VwGH vom 01.09.2015, 2012/15/0197

VwGH vom 01.09.2015, 2012/15/0197

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Beschwerde des Finanzamtes Bregenz in 6900 Bregenz, Brielgasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Feldkirch, vom , Zl. RV/0133-F/12, betreffend Einkommensteuer 2011 (mitbeteiligte Partei: H S in L, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, dem vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen für das Streitjahr ein Grad der Behinderung von 70 % und die Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bescheinigt wurde, machte in der Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung 2011 den Behindertenfreibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988, die pauschalen Freibeträge für Diätverpflegung (Magenkrankheit, andere innere Erkrankungen) und für ein Kraftfahrzeug wegen Behinderung sowie "unregelmäßige Ausgaben für Hilfsmittel und Kosten der Heilbehandlung" als außergewöhnliche Belastungen geltend. Weiters beantragte er das erhöhte Pendlerpauschale gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 2011, mit dem das Finanzamt die Anerkennung außergewöhnlicher Belastungen teilweise versagte, erhob der Mitbeteiligte Berufung und brachte unter anderem vor, er sei als Kind von einem Traktor überrollt worden und habe sich vor Jahren bei einem Unfall den rechten Fuß schwer verletzt. Die als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen, deren Zwangsläufigkeit durch ärztliche Bestätigungen nachgewiesen sei, seien ihm aufgrund seiner "Krankheiten" erwachsen.

Der Berufung lagen Atteste eines Facharztes für Allgemeinmedizin und einer Fachärztin für Lungenkrankheiten mit folgendem Wortlaut bei:

Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin vom :

"(Der Mitbeteiligte) zog sich im Zuge eines Unfalles in der Kindheit eine mehrfache Fußfraktur re. zu, seitens dieser er immer noch Beschwerden hat.

Bei einer Untersuchung im Jahre 2007 bei Dr. (...) zeigten sich immer noch degenerative Veränderungen des gesamten rechten Fußes, welche direkt auf das Unfallgeschehen zurück zu führen sind.

(Der Mitbeteiligte) benötigt daher spezielle Schuheinlagen, zusätzlich werden verschiedene schmerzlindernde Salben benötigt. Eine operative Korrektur der degenerativen Veränderungen ist derzeit nicht möglich."

Attest der Fachärztin für Lungenkrankheiten vom :

"Diagnose: COPD Stadium II, rezidivierende Infektexazerbationen.


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Derzeitige Medikation:
Seretide Diskus forte 1-0-1, Spiriva Kps 1-0-0,
Berodual-DA bei Bedarf 1-2 Hub

Auf Grund der Grunderkrankung eines COPD im Stadium II ist es für den Patienten erforderlich ein Ausdauer- und Krafttraining durchzuführen.

Der Patient geht einerseits ins Fitness-Studio, macht jedoch auch Ausdauertraining wie Radfahren und Nordic Walking."

Nach Vorlage der Berufung forderte die belangte Behörde den Mitbeteiligten auf, "eine Bestätigung des Bundessozialamtes vorzulegen, welche Erkrankungen als Behinderung gewertet werden, da davon die Abgrenzung der Krankheitskosten mit Selbstbehalt und der Krankheitskosten ohne Selbstbehalt abhängt".

In Entsprechung des Vorhaltes legte der Mitbeteiligte den nachstehend wiedergegebenen Bescheid des Bundessozialamtes vom samt Beiblatt vor:

" Bescheid

Auf Grund Ihres am eingelangten Antrages wird Ihr Grad der Behinderung ab mit 70 vom Hundert festgesetzt.

Rechtsgrundlage: §§ 14 und 27 Abs. 1 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970, in der derzeit geltenden Fassung.

Begründung

Auf Grund des Bescheides des Bundessozialamtes Landesstelle Vorarlberg (ehemaliges Landesinvalidenamt für Vorarlberg) vom gehören Sie dem Kreis der begünstigten Behinderten im Sinne der §§ 2 und 14 BEinstG an.

Der Grad der Behinderung wurde auf Grund der festgestellten Gesundheitsschädigungen mit 50 vom Hundert (v.H.) eingeschätzt.

Da mit Wirksamkeit vom ein rechtskräftiger Bescheid vorlag, mit dem über Ihre Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten abgesprochen wurde bzw. ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren nach den Bestimmungen der §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes vorlag, waren für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht (§ 27 Abs. 1 BEinstG).

