VwGH vom 21.12.2011, 2010/08/0109
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des DP in E, vertreten durch Dr. Sabine Deutsch, Rechtsanwalt in 8200 Gleisdorf, Schillerstraße 11/I, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom , Zl. LGS600/SfA/0566/2010-He/Kö, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice F (in der Folge: AMS) den Antrag des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld vom mangels Zuständigkeit infolge Fehlens eines Wohnsitzes bzw. eines gewöhnlichen Aufenthaltsorts zurückgewiesen und damit begründet, dass der Beschwerdeführer nach dem Ergebnis des fremdenpolizeilichen Ermittlungsverfahrens über keinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich verfüge.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hat der Beschwerdeführer im Wesentlichen vorgebracht, dass es die einschreitenden Beamten der Bezirkshauptmannschaft F beim Ortsaugenschein verabsäumt hätten, eine Fotodokumentation anzufertigen und den Unterkunftsgeber sowie dessen Gattin als Zeugen einzuvernehmen. Es sei außer Acht gelassen worden, dass sich das gegenständliche Haus im Umbau befunden habe, weswegen man verschiedene Gegenstände einfach dort, wo mehr Platz gewesen sei, abgestellt habe; ebenso habe die Behörde der Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich laut Auszug aus dem Zentralmelderegister vom bis einschließlich nebenwohnsitzgemäß und seit dem hauptwohnsitzgemäß in Österreich aufhalte, keine Beachtung geschenkt. Schließlich habe sich der Beschwerdeführer bei der Kontrolle durch die einschreitenden Beamten bei seiner Hausärztin befunden. Das AMS habe ohne jegliche Grundlage bzw. ohne rechtskräftige Entscheidung seitens der Bezirkshauptmannschaft/Referat Fremdenrecht einen negativen Bescheid ausgestellt, der auf keiner rechtlichen Grundlage basiere.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung nicht stattgegeben und den erstinstanzlichen Bescheid des AMS bestätigt.
In ihrer Bescheidbegründung führte die belangte Behörde zunächst zum Verfahrensgang aus, dass der Beschwerdeführer in seinem Antrag auf Arbeitslosengeld angegeben habe, dass seine Gattin in Slowenien wohnhaft sei und auch dort arbeiten würde. Er sei mit Bescheid des AMS vom darüber informiert worden, dass das gegenständliche Verfahren ausgesetzt werde, da die Vorfrage der Zuständigkeit des AMS, die sich nach dem Wohnsitz im Inland bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsstellers richte, erst durch die Bezirkshauptmannschaft/Referat Fremdenrecht abgeklärt werden müsse. Bei der am an der von ihm angegebenen Adresse durchgeführten Kontrolle durch Beamte des Koordinierten Fremdenpolizeilichen Dienstes beim BPK F (in der Folge: BPK) sei der Beschwerdeführer nicht angetroffen worden. Der Unterkunftsgeber JD habe den Beamten freiwillig Zutritt zu den "Wohnräumlichkeiten" des Beschwerdeführers gewährt. Dabei habe es sich dem Anschein nach um ein "Jugendzimmer" bzw. Gästezimmer gehandelt, in dem private Gegenstände der Familie D untergebracht gewesen seien. Wäsche oder private Dinge des Beschwerdeführers seien im Zimmer nicht gefunden worden; es habe auch keine anderen Hinweise gegeben, dass das Zimmer regelmäßig bewohnt werden würde. JD habe gegenüber den Beamten angegeben, dass der Beschwerdeführer sein Arbeitskollege von der Firma T sei. Im Vorjahr habe der Beschwerdeführer ihn gefragt, ob er sich bei ihm anmelden könne. Der Beschwerdeführer bewohne ein Zimmer neben dem Wohnzimmer, habe keine persönlichen Sachen da und würde seine privaten Dinge und seine Wäsche immer nach Slowenien mitnehmen, wohin er jedes Wochenende fahren würde. Unter der Woche sei er meistens im Haus der Familie D und zum Zeitpunkt der Kontrolle bei einem Arzt in B. Er esse bei der Familie D, benütze hier auch das Badezimmer. Einen Mietvertrag gäbe es nicht und der Beschwerdeführer zahle auch keine Miete.
