VwGH vom 18.01.2012, 2010/08/0079
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des R I in Wien, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner Promenade 10, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom , Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2010, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war vom bis voll versichert beschäftigt. Auf Grund seines Antrages vom bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice P (in der Folge: AMS) bezog er anschließend Arbeitslosengeld (von täglich EUR 29,84).
Am meldete er das Gewerbe "Anfertigen von technischen Zeichnungen auf Grund vom Auftraggeber vollständig vorgegebener Angaben unter Ausschluss jeder einem reglementierten Gewerbe vorbehaltenen Tätigkeit" an. Gegenüber dem AMS erklärte er das Bruttoeinkommen für Januar, Februar und März 2007 sowie den Umsatz in diesen Monaten mit "Null". Am meldete sich der Beschwerdeführer mit Arbeitsaufnahme im April 2007 ab, der Bezug des Arbeitslosengeldes wurde daraufhin mit eingestellt.
Am forderte das AMS vom Finanzamt Wien den Einkommens - sowie den Umsatzsteuerbescheid des Beschwerdeführers des Jahres 2007 an.
Mit Bescheid vom widerrief das AMS gegenüber dem Beschwerdeführer den Bezug des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 1. Januar bis gemäß § 24 Abs. 2 AlVG und verpflichtete ihn nach § 25 Abs. 1 leg. cit. zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistung in der Höhe von EUR 2.685,60. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung für den genannten Zeitraum zu Unrecht bezogen habe, da er laut Umsatzsteuerbescheid 2007 einen Umsatz von EUR 128.018,25 und laut Einkommensteuerbescheid 2007 ein Einkommen von EUR 45.662,28 erzielt habe.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, dass in jenem Zeitraum "lediglich Vorbereitungshandlungen und Sondierungsgespräche für einen eventuellen, zukünftigen Markteintritt als Selbstständiger stattfanden". Der Gewerbeschein sei "vorbereitend zum Erhalt der hierfür möglichen Beratungsleistungen" gelöst worden. Sämtliche Einnahmen und Umsätze seien erst nach dem erzielt worden. Die gemäß § 36a AlVG erfolgte Durchschnittsbetrachtung sei nicht anzuwenden gewesen, da es sich hierbei um klar abgrenzbare Tätigkeiten gehandelt habe.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge.
In ihrer Bescheidbegründung führte sie im Wesentlichen aus, dass im Einkommensteuerbescheid 2007 des erwähnten Finanzamtes vom hinsichtlich des Beschwerdeführers Einkünfte aus selbständiger Arbeit von EUR 46.004,33, Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit von EUR 2.982,14 und Sonderausgaben, nämlich Topf- Sonderausgaben von EUR 99,05 und außergewöhnliche Belastungen von EUR 243,00, insgesamt von EUR 342,05 ausgewiesen seien und die Einkommensteuer mit EUR 15.628,59 festgesetzt worden sei. Dem Umsatzsteuerbescheid dieses Finanzamtes vom sei ein Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Lieferungen und sonstigen Leistungen von EUR 128.018,25 zu entnehmen. Eine Abfrage beim Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger am habe ergeben, dass eine Pflichtversicherung des Beschwerdeführers in der GSVG vom "bis laufend" bestehe.
