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VwGH vom 21.12.2011, 2010/08/0138

VwGH vom 21.12.2011, 2010/08/0138

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des DS in Wien, vertreten durch Dr. Georg Schönherr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 12, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 961/3963 180167, betreffend Anspruch auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzungen von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice P (in der Folge: AMS) den Antrag des Beschwerdeführers vom auf Zuerkennung von Notstandshilfe gemäß § 33 AlVG und § 2 der Notstandshilfe-Verordnung (NH-VO) mangels Notlage ab, da das anrechenbare Einkommen der Lebensgefährtin (K) des Beschwerdeführers trotz Berücksichtigung der gesetzlichen Freigrenzen seinen Notstandshilfeanspruch übersteigen würde.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, seit Anfang November nicht mehr an seiner bisherigen Adresse in der B-Gasse zu wohnen, sondern an der näher bezeichneten Adresse in der E-Straße aufhältig zu sein und "seit ca. April 2009" keine Lebensgefährtin mehr zu haben. Er sei an der Adresse in der B-Gasse wohnhaft gewesen, weil er keine andere Unterkunft habe finden können.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid des AMS bestätigt.

In der Bescheidbegründung führte die belangte Behörde zunächst zur Annahme des Bestehens einer Lebensgemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und Frau K im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer im Leistungsantrag vom Frau K als seine Lebensgefährtin an der näher bezeichneten Adresse in der B-Gasse angegeben habe, wohingegen in seinem Notstandshilfeantrag vom keine Lebensgemeinschaft angeführt sei. Am habe er niederschriftlich angegeben, zwar mit K noch an derselben Adresse zu wohnen, aber getrennte Haushalte zu führen und keine wirtschaftliche Verbundenheit zu haben. Im Zuge von Erhebungen des AMS bei der vom Beschwerdeführer angegebenen neuen Adresse in der E-Straße am sei festgestellt worden, dass es sich an der Adresse um eine ältere Wohnhausanlage handle. Drei Hausbewohner seien befragt worden und hätten angegeben, dass Mieter der betreffenden Wohnung niemandem bekannt wären. Es dürfte sich um eine unbenutzte Wohnung handeln. Die Hausbesorgerin der Anlage, welche laut eigenen Angaben diese Stelle bereits seit 40 Jahren innehabe, habe angegeben, dass der Beschwerdeführer bis vor ca. drei Jahren an dieser Adresse mit seiner Mutter gewohnt habe. Dann sei er mit seiner Lebensgefährtin in ein Haus gezogen und seither nicht mehr zugezogen; seine Mutter sei mittlerweile außerhalb von Wien wohnhaft, die Wohnung stünde leer.

Nach den am gleichen Tag an der angeführten Adresse in der B-Gasse durchgeführten Erhebungen handle es sich - so die belangte Behörde weiter - bei jener Adresse um ein Einfamilienhaus. Der örtliche Postzusteller habe angegeben, dass die Post des Beschwerdeführers nach wie vor an diese Adresse gesandt werde, es gebe keinen Nachsendeauftrag. Nach einer Grundbuchsabfrage seien der Beschwerdeführer und K Hälfteeigentümer der betreffenden Liegenschaft. Am sei der Beschwerdeführer in jenem Haus angetroffen und am PC arbeitend wahrgenommen worden. Er habe die Aussagen der Hausbesorgerin bestritten und erklärt, lediglich den Hund zu beaufsichtigen. Er habe angegeben, dass seine sämtlichen Sachen an der Adresse in der E-Straße seien, aber dem Erhebungsorgan die Nachschau nicht gestattet. Weiters habe er zunächst angegeben, K sei alleinige Eigentümerin des Hauses, und erst nach Vorhalt der Grundbuchsabfrage erklärt, dass er Hälfteeigentümer sei; die Rückzahlungen des gemeinsam für das Haus aufgenommenen Kredites würden derzeit von K alleine getragen, diese trage auch die Energie- und Heizungskosten.

