VwGH 22.12.2010, 2008/06/0067
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Die Vorstellungsbehörde ist berechtigt, jede Rechtswidrigkeit, gleichgültig ob sie in der Vorstellung geltend gemacht worden ist oder nicht, aufzugreifen, sofern damit in die (ihm noch als Partei zustehenden) Rechte des Vorstellungswerbers eingegriffen wird (Hinweis E vom , 93/06/0108, mwN). Die Auffassung, das Vorbringen in der Vorstellung bestimme den Rahmen der Kognitionsbefugnis der Vorstellungsbehörde, ist daher unzutreffend. |
Normen | BauG Vlbg 2001 §28 Abs2; BauG Vlbg 2001 §28 Abs3; BauRallg; RPG Vlbg 1996 §28; RPG Vlbg 1996 §31; |
RS 2 | Für die Festsetzung einer Baunutzungszahl, wie vom Gesetz vorgesehen, bedarf es einer Verordnung. Ohne Rechtsgrundlage durch eine Verordnung kommt einer behördlichen Praxis keine normative Wirkung zu. Daran vermag es auch nichts zu ändern, wenn die Parteien diese behördeninterne Praxis akzeptieren (oder ihr zumindest nicht widersprechen). Zutreffend ist somit die Auffassung der Behörde, dass eine Überschreitung der von der Gemeinde zu Unrecht als verbindlich angenommenen Baunutzungszahl keinen Versagungsgrund darstellt. |
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RS 3 | Könnte die beschwerdeführende Gemeinde durch den angefochtenen Bescheid nur insoweit in einem Recht verletzt sein, als der Berufungsbescheid von der Aufsichtsbehörde zu Unrecht aufgehoben wurde, liegen die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG vor. Dieses Recht ist kein "civil right" der Gemeinde im Sinne des Art. 6 MRK (Hinweis E vom , 2005/05/0202). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde der Marktgemeinde L, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom , Zl. BHBR-I- 3300.00-2007/0013, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. BA in S; 2. EP, 3. HP und 4. KP, letztere drei alle in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit rechtskräftigem Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom wurde den mitbeteiligten Parteien als Bauwerbern auf Grund ihres Antrages vom und nach Durchführung einer Bauverhandlung am die Baubewilligung für die Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit drei Wohneinheiten unter einigen Vorschreibungen erteilt.
Mit Schriftsatz vom beschwerten sich Nachbarn bei der beschwerdeführenden Gemeinde, Teile des Gebäudes würden anders verwendet als bewilligt, nämlich ein Fahrrad/Geräteraum und eine ca. 25 m2 große verglaste Terrasse als Planungsbüro eines der Bauwerber; außerdem sei im Kellerbereich ein Friseursalon eingerichtet worden. Das bewirke ein zusätzliches Verkehrsaufkommen und Probleme mit den Parkplätzen. Solche Absichten seien in der seinerzeitigen Bauverhandlung in Abrede gestellt worden.
Mit einer bei der beschwerdeführenden Gemeinde am eingelangten, undatierten Eingabe legten die Bauwerber "Deckpläne" vom vor und führten im Wesentlichen aus, es sei beabsichtigt, im Erdgeschoß eine "Büroecke" für ein Planungsbüro und ein WC mit Dusche anstatt des Fahrradraumes einzurichten, der in das Untergeschoß verlegt werde. Im Untergeschoß sei ferner ein Haarstudio geplant. Es seien ausreichend Abstellplätze vorgesehen.
Der Niederschrift über die Bauverhandlung vom ist zu entnehmen, dass der Leiter der Amtshandlung zugleich als bautechnischer Amtssachverständiger fungierte. Er führte im Zuge der Bauverhandlung in einem Gutachten aus, das mit Bescheid vom genehmigte Wohnhaus sei u. a. auch im Hinblick auf das zulässige Maß der baulichen Nutzung einer Beurteilung unterzogen worden. Gemäß den Richtlinien der beschwerdeführenden Gemeinde sei auf der bescheidgegenständlichen Liegenschaft eine Baunutzungszahl von maximal 50 % einzuhalten. Die der Baubewilligung vom zugrunde gelegenen Plan- und Beschreibungsunterlagen hätten eine Gesamtgeschoßfläche von 282,42 m2 ergeben, was bei einer Nettogrundfläche von 564 m2 eine Baunutzungszahl von 50 % bedeute. Gemäß den Richtlinien der Gemeinde seien der unbeheizte Fahrrad- und Geräteraum sowie die ebenfalls unbeheizte verglaste Terrasse bei der Berechnung der Gesamtgeschoßfläche nicht berücksichtigt worden. Nunmehr sollten diese Nebenräumlichkeiten als Planungsbüro verwendet werden. Sie seien somit als "vollwertige Nutzfläche" anzusehen und daher gemäß den Gemeinderichtlinien bei der Berechnung der Baunutzungszahl zu berücksichtigen. Somit ergebe sich eine Gesamtgeschoßfläche von 339,62 m2 und dementsprechend eine Baunutzungszahl von 60,2 %.
