Suchen Hilfe
VwGH 26.05.2010, 2010/08/0081

VwGH 26.05.2010, 2010/08/0081

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
RS 1
Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben.
Norm
RS 2
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Eine andere Betrachtungsweise ist geboten, wenn es sich um einen Boten handelt: Das Verschulden des Boten trifft die Partei nicht, der Partei kann aber die Vernachlässigung der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht zum Vorwurf gemacht werden.
Normen
RS 3
Wer von der Partei bloß "beauftragt" ist, eine Bescheidausfertigung zum bevollmächtigten Rechtsanwalt zu bringen, damit dieser dagegen ein Rechtsmittel ergreife, ist "Bote" und nicht Bevollmächtigter (vgl. etwa die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) § 71 AVG E 91). Die Partei kommt ihrer Überwachungspflicht nur nach, wenn die tatsächliche Ausführung des Auftrages durch entsprechende Nachfrage gesichert ist (Hinweis: E , 98/05/0083 mwN). Im konkreten Fall erfolgte zwar insoweit eine Überwachung der Übersendung der anzufechtenden Bescheide an den Rechtsanwalt, als nach Übersendung dieser Bescheide an den Rechtsanwalt die Partei mit diesem telefonierte. Aber weder in diesem noch in dem vorangegangenen Telefonat wurde erörtert, gegen wie viele Bescheide Berufung erhoben werden sollte. Dadurch, dass mehrere Bescheide übersendet wurden, wurde aber die Gefahr eines Fehlers bei der Übersendung - gegenüber der Übersendung bloß eines Bescheides - deutlich erhöht, sodass insoweit auch die Überwachung dieser erhöhten Gefahr hätte angepasst werden sollen. Die Partei wäre hier ihrer Überwachungspflicht nur dann ausreichend nachgekommen, wenn sie - durch Nachfrage - überprüft hätte, ob alle Bescheide, deren Übersendung sie inj Auftrag gegeben hatte, an den Rechtsanwalt weiter geleitet worden waren. Die Unterlassung dieser Überprüfung durch die Partei als einer im Geschäftsleben tätigen Person ist als auffallend sorglos zu beurteilen.
Normen
RS 4
Im vorliegenden Fall wies die Behörde den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet ab und die mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung nachgeholte Berufung als verspätet zurück. Dass diese Entscheidungen nicht in derselben Bescheidurkunde getroffen wurden, bewirkt keine Rechtswidrigkeit. Gemäß § 59 Abs. 1 AVG sind zwar alle die Hauptfrage betreffenden Parteianträge in der Regel zur Gänze zu erledigen. Lässt der Gegenstand der Verhandlung eine Trennung nach mehreren Punkten zu, so kann aber, wenn dies zweckmäßig erscheint, über jeden dieser Punkte, sobald er spruchreif ist, gesondert abgesprochen werden. Ein subjektives Recht, dass auch im Fall der Trennbarkeit der Sache über die gesamte in Verhandlung stehende Angelegenheit unter einem zu entscheiden ist, lässt sich aus § 59 Abs. 1 AVG nicht ableiten (Hinweis: E , 2006/03/0015; vgl. zur Frage der Verbindung der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag mit der Berufungsentscheidung auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) § 72 AVG E 10).