Mit Ihrem Antrag begehrten Sie eine neue Festsetzung Ihres Grades der Behinderung.

Im Ermittlungsverfahren wurde ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen zur Feststellung des Grades der Behinderung eingeholt. Nach diesem Gutachten beträgt der Grad der Behinderung 70 vom Hundert.

Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens sind dem Beiblatt, das einen Bestandteil der Begründung bildet, zu entnehmen."

" Beiblatt zum Bescheid

Ergebnis des ärztlichen Sachverständigengutachtens vom

Danach ergibt sich nach den gemäß § 7 Abs. 2 KOVG vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Verordnung vom , BGBl. Nr. 150/1965, festgesetzten Richtsätzen folgende Einschätzung der Gesundheitsschädigungen:


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LfdNr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionsbeeinträchtigungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate dauern werden
Pos.Nr.
GdB %
1
Zustand nach multiplen Fußfrakturen mit Versteifung des Linsfranc. Gelenkes. Schwerer Defektzustand rechter Vorfuß
Analog 136
40
2
Zustand nach Kahnbeinbruch links mit Bewegungseinschränkung linkes Handgelenk
58
20
3
Rezidivierende Lumbalgie
190
20
4
Funktionsbehinderung des rechten Daumens
90
20
5
Depression, Erschöpfung
585
30
6
COPD II
286
30

Begründung der Position bzw. der Rahmensätze:

Den höchsten Grad der Behinderung verursacht die Versteifung des Lisfranc.-Gelenkes I-III rechts. Das Zusammenwirken aller Gesundheitsschädigungen rechtfertigt eine höhere Einschränkung des Grades der Behinderung.

Gesamtgrad der Behinderung 70 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Die führende funktionelle Einschränkung wird durch die

funktionelle Einschränkung lfd. Nr. 3+5+6

(x) erhöht um 3 Stufe(n)

Begründung:

(x) da eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung

zwischen Leiden 1 und Leiden 3 + 5 + 6 besteht.

(x) Dauerzustand

Der Gesamtgrad der Behinderung liegt vor seit: 2011

Eine rückwirkende Bestätigung des GdB über den angeführten Zeitpunkt hinaus ist nicht möglich."

Nach Vorlage des Bescheides vom wurde von der belangten Behörde per E-Mail folgende Anfrage an das Bundessozialamt gerichtet:

"Laut einer Bescheinigung des Bundessozialamtes ist (der Mitbeteiligte) ... zu 70 % behindert und liegt eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor. (Der Mitbeteiligte) hat über Vorhalt (der belangten Behörde) den Bescheid vom sowie das Beiblatt vorgelegt. Daraus ist aber nicht ersichtlich warum für (den Mitbeteiligten) die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar ist. Ich ersuche Sie daher mitzuteilen, warum für (den Mitbeteiligten) die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar ist."

Vom Bundessozialamt wurde die Anfrage per E-Mail wie folgt beantwortet:

"In Vollziehung des Bundesbehindertengesetzes wurde (dem Mitbeteiligten) diese Bestätigung ausgestellt. Nach unseren medizinischen Sachverständigen und nach bundesgesetzlichen Richtlinien wurde die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Dauer gewährt.

Weitere Informationen zu unserer Tätigkeit entnehmen Sie bitte unserer homepage: www.bundessozialamt.gv.at."

Das Finanzamt nahm im Rahmen des Parteiengehörs zum E-Mail-Verkehr der belangten Behörde mit dem Bundessozialamt wie folgt Stellung:

"Die schriftliche Antwort des Bundesamtes für Soziales und Behinderungswesen stammt von der für die Buchstaben S - Z zuständigen Referentin. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn derartige Auskünfte rechtlich fundierter über die Amtsleitung (...) bzw. die Abteilungsleitung (...) eingeholt bzw. von derselben approbiert werden.

Gemäß § 35 Absatz 2 EStG 1988 ist die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch eine amtliche Bescheinigung der zuständigen Stelle, d. h. gemäß § 35 Abs. 2 dritter Teilstrich durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, nachzuweisen. Der Grad der Behinderung ist durch Ausstellung eines Behindertenpasses zu bescheinigen.