Bei dem mit Bescheid vom genehmigten Verwendungszweck seien gemäß der Stellplatzverordnung drei PKW-Abstell- und drei PKW-Einstellplätze zu schaffen gewesen. Die Stellplätze seien entlang des Privatweges angeordnet worden, sodass diese unmittelbar senkrecht und einzeln von der Zufahrtsstraße her angefahren werden könnten. Der Vorschlag der Bauwerber gehe nun dahin, für die Einrichtung des Planungsbüros und des Haarstudios jeweils einen zusätzlichen Abstellplatz zu schaffen, wobei die beiden zusätzlichen Stellplätze hinter einem der drei Abstellplätze angeordnet werden sollten. Mit anderen Worten: Somit sollten drei PKW-Stellplätze hintereinander angeordnet werden, Stellplatz 2 könne nur angefahren werden, wenn Stellplatz 3 frei sei, bzw. Stellplatz 1 sei nur benutzbar, wenn die Plätze 2 und 3 nicht belegt seien.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Gemeinde vom wurde die angestrebte Bewilligung für den Umbau und die Verwendung des Kellerlokales als Frisiersalon erteilt. Hingegen wurde die Bewilligung für die Errichtung und Verwendung eines Planungsbüros versagt und es wurde der Auftrag erteilt, die unbewilligte Planabweichung rückgängig zu machen, den bewilligten Bauzustand herzustellen und den Fahrrad- und Geräteraum bzw. die verglaste Terrasse dem Baubewilligungsbescheid entsprechend zu verwenden.
Die Versagung wurde unter Hinweis auf das Gutachten des bautechnischen Amtssachverständigen in der Bauverhandlung begründet; durch die angestrebte Bewilligung ergäbe sich eine weit überhöhte Baunutzungszahl von knapp über 60 %. Eine derartige Baunutzungszahl wäre nach den bebauungsrechtlichen Vorgaben der Gemeinde unzulässig.
Die Bauwerber erhoben gegen den ihren Antrag abweisenden Teil des erstinstanzlichen Bescheides Berufung, die mit Bescheid der Berufungskommission vom als unbegründet abgewiesen wurde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt:
"...
Nach den unbestrittenen Feststellungen des Erstbescheids haben die Bauwerber statt eines als Fahrradraum eingereichten ungeheizten Raumes mit entsprechendem Bodenbelag ein Planungsbüro eingerichtet.
Die Nachbarn haben schon bei der ursprünglichen Bauverhandlung den Verdacht geäußert, dass eine Umgehung des Baugesetzes geplant sei. Die Bauwerber sind dieser Vermutung der Nachbarn mit Bestimmtheit entgegengetreten und haben versichert, dass das Bauobjekt antragsgemäß realisiert werde.
In diesem Zusammenhang wurde bei der Bauverhandlung erörtert, dass im Hinblick auf die Baunutzungszahl die Bewilligung nicht erteilt werden könnte, wenn tatsächlich ein Planungsbüro errichtet würde, weil sich damit bei der Baunutzungszahl und bei den Stellplätzen die Unvereinbarkeit des Bauobjekts mit den raumplanungs- und baurechtlichen Vorgaben ergäbe. Die Bauwerber haben damals gegen diese Rechtsansicht der Baubehörde keine Einwände erhoben. Auch der Umstand, dass sie angesichts der Planungsvorgabe Baunutzungszahl kein Planungsbüro eingereicht hatten, dürfte auf diese Einsicht zurückgegangen sein.
...
