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VwGH vom 08.09.2010, 2010/08/0114

VwGH vom 08.09.2010, 2010/08/0114

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des GG in Z, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner Promenade 10, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. GS5-A-948/549-2009, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist und Zurückweisung eines Einspruchs in einer Beitragssache nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse in 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse schrieb dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom , dem Beschwerdeführer zugestellt am , gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG einen Beitragszuschlag in der Höhe von EUR 2.300,-- vor.

Mit Schriftsatz vom , der am selben Tag zur Post gegeben wurde, stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruchs gegen den Bescheid vom und führte den Einspruch zugleich aus.

Im Antrag auf Wiedereinsetzung führte der Beschwerdeführer aus, dass er sich erst nach einigen Wochen Überlegungsfrist entschieden habe, den Bescheid zu bekämpfen. Er habe den Bescheid am der Rechtsschutzversicherung übermittelt, die mit Schreiben vom selben Tag den Beschwerdeführervertreter mit der Erhebung des Einspruchs beauftragt habe.

Der Beschwerdeführervertreter habe sich, da aus den übermittelten Unterlagen nicht ersichtlich gewesen sei, wann der Bescheid zugestellt worden sei, telefonisch mit dem Beschwerdeführer in Verbindung gesetzt und von diesem das Zustelldatum erfahren. Der Beschwerdeführervertreter habe nach diesem Telefonat seiner Kanzleileiterin den Bescheid samt Schreiben des Rechtsschutzversicherers übergeben und diese angewiesen, einen neuen Akt anzulegen, als Einspruchsfrist den vorzumerken und ihm den Akt zur Erstattung des Rechtsmittels wieder vorzulegen.

Die Kanzleileiterin sei seit in der Kanzlei des Beschwerdeführervertreters beschäftigt und mit dem Fristvormerk nach Vorgaben der in der Kanzlei tätigen Juristen betraut und habe diese Arbeit "bis dato ohne jeglichen Fehler und stets zuverlässig" durchgeführt. Sie könne sich noch erinnern, dass sie vom Beschwerdeführervertreter aufgefordert worden sei, die Frist vorzumerken und den Akt anzulegen. Sie könne sich auch erinnern, dass sie die Arbeit begonnen habe und die vorhandenen Unterlagen in einen leeren Aktendeckel gegeben habe, um diesen Akt dann mit sämtlichen anderen Fristakten an diesem Tag zu bearbeiten. Es sei für sie nicht mehr nachvollziehbar, wie es in weiterer Folge dazu habe kommen können, dass sie die gegenständliche Frist nicht vorgemerkt habe. Auch die Anlage des Aktes sei unterblieben.

Auf den Umstand, dass die Frist nicht vorgemerkt worden sei, sei man in der Kanzlei des Beschwerdeführervertreters am durch einen Anruf des Beschwerdeführers aufmerksam geworden. Der Akt sei dann unter einem Stoß anderer zu bearbeitender Akten, also verreiht, gefunden worden.

Es sei eine einmalige und erstmalige Fehlleistung der Kanzleileiterin, dass sie den Auftrag des Beschwerdeführervertreters nicht ausgeführt habe. Dies sei offensichtlich damit zu erklären, dass sie im Zuge der stressigen Arbeit in einer Rechtsanwaltskanzlei vergessen habe, den Akt anzulegen und die Frist vorzumerken. Dem Wiedereinsetzungsantrag lag eine mit dem Vorbringen des Beschwerdeführervertreters übereinstimmende eidesstättige Erklärung der Kanzleileiterin des Beschwerdeführervertreters bei.