In rechtlicher Hinsicht setzte die belangte Behörde zur Annahme des Widerrufs-und Rückforderungstatbestandes nach § 24 und 25 AlVG zusammengefasst fort, dass gemäß § 12 Abs. 6 lit. c iVm § 36a Abs. 5 und 7 AlVG anhand des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2007 das Vorliegen von Arbeitslosigkeit einer nachträglichen Beurteilung zu unterziehen gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe in der Berufung selbst angegeben, den Gewerbeschein vorab zum "Erhalt möglicher Beratungsleistungen" gelöst zu haben. Diese "Beratungsleistungen bzw. Sondierungsgespräche" seien (aber) keine Vorbereitungshandlungen (auf Grund derer eine selbstständige Tätigkeit noch nicht angenommen werden könne), wie zum Beispiel das Anmieten von Räumlichkeiten, das Liefern von Büroeinrichtung oder das Tätigen von Amtswegen; im Gegenteil seien diese Tätigkeiten als "Arbeitsleistung" zu verstehen, da damit die Schaffung von Einkünften bezweckt werde. Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei unter selbstständiger Erwerbstätigkeit eine Arbeitsleistung zu verstehen, welche die Schaffung von Einkünften oder sonstigen Gütern bezwecke. Bei der Frage, ab wann eine selbstständige Tätigkeit vorläge, käme es zwar nicht auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zufließens von Einkünften aus einer solchen selbstständigen Tätigkeit an, wohl aber auf jenen Zeitpunkt, in dem eine solche Tätigkeit erstmals entfaltet worden sei und damit eine im Rahmen der selbstständigen Erwerbstätigkeit beabsichtigten Leistung erstmals nach außen tretend zumindest angeboten worden sei. Im gegenständlichen Fall sei "die selbständige Erwerbstätigkeit - der Betriebsbeginn - ab dem gemeldet" worden, daher habe die Nachhaltigkeit der selbständigen Tätigkeit bereits ab diesem Tage bestanden, unabhängig davon, ob nun keine Einkünfte oder Einkünfte über oder unter der Geringfügigkeitsgrenze im entscheidungsrelevanten Zeitraum erzielt worden seien. Anschließend ermittelte die belangte Behörde ausgehend von den im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünften aus selbständiger Arbeit unter Anwendung von § 36a AlVG ein monatliches Einkommen des Beschwerdeführers von EUR 3.805,19, welches die monatliche Geringfügigkeitsgrenze im Jahr 2007 von EUR 341,16 "weit übersteigt", und ergänzte, dass auch der zum festgestellten Umsatz im Jahr 2007 gemäß § 36b Abs. 2 AlVG im Weiteren errechnete Betrag von EUR 1.184,17 über der damals geltenden Geringfügigkeitsgrenze liege.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Nach § 12 Abs. 1 AlVG in der hier noch anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 ist arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.
Gemäß § 12 Abs. 3 lit. b AlVG gilt nicht als arbeitslos, wer selbstständig erwerbstätig ist.
Nach § 12 Abs. 6 lit. c AlVG gilt als arbeitslos jedoch, wer selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a AlVG erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b AlVG erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt.
Gemäß § 24 Abs. 2 leg. cit. ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.
Nach § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Der Empfänger einer Leistung nach dem AlVG ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen.
Unter selbständiger Erwerbstätigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine "Arbeitsleistung" zu verstehen, welche die Schaffung von Einkünften in Geld oder sonstigen Gütern bezweckt, wobei es rechtlich belanglos ist, ob dieser Zweck auch regelmäßig erfüllt und in welchem Ausmaß er erreicht wird. Der Frage, ob der Beschwerdeführer im beschwerdegegenständlichen Zeitraum des Bezuges von Arbeitslosengeld Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in einem die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Ausmaß bezogen hat, ist somit gedanklich vorgelagert, ob er in diesem Zeitraum überhaupt selbständig erwerbstätig gewesen ist. Dabei kommt es zwar nicht auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zufließens von Einkünften aus einer solchen selbständigen Erwerbstätigkeit (also nicht auf den Zeitpunkt der Umsätze) an, wohl aber - wenn die selbständige Erwerbstätigkeit erst begonnen wurde - auf jenen Zeitpunkt, in dem eine solche Tätigkeit erstmals entfaltet worden ist, das heißt, ab welchem Zeitpunkt die im Rahmen der selbständigen Erwerbstätigkeit vom Beschwerdeführer beabsichtigten Leistungen erstmals nach außen zu Tage tretend zumindest angeboten wurden. Gemäß § 2 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 ist der Einkommensteuer "das Einkommen zugrunde zu legen, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat". Die im Einkommensteuerrecht maßgebende Periode ist somit (unbeschadet der Frage des Gewinnermittlungszeitraumes im Sinne des § 2 Abs. 5 bis 7 EStG 1988) immer das ganze Kalenderjahr, nicht aber Teile davon. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2007 ein Einkommen bzw. Umsätze erzielt hat, ist daher kein weiterer Rückschluss auf den tatsächlichen Beginn ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit zu ziehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 92/08/0260, und vom , Zl. 2007/08/0088).