Die Berufung behauptet auch nicht, dass ein Planungsbüro nicht in die Baunutzungszahl einzubeziehen sei. Warum eine Überschreitung der Baunutzungszahl dann aber 'jedenfalls' raumplanungsrechtlich irrelevant sein soll, trägt die Berufung nicht vor. Konkret findet sich das Wort Baunutzungszahl in der Berufung, dort verbunden mit der These, dass eine Überschreitung der ursprünglich festgelegten Baunutzungszahl nicht eine wesentliche Änderung eines Bauwerks bedeute.
...
Eine Überschreitung der Baunutzungszahl stellt per se einen Versagungsgrund dar, weil Bauvorhaben bestehenden Nutzungsvorgaben entsprechen müssen.
Zudem ist evident, dass die Umwandlung eines Raumes von einem Fahrradraum, wo also einspurige Fahrzeuge abgestellt werden könnten, in einen Gewerberaum, der auf Grund seiner Benützung weitere Zu- und Abfahrten von Kunden erzeugt, weiteren Stellplatzbedarf verursacht.
Da schon das ursprünglich eingereichte Bauprojekt an die Grenze der zulässigen Stellplätze gegangen ist, war daher auch aus diesem Grund die Änderung der Verwendung dieses Gebäudeteils nicht bewilligungsfähig.
...".
Die Bauwerber erhoben Vorstellung.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung Folge, behob den Berufungsbescheid vom und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurück. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und gesetzlicher Bestimmungen führte die belangte Behörde in der Bescheidbegründung im Wesentlichen aus, die Baubehörde erster Instanz habe die Versagung der Änderung des Fahrrad- und Geräteraumes einschließlich der überdachten Terrasse in ein Planungsbüro mit einer weit überhöhten Baunutzungszahl von knapp über 60 % begründet, was nach den bebauungsrechtlichen Vorgaben der beschwerdeführenden Gemeinde unzulässig sei.
Die Berufungsbehörde habe sich dieser Begründung angeschlossen und darauf verwiesen, es sei schon bei der Bauverhandlung im Jahr 2004 festgestellt worden, dass, wenn tatsächlich ein Planungsbüro errichtet werde, die Baubewilligung im Hinblick auf die Baunutzungszahl und die notwendigen Stellplätze nicht erteilt werden könne, weil dies zur Unvereinbarkeit des Bauprojektes mit den raumplanungs- und baurechtlichen Vorgaben führte. Eine Überschreitung der Baunutzungszahl stelle einen Versagungsgrund dar, weil Bauvorhaben bestehenden Nutzungsvorgaben entsprechen müssten. Außerdem erzeuge die beantragte Widmungsänderung weiteren Zu- und Abfahrtsverkehr von Kunden und damit einen weiteren Abstellbedarf für PKW. Da schon das ursprünglich eingereichte Bauprojekt an die Grenze der zulässigen Stellplätze gegangen sei, sei auch aus diesem Grund die Änderung der Verwendung nicht bewilligungsfähig.
Damit seien die Baubehörden beider Instanzen ihren Aufgaben nach den Bestimmungen des AVG nicht nachgekommen. Der Sachverhalt sei mangelhaft ermittelt worden, die Begründung des Berufungsbescheides sei, ebenso wie jene der Behörde erster Instanz, unzureichend und entspreche nicht den Anforderungen nach dem AVG. Der Hinweis auf bebauungsrechtliche Vorgaben der Gemeinde, welche eine Baunutzungszahl von knapp über 60% nicht zuließen, sei völlig unbestimmt. Offenbar handle es sich hier um Richtlinien, denen kein Verordnungscharakter zukomme und denen damit die rechtliche Verbindlichkeit fehle. Auch die Begründung im Berufungsbescheid, dass eine Überschreitung der Baunutzungszahl schon für sich allein einen Versagungsgrund darstelle, weil Bauvorhaben bestehenden Nutzungsvorgaben entsprechen müssten, sei in diesem Zusammenhang rechtlich verfehlt. Die Gemeinde könne nach den Bestimmungen des Raumplanungsgesetzes (RPG) in einem Bebauungsplan bzw. in einer (gesonderten) Verordnung über das Maß der baulichen Nutzung Baunutzungszahlen festlegen. Nur in einem solchen, durch Verordnung der Gemeinde festgelegten Fall würde die Begründung für die Versagung der beantragten Baubewilligung zutreffen.
