VwGH vom 12.09.2012, 2010/08/0068
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des SH in Wien, vertreten durch Dr. Philip Jessich, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Henslerstraße 3/10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom , Zlen. Senat-BL-08-1079, Senat-BL-08-0033, Senat-BL-08-1080, Senat-BL-08-0032, betreffend Verhängung einer Ordnungsstrafe gemäß § 34 AVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde in einem gegen LR. und IT. geführten Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen nach dem AuslBG und dem ASVG als Zeuge zur mündlichen Verhandlung am vor der belangten Behörde geladen. Er führte in dieser "nach Wahrheitserinnerung und Zeugenbelehrung" als Zeuge vernommen Folgendes an ("VHL" steht für "Verhandlungsleiter", "SV" für "Sachverhalt", "BW" für "Beschwerdeführer" (des Verwaltungsstrafverfahrens)):
"Der Zeuge (Beschwerdeführer) gibt an, dass er zum vorliegenden SV nicht aussagen möchte. Er wird darauf hingewiesen, dass ein Zeuge die Aussage dann verweigern darf, wenn die in § 49 Abs. 1 AVG angeführten Entschlagungsgründe vorliegen, z.B. wenn auch die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung bestehen würde. Der Zeuge (Beschwerdeführer) wird auch belehrt, dass er seine Verweigerungsgründe glaubhaft machen muss.
Vom VHL befragt, ob er die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung befürchtet, gibt der Zeuge (Beschwerdeführer) an:
Dazu sage ich nichts. Das einzige, was ich zugestehe ist, dass die Unterschriften auf der Niederschrift vom und auf der Kenntnisnahme des Widerrufs der Vollmacht vom von mir stammen.
Der Zeuge (Beschwerdeführer) wird vom VHL nochmals darauf hingewiesen, dass er verpflichtet ist, die Verweigerungsgründe glaubhaft zu machen, widrigenfalls ihm gemäß § 34 AVG eine Ordnungsstrafe bis zu EUR 726,-- auferlegt werden kann.
Nach erfolgter Ermahnung, die an ihn gestellten Fragen zu beantworten, erklärt der Zeuge, dass er weiterhin die Aussage verweigert. Er gibt an, sich durch diese Aussage nicht belasten, sich selbst und seine Familie beschützen zu wollen.
Die Verhandlung wird um 11.35 Uhr kurz unterbrochen. Um 11.55 Uhr wird die Verhandlung fortgesetzt.
Der Zeuge (Beschwerdeführer) wird vom VHL nochmals befragt, ob er zum SV aussagen möchte bzw. ob aufgrund des damaligen SV oder Vorfalls auch Strafverfahren bei Gericht anhängig sind.
Der Zeuge (Beschwerdeführer) führt aus, dass er von gegen ihn geführten Strafverfahren keine Kenntnis hat. Er hätte aber seine Gründe, warum er trotzdem nicht aussagt, weil er mit der ganzen Sache und der BW nichts mehr zu tun haben möchte."
Im Anschluss daran verkündete die belangte Behörde folgenden Bescheid:
"Über den Zeugen (Beschwerdeführer) wird gemäß § 49 Abs. 4 i. V.m. § 34 AVG eine Ordnungsstrafe in der Höhe von EUR 726,-- wegen ungerechtfertigter Aussageverweigerung in der heutigen
Berufungsverhandlung ... verhängt. Der diesbezügliche Geldbetrag
ist dem Unabhängigen Verwaltungssenat im Land NÖ binnen 14 Tagen zu überweisen.
Der Zeuge (Beschwerdeführer) hat trotz mehrmaliger Erinnerung an seine Zeugenpflicht in der heutigen Verhandlung die Aussage ungerechtfertigt verweigert.
Der Zeuge (Beschwerdeführer) nimmt zur Kenntnis, dass gegen diesen mündlich verkündeten, schriftlich protokollierten Bescheid kein ordentliches Rechtsmittel zulässig ist, sondern diesbezüglich lediglich eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof bzw. Verfassungsgerichtshof binnen 6 Wochen eingebracht werden kann."
Gegen den mündlich verkündeten Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die gemäß § 24 VStG im Verwaltungsstrafverfahren anwendbaren §§ 34, 49 und 50 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 5/2008, lauten auszugsweise:
"§ 34. (1) ...
(2) Personen, die die Amtshandlung stören oder durch ungeziemendes Benehmen den Anstand verletzen, sind zu ermahnen; bleibt die Ermahnung erfolglos, so kann ihnen nach vorausgegangener Androhung das Wort entzogen, ihre Entfernung verfügt und ihnen die Bestellung eines Bevollmächtigten aufgetragen werden oder gegen sie eine Ordnungsstrafe bis 726 Euro verhängt werden.