Die Frage, ob Zusatzeintragungen gemäß § 45 BBG ebenso verbindlich sind wie der festgestellte Grad der Behinderung, ist insoweit zu hinterfragen, als es sich (auch) bei der Zusatzeintragung um keinen Bescheid handelt und die Bindungswirkung der Zusatzeintragungen weder (im) EStG noch in der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen (BGBl. 1996/303) ausdrücklich normiert ist.

Die Abgabenbehörde 1. Instanz stellt die vom Bundessozialamt bescheinigte Unzumutbarkeit der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel in Frage, weil die Zuerkennung der 'Unzumutbarkeit' einerseits, und in gewissem Sinne die im Begleitblatt zum Bescheid gemäß Bundesbehinderteneinstellungsgesetz angeführte gegenseitig und erschwerend negative Zusammenwirkung der Behinderungen, nicht schlüssig erscheint:

Die Unschlüssigkeit des negativen Zusammenwirkens der Gesundheitsschädigungen ergibt sich daraus, dass bei einem schweren Defekt am Vorfuß ein (von Radfahren abweichender) Ausdauersport wie Jogging, Bergwandern und Nordic Walking nicht nachvollziehbar ist, und dass bei mehr als nur leichtem Ausdauersport das Ausmaß der Lungenfunktionsschädigung (COPD II) hinterfragenswürdig ist.

Aus dem Veranlagungsakt geht u.a. Folgendes hervor:

1) Der (Mitbeteiligte) macht in der

Arbeitnehmerveranlagung 2011 Kosten für die Anschaffung von Lauf- und Wanderschuhen geltend - wie sie zB auch von passionierten Wanderern zum Laufen auf den Bregenzer Hausberg Pfänder übers (steile) Gschlief verwendet werden, obwohl er an einem schweren Defekt des rechten Vorfußes nach multiplen Fußfrakturen mit Versteifung des Lisfranc-Gelenkes leidet. Diese Beeinträchtigung wurde basierend auf den Richtsätzen für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. 150/1965 mit einem Grad der Behinderung von 40 % angesetzt, d.h. mit dem höchstmöglichen Grad für die Position 136 (Funktionseinschränkung bis Versteifung eines Sprunggelenks je nach Stellung - günstig oder ungünstig).

2) Der (Mitbeteiligte) erzielte bis zumindest

August 2011 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Fitnesstrainer für Ausdauersport (Spinning) und machte im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung 2010 Kosten für die Teilnahme an einer Ausdauersportveranstaltungen (Spinning-Marathon) als Werbungskosten geltend. Dies steht in einem Widerspruch zur Position 286 (COPD II), wonach (lt. Krankheitsbild-Therapieempfehlungen) hier leichtes Ausdauertraining und Gehen förderlich sei. Die große Belastbarkeit des (Mitbeteiligten) wird interessanterweise auch in der für das Wohnsitzfinanzamt speziell ausgestellten Bestätigung der Lungenfachärztin vom schriftlich bescheinigt, derzufolge der Patient für das erforderliche Ausdauer- und Krafttraining ins Fitnessstudio gehe, jedoch auch Ausdauertraining wie Radfahren und Nordic Walking mache.

Wie zB. aus den Erkenntnissen des VwGH (Gz. 2008/11/0128 vom und Gz. 2006/11/0178 vom ) hervorgeht, wird für die Beurteilung der 'Unzumutbarkeit' insbesondere herangezogen, welche Wegstrecken ohne große Schmerzen gegangen werden können bzw. ob ein gefahrloses Ein- und Aussteigen gegeben ist.

Die Abgabenbehörde befürwortet die Bemühungen des (Mitbeteiligten), den Gesundheitszustand durch Eigeninitiative zur körperlichen Fitness beizubehalten und zu fördern. Es handelt sich dabei jedoch aus steuerrechtlicher Sicht um Kosten der Erhaltung der Gesundheit, und nicht um therapeutische Maßnahmen unter ärztlicher Aufsicht.

Wie bzw. warum sich sportliche Betätigungen wie Nordic Walking, Bergwandern und Jogging mit unbewältigbaren Wegstrecken und der daraus resultierenden Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vertragen, ist aus der vorliegenden Antwort des Bundessozialamtes nicht ersichtlich und aus der Aktenlage nicht erklärlich.

Die Abgabenbehörde vertritt folglich die Ansicht,

o dass die Zusatzeintragung im Behindertenpass in

Unwissenheit der tatsächlichen Verhältnisse erfolgte,

o dass keine gesetzliche Bindungswirkung an derartige

Zusatzeintragungen besteht,

und beantragt daher aufgrund der Aktenlage, dass die mit der

'Unzumutbarkeit' verbundenen abgabenrechtlichen Begünstigungen

(Pendlerpauschale, KFZ-Freibetrag) versagt werden."