Ein Sachverständigengutachten, weshalb eine Baunutzungszahl von knapp über 60% den bau- und raumplanungsrechtlichen Vorschriften im Sinne des § 28 des Vorarlberger Baugesetzes (BauG) widersprechen solle, sei von den Baubehörden nicht eingeholt worden. Der Berufungsbescheid enthalte dazu auch keine nähere Begründung. Allgemeine Hinweise über Verstöße gegen nicht näher bezeichnete Nutzungsvorgaben bzw. nicht näher bestimmte bebauungsrechtliche Vorgaben seien für die Begründung einer Versagung eines Bewilligungsantrages nicht ausreichend.
Die Bescheidbegründung sei auch hinsichtlich der Parkplatzsituation unzureichend. Es sei nicht geprüft worden, welcher zusätzliche Stellplatzbedarf durch die Nutzungsänderung entstehen würde und ob die nunmehr beantragten acht Stellplätze möglich und ausreichend seien.
Rechtlich nicht relevant sei, ob die beantragte Verwendungsänderung schon bei der ursprünglichen Bauverhandlung von den Nachbarn bzw. allenfalls auch von der Baubehörde befürchtet worden sei, weil die Baubehörde einen Änderungsantrag ausschließlich nach den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen zu prüfen habe.
Durch den Berufungsbescheid seien daher die Bauwerber in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten auf Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes verbunden mit der Erlassung eines den Bestimmungen des AVG entsprechenden Bescheides verletzt worden.
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Gemeinde zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom , B 2208/07-5, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie mit weiterem Beschluss vom , B 2208/07-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die Beschwerdeführerin hat repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird im Wesentlichen vorgebracht, die belangte Behörde hätte den Berufungsbescheid nur wegen einer konkreten Rechtswidrigkeit aufheben dürfen, nicht aber in Ausübung besseren Ermessens. Die Aufhebung sei aus Gründen erfolgt, die die Vorstellungswerber gar nicht geltend gemacht hätten. Der Beschwerdeführerin wäre Parteiengehör zu gewähren gewesen, um eine Überraschungsentscheidung zu verhindern und Aktenwidrigkeiten zu vermeiden. Es sei nicht klar, wie die Gemeinde auf Grund der Vorstellungsentscheidung weiter vorzugehen hätte. Auch stehe nicht fest, welches Sachverhaltselement klärungsbedürftig sein könnte. Wenn ein Bauwerber die Bebauungsrichtlinien der Gemeinde bei der Bauverhandlung akzeptiere, wäre es ein Verstoß gegen Treu und Glauben, ihm später dennoch eine höhere Baunutzung einzuräumen. Die Gemeinde habe auf Grund der Gemeindeautonomie das Recht, auf der Verbindlichkeit von Erklärungen im Verfahren zu bestehen. Auch habe sie das Recht, Bebauungsrichtlinien oder eine einheitliche Praxis zu handhaben, vor allem dann, wenn diese im konkreten Verfahren von allen Parteien akzeptiert worden seien. Das Fehlen eines Sachverständigengutachtens habe die belangte Behörde zu Unrecht moniert. Die Äußerung des Sachverständigen betreffend die Baunutzungszahl von 50% sei bei der Verhandlung auch allgemein akzeptiert worden. Es sei offenkundig, dass die Umwandlung eines Fahrradraumes in ein Planungsbüro zusätzlichen Verkehr und Stellplatzbedarf hervorrufe.
Gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG hat die Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren Parteistellung und ist berechtigt, gegen die Aufsichtsbehörde vor dem Verwaltungsgerichtshof (und Verfassungsgerichtshof) Beschwerde zu führen. Es handelt sich dabei um ein Beschwerderecht wegen Verletzung subjektiver Rechte (vgl. die bei Mayer, B-VG, 4. Auflage, S 397 zitierte hg. Judikatur).
§ 83 Abs. 7 des Vorarlberger Gemeindegesetzes, LGBl. Nr. 40/1985 (GG), in der Fassung LGBl. Nr. 20/2004 lautet:
"(7) Wenn durch den Bescheid Rechte des Einschreiters verletzt wurden, hat die Aufsichtsbehörde den Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurückzuverweisen. Die Gemeinde ist bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden."