(...)
§ 49. (1) Die Aussage darf von einem Zeugen verweigert werden:
1. über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen, einem seiner Angehörigen (§ 36a), einer mit seiner Obsorge betrauten Person, seinem Sachwalter oder einem seiner Pflegebefohlenen einen unmittelbaren Vermögensnachteil oder die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung zuziehen oder zur Unehre gereichen würde;
...
(4) Will ein Zeuge die Aussage verweigern, so hat er die Gründe seiner Weigerung glaubhaft zu machen.
(5) Einem Zeugen, der einer Ladung (§§ 19 und 20) ohne genügende Entschuldigung nicht Folge leistet oder die Aussage ohne Angabe von Gründen verweigert oder auf seiner Weigerung beharrt, obwohl die vorgebrachten Gründe als nicht gerechtfertigt (Abs. 1 bis 3) erkannt wurden, kann die Verpflichtung zum Ersatz aller durch seine Säumnis oder Weigerung verursachten Kosten auferlegt werden; im Fall der ungerechtfertigten Aussageverweigerung kann über ihn eine Ordnungsstrafe (§ 34) verhängt werden.
§ 50. Jeder Zeuge ist zu Beginn seiner Vernehmung über die für die Vernehmung maßgebenden persönlichen Verhältnisse zu befragen und zu ermahnen, die Wahrheit anzugeben und nichts zu verschweigen. Er ist auch auf die gesetzlichen Gründe für die Verweigerung der Aussage, auf die Folgen einer ungerechtfertigten Verweigerung der Aussage und die strafrechtlichen Folgen einer falschen Aussage aufmerksam zu machen."
Die Begründung des angefochtenen Bescheides erschöpft sich in dem Satz, dass der Zeuge "trotz mehrmaliger Erinnerung an seine Zeugenpflicht" die Aussage ungerechtfertigt verweigert habe.
§ 49 Abs. 4 und 5 sowie § 50 letzter Satz AVG ist iVm § 34 Abs. 2 AVG zu entnehmen, dass eine Ordnungsstrafe nur verhängt werden kann, wenn der Zeuge über sämtliche Verweigerungsgründe des § 49 Abs. 1 AVG und über das Erfordernis, diese glaubhaft zu machen, belehrt wurde, er entweder keine Verweigerungsgründe angibt oder die von ihm vorgebrachten Verweigerungsgründe als nicht gerechtfertigt erkannt wurden - wobei dem Zeugen das Vorliegen des zuletzt genannten Umstands mitzuteilen ist - und ihm schließlich die Verhängung der Ordnungsstrafe vor deren Ausspruch angedroht worden ist.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde nach dem Inhalt des Protokolls über die genannte mündliche Verhandlung den Beschwerdeführer zwar eingangs eine im Protokoll nicht näher definierte "Zeugenbelehrung" erteilt, ihn dann zwar auf die in § 49 Abs. 1 AVG genannten Verweigerungsgründe hingewiesen, jedoch "z.B.", d.h. also nur beispielsweise dabei die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung hervorgehoben und den Beschwerdeführer ausdrücklich befragt, ob er diese Gefahr
befürchte bzw. "ob ... auch Strafverfahren bei Gericht" anhängig
sind. Eine weitere Belehrung iSd § 49 Abs. 1 AVG erfolgte nach dem Inhalt des Protokolles nicht.
Durch die einseitige Fokussierung auf den Verweigerungsgrund der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung hat sie den Beschwerdeführer jedoch über mögliche andere Verweigerungsgründe (sonstige strafrechtliche Verfolgung, unmittelbarer Vermögensnachteil; Unehre) nicht belehrt, sodass sich die Belehrung - insbesondere vor dem Hintergrund der Angaben des Beschwerdeführers, er wolle "sich selbst und seine Familie beschützen" - nicht iSd § 49 Abs. 5 AVG ausreichend erweist.
Der Beschwerdeführer präzisiert zwar auch in seiner Beschwerde nicht, auf welche Gründe er ein Verweigerungsrecht iSd § 49 Abs. 1 AVG hätte stützen können. Darauf kommt es indes nicht an. Das Unterbleiben einer ordnungsgemäßen Belehrung macht die Verhängung einer Ordnungsstrafe unabhängig davon unzulässig, wie sich der Zeuge im Fall einer ordnungsgemäßen Belehrung verhalten hätte, zumal generell nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich ein Zeuge nach ordnungsgemäßer Belehrung entweder zu einer Konkretisierung von Weigerungsgründen oder zur Abstandnahme von einer Zeugnisverweigerung durchgerungen hätte.
Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am