VwGH 12.07.2018, Ra 2017/17/0361
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | VStG §19 Abs2; VwGVG 2014 §42; |
RS 1 | Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt das Verbot der "reformatio in peius" bei einer zu Gunsten des Bestraften erhobenen Beschwerde dazu, dass in der Beschwerdeentscheidung nicht die gleiche Strafe verhängt werden darf wie im Straferkenntnis, sofern in dieser der Tatzeitraum reduziert wird und nicht andere Strafzumessungsgründe heranzuziehen sind als im Erstbescheid (vgl. z.B. , mwN). Wenn das Verwaltungsgericht die verhängte Strafe nicht herabsetzt, liegt dennoch kein Verstoß gegen das Verbot der "reformatio in peius" vor, wenn es im Rahmen der vorzunehmenden eigenen Bewertung von Milderungs- und Erschwerungsgründen begründeterweise zur gleichen Strafhöhe gelangt wie die erstinstanzliche Behörde, selbst wenn ein Erschwerungsgrund weggefallen oder ein Milderungsgrund hinzugekommen wäre (vgl. ). Das Verwaltungsgericht muss in der Lage sein zu begründen, dass andere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, das Ausmaß der verhängten Strafe für angemessen zu halten (, mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/17/0733 E RS 1
(hier ohne den letzten Satz) |
Norm | VwGVG 2014 §52 Abs8; |
RS 2 | Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 52 Abs. 8 VwGVG wäre es nicht begründet, die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Bestraften aufzuerlegen, wenn das Verwaltungsgericht eine Änderung zugunsten des Beschuldigten vorgenommen hat. Eine solche liegt auch dann vor, wenn der von der Strafbehörde angenommene strafbare Tatbestand eingeschränkt worden ist. Das ist u.a. auch dann der Fall, wenn der Tatzeitraum im Unterschied zur erstinstanzlichen Entscheidung und damit der Unrechtsgehalt zugunsten des Beschuldigten verringert wurde (vgl. , mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2017/17/0733 E RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner sowie Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der M G, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , LVwG-2015/46/1180-5, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol),
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 1. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Spruchpunkt 2. des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom wurde die Revisionswerberin der zweifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild Glücksspielgesetz (GSpG) im Tatzeitraum bis für schuldig erkannt; es wurden über sie zwei Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 2.000,-- (samt Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin ab und korrigierte den Spruch des Straferkenntnis ua. insofern, als die Tatzeit auf " bis " eingeschränkt und das Aufstelldatum zu Gerät Nr. 2 auf "" korrigiert wurde (Spruchpunkt 1.). Gleichzeitig wurde der Revisionswerberin ein Kostenbeitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von insgesamt EUR 800,-- vorgeschrieben (Spruchpunkt 2.). Weiters sprach das LVwG aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichthof nicht zulässig sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Mit den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2015/17/0022, sowie vom , Ra 2018/17/0048, 0049, liegt Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Unionsrechtskonformität des Glücksspielgesetzes vor. Von dieser ist das LVwG im Revisionsfall nicht abgewichen.
8 Im Übrigen sind die Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV klar bzw. geklärt. Ebenso sind die Anforderungen an eine Prüfung der Unionsrechtskonformität im Zusammenhang mit einer Monopolregelung im Glücksspielsektor durch die nationalen Gerichte geklärt (vgl. Dickinger und Ömer, C- 347/09, Rn. 83 f; vom , Pfleger, C-390/12, Rn. 47 ff; vom ,
Admiral Casinos & Entertainment AG, C-464/15, Rn. 31, 35 ff, sowie vom , Sporting Odds Ltd., C-3/17, Rn. 28, 62 ff). Diesen Anforderungen ist der Verwaltungsgerichtshof in den zitierten Erkenntnissen vom sowie vom durch die Durchführung der nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Gesamtwürdigung nachgekommen (vgl. auch ).
