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VwGH 21.01.2019, Ra 2017/17/0829

VwGH 21.01.2019, Ra 2017/17/0829

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
RS 1
In den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG 2014 liegt es im Ermessen des VwG, trotz Parteiantrages keine Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann auch dann entfallen, wenn die Beschwerde zurückzuweisen ist. Eine zurückweisende Entscheidung, in der nur darüber abgesprochen wird, ob ein Rechtsmittel zulässig ist, nicht jedoch über die Sache selbst, ist aus Sicht des Art. 6 MRK keine (inhaltliche) Entscheidung "über eine strafrechtliche Anklage" oder "über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen". Die Verfahrensgarantie des "fair hearing" iSd Art. 6 Abs. 1 MRK kommt nicht zur Anwendung, wenn einer Entscheidung in der Sache Prozesshindernisse - wie etwa der Verlust der Parteistellung - entgegenstehen (vgl. E , 2006/10/0040; E , 2006/07/0066).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2016/07/0058 B RS 4 (hier nur der erste Satz)
Normen
RS 2
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist es nicht Sache einer Partei, die Voraussetzungen ihrer Parteistellung unter Beweis zu stellen, sondern dem Verwaltungsgericht ist die Obliegenheit auferlegt, von Amts wegen in die Prüfung der Frage einzutreten, ob ein sich am Verfahren beteiligendes Rechtssubjekt auf Basis entsprechenden Sachvorbringens Parteistellung genießt oder nicht (vgl. , Rn. 11).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner und Mag.a Nussbaumer-Hinterauer sowie Hofrat Mag. Brandl und Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der N Kft. in P, U, vertreten durch Dr. Günter Schmid, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hafferlstraße 7, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , RM/5100002/2016, betreffend einer Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Linz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht (BFG) die von der revisionswerbenden Partei eingebrachte Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gegen das im einzelnen konkretisierte Verhalten von Organen der Finanzpolizei anlässlich einer Kontrolle eines näher bezeichneten Lokals in L gemäß § 50 Abs. 4 Glücksspielgesetz (GSpG) am - ohne Durchführung der von der revisionswerbenden Partei beantragten mündlichen Verhandlung - mangels Aktivlegitimation als nicht zulässig zurück und sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Begründend führte das BFG zusammengefasst aus, dass die revisionswerbende Partei weder Betreiberin noch Mieterin des gegenständlichen Lokals und auch nicht als Veranstalterin iSd GSpG anzusehen sei. Obwohl der revisionswerbenden Partei der Grundbuchsauszug der betreffenden Liegenschaft und der sich auf diese Liegenschaft beziehende Kaufvertrag vom samt Mieterübersicht, worin die revisionswerbende Partei nicht als Mieterin aufscheine, mit der Aufforderung zur Stellungnahme und Beibringung entsprechender Beweise übermittelt worden seien, lägen für die von der revisionswerbenden Partei behauptete Rechtsstellung als Inhaberin bzw. Mieterin des Lokals sowie Veranstalterin iSd GSpG keine Beweise vor.

Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch die Amtshandlungen der Finanzpolizei gegenüber der revisionswerbenden Partei sei somit trotz Aufforderung durch das BFG nicht glaubhaft gemacht worden, weshalb davon auszugehen sei, dass die Aktivlegitimation der revisionswerbenden Partei nicht vorliege.

Den Entfall der beantragten mündlichen Verhandlung stützte das BFG im Hinblick auf die Zurückweisung der Beschwerde auf § 24 Abs. 2 VwGVG. Zudem sei der maßgebliche Sachverhalt den Parteien bekannt und stehe fest, weshalb schon aus wirtschaftlichen Erwägungen von einer mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen gewesen sei, zumal keine berechtigten Interessen der Parteien an der Verhandlung vorgelegen seien.

3 Die Behandlung der gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , E 277/2017-10, ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

4 Mit der vorliegenden Revision begehrt die revisionswerbende Partei die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Die Revision ist mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, wonach die von ihr beantragte mündliche Verhandlung entgegen § 24 VwGVG nicht durchgeführt worden sei, zulässig und berechtigt.

6 Die vom Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag der Partei grundsätzlich durchzuführende öffentliche mündliche Verhandlung kann gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unter anderem dann entfallen, wenn - wie im Revisionsfall - der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist. In den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG liegt es im Ermessen des Verwaltungsgerichts, trotz Parteiantrages keine Verhandlung durchzuführen (vgl. ).

7 Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist es nicht Sache einer Partei, die Voraussetzungen ihrer Parteistellung unter Beweis zu stellen, sondern dem Verwaltungsgericht ist die Obliegenheit auferlegt, von Amts wegen in die Prüfung der Frage einzutreten, ob ein sich am Verfahren beteiligendes Rechtssubjekt auf Basis entsprechenden Sachvorbringens Parteistellung genießt oder nicht (vgl. , Rn. 11).

8 Allein aus dem Umstand, dass die revisionswerbende Partei nach Einsicht in das Grundbuch weder Eigentümerin der Liegenschaft, auf der sich das kontrollierte Lokal befand, noch laut Beilage eines Kaufvertrages über diese Liegenschaft vom zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses Mieterin eines dort befindlichen Geschäftslokals war, kann nicht zwingend auf die mangelnde Aktivlegitimation der revisionswerbenden Partei geschlossen werden. Schließlich ist bereits während der laufenden Kontrolle des Lokals nach dem GSpG ein Mitarbeiter des Rechtsvertreters der revisionswerbenden Partei für diese mit dem Vorbringen, die revisionswerbende Partei sei Lokalbetreiberin, aufgetreten. Ebenso wurden - wie auf einem im Verwaltungsakt erliegenden Lichtbild ersichtlich - im Zuge der Kontrolle Hinweise auf die revisionswerbende Partei im Lokal vorgefunden.

9 Im vorliegenden Fall vermag schon deshalb die Begründung des BFG gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG die Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung nicht zu tragen.

10 Der angefochtene Beschluss war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

11 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

12 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017170829.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
PAAAE-74884