Mit Bescheid vom wies die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Einspruch. Zur (unterbliebenen) Fristvormerkung führte er aus, dass der Beschwerdeführervertreter am nach dem Telefonat mit dem Beschwerdeführer den Bescheid samt Schreiben des Rechtsschutzversicherers der Kanzleileiterin übergeben und diese angewiesen habe, die vom Beschwerdeführervertreter errechnete Einspruchsfrist mit dem im Fristvormerkbuch der Kanzlei vorzumerken. Die Kanzleileiterin habe die Unterlagen an sich genommen, diese noch in Anwesenheit des Beschwerdeführervertreters in einen leeren Aktendeckel gelegt und diesen noch nicht in der EDV angelegten Akt zu jenen anderen Akten, in denen ebenfalls Fristen vorzumerken gewesen seien, gegeben. Der Vorgang sei jeweils so, dass sich die Kanzleileiterin bei derartig vom Beschwerdeführervertreter bekannt gegebenen Fristen die ihr mitgeteilte Frist auf einem Notizzettel aufschreibe, dann selbst anhand des Kalenders noch einmal überprüfe und dann in das Fristenvormerkbuch eintrage. Auch im vorliegenden Fall habe sich die Kanzleileiterin die Frist auf einem Notizzettel aufgeschrieben und diesen Notizzettel in den Akt gelegt. Aus nicht mehr rekonstruierbaren Gründen sei dann auf Grund eines Fehlers der Kanzleileiterin die Frist nicht vorgemerkt worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde diesem Einspruch nicht stattgegeben und der Einspruch vom als verspätet zurückgewiesen.

Die belangte Behörde hielt in der Begründung des angefochtenen Bescheides zunächst fest, dass kein Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung des Beschwerdeführervertreters und seiner Kanzleileiterin bestehe. In rechtlicher Hinsicht komme es auf das Kontrollsystem des Beschwerdeführervertreters an. Es genüge nicht, dass die Versäumung der Frist auf eine einmalige Fehlleistung der sonst seit Jahren zuverlässig tätigen Kanzleileiterin zurückzuführen sei; entscheidend sei vielmehr, welches Kontrollsystem die Anwaltskanzlei eingerichtet habe. Der Beschwerdeführer hätte darzulegen gehabt, aus welchen Gründen dieses System gerade im gegenständlichen Verfahren nicht ausgereicht habe, um die Versäumung der Frist zu verhindern.

Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages lasse sich keinerlei Kontrollausübung des Beschwerdeführervertreters erkennen. Blindes Vertrauen in die Fehlerlosigkeit der Kanzleileiterin stelle keine Kontrolle dar.

In der Folge führte die belangte Behörde aus, es sei "in Zeiten der Hochtechnologie vom Betreiber einer Anwaltskanzlei etwa durchaus zu erwarten, dass ein Anwalt zunächst einen Kurzeintrag in seinem PC, Laptop, Handy odgl. eingibt (entsprechende technische Fähigkeiten dürften wohl vorausgesetzt werden) oder zumindest in einem eigenen Kalender durchführt, um tatsächlich eine Kontrollmöglichkeit zu haben." In einem derart dringenden Fall könne einem Anwalt auch zugemutet werden, dass er den Einspruch selbst verfasse oder diktiere und einen Erinnerungsvermerk bezüglich der Abfertigung des Schreibens verfasse.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein Verschulden von Kanzleibediensteten eines Rechtsanwaltes für diesen und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen ist. Der Rechtsanwalt muss den Kanzleibetrieb so organisieren, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt sind. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Die Überwachungspflicht in Bezug auf die richtige Vormerkung von Fristen ist auch dann gegeben, wenn die mit der Führung des Fristvormerks betraute Kanzleibedienstete überdurchschnittlich qualifiziert und verlässlich ist und es auch nach langjähriger einschlägiger Tätigkeit bisher nicht zu Fehlleistungen bzw. Beanstandungen gekommen ist. Art und Intensität der vom Rechtsanwalt insoweit ausgeübten Kontrolle sind im Wiedereinsetzungsantrag darzutun (vgl. etwa den - zu § 46 VwGG ergangenen - hg. Beschluss vom , Zl. 2009/07/0172).

