VwGH vom 02.05.2012, 2010/08/0054
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des P B in W, vertreten durch Dr. Peter Klein, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Eßlinggasse 5, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2009-0566-9- 002907, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 10 iVm § 38 AlVG der Verlust seines Anspruchs auf Notstandshilfe für die Zeit vom 1. August bis ausgesprochen. Nach der Darlegung des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Beschwerdeführer habe Berufserfahrung als Geschäftsführer/Betriebsleiter und verfüge über eine Ausbildung als Büromaschinentechniker. Auch habe er Erfahrung als Grafiker, allerdings ohne abgeschlossene Ausbildung. Er suche vorzugsweise eine Stelle als Designer bzw. Exportleiter.
Das letzte arbeitslosenversicherungspflichtige Dienstverhältnis des Beschwerdeführers bei der Firma B. habe am geendet. Er stehe seit laufend im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, seit beziehe er Notstandshilfe.
Der Beschwerdeführer habe im Zeitraum vom 29. Juni bis eine "Vorbereitungsmaßnahme für ein Dienstverhältnis als Transitarbeitskraft" bei T besucht. Im Rahmen dieser Maßnahme sei ihm am eine Beschäftigung als Transitarbeitskraft bei der Firma T ab angeboten worden. Dieses Dienstverhältnis sei nicht zustande gekommen, da der Beschwerdeführer den ihm angebotenen Transitarbeitsvertrag mit der Begründung, er könne keine beruflichen Perspektiven erkennen, nicht unterfertigen habe wollen. Mit T habe er im Rahmen der "Vorbereitungsmaßnahme" zwei "Lösungsansätze" erarbeitet, einerseits eine freiberufliche Tätigkeit, andererseits den Besuch einer "Einzelcoachingmaßnahme".
Diese Feststellungen gründete die belangte Behörde auf den Leistungsakt, die chronologisch über EDV gespeicherten Daten des Arbeitsmarktservice, Daten des Hauptverbands der Österreichischen Sozialversicherungsträger, Angaben der "T"-Mitarbeiterinnen A. und B. und die eigenen Angaben des Beschwerdeführers.
Die belangte Behörde führte weiters aus, dem Beschwerdeführer sei nachweislich nach Beendigung des Maßnahmenbesuchs ein Dienstverhältnis bei der Firma T mit einem möglichen Arbeitsbeginn am "zugewiesen" worden. Die Zumutbarkeit sei erfüllt, weil das Unternehmen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsmarktservice die Einhaltung der entsprechenden Kriterien gewährleistet habe. Auch hinsichtlich der persönlichen Fähigkeiten des Beschwerdeführers bestehe kein Zuweisungshindernis, zumal er sich im Notstandshilfebezug befunden habe und daher kein Anspruch bestehe, nur bestimmte Beschäftigungsverhältnisse anzunehmen. Die Entlohnung wäre kollektivvertraglich erfolgt.
Zu der Angabe des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren, nicht über die Rechtsfolgen der Nichtannahme (der angebotenen Beschäftigung) informiert gewesen zu sein, sei festzuhalten, dass er grundsätzlich verpflichtet sei, eine ihm vom Arbeitsmarktservice zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, weil primäres Ziel die ehestmögliche Beendigung der Arbeitslosigkeit sei. Es sei daher nicht verständlich, aus welchen besonderen Gründen sich der Beschwerdeführer über die Tatsache, dass ihm ein Dienstverhältnis als Transitarbeitskraft bei der Firma T angeboten worden sei, im Irrtum befinden habe können. Auch habe der Beschwerdeführer im Rahmen des ihm eingeräumten Parteiengehörs keine nachvollziehbaren Gründe dafür angeführt.
Dem Einwand, die "T"-Mitarbeiterin A. habe ihm durch Unterbreitung von Alternativvorschlägen wie der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit bzw. dem Besuch eines "Einzelcoachings" gerade den Eindruck vermittelt, die Annahme eines Dienstverhältnisses bei T sei ausschließlich auf "freiwilliger Basis" möglich, sei entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich verpflichtet sei, eine zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Das - die Zumutbarkeitskriterien erfüllende - Dienstverhältnis bei T wäre geeignet gewesen, die Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers zu beenden und hätte nicht abgelehnt werden dürfen, ohne eine Sanktion nach § 10 AlVG nach sich zu ziehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen.
§ 10 Abs. 1 AlVG idF BGBl. I Nr. 104/2007 lautet (auszugsweise):
"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person
1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder
2. sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch ihr Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder
3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder
4. auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen,
so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. (…)"
Die genannten Bestimmungen gelten gemäß § 38 AlVG sinngemäß für die Notstandshilfe.
Die Bestimmungen der §§ 9 und 10 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0039, mwN).
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0163).
2. Im Beschwerdefall ist anhand des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalts zwar nicht nachvollziehbar, dass dem Beschwerdeführer von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (oder einem vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister) eine Beschäftigung zugewiesen wurde. Aus den Feststellungen im angefochtenen Bescheid geht jedoch hervor, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen eines Maßnahmenbesuchs von der Trägerorganisation dieser Maßnahme eine Beschäftigung als Transitarbeitskraft ab angeboten wurde.