§ 28 Abs. 2 und 3 des Vorarlberger Baugesetzes, LGBl. Nr. 52/2001 (BauG), in der Fassung LGBl. Nr. 44/2007 lauten:
"(2) Die Baubewilligung ist zu erteilen, wenn das Bauvorhaben nach Art, Lage, Umfang, Form und Verwendung den bau- und raumplanungsrechtlichen Vorschriften entspricht und auch sonst öffentliche Interessen, besonders solche der Sicherheit, der Gesundheit, des Verkehrs, des Denkmalschutzes, der Energieeinsparung und des haushälterischen Umgangs mit Grund und Boden (§ 2 Abs. 3 lit. a Raumplanungsgesetz), nicht entgegenstehen.
(3) Die Baubewilligung ist zu versagen, wenn die im Abs. 2 für eine Bewilligung genannten Voraussetzungen nicht gegeben sind und auch durch Befristungen, Auflagen oder Bedingungen gemäß § 29 nicht erfüllt werden können."
§ 28 und § 31 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes, LGBl. Nr. 39/1996, in der Fassung LGBl. Nr. 42/2007 lauten auszugsweise:
"§ 28
Allgemeines
(1) Die Gemeindevertretung hat durch Verordnung einen Bebauungsplan zu erlassen, wenn es aus Gründen einer zweckmäßigen Bebauung erforderlich ist, insbesondere wenn ...
(2) Der Bebauungsplan darf einem Landesraumplan und dem Flächenwidmungsplan nicht widersprechen und hat insbesondere zu berücksichtigen
die im § 2 genannten Ziele,
die örtlichen Verhältnisse,
das Landschafts- und Ortsbild,
die zweckmäßige räumliche Verteilung von Gebäuden und Anlagen,
e) die Vermeidung von Belästigungen durch Lärm, Geruch und andere störende Einflüsse,
f) die Sicherung eines ausreichenden Maßes an Licht, Luft und Bewegungsmöglichkeit für die Menschen,
g) die Interessen der Sicherheit und des Verkehrs.
(3) Soweit es nach Abs. 2 erforderlich ist, sind durch den Bebauungsplan insbesondere festzulegen
...
b) das Maß der baulichen Nutzung (§ 31),
..."
"§ 31
Maß der baulichen Nutzung
(1) Die Gemeindevertretung kann, auch ohne dass ein Bebauungsplan erlassen wird, durch Verordnung für das ganze Gemeindegebiet oder für Teile desselben das Mindest- und Höchstausmaß der baulichen Nutzung festlegen.
(2) Das Maß der baulichen Nutzung kann insbesondere durch folgende Bemessungszahlen festgelegt werden:
a) die Zahl, die das Verhältnis der zulässigen bebauten Fläche zur Fläche des Baugrundstücks angibt,
b) die Zahl, die das Verhältnis der zulässigen Geschossflächen zur Fläche des Baugrundstücks angibt,
c) die Zahl, die das Verhältnis des zulässigen umbauten Raums zur Fläche des Baugrundstücks angibt,
d) die Zahl der oberirdischen Geschosse.
(3) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Vorschriften über die Art und Weise der Anwendung der Bemessungszahlen nach Abs. 2 zu erlassen, insbesondere über die anrechenbaren Flächen des Baugrundstücks und die Berechnung der bebauten Flächen, der Geschoßflächen und des umbauten Raums.
..."
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Vorstellungsbehörde berechtigt, jede Rechtswidrigkeit, gleichgültig ob sie in der Vorstellung geltend gemacht worden ist oder nicht, aufzugreifen, sofern damit in die (ihm noch als Partei zustehenden) Rechte des Vorstellungswerbers eingegriffen wird (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/06/0108, mwN). Die Auffassung der Beschwerdeführerin, das Vorbringen in der Vorstellung bestimme den Rahmen der Kognitionsbefugnis der Vorstellungsbehörde, ist daher unzutreffend.
Hinsichtlich der Baunutzungszahl hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bemängelt, dass die Rechtsgrundlagen für die Vorgangsweise der Baubehörden nicht dargelegt und daher nicht nachvollziehbar seien. In der Beschwerde wird dargelegt, dass es bezüglich der Baunutzungszahl nur eine behördeninterne Praxis, die als Richtlinie bezeichnet wird, gibt. Diese könne, so die Beschwerdeführerin, im Bauverfahren als Maßstab für die Baubehörde herangezogen werden, vor allem auch dann, wenn sie im konkreten Verfahren bei der mündlichen Verhandlung erörtert und von allen Parteien des Verfahrens als Vorgabe akzeptiert worden seien.