Vor Ergehen des angefochtenen Bescheides wurde vom Mitbeteiligten noch der Antrag gestellt, "Fahrtkosten zur Kur für 756 Kilometer in Höhe von 317,52 EUR als zusätzliche Kosten bei den außergewöhnlichen Belastungen (KZ 476) zu berücksichtigen".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung teilweise Folge. Hinsichtlich des im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof noch strittigen Freibetrages gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen und des großen Pendlerpauschales gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 vertrat die belangte Behörde die Auffassung, sie sei an die Feststellungen des Bundessozialamtes, "dass der (Mitbeteiligte) zu 70 % behindert ist und dass ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar ist", gebunden. Weiters wurde im angefochtenen Bescheid der Standpunkt vertreten, dass dem Mitbeteiligten trotz Inanspruchnahme des Freibetrages für die Verwendung eines eigenen Kraftfahrzeuges gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen das amtliche Kilometergeld für jene Strecken gebühre, die er im Zusammenhang mit einer im Jahr 2011 absolvierten Kur zurückgelegt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Finanzamt erhobene Beschwerde.

In der Anfechtungserklärung wendet sich das Finanzamt ausschließlich dagegen, "dass die vom Bundessozialamt als Zusatzeintragung im Behindertenpass attestierte Unzumutbarkeit der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel trotz der dargelegten Widersprüche und Zweifel ungeprüft übernommen, kein Gegenbeweis als zulässig erkannt und folglich kein Gegengutachten eingeholt wurde, wodurch in weiterer Folge der Freibetrag gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen (...) sowie das große Pendlerpauschale gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 (...) gewährt wurden und dass trotz Inanspruchnahme des Kraftfahrzeug-Freibetrages gemäß § 3 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen das amtliche Kilometergeld für die Fahrt zur und von der Kur als außergewöhnliche Belastung im Zusammenhang mit einer Behinderung gewährt und daher Aufwendungen doppelt berücksichtigt wurden".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, lautet auszugsweise:

"6. Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt:

a) diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs. 5) abgegolten.

...

c) Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann werden anstelle der Pauschbeträge nach lit. b folgende Pauschbeträge berücksichtigt:

Bei einer einfachen Fahrtstrecke von


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2 km bis 20 km
372 Euro jährlich
20 km bis 40 km
1.476 Euro jährlich
40 km bis 60 km
2.568 Euro jährlich
über 60 km
3.672 Euro jährlich

... Für die Inanspruchnahme der Pauschbeträge hat der

Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auf einem amtlichen Vordruck eine Erklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen der lit. b und c abzugeben. ..."

§ 35 EStG 1988 in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung lautet auszugsweise:

"§ 35. (1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen - durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,

...

und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe )Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß

der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die

Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich

in Fällen,

1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung

erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften

für eine Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

- Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente

(§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

- Der Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten

oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

- In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen

von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

...

(7) Der Bundesminister für Finanzen kann nach den Erfahrungen der Praxis im Verordnungsweg Durchschnittssätze für die Kosten bestimmter Krankheiten sowie körperlicher und geistiger Gebrechen festsetzen, die zu Behinderungen im Sinne des Abs. 3 führen."

Unter anderem auf Grund des § 35 EStG 1988 erließ der Bundesminister für Finanzen die Verordnung über außergewöhnliche Belastungen, die in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

"§ 1. (1) Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen

- durch eine eigene körperliche oder geistige

Behinderung,

...

so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

(2) Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25 % beträgt.

(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

...

§ 3. (1) Für Körperbehinderte, die zur Fortbewegung ein eigenes Kraftfahrzeug benützen, ist zur Abgeltung der Mehraufwendungen für besondere Behindertenvorrichtungen und für den Umstand, dass ein Massenbeförderungsmittel auf Grund der Behinderung nicht benützt werden kann, ein Freibetrag von 190 Euro monatlich zu berücksichtigen. Die Körperbehinderung ist durch eine Bescheinigung gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung 1960 oder einen Bescheid über die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 2 Abs. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1952, gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1992 oder gemäß § 4 Abs. 3 Z 9 des Versicherungssteuergesetzes 1953 nachzuweisen.