Eine solche "sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit" ist zwar in § 10 Abs. 1 AlVG nicht explizit angeführt, sondern wird nur in § 9 Abs. 1 AlVG genannt. Aus dem systematischen Zusammenhang dieser beiden Bestimmungen ergibt sich jedoch ebenso wie aus dem Zweck dieser Regelungen, Leistungsbezieher zu verhalten, ehestmöglich durch die Aufnahme einer Beschäftigung aus dem Leistungsbezug wieder auszuscheiden, dass die in § 10 AlVG vorgesehenen Sanktionen auch bei der Ausschlagung einer "sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit" in Frage kommen (vgl. neuerlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0163). Eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit unterscheidet sich von der bloßen Vermittlung durch die regionale Geschäftsstelle dadurch, dass sich eine Arbeitsmöglichkeit in der Regel erst dann "bieten" wird, wenn es entweder nur mehr am Dienstnehmer liegt, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande kommt, oder wenn zumindest der potentielle Dienstgeber (oder ein von diesem Bevollmächtigter) direkt mit der arbeitsuchenden Person in Kontakt tritt und ihr (zumindest) ein Vorstellungsgespräch offeriert (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0047).
Auch "ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP)" ist seit Inkrafttreten der AlVG-Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 als (zumutbare) Beschäftigung anzusehen (§ 9 Abs. 7 AlVG). Ein Verhalten im Sinne von § 10 Abs. 1 AlVG im Hinblick auf einen sozialökonomischen Betrieb (Verweigerung oder Vereitelung einer Beschäftigung oder Nichtannahme einer vom sozialökonomischen Betrieb angebotenen Beschäftigung) kann daher zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe führen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/08/0111, und vom , Zl. 2009/08/0077).
3. Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde vor, es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass ihm ein Dienstverhältnis angeboten worden sei. Die "T"-Mitarbeiterin B. habe ihn am Ende eines Workshops in ihr Büro gerufen und ihm ein "Formblatt zur Unterschrift" vorgelegt, dessen Bezug auf ein allfälliges Dienstverhältnis er nicht erkannt habe. Er habe auch keinerlei Belehrungen über die Rechtsfolgen der Nichtannahme dieses Angebots erhalten.
Mit diesem Vorbringen bezieht sich der Beschwerdeführer offenbar auf ein - im vorgelegten Verwaltungsakt enthaltenes - von der Firma T ausgestelltes und mit "Bestätigung über das Angebot eines Dienstverhältnisses" betiteltes Dokument vom . Nach Namen und Sozialversicherungsnummer des Beschwerdeführers heißt es dort wörtlich:
"Hiermit bestätige ich, dass mir ein Dienstverhältnis bei T GmbH mit folgenden Spezifikationen angeboten wurde:
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Umfang Dienstverhältnis | 30 Std. |
Beginn Dienstverhältnis | |
Anmerkung / Sonstiges |
Aus folgenden Gründen lehne ich das mir angebotene
Dienstverhältnis ab:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Ablehnungsgrund | (handschriftlich ergänzt:) konnte keine beruflichen Perspektiven erkennen, jedoch 2 Lösungen erarbeiten: 1. freiberuflich 2. spezielle Betreuung (individuelles Einzelcoaching) |
Mit meiner Unterschrift bestätige ich die Richtigkeit meiner
Angaben:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Unterschrift TeilnehmerIn (mit handschriftlicher Unterschrift) | |
Im Auftrag von T" |
Das Dokument wurde im Feld "Unterschrift TeilnehmerIn" vom Beschwerdeführer unterzeichnet (im Feld "Im Auftrag von T" findet sich die Unterschrift der "T"-Mitarbeiterin B.).
Der Beschwerdeführer bestreitet auch in der Beschwerde nicht, dass er dieses von ihm als "Formblatt" bezeichnete Dokument vom , dessen Überschrift ("Bestätigung über das Angebot eines Dienstverhältnisses") durch Fettdruck hervorgehoben ist, unterschrieben hat.
Vor diesem Hintergrund und angesichts des vom Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Beweiswürdigung anzuwendenden Prüfungsmaßstabes - vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0252, uva - kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren, wonach ihm nicht bewusst gewesen sei, dass ihm ein Dienstverhältnis angeboten wurde, keinen Glauben geschenkt hat und folglich von der vorsätzlichen Vereitelung einer angebotenen Beschäftigung ausgegangen ist.
Ob sich der Beschwerdeführer der möglichen Sanktion nach § 10 AlVG als Folge der Ablehnung des Dienstverhältnisses bewusst war, oder ob er von der potentiellen Dienstgeberin oder der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über diese Sanktionsfolgen unterrichtet worden war, ist schließlich für die Annahme der Verweigerung nicht relevant, da es allein auf den - hier mangelfrei festgestellten - Vorsatz zur Ablehnung der zumutbaren Beschäftigung, nicht aber auf die dafür ausschlaggebenden Motive ankommt.
4. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
FAAAE-74549