Die belangte Behörde setzte fort, dass auf Grund der durchgeführten Erhebungen, der Aussagen der Nachbarn und der Hausbesorgerin in der E-Straße sowie der vorgefundenen Situation in der B-Gasse davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer seine Lebensgemeinschaft nie beendet habe; er wohne nach wie vor mit K in der B-Gasse. Erhärtet werde dieses Ermittlungsergebnis auch dadurch, dass er eine Nachschau zur Klärung, ob der gemeinsame Haushalt aufgelöst worden sei, verweigert habe. Laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei das für das Wesen einer Lebensgemeinschaft unverzichtbare Element einer Wirtschaftsgemeinschaft jedenfalls gegeben, da K nach den Angaben des Beschwerdeführers die gemeinsamen Kreditrückzahlungen wie auch die Energie- und Heizungskosten alleine trage.

Im Weiteren legte die belangte Behörde ihre Berechnungen dar, wonach ausgehend von einem Einkommen von K in Höhe von EUR 2.466,41 (abzüglich einer Werbungskostenpauschale von EUR 11,-- , einer Freigrenze für K von EUR 488,-- sowie einer Freigrenze für ein Kind von EUR 244,--) ein täglicher Betrag von EUR 56,65 anzurechnen sei, der den fiktiven Anspruch auf Notstandshilfe des Beschwerdeführers von täglich EUR 38,43 übersteige.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung der Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Nach § 33 Abs. 2 AlVG ist Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe u.a., dass sich der Arbeitslose in Notlage befindet.

Gemäß § 2 Abs. 1 der NH-VO liegt Notlage vor, wenn das Einkommen des Arbeitslosen und das seines Ehepartners bzw. Lebensgefährten oder seiner Lebensgefährtin zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse des Arbeitslosen nicht ausreicht. Die Vorgangsweise bei Heranziehung des Einkommens des Ehepartners bzw. des Lebensgefährten oder der Lebensgefährtin für die Beurteilung der Notlage ist näher im § 6 der Notstandshilfeverordnung geregelt.

Nach der (näher dargelegten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht das Wesen einer Lebensgemeinschaft in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber - wie auch bei einer Ehe - das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist jedoch unverzichtbar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0124).

2. Soweit der Beschwerdeführer eine Ergänzungsbedürftigkeit der Ermittlungen bzw. Feststellungen hinsichtlich der von ihm bekämpften Annahme des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft mit K rügt und auch erkennbar die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid bekämpft, ist ihm zunächst entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung ein Denkprozess ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053).

Im konkreten Fall hat die belangte Behörde nachvollziehbar dargelegt, warum sie auf Grund der durchgeführten Erhebungen zum Ergebnis gelangt ist, dass der Beschwerdeführer weiterhin mit K an der angeführten Adresse in der B-Gasse wohnt und weshalb der dazu im Widerspruch stehenden Verantwortung des Beschwerdeführers nicht zu folgen war. Dem vermag die Beschwerde nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen. Angesichts der unmittelbar vor Ort an beiden Adressen vorgenommenen Erhebungen, wobei dem Beschwerdeführer auch die Ermittlungsergebnisse zur Adresse in der E-Straße zur Kenntnis gebracht und von ihm nur unsubstantiiert bestritten wurden, bestehen insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer im Zuge dessen eine unmittelbar vorzunehmende, zweifelsohne der Klärung dienende Nachschau mit der Begründung "dass dies der Eigentümerin nicht recht wäre" verweigert hat, keine Bedenken, wenn die belangte Behörde von weiteren Erhebungen Abstand genommen hat. Mit dem (in sich auch widersprüchlichen) Beschwerdevorbringen, wonach die Eltern des Beschwerdeführers mit diesem im gemeinsamen Haushalt in der Wohnung in der E-Straße leben würden und der Strom/Gasverbrauch in dieser Wohnung einem "1- Personen-Haushalt" (sic!) entsprechen würde, können keine Umstände dafür dargetan werden, in der Unterlassung weiterer amtswegiger Erhebungen, wie der in der Beschwerde erstmals begehrten Einvernahme der Eltern des Beschwerdeführers, der beiden im Haushalt von K lebenden Kinder D und B sowie des Postzustellers hinsichtlich der Wohnung in der E-Straße bzw. Erhebungen zum Strom/Gasverbrauch dieser Wohnung, einen Verfahrensmangel zu erblicken.