3. Der Beschwerdeführer wendet sich in seinem Beschwerdevorbringen umfassend gegen die von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretene Ansicht, die im Wiedereinsetzungsantrag geschilderte Vorgangsweise in der Kanzlei des Beschwerdeführervertreters sei ein "altmodisch anmutender Bürokratismus". Auch die Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführervertreter hätte angesichts der kurzen zur Erhebung des Einspruchs verbleibenden Frist das Rechtsmittel unmittelbar selbst verfassen können und erst danach "die bürokratische Erfassung des Auftrages in Anspruch nehmen zu lassen", entbehre jeder Kenntnis der belangten Behörde über den Ablauf in einer Rechtsanwaltskanzlei. Schließlich sei es auch nicht zumutbar, dass ein Rechtsanwalt - wie von der belangten Behörde vertreten - neben dem zentralen Fristenbuch einen weiteren eigenen Kalender führen müsse, um eine Kontrollmöglichkeit zu haben.

Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, dass die Anforderungen an die Kanzleiorganisation nicht überspannt werden dürfen (vgl. etwa zur herabgesetzten Kontrollpflicht über erfahrene und zuverlässige Kanzleikräfte bei der Ausführung rein manipulativer Tätigkeiten den hg. Beschluss vom , Zl. 2003/13/0076). Entgegen der Ansicht der belangten Behörde stellt es daher auch keine Verletzung der einem berufsmäßigen Parteienvertreter obliegenden Sorgfaltspflicht in der Kanzleiorganisation dar, wenn der Fristvormerk in einem zentralen Fristvormerkbuch geführt wird, ohne dass parallel dazu ("zu Kontrollzwecken") die Fristen auch in einem weiteren - elektronisch oder "händisch" auf Papier geführten - Kalender (redundant) eingetragen werden. Im Hinblick darauf, dass für die Ausführung des - nicht ungewöhnlich aufwändigen - Rechtsmittels noch drei Arbeitstage zur Verfügung standen, kann es dem Beschwerdeführervertreter auch nicht als Verletzung seiner Sorgfaltspflicht angelastet werden, dass er nicht unmittelbar mit der Verfassung des Rechtsmittels begonnen hat.

4. Dennoch erweist sich die Beschwerde nicht als berechtigt:

Die Erfassung und Vormerkung von Fristen auf Grund der Eingangspost in einer Rechtsanwaltskanzlei ist ein komplexer Vorgang, bestehend aus der vollständigen Erfassung fristauslösender Schriftstücke, der Errechnung und des Vormerks des letzten Tages der Frist und dessen zutreffender Übertragung in den Fristvormerkkalender. Auf jeder dieser Ebenen muss das Unterlaufen eines Fehlers vermieden werden, weshalb es der Einrichtung eines dafür geeigneten Kontrollsystems bedarf.

Bei der Übertragung einer Fristvormerkung in den für die Wahrnehmung der Frist ausschlaggebenden Kanzleikalender handelt es sich daher nicht um einen rein manipulativen Vorgang; es wäre somit vom Beschwerdeführer darzulegen gewesen, welches Kontrollsystem hinsichtlich der für die tatsächliche Fristwahrnehmung maßgebenden Eintragung in den Kanzleikalender bestanden hat (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2009/08/0014). Der Beschwerdeführer hat jedoch im Wiedereinsetzungsantrag keinerlei Vorbringen erstattet, ob und gegebenenfalls wie die tatsächliche Eintragung einer - vom Beschwerdeführervertreter errechneten und der Kanzleileiterin bekannt gegebenen - Frist im Fristvormerkbuch kontrolliert wird. Die von ihm geschilderte kanzleiübliche Vorgangsweise, bei der "die Frist" (wohl: das Ende der zu wahrenden Rechtsmittelfrist) der Kanzleimitarbeiterin mündlich mitgeteilt, von dieser auf einem Notizzettel (also nicht auf dem fristauslösenden Schriftstück selbst) notiert und der Akt sodann vorerst zu weiteren Fristakten gelegt wird, um erst später im Fristvormerkbuch erfasst zu werden, eröffnet sowohl durch die mündliche Mitteilung der Frist als auch die "Zwischenablage" der noch nicht erfassten Akten sogar zusätzliche Fehlerquellen. Aber schon in der unkontrollierten Übertragung der mündlich bekannt gegebenen Fristen in das zentrale Fristvormerkbuch durch die Kanzleileiterin liegt ein Organisationsmangel der Kanzlei, der nicht als bloß minderer Grad des Versehens im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG qualifiziert werden kann.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
RAAAE-74801