9 Zum Vorbringen der Revisionswerberin, wonach das für die Verwaltungsgerichte anzuwendende Amtswegigkeitsprinzip der in Art. 6 EMRK normierten Unparteilichkeit des erkennenden Gerichtes widerspreche, genügt es, auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , E 3282/2016, zu verweisen. Darin hat der Verfassungsgerichtshof einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK verneint. Soweit Art. 47 GRC als anzuwendende Norm in Betracht kommen könnte, vermögen die Revisionsausführungen ebenfalls keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen. Nach den Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom , Online Games Handels GmbH ua, C-685/15, stehen darüber hinaus die Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit) im Lichte des Art. 47 GRC einem Verfahrensregime wie dem vor dem Verwaltungsgericht geltenden betreffend die amtswegige Ermittlung der Umstände der vom Gericht entschiedenen Rechtssachen nicht entgegen.
10 Die Revision rügt in ihrem Zulässigkeitsvorbringen auch, das LVwG habe gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen, weil es zwar den Tatzeitraum eingeschränkt, nicht aber die verhängte Strafe herabgesetzt habe.
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt das Verbot der reformatio in peius dazu, dass in der Beschwerdeentscheidung nicht die gleiche Strafe verhängt werden darf wie im bekämpften Straferkenntnis, sofern in der Beschwerdeentscheidung der Tatzeitraum reduziert wird und nicht andere Strafzumessungsgründe heranzuziehen sind als im Straferkenntnis (, mwN). Setzt das Verwaltungsgericht die verhängte Strafe nicht herab, liegt dennoch kein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius vor, wenn es im Rahmen der vorzunehmenden eigenen Bewertung von Milderungs- und Erschwernisgründen begründeterweise zur gleichen Strafhöhe gelangt wie die belangte Behörde, selbst wenn ein Erschwerungsgrund weggefallen oder ein Milderungsgrund hinzugekommen wäre (z.B. ).
12 Vorliegend setzte sich das LVwG im Rahmen der Strafbemessung mit der Reduktion des Tatzeitraums auseinander und kam zu dem Schluss, dass die bereits verhängte Strafe weiterhin angemessen sei, wobei es begründend Erschwerungsgründe ins Treffen führte, die im bekämpften Straferkenntnis noch keine Berücksichtigung gefunden hatten. Damit hat das LVwG eine eigene Bewertung der Strafzumessungsgründe vorgenommen; zu dieser Bewertung enthält die Revision kein Vorbringen. Ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verbot der reformatio in peius wurde somit nicht aufgezeigt.
13 Soweit sich die Revision gegen Spruchpunkt 1. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, war sie daher mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nach § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss als unzulässig zurückzuweisen.
14 Hinsichtlich der in Spruchpunkt 2. des bekämpften Erkenntnisses vorgeschriebenen Kosten als Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren erweist sich die Revision jedoch als zulässig und berechtigt, weil das LVwG in diesem Punkt - wie die Revisionswerberin im Zulässigkeitsvorbringen zutreffend aufzeigt - von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es nicht zulässig, dem Beschuldigten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, wenn das Verwaltungsgericht eine Änderung zu seinen Gunsten (§ 52 Abs. 8 VwGVG) vorgenommen hat. Eine solche Änderung liegt auch dann vor, wenn das Verwaltungsgericht den von der Strafbehörde erster Instanz angenommenen strafbaren Tatbestand einschränkt. Das ist u.a. dann der Fall, wenn der Tatzeitraum im Unterschied zur erstinstanzlichen Entscheidung eingeschränkt und damit der Unrechtsgehalt zugunsten des Beschuldigten verringert wird.
16 Dem LVwG war es daher aufgrund der vorgenommenen Tatzeiteinschränkung versagt, der Revisionswerberin den Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (vgl. zuletzt etwa , mwN).
17 Spruchpunkt 2. des angefochtenen Erkenntnisses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170361.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAE-74612