Am habe der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - niederschriftlich bei der Polizeiinspektion F angegeben, seit 1991 bei der Firma T zu arbeiten und mit JD und dessen Familie befreundet zu sein. Er habe auch schon vor seiner Anmeldung bei der Familie D fallweise genächtigt, aber auch Wohnsitze in R und B als Nebenwohnsitze gehabt. Da er seit einiger Zeit Probleme mit seiner Ehegattin habe, habe er JD ersucht, sich bei ihm anmelden zu dürfen. Er habe sich mit Hauptwohnsitz angemeldet, weil er irgendwo leben müsste, wenn er aus seinem Haus in Slowenien ausziehen müsste. Er wohne vier bis sechs Mal die Woche bei der angegebenen Adresse und habe zur Zeit nur deswegen keine privaten Dinge da, weil die Wohnung umgebaut werden würde und seine Sachen "im Weg sein könnten". Ansonsten habe er Sachen mit, hauptsächlich Wäsche und ähnliches, Möbel habe er keine eigenen. Er würde keine Miete bezahlen und es gebe auch keinen Mietvertrag, er lebe bei der Familie D gewissermaßen als deren Familienmitglied.
Zur Annahme eines Scheinwohnsitzes setzte die belangte Behörde nach Zitierung von § 44 Abs. 1 AlVG fort, dass sich für das AMS schon auf Grund der Angaben im gegenständlichen Antrag, dass seine Gattin in Slowenien wohnhaft sei und dort arbeite, Zweifel daran bestünden, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer angeführten Adresse in E tatsächlich um seine Wohnsitzadresse handle. Bei der Kontrolle am durch Beamte des BPK sei der Beschwerdeführer nicht an der Meldeadresse angetroffen worden. Der glaubwürdige Bericht der Beamten biete ein anschauliches Bild der Wohnräumlichkeiten, es sei nicht maßgeblich, dass keine Fotodokumente vorhanden seien. In dem Zimmer des Beschwerdeführers seien private Gegenstände der (Unterkunft gebenden) Familie D untergebracht gewesen, Wäsche oder andere persönliche Gegenstände des Beschwerdeführers seien darin nicht vorgefunden worden; es habe auch keine Hinweise gegeben, dass das Zimmer regelmäßig bewohnt werde. Der bei dieser Kontrolle befragte Unterkunftgeber JD habe angegeben, dass der Beschwerdeführer keine persönlichen Sachen da habe, sondern seine gesamte Wäsche und privaten Dinge immer nach Slowenien mitnehmen würde. Der Beschwerdeführer würde jedes Wochenende nach Slowenien fahren, unter der Woche sei er meistens da. Momentan sei er gerade beim Arzt in B. Der Beschwerdeführer würde bei der Familie D essen und auch deren Badezimmer mitbenutzen. Es würde keinen Mietvertrag geben und er müsste auch nichts bezahlen. Die glaubwürdigen Angaben von JD bei der Kontrolle, wonach der Beschwerdeführer keine persönlichen Sachen da habe und seine gesamte Wäsche und privaten Dinge immer nach Slowenien mitnehme, würden sich mit den Wahrnehmungen der Beamten decken. Auf eine weitere Einvernahme der Unterkunftgeber JD und TD sowie einen Ortsaugenschein könne verzichtet werden; der Berufung wurde entgegengehalten, dass eine Bestätigung des Arztbesuches kein Beweis dafür sei, dass der Beschwerdeführer tatsächlich an der Adresse in E seinen Wohnsitz habe. Die Umstände würden daher nicht dafür sprechen, dass die Anwesenheiten des Beschwerdeführers nicht nur vorübergehend seien und eine gewisse sachlich-räumliche Beziehung zum Aufenthaltsort bestehe. Es gelte somit als erwiesen, dass es sich bei der Adresse in E nicht um den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort des Beschwerdeführers handle.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 46 Abs. 1 AlVG ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen.
§ 44 AlVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 179/1999 hat folgenden Wortlaut:
"§ 44. (1) Die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (in den übrigen Bestimmungen "regionale Geschäftsstellen'' genannt) und der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice (in den übrigen Bestimmungen "Landesgeschäftsstellen'' genannt) richtet sich
1. soweit Rechte und Pflichten des Arbeitgebers betroffen sind, nach dem Sitz des Betriebes;
2. soweit Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers betroffen sind,
a) in Angelegenheiten der Sondernotstandshilfe nach dem Hauptwohnsitz (§ 1 Abs. 7 des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994) und
b) in den übrigen Angelegenheiten nach dessen Wohnsitz, mangels eines solchen nach dessen gewöhnlichem Aufenthaltsort.
(2) Ist auf Grund internationaler Verträge bei einem Wohnsitz im Ausland der Bezug von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe im Inland zulässig, so ist die regionale Geschäftsstelle zuständig, in deren Bezirk der Arbeitslose zuletzt beschäftigt war. Dies gilt auch für die Geltendmachung des Anspruches (§ 46), die Einhaltung der Kontrollmeldungen (§ 49) und die Erfüllung der Meldepflicht (§ 50). Das gleiche gilt für den Bezug eines Pensionsvorschusses gemäß § 23. Für die Krankenversicherung des Leistungsbeziehers (§ 40 Abs. 1) ist die nach dem Sitz der regionalen Geschäftsstelle örtlich zuständige Gebietskrankenkasse zuständig."