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2010/08/0082

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerden des N S in S, vertreten durch Kinberger-Schuberth-Fischer Rechtsanwälte-GmbH in 5700 Zell/See, Salzachtal Bundesstraße 13, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom , Zlen. UVS-38/10081/6-2009 und UVS-33/10502/6-2009, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Verwaltungsstrafsache nach dem ASVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, 1010 Wien, Stubenring 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer wurden am drei Straferkenntnisse des Bürgermeisters von S zugestellt, mit denen gegen ihn vier Bestrafungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (Geldstrafen, einmal EUR 5.000,--, dreimal EUR 4.000,--) und zwei Bestrafungen nach dem ASVG (zwei Geldstrafen zu EUR 1.200,--) ausgesprochen worden waren. Der Beschwerdeführer behob diese Strafbescheide am bei der Post und beauftragte am Morgen des nächsten Tages Rechtsanwalt Mag. R F telefonisch mit der Einbringung der Berufung. Der Beschwerdeführer teilte dabei mit, dass er wegen der Beschäftigung von "Subunternehmern" eine Strafe erhalten habe; er sagte zu, die Strafbescheide per Telefax an den Rechtsanwalt zu übermitteln, damit dieser ein Rechtsmittel verfassen könne. Bei diesem Gespräch wurde nicht angesprochen, dass es sich um drei Straferkenntnisse handle. Der Beschwerdeführer beauftragte sodann seine Ehefrau, welche im Firmenbüro arbeitet, die Strafbescheide an die Rechtsanwaltskanzlei zu faxen. Diese übermittelte drei Telekopien, übersah jedoch, dass sie einen Strafbescheid zweimal ins Faxgerät gelegt hatte, einen anderen (das Straferkenntnis vom , Zl. 01/06/33647/2008/003, Übertretung nach dem ASVG) hingegen gar nicht. In einem Telefonat zwischen dem Beschwerdeführer und Mag. R F wurde sodann über den Inhalt der Berufungen gesprochen, wobei wiederum die einzelnen Strafbescheide nicht konkret angesprochen wurden. Der Vertreter erhob daher nur gegen zwei Strafbescheide Berufung, nicht aber gegen den Strafbescheid Zl. 01/06/33647/2008/003. Als der Beschwerdeführer wenige Wochen später eine schriftliche Mahnung erhielt, den offenen Strafbetrag einzuzahlen, erkundigte er sich bei der erstinstanzlichen Behörde. Dem Beschwerdeführer wurde mitgeteilt, dass gegen dieses Straferkenntnis keine Berufung eingelangt sei.

Am beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und erhob gleichzeitig Berufung.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bürgermeisters von S vom , Zl. "01/06/33647/2008/007" (gemeint wohl: 01/06/33647/2008/003), als verspätet zurückgewiesen. Das erstinstanzliche Straferkenntnis sei am durch Hinterlegung zugestellt, die Berufung aber erst am eingebracht worden. Der gemeinsam mit der Berufung erhobene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei als unbegründet abgewiesen worden.

Mit dem zweitangefochtenen - im Instanzenzug ergangenen - Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist ab. Rechtlich beurteilte die belangte Behörde den eingangs geschilderten Sachverhalt dahin, der Antrag auf Wiedereinsetzung sei rechtzeitig. Der Kommunikationsfehler zwischen dem Beschwerdeführer und dessen Anwalt (Unterlassung der Übermittlung des Straferkenntnisses bzw. Unterlassung der genauen Besprechung der anzufechtenden Strafbescheide) habe letztlich zur Folge gehabt, dass dem Vertreter kein Auftrag zur Berufungserhebung erteilt worden sei. Dieser Fehler sei aber kein "unvorhersehbares" oder unabwendbares Ereignis, das bloß auf einem geringen Grad des Versehens beruhe. Es wäre vermeidbar gewesen, dass der Vertreter innerhalb der Berufungsfrist nichts vom Straferkenntnis erfahren habe. Der Angelegenheit habe im Hinblick auf die Höhe der insgesamt ausgesprochenen Strafen ein besonderes Augenmerk geschenkt werden müssen. Dem Wiedereinsetzungswerber könne als Geschäftsführer einer GmbH eine ordentliche Besorgung seiner Angelegenheiten zugemutet werden. Er hätte schon beim ersten Telefongespräch mit seinem Rechtsanwalt mitteilen können, dass ihm drei Straferkenntnisse zugestellt worden seien. Es wäre diesfalls jedenfalls bemerkt worden, dass in der Anwaltskanzlei nur zwei Straferkenntnisse eingetroffen seien. Bei Übermittlung mehrerer Dokumente per Telefax sei es überdies üblich, ein Deckblatt mitzusenden, auf dem zur Kontrolle die beigefügten Dokumente einzeln angesprochen und die Seitenanzahl angeführt werde. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe aber nur einen Zettel mit dem Namen des Bearbeiters in der Kanzlei und einem Firmenstempel mitgeschickt. Die vollständige Übermittlung sei auch nicht telefonisch überprüft worden. Damit sei bereits die Vorgehensweise beim Telekopieren als sorglos anzusehen. In der Folge habe die Besprechung über die Begründung der Berufungen nicht anlässlich einer persönlichen Zusammenkunft zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Anwalt anhand der zur Sache gehörenden Originalunterlagen stattgefunden (was bei der Tragweite der Angelegenheit zu erwarten gewesen wäre), sondern in einem zweiten Telefonat zwischen den beiden. Auch hier seien die einzelnen Straferkenntnisse nicht konkret angesprochen worden, obwohl dies die advokatorische Vorsicht geboten hätte. Letztlich habe der Beschwerdeführer auch keine Kopien der Berufungen erhalten, sodass er überprüfen hätte können, ob die Schriftsätze in seinem Sinn verfasst worden seien. Die mangelhafte Kommunikation zwischen dem Beschwerdeführer und dessen Rechtsvertreter habe daher dazu geführt, dass der Übermittlungsfehler beim Telekopieren nicht rechtzeitig "aufgekommen" und damit auch kein vollständiger Auftrag erteilt worden sei. Die Fristversäumnis sei damit nicht auf ein Versehen bloß minderen Grades zurückzuführen.

