die Justizanstalt Garsten überstellte Mitgefangene W. sei tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt an einem Fluchtversuch aus der Justizanstalt Graz-Karlau beteiligt gewesen, der in der in der Aktennotiz beschriebenen Form hätte durchgeführt werden sollen. Der Informant habe - aus welchem Grund auch immer - ein Geschehen aus der Vergangenheit wiedergegeben. Alle anderen Angaben entsprächen tatsächlich nicht der Wahrheit. Bei Einvernahme der Beteiligten hätte man diese unrichtigen Anschuldigungen rasch aufklären können. Der Beschwerdeführer habe sich in Graz-Karlau im Normalvollzug befunden und sei als Vorarbeiter in der Druckerei beschäftigt gewesen. Die seinerzeitige Überstellung von der Justizanstalt Garsten in die Justizanstalt Graz-Karlau sei vom Sicherheits- in den Normalvollzug erfolgt. Der Beschwerdeführer habe in der Zeit von 1996 bis 1999 die Berufsschule besuchen können und habe den Lehrabschluss für Drucker und Druckvorstufentechniker erreicht. Er gestehe, dass er im Jahre 2004 einen Brief von einem Dritten weitergegeben habe. Der Inhalt des Briefes sei ihm nicht bekannt gewesen. Aus Angst vor Repressalien habe er den Namen des Absenders nicht bekannt gegeben.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Gemäß § 103 Abs. 1 StVG sind gegen Strafgefangene, bei denen u. a. Fluchtgefahr besteht oder von denen eine beträchtliche Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung ausgeht, die erforderlichen besonderen Sicherheitsmaßnahmen anzuordnen. Eine solche Sicherheitsmaßnahme stellt die Unterbringung eines Strafgefangenen gemäß Abs. 2 Z. 1 lit. a dieser Bestimmung grundsätzlich in einem Einzelhaftraum dar. Gemäß Abs. 5 dieser Bestimmung sind besondere Sicherheitsmaßnahmen aufrecht zu erhalten, soweit und solange dies das Ausmaß und der Fortbestand der Gefahr, die zu ihrer Anordnung geführt hat, unbedingt erfordern.

Die belangte Behörde stützt sich bei ihrer Annahme, dass beim Beschwerdeführer nach wie vor eine Fluchtgefahr anzunehmen sei, auf deutliche Hinweise auf Ausbruchsvorbereitungen, die er in der Justizanstalt Garsten vor dem November 2006 (also vor seiner Überstellung in die Justizanstalt Stein) vorgenommen haben solle, und darauf, dass in diesem Zusammenhang Gegenstände sicher gestellt worden seien. Weiters beruft sich die Behörde darauf, dass im April 2008 in der Gegensprechanlage des Einzelhaftraumes des Beschwerdeführers in der Justizanstalt Stein ein Mobiltelefon sowie ein beschädigtes Ladekabel gefunden worden seien.

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich nicht, auf Grund welcher Beweisergebnisse die belangte Behörde von Fluchtvorbereitungen in der Justizanstalt Garsten ausgegangen ist. Auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im April 2008 in seiner Gegensprechanlage ein Mobilhandy und ein beschädigtes Ladekabel aufbewahrt habe, kann nicht auf getätigte Fluchtvorbereitungen geschlossen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2009/06/0207, besonders auf den in § 103 Abs. 5 StVG verankerten Grundsatz hingewiesen, dass eine besondere Sicherheitsmaßnahme nach den Abs. 1 und 2 nur dann zulässig sei, wenn sie im Hinblick auf die zu ihrer Anordnung führenden Gefahr "unbedingt" erforderlich sei (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/20/0105). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes liegt im vorliegenden Fall ein wesentlicher Begründungsmangel vor. Allein auf Grund der vom Beschwerdeführer unbestrittenen Fluchtvorbereitungen (1994 und davor einmal) wäre die Aufrechterhaltung der verfahrensgegenständlichen Sicherungsmaßnahme nicht gerechtfertigt.

Sofern sich der Beschwerdeführer auf seinen Aufenthalt in der Justizanstalt Graz-Karlau in den Jahren 1996 bis 1999 bezieht, in welcher Zeit er im Normalvollzug gewesen sei, handelt es sich um ein erstmals in der Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhobenes Vorbringen, das im Lichte des Neuerungsverbotes des Verwaltungsgerichtshofes keine Berücksichtigung mehr finden konnte.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war im Hinblick darauf, dass der in der angeführten Verordnung vorgesehene Pauschalbetrag die Umsatzsteuer mit umfasst, abzuweisen.

Wien, am

Fundstelle(n):
LAAAE-74949