Entgegen dem diesbezüglich weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers kann auch eine Verletzung der Manuduktionspflicht durch die Behörde schon deswegen nicht erkannt werden, da die Manuduktionspflicht nicht so weit geht, dass die Parteien dahin beraten werden müssten, mit welchen Mitteln sie bereits von der Behörde aufgenommene Beweise widerlegen oder in Frage stellen könnten, zumal die Behörden nach § 13a AVG nicht gehalten sind, unvertretenen Parteien ganz allgemein Unterweisungen zu erteilen, wie ihr Vorbringen zu gestalten wäre, damit sich der jeweilige Parteienstandpunkt letztlich durchsetzen könne (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I, 2. Auflage, S. 362f unter E 8ff wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Der Einwand des Beschwerdeführers, dass die Rückzahlungen der durch den Kauf des gemeinsamen Einfamilienhauses entstandenen Kreditverbindlichkeiten sowie die Energie- und Heizungskosten allein von K getragen würden, vermag das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft nicht zu widerlegen: Werden Wohnungskosten zur Gänze von dem nicht die Notstandshilfe beanspruchenden Lebensgefährten getragen, bedeutet dies einen noch größeren Beitrag zur gemeinsamen Lebensführung durch diesen Lebensgefährten. Auch wenn dadurch kein "gemeinsames Wirtschaften" in dem Sinne erfolgt, dass jeder Lebensgefährte (s)einen Teil beiträgt, liegt in der Übernahme der gesamten Wohnkosten durch denjenigen Partner, der nicht die Notstandshilfe beansprucht, genau jene finanzielle Unterstützung des anderen, welche eine Lebensgemeinschaft kennzeichnet und die die Anrechnung des Partnereinkommens sachlich rechtfertigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0263).

Wenn der Beschwerdeführer überdies behauptet, der angefochtene Bescheid leide an einem bedeutenden Mangel, weil als Bescheiddatum eine "als Datum nicht existente Zahlenkombination" nämlich "" aufscheine, so ist ihm entgegenzuhalten, dass daraus (auch bei dieser "Verkürzung" der Jahreszahl, worin allenfalls ein berichtigungsfähiger Schreibfehler erblickt werden könnte ) ausreichend deutlich das gemeinte Bescheiddatum erkennbar ist.

Bei dieser Sachlage erweist sich der angefochtene Bescheid somit frei von Rechtsirrtum, wenn darin sowohl das Vorliegen einer Wohn- als auch einer Wirtschaftsgemeinschaft bejaht und vor dem Hintergrund der aufgezeigten hg. Judikatur deshalb eine Lebensgemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und K angenommen wird.

3. Die Beschwerde ist dagegen im Recht, soweit sie sich gegen die Berechnung des anzurechnenden Einkommens der Lebensgefährtin richtet und dazu insbesondere vorbringt, dass zwei weitere Freigrenzen hinsichtlich der beiden in Ausbildung stehenden und somit nicht selbsterhaltungsfähigen Kinder der K, für welche diese daher sorgepflichtig sei, zu berücksichtigen gewesen seien:

Wie aus den vorgelegten Verwaltungsakten ersichtlich, waren nach der Meldedatenerhebung am an der Adresse in der B-Gasse neben der Lebensgefährtin K auch "die Kinder (B) Jg. 1988 und (D) Jg. 1992" (mit demselben Familiennamen wie K) gemeldet. Mit der Frage, ob aktuelle Unterhaltspflichten der K gegenüber ihren Kindern bestehen (welche jedenfalls hinsichtlich B in Bezug auf das Datum der Antragstellung auf Notstandshilfe am indiziert gewesen wären), hat sich aber die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt und dem Beschwerdeführer dazu auch kein Parteiengehör eingeräumt.

Auf Grund der diesbezüglichen Ergänzungsbedürftigkeit des Bescheides und der Außerachtlassung der aufgezeigten Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
EAAAE-74892