Damit verkennt die beschwerdeführende Gemeinde, dass es für die Festsetzung einer Baunutzungszahl, wie vom Gesetz vorgesehen, einer Verordnung bedarf. Ohne Rechtsgrundlage durch eine Verordnung kommt einer behördlichen Praxis keine normative Wirkung zu. Daran vermag es auch nichts zu ändern, wenn die Parteien diese behördeninterne Praxis akzeptieren (oder ihr zumindest nicht widersprechen). Zutreffend ist somit die Auffassung der belangten Behörde, dass eine Überschreitung der von der Gemeinde zu Unrecht als verbindlich angenommenen Baunutzungszahl keinen Versagungsgrund darstellt. Das Beschwerdevorbringen betreffend die Baunutzungszahl geht daher insgesamt ins Leere.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid gerügt, dass nicht geprüft worden sei, welcher zusätzliche Stellplatzbedarf durch die Nutzungsänderung entstehe und ob die nun projektgegenständlichen Stellplätze möglich und ausreichend seien. Dieser Vorwurf der belangten Behörde trifft zu. Eine konkrete, nachvollziehbare Begründung, weshalb die vorgesehenen Stellplätze unzureichend oder ungeeignet sein sollten, fehlt sowohl im erstinstanzlichen als auch im zweitinstanzlichen Bescheid der Gemeindebehörden.
Die Beschwerdeführerin wendet sich auch gegen die im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung der belangten Behörde, es sei rechtlich nicht relevant, ob die beantragte Verwendungsänderung schon bei der ursprünglichen Bauverhandlung von den Nachbarn bzw. allenfalls auch von der Baubehörde befürchtet worden sei, weil die Baubehörde einen Änderungsantrag ausschließlich nach den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen zu prüfen habe. Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, ihr müsse aus dem Titel der Gemeindeautonomie das Recht zustehen, auf der Verbindlichkeit von Erklärungen im Verfahren zu bestehen, vor allem dann, wenn sie ausdrücklich, über Vorhalt oder nach Erörterungen erfolgten. Gegenteiliges wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Nach diesem Grundsatz müssten die von einer Partei im Verfahren abgegebenen Erklärungen Wahrheitsbeweis haben und für das weitere Verfahren gelten.
Dem ist zu entgegnen, dass das Legalitätsprinzip (Art. 18 Abs. 1 B-VG) auch für das Bauverfahren vor den Gemeindebehörden gilt. Aus welchen Gründen eine Baubewilligung zu versagen ist, ergibt sich aus § 28 Abs. 3 iVm Abs. 2 BauG. Äußerungen in einem Verfahren sind kein Kriterium im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmungen. Es ist daher für das nachfolgende Bauverfahren nicht relevant, ob im vorangegangenen Bauverfahren die behaupteten Erklärungen abgegeben wurden oder nicht.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin steht auf Grund des angefochtenen Vorstellungsbescheides auch hinreichend klar fest, dass im weiteren Verfahren das Vorhaben nach den Kriterien des § 28 Abs. 2 und 3 BauG auf seine Übereinstimmung mit der maßgeblichen Rechtslage zu prüfen und zu beurteilen sein wird.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die beschwerdeführende Gemeinde könnte durch den angefochtenen Bescheid nur insoweit in einem Recht verletzt sein, als der Berufungsbescheid von der Aufsichtsbehörde zu Unrecht aufgehoben wurde. Dieses Recht ist aber kein "civil right" der Gemeinde im Sinne des Art. 6 EMRK (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/05/0202).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | AVG §66 Abs4; AVG §8; BauG Vlbg 2001 §28 Abs2; BauG Vlbg 2001 §28 Abs3; BauRallg; B-VG Art119a Abs5; B-VG Art119a Abs9; GdG Vlbg 1985 §83 Abs7; MRK Art6; RPG Vlbg 1996 §28; RPG Vlbg 1996 §31; VwGG §39 Abs2 Z6; |
Schlagworte | Verhältnis zu anderen Materien und Normen Gemeinderecht Vorstellung Inhalt der Vorstellungsentscheidung Aufgaben und Befugnisse der Vorstellungsbehörde Baubewilligung BauRallg6 Parteibegriff Tätigkeit der Behörde |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2010:2008060067.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAE-74742