In jenen Erkenntnissen hat der Verwaltungsgerichtshof auch ausgesprochen, dass es freilich beim Beschwerdeführer liege, der belangten Behörde alle jene Umstände darzulegen, aus denen sich ein tatsächlich späterer Beginn der Aufnahme seiner selbständigen Erwerbstätigkeit (im oben beschriebenen Sinne) ergibt. Dafür könnten die Fragen der Anmietung des Geschäftslokales, der Lieferung der Büroeinrichtung oder der erstmaligen nach außen zutage getretenen Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit in Verbindung mit der erstmaligen Erzielung von Umsätzen von Bedeutung sein. Der Verwaltungsgerichtshof führte auf den damaligen Sachverhalt bezogen aus, dass, sollte der Beschwerdeführer zunächst ausschließlich Vorbereitungsarbeiten für die Aufnahme der selbständigen Erwerbstätigkeit durchgeführt und keine Umsatzgeschäfte getätigt haben, sowie bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht durch das Anbieten seiner gewerblichen Leistungen nach außen in Erscheinung getreten sein, jedenfalls bis zum behaupteten Ende der reinen Vorbereitungshandlungen (ungeachtet der Periodizität der steuerlichen Veranlagung) eine selbständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. b AlVG noch nicht angenommen werden könne.
Der Beschwerde kommt Berechtigung zu, wenn darin zusammengefasst das Fehlen von amtswegigen Ermittlungen bzw. von notwendigen Feststellungen dazu gerügt wird, welche konkreten Tätigkeiten der Beschwerdeführer im gegenständlichen Zeitraum von 1. Jänner bis gesetzt habe, um beurteilen zu können, ob bereits "Arbeitsleistungen" im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorgelegen haben:
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung dargelegt, dass er im entscheidungsrelevanten Zeitraum "lediglich Vorbereitungshandlungen und Sondierungsgespräche für ein eventuellen, zukünftigen Markteintritt als Selbständiger" stattgefunden haben und er erst "nach Aufnahme der tatsächlichen Tätigkeit ab " Einnahmen und Umsätze erzielt habe. Die belangte Behörde hat sich aber trotz dieses Vorbringens des Beschwerdeführers, das offensichtlich darauf abzielt, dass er im fraglichen Zeitraum (noch) nicht selbständig erwerbstätig war, sondern nur Vorbereitungshandlungen für die "zukünftig" zu entfaltende Tätigkeit gesetzt habe (auch das Vorbringen, der Gewerbeschein habe in diesem Zeitraum "zum Erhalt der hiefür möglichen Beratungsleistungen" gedient, indiziert, dass der Beschwerdeführer damals noch nicht aktiv Akquisitionstätigkeiten verrichtet habe), nicht ausreichend mit der Frage, ob überhaupt schon eine selbständige Erwerbstätigkeit vorlag, also ob der Beschwerdeführer durch das Anbieten seiner gewerblichen Leistung nach außen in Erscheinung getreten ist, auseinandergesetzt, etwa durch Anforderung von und Einsichtnahme in die Unterlagen betreffend die Geschäftsumsätze von Jänner bis März 2007. Allein daraus, dass die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide des Beschwerdeführers für das (gesamte) Jahr 2007 ein Einkommen bzw. Umsätze ausweisen, durfte sie in Anbetracht dieses Vorbringens nicht schließen, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Zeitraum (schon) selbständig erwerbstätig war. Auch das Vorliegen einer Versicherungspflicht nach dem GSVG sagt nicht unbedingt etwas über eine selbständige Erwerbstätigkeit im oben genannten Sinne aus, tritt eine solche doch gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 GSVG iVm § 2 Abs. 2 Wirtschaftskammergesetz 1998 bereits mit der Anmeldung des Gewerbes und der damit verbundenen Mitgliedschaft in der Kammer der gewerblichen Wirtschaft ein.
Das Verfahren blieb somit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren für den Schriftsatzaufwand findet darin keine Deckung.
Wien, am