Soweit in der Beschwerde gerügt wird, dass das ausgesetzte Verfahren vom AMS vor rechtskräftiger Beendigung des die Vorfrage betreffenden Verfahrens bei der Bezirkshauptmannschaft F fortgesetzt wurde, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin dadurch nicht in Rechten verletzt sein kann (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I, 2. Auflage, S. 526 unter E 128ff wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Dagegen kommt der Beschwerde Berechtigung zu, wenn sie einwendet, dass der angefochtene Bescheid mangelhaft begründet sei:
Die belangte Behörde kam beweiswürdigend zu dem Ergebnis, dass keine Zuständigkeit des AMS im Sinne des § 44 AlVG für die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gegeben war. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung der belangten Behörde (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt jedoch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie u.a. den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0214).
Im vorliegenden Fall kam die belangte Behörde zur Annahme, dass die Ermittlungen ergeben hätten, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer angegebenen Adresse um einen Scheinwohnsitz handle und das AMS in Ermangelung eines ordentlichen Wohnsitzes in Österreich in Bezug auf den Antrag des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld nicht zuständig sei. Dabei ist zunächst zu beachten, dass es für die Zuständigkeit der regionalen Geschäftsstelle im Sinne des § 46 Abs. 1 AlVG bezüglich der Antragstellung auf die Zuerkennung von Arbeitslosengeld auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Antragstellung ankommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0303).
Die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltsortes hat die belangte Behörde außer Acht gelassen, obwohl die Verfahrensergebnisse einen solchen indizieren:
Die belangte Behörde stützt ihre Bescheidbegründung lediglich auf den nach einer einmaligen Kontrolle verfassten Bericht des BPK und die damit in Einklang stehenden Teile der bei der Kontrolle gemachten Angaben des Unterkunftsgebers JD. Es fehlt aber sowohl eine Auseinandersetzung mit den weiteren Angaben von JD, wonach insbesondere der Beschwerdeführer sich "meistens" während der Woche an der besagten Adresse aufhalte, wie auch mit den (zuvor angeführten) Angaben des Beschwerdeführers vom , vor allem mit von ihm erwähnten Umbau zum Kontrollzeitpunkt und seinem jahrelangen Aufenthalt in Österreich, wobei letzterer Umstand in den (im Bescheid ebenso unerwähnt gebliebenen) Erhebungen im Zentralen Melderegister seine Deckung findet. Auch mit der Frage des Willensentschlusses des Beschwerdeführers, seine Lebensbeziehungen bis auf weiteres mit einem bestimmten Ort zu verbinden (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0155), hat sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinandergesetzt. Für die Klärung dieser Frage wäre es erforderlich gewesen, aus dem Verhalten des Beschwerdeführers entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Hierzu wäre die Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer schon bei seiner niederschriftlichen Einvernahme, aber auch im Zuge seiner Berufung vorgebrachten Einwänden bzw. die Befragung der Unterkunftgeber nützlich gewesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0155). Hierzu ist ferner darauf hinzuweisen, dass von der belangten Behörde der Grundsatz einer möglichst vollständigen Beweisführung zu beachten gewesen wäre. Dies bedeutet, dass möglichst an einem Sachverhalt unmittelbar Beteiligte als Zeugen niederschriftlich einzuvernehmen sind (vgl. dazu auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 90/18/0169, und vom , Zl. 2006/08/0125).
Hätte die belangte Behörde daher im Sinne der oben zitierten hg. Judikatur ihren Bescheid schlüssig nachvollziehbar begründet und auch die namhaft gemachten Unterkunftgeber im Hinblick auf die Berufungseinwände einvernommen, wäre ein anderes Ergebnis möglich gewesen. Indem die belangte Behörde dies unterlassen hat, hält ihre Bescheidbegründung - losgelöst davon, dass auch Ausführungen zu einem anderen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Beschwerdeführers und dessen allfällige Relevanz für den Anspruch auf Arbeitslosengeld fehlen - schon deshalb einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht stand.
Da der Beschwerdeführer slowenischer Staatsangehöriger ist, wird die belangte Behörde gegebenenfalls den Leistungsanspruch auch unter Berücksichtigung des Art. 71 der im Zeitpunkt der Antragstellung noch in Geltung gestandenen VO (EWG) Nr. 1408/71 bzw. ab unter Berücksichtigung des Art. 65 der VO (EG) Nr. 883/2004 zu ermitteln haben, wobei vor allem auf Art. 71 Abs. 1 lit. b sublit. ii iVm Art. 69 der VO Nr. 1408/71 hingewiesen sei.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Kostenmehrbegehren findet darin keine Deckung.
Wien, am
Fundstelle(n):
DAAAE-74781