...

§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen."

Gemäß § 40 Abs. 1 des Bundesbehindertengesetzes (im Folgenden nur: BBG) ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Behindertenpass unter anderem dann auszustellen, wenn sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind gemäß § 45 Abs. 1 BBG unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. Ein Bescheid ist nach § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.

Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990, die über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügen, ist gemäß § 29b Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 als Nachweis über die Berechtigungen nach Abs. 2 bis 4 der Straßenverkehrsordnung 1960 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis auszufolgen.

Der Mitbeteiligte gehört laut Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes an. Er ist Inhaber eines Behindertenpasses, in dem ihm für das Streitjahr ein Grad der Behinderung von 70 % und die Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bescheinigt wird. Inhabern eines Behindertenpasses, die über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügen, ist gemäß § 29b Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis (eine Bescheinigung) gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung auszufolgen. In § 3 Abs. 1 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen ist - zur Abgeltung der Mehraufwendungen für besondere Behindertenvorrichtungen und für den Umstand, dass ein Massenbeförderungsmittel auf Grund der Behinderung nicht benützt werden kann - für Körperbehinderte, die zur Fortbewegung ein eigenes Kraftfahrzeug benützen, ein Freibetrag von 190 EUR monatlich vorgesehen. Die Körperbehinderung ist (unter anderem) durch eine Bescheinigung gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung 1960 nachzuweisen.

§ 3 Abs. 1 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen, der den Freibetrag für die behinderungsbedingte Nutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges regelt, normiert, dass die Körperbehinderung durch eine Bescheinigung gemäß § 29b StVO (oder einen Bescheid ...) nachzuweisen ist. Damit wurde eine bindende Beweisregel geschaffen (vgl. z.B. Hofstätter/Reichel , EStG 1988,§ 35 Tz 4; Jakom /Baldauf , EStG, 2015,

§ 35 Rz 7). Dass der Mitbeteiligte nicht über die in § 3 Abs. 1 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen geforderte Bescheinigung gemäß § 29b der Straßenverkehrsordnung 1960 verfügt hat, behauptet die Beschwerde nicht. Damit erweist sich die Beschwerde aber, soweit sie den Freibetrag für ein Kraftfahrzeug gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen betrifft, als unberechtigt.

Soweit das Finanzamt die Auffassung vertritt, dass mit der Inanspruchnahme des Freibetrages für ein Kraftfahrzeug alle Mehraufwendungen für Fahrten mit diesem Kraftfahrzeug abgegolten seien, weshalb der Mitbeteiligte keine zusätzlichen im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung stehenden Fahrtkosten geltend machen könne, genügt es gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das Erkenntnis vom , 2009/15/0094, zu verweisen. Im genannten Erkenntnis, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass durch den Freibetrag nach § 3 Abs. 1 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen nur jener Mehraufwand abgedeckt wird, der einem Behinderten für gewöhnlich entsteht, weil er infolge seiner Behinderung kein Massenverkehrsmittel benützen kann. Ausgehend davon stellen die im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung stehenden Fahrtkosten eine zusätzliche außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen dar, weshalb sich die Beschwerde auch in diesem Punkt als unberechtigt erweist.

Berechtigung kommt hingegen der Beschwerderüge zu, dass dem Mitbeteiligten trotz der vom Finanzamt im Berufungsverfahren dargelegten Widersprüche und Zweifel das große Pendlerpauschale gewährt worden ist. Die Inanspruchnahme der Pauschbeträge gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 hat die Unzumutbarkeit der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel zur Voraussetzung. In Bezug auf diese Unzumutbarkeit sind, mangels bindender Beweisregeln, Feststellungen nach den allgemeinen Bestimmungen der BAO (insbesondere des § 166 BAO) zu treffen. Danach kommt als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid davon aus, dass dem Mitbeteiligten die Pauschbeträge gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 bereits aufgrund der Zusatzeintragung im Behindertenpass zuzuerkennen sind. Mit den Widersprüchen und Zweifeln, die das Finanzamt hinsichtlich der Zusatzeintragung dargelegt hat, hat sich die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht auseinandergesetzt. Ob dem Mitbeteiligten die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke tatsächlich nicht zumutbar ist, wurde nicht überprüft. Eine solche Prüfung könnte beispielsweise durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens erfolgen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen - prävalierender - inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung weiterhin anzuwenden.

Wien, am