VwGH vom 23.06.2010, 2008/06/0020
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde des JB in V, vertreten durch Dr. Reinhard Kraler Rechtsanwalt GmbH in 9900 Lienz, Johannesplatz 4, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. Ve1-8-1/431-2, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. RG in V, 2. Gemeinde V), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die erstmitbeteiligte Partei (kurz: Bauwerberin) ist Eigentümerin eines Grundstückes im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde, auf dem sich ein altes Gebäude befindet. Den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass ihr mit rechtskräftigem Bescheid (des Bürgermeisters) vom der Ausbau des Dachgeschoßes, die Errichtung einer Wohnung, die Errichtung von Dachgaupen und die Errichtung einer Außenstiege genehmigt wurde. Diese Baumaßnahmen wurden allerdings abweichend von der Baubewilligung ausgeführt. Im bestehenden Satteldach sollten nämlich lediglich zwei Dachgaupen eingebaut werden, wobei das Satteldach nicht verändert werden sollte. Tatsächlich wurde das gesamte Dachgeschoß abgebrochen, neu errichtet und wiederum mit einem Satteldach, in welchem die Dachgaupen eingebaut wurden, abgedeckt. Die Dachgaupen wurden gegenüber der Baubewilligung vergrößert.
Im nunmehr zugrunde liegenden Verwaltungsverfahren geht es um das Erwirken einer nachträglichen Baubewilligung für die Veränderungen. Verfahrensgegenständlich ist (nach mehrfachen Projektmodifikationen, die erforderlich waren, weil eine Gaupe wegen ihrer Größe als nicht bewilligungsfähig erachtet wurde) das am eingebrachte Baugesuch vom .
In der Bauverhandlung vom erklärte der beigezogene Bausachverständige, die in den "neu eingegebenen" Plänen dargestellten und bemaßten Wandhöhen und Vordachausladungen sowie die Firsthöhe stimmten mit den bewilligten Einreichplänen vom überein. Das Gebäude sei gegenüber dieser Planung nicht erhöht und die Vordächer seien nicht vergrößert worden.
Der Beschwerdeführer, der nach der Aktenlage Eigentümer eines angrenzenden Grundstückes ist, brachte vor, dass "der Abstand nicht passe". In der Folge erklärte er, dass er die Verhandlungsschrift nicht unterschreibe. Vom Verhandlungsleiter ersucht, Beweise für seine Behauptungen (die Erhöhung des Dachgeschoßes) vorzulegen (wie Fotos), sagte er, dass er zwar Beweisfotos hätte, aber nicht bereit sei, diese vorzulegen.
Soweit für das Beschwerdeverfahren erheblich, erteilte der Bürgermeister mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom die angestrebte Baubewilligung und wies die Einwendung des Beschwerdeführers, der erforderliche Abstand werde nicht eingehalten, als unbegründet ab. Begründet wurde dies nach Hinweis auf § 6 Abs. 9 TBO 2001 damit, der Bausachverständige habe schlüssig und nachvollziehbar festgestellt, dass die im nunmehrigen Bauplan bemaßten Wandhöhen und Vordachausladungen sowie auch die Firsthöhe mit den im Bescheid vom genehmigten Plänen für den Einbau von Dachgaupen übereinstimmten. Das Gebäude sei gegenüber diesem Plan nicht erhöht worden, die Vordächer seien nicht vergrößert worden. Es komme daher zu keinen zusätzlichen nachteiligen Auswirkungen auf die angrenzenden Grundstücke, auch nicht durch Lärm, weil sich der Verwendungszweck gegenüber der damaligen Genehmigung nicht verändert habe. Der Beschwerdeführer habe zwar im Zuge der Bauverhandlung gegenteilige Beweismittel (Fotos) angekündigt, habe diese jedoch der Baubehörde nicht zur Entscheidungsfindung vorlegen wollen. Die Entscheidung stütze sich daher auf die einzige der Baubehörde zugängliche Darstellung des Dachgeschoßes, nämlich den am genehmigten Bauplan, und auf den Baukonsens, der für die nicht dargestellten Gebäudeteile angenommen werden könne.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung und brachte vor, das Dachgeschoß sei erhöht worden. Die Dachhöhe weiche wesentlich vom Altbau ab, ebenso sei das Vordach verbreitert worden. Dadurch sei der erforderliche Grenzabstand zu seinem Grundstück nicht mehr gegeben. Die gegenteilige Annahme der Behörde werde eindeutig durch die (der Berufung) angeschlossenen Lichtbilder widerlegt. Die Feststellung des Sachverständigen, dass das Gebäude nicht erhöht und das Vordach nicht vergrößert worden sei, entspreche somit nicht den Tatsachen.
Über Aufforderung der Berufungsbehörde ergänzte der Beschwerdeführer sein Vorbringen in einem Schriftsatz vom ("Altbau" sei der Bestand vor der Aufstockung des Dachgeschoßes im Jahr 1999).
Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde wies mit Bescheid vom die Berufung als unbegründet ab. Die Berufungsbehörde stützte sich dabei auf das Gutachten des Bausachverständigen in der Bauverhandlung vom (keine Erhöhung); aus den vorgelegten Lichtbildern sei eine Erhöhung des Gebäudes oder eine Verbreiterung des Vordaches für die Berufungsbehörde nicht erkennbar.