Gegen diese Bescheide wenden sich die vorliegenden, inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG - diese Bestimmung gilt nach § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren - ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt hat und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Gemäß § 71 Abs. 3 AVG hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Eine andere Betrachtungsweise ist geboten, wenn es sich um einen Boten handelt: Das Verschulden des Boten trifft die Partei nicht, der Partei kann aber die Vernachlässigung der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht zum Vorwurf gemacht werden.

Wer von der Partei bloß "beauftragt" ist, eine Bescheidausfertigung zum bevollmächtigten Rechtsanwalt zu bringen, damit dieser dagegen ein Rechtsmittel ergreife, ist "Bote" und nicht Bevollmächtigter (vgl. etwa die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) § 71 AVG E 91); die Ehefrau des Beschwerdeführers ist also als Botin des Beschwerdeführers zu beurteilen. Die Partei kommt ihrer Überwachungspflicht nur nach, wenn die tatsächliche Ausführung des Auftrages durch entsprechende Nachfrage gesichert ist (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 98/05/0083 mwN). Im konkreten Fall erfolgte zwar insoweit eine Überwachung der Übersendung der anzufechtenden Bescheide an den Rechtsanwalt, als nach Übersendung dieser Bescheide an den Rechtsanwalt der Beschwerdeführer mit diesem telefonierte. Aber weder in diesem noch in dem vorangegangenen Telefonat wurde erörtert, gegen wie viele Bescheide Berufung erhoben werden sollte. Dadurch, dass mehrere Bescheide übersendet wurden, wurde aber die Gefahr eines Fehlers bei der Übersendung - gegenüber der Übersendung bloß eines Bescheides - deutlich erhöht, sodass insoweit auch die Überwachung dieser erhöhten Gefahr hätte angepasst werden sollen. Der Beschwerdeführer wäre hier seiner Überwachungspflicht nur dann ausreichend nachgekommen, wenn er - durch Nachfrage - überprüft hätte, ob alle Bescheide, deren Übersendung er beauftragt hatte, an den Rechtsanwalt weiter geleitet worden waren. Die Unterlassung dieser Überprüfung durch den Beschwerdeführer als einer im Geschäftsleben tätigen Person ist als auffallend sorglos zu beurteilen.

Demnach wies die belangte Behörde schon deshalb den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht als unbegründet ab und die mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung nachgeholte Berufung als verspätet zurück. Dass diese Entscheidungen nicht in derselben Bescheidurkunde getroffen wurden, bewirkt - entgegen der in der Beschwerde zur Zl. 2010/08/0081 vertretenen Meinung - keine Rechtswidrigkeit. Gemäß § 59 Abs. 1 AVG sind zwar alle die Hauptfrage betreffenden Parteianträge in der Regel zur Gänze zu erledigen. Lässt der Gegenstand der Verhandlung eine Trennung nach mehreren Punkten zu, so kann aber, wenn dies zweckmäßig erscheint, über jeden dieser Punkte, sobald er spruchreif ist, gesondert abgesprochen werden. Ein subjektives Recht, dass auch im Fall der Trennbarkeit der Sache über die gesamte in Verhandlung stehende Angelegenheit unter einem zu entscheiden ist, lässt sich aus § 59 Abs. 1 AVG nicht ableiten (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2006/03/0015; vgl. zur Frage der Verbindung der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag mit der Berufungsentscheidung auch Walter/Thienel, aaO § 72 AVG E 10).

Da somit bereits ihr Inhalt erkennen ließ, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, waren die Beschwerden ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
Schlagworte
Trennbarkeit gesonderter Abspruch
Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2010:2010080081.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
XAAAE-74663