Der nun rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer erhob Vorstellung, in der er die Unterlassung einer "Einmessung der Gebäudehöhe" rügte. Die vorgelegten Lichtbilder ließen den Zustand vor dem Umbau klar erkennen, insbesondere ergebe sich daraus, dass das Gebäude niedriger gewesen sei als das dahinter stehende Austragshaus, während aus der gleichen Perspektive nach dem Umbau deutlich erkennbar sei, dass das Haus nunmehr höher sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung verwies sie darauf, dass Gegenstand eines Baubewilligungsverfahrens auch im Falle eines nachträglichen Bauansuchens das vom Antragsteller im Einreichplan und in der Baubeschreibung dargestellte Vorhaben sei. Daher sei auch nicht der - allenfalls davon abweichende - tatsächlich errichtete Bau, sondern lediglich "die Frage der Zulässigkeit der Baupläne an sich" maßgeblich. Die Beseitigung eventuell bestehender Abänderungen (von der Bewilligung) müssten von der Baubehörde von Amts wegen in einem Bauauftragsverfahren veranlasst werden.
Der hochbautechnische Amtssachverständige habe sein Gutachten auf den Vergleich desjenigen Planes, der dem Bescheid vom zugrunde liege, mit dem nun zugrunde liegenden Plan gestützt. Danach stimmten die in den Einreichplänen für den Neubau (Wiederaufbau) des Dachgeschosses bemaßten Wandhöhen, Vordachausladungen und die Firsthöhe mit den - "mit Bescheid vom genehmigten" - Plänen überein. Das Gebäude sei gegenüber dieser Planung nicht erhöht worden. Das Gutachten des Sachverständigen sei an sich schlüssig und nachvollziehbar. Darüber hinaus sei diesem nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten worden, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist die Tiroler Bauordnung 2001, LGBl. Nr. 94 (TBO 2001), in der Fassung LGBl. Nr. 60/2005 maßgeblich.
§ 6 TBO 2001 enthält Abstandsbestimmungen.
Abs. 9 dieses Paragraphen lautet:
"(9) Erfüllt ein nach früheren baurechtlichen Vorschriften rechtmäßig bestehendes Gebäude die Voraussetzungen nach den Abs. 1 bis 4 und 6 nicht, so sind ein Umbau, ein geringfügiger Zubau oder eine sonstige Änderung dieses Gebäudes, eine Änderung seines Verwendungszweckes oder sein Wiederaufbau im Falle des Abbruches oder der sonstigen Zerstörung auch dann zulässig, wenn
a) von diesen Voraussetzungen nicht weiter als bisher abgewichen wird,
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b) | den Erfordernissen des Brandschutzes entsprochen wird und |
c) | bei einer Änderung des Verwendungszweckes weiters keine zusätzlichen nachteiligen Auswirkungen auf die angrenzenden Grundstücke, insbesondere durch Lärm, zu erwarten sind. |
An jener Seite des Gebäudes, an der die Mindestabstände unterschritten werden, darf die Wandhöhe gegenüber dem bestehenden Gebäude nicht vergrößert werden. Dieser Absatz gilt sinngemäß für die Änderung und die Wiedererrichtung sonstiger baulicher Anlagen." | |
Der Beschwerdeführer vertritt zusammengefasst die Auffassung, es handle sich um ein bereits bestehendes Gebäude, weshalb es auf den tatsächlichen Zustand ankomme und nicht auf den Inhalt des Projektes; es gehe nicht an, ihn auf ein amtswegig durchzuführendes Bauauftragsverfahren zu verweisen. Auch treffe die Auffassung der Behörden nicht zu, das Gebäude sei nicht erhöht worden, Gegenteiliges ergebe sich vielmehr aus den Lichtbildern. | |
Dem ersten Teil des Vorbringens ist zu entgegnen, dass ein Baubewilligungsverfahren - | auch im Falle einer angestrebten nachträglichen Baubewilligung - ein Projektgenehmigungsverfahren ist, das sich nur auf das eingereichte, vom ausdrücklichen Antrag des Bauwerbers umfasste Projekt beziehen kann. Nur dieses ist demnach Gegenstand der Baubewilligung, nicht aber ein etwa von diesem abweichender tatsächlich errichteter Baubestand. Für die Entscheidung über ein Bauansuchen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides maßgebend, auch im Fall einer nachträglichen Baubewilligung (siehe dazu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/06/0226). Insofern zutreffend hat demnach die belangte Behörde erkannt, dass es für die Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer als Nachbar, wie behauptet, in Abstandsbestimmungen verletzt wurde, auf das verfahrensgegenständliche Vorhaben und die demgemäß erteilte Bewilligung ankommt und nicht auf einen allfälligen davon abweichenden Baubestand. |
Der Bürgermeister hat die erteilte Baubewilligung im Wesentlichen damit begründet, die Voraussetzungen des § | 6 Abs. 9 TBO 2001 lägen vor. Die Berufungsbehörde hat diese Auffassung geteilt. Maßgeblich ist dabei der rechtmäßige Bestand (im Sinne dieser Gesetzesbestimmung) vor dem Abbruch. Dazu fehlen allerdings noch vollziehbare Feststellungen über den rechtmäßigen Bestand, zumal die Bewilligung samt den damals bewilligten Projektunterlagen nicht im Akt erliegt. Der Bürgermeister hat mit näherer Begründung angenommen, dass die Gebäudehöhe gegenüber den bewilligten Einreichungsplänen vom nicht verändert wurde. Dem hat der Beschwerdeführer unter Vorlage von Lichtbildern widersprochen, die Berufungsbehörde hat sich der Auffassung des Bürgermeisters angeschlossen. Der Beschwerdeführer hat in seiner Vorstellung (näher begründet) dargelegt, aus den Lichtbildern ergebe sich die Unrichtigkeit dieser Annahme. Die belangte Behörde wäre daher verhalten gewesen, auf diesen Einwand einzugehen. Indem sie dies unterlassen hat, hat sie Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. |
Der angefochtene Bescheid war gemäß § | 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben. |
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ | 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. |
Wien, am |
Fundstelle(n):
EAAAE-74652