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VwGH vom 28.06.2012, 2012/15/0088

VwGH vom 28.06.2012, 2012/15/0088

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des W K in M, vertreten durch Johann Mitterer, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4020 Linz, Pillweinstraße 30, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Innsbruck, vom , Zl. RV/0688-I/10, betreffend u.a. Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2003 bis 2006 sowie Umsatz- und Einkommensteuer 2003 bis 2006, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wies in den Abgabenerklärungen 2003 bis 2006 u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vorsteuern aus, die er auf Grundlage der §§ 2 bis 6 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufzeichnungspflicht bei Lieferungen von Lebensmitteln und Getränken sowie über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für die Ermittlung des Gewinnes und der Vorsteuerbeträge der nichtbuchführenden Inhaber von Betrieben des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes, BGBl. II Nr. 227/1999, in der für den Streitzeitraum jeweils geltenden Fassung (im Folgenden: Gaststättenpauschalierungsverordnung oder Verordnung), ermittelte.

Im Rahmen einer Außenprüfung stellte der Prüfer u.a. fest, dass der Beschwerdeführer als Einzelunternehmer ein Sporthotel geführt und den Betrieb 1989 in eine GmbH eingebracht habe, deren Geschäftsführer er im Streitzeitraum gewesen sei. Einen zum Einzelunternehmen gehörenden Wohnpark habe der Beschwerdeführer zurückbehalten und im Rahmen des Einzelunternehmens weitergeführt. Die daraus resultierenden Einnahmen stammten zur Gänze von der GmbH. Die GmbH habe den Wohnpark an Gäste vermietet und als Unterkunft für deren Personal verwendet. "Das gesamte Marketing und die Verwaltung, sowie der gesamte Lohnaufwand wird von der (GmbH) betrieben bzw. getragen." Der vom Beschwerdeführer realisierte Gewinn habe sich in den Streitjahren auf bis zu 80 Prozent des Umsatzes belaufen. Nach Ansicht des Prüfers handle es sich bei der vom Beschwerdeführer ausgeübten Betätigung "um eine gewerbliche Verpachtung", die nicht unter die Gaststättenpauschalierungsverordnung falle.

Das Finanzamt folgte dem Prüfer, verfügte u.a. die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2003 bis 2006, und erließ entsprechende Bescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2003 bis 2006.

Der Beschwerdeführer berief gegen die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Wiederaufnahme- und Sachbescheide und brachte in Bezug auf die Wiederaufnahme u.a. vor, dass er seinen Gewerbebetrieb in der Betriebsform eines Beherbergungsbetriebes bereits seit dem Jahr 1997 in unveränderter Form betreibe. Seit dem Jahr 2000 wende er hinsichtlich der Gewinnermittlung und der Vorsteuer die Gaststättenpauschalierungsverordnung an. Diese Umstände habe er in den Beilagen zu den jeweiligen Abgabenerklärungen offengelegt. Darüber hinaus seien die Umstände im Zusammenhang mit diesem Gewerbebetrieb (einschließlich der Gewinnermittlung in Form der Gastgewerbepauschalierung) im Zuge einer Betriebsprüfung für die Jahre 1997 bis 2000 geprüft worden. Die Prüfung habe keine Beanstandung ergeben. Daraus gehe hervor, dass sowohl die Art und der Umfang des bestehenden Gewerbebetriebes als auch die Form der Gewinnermittlung bereits seit Jahren bekannt seien. Im Zuge der nunmehrigen Betriebsprüfung sei ein bekannter, bis zur Gegenwart unveränderter Sachverhalt einer anderen rechtlichen Beurteilung unterzogen worden. Die neue rechtliche Beurteilung eines offen gelegten oder sonst bekannt gewesenen Sachverhaltes stelle keinen Wiederaufnahmegrund dar und verstoße zudem gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

Zu den Sachbescheiden brachte der Beschwerdeführer vor, dass das Finanzamt nur zu prüfen habe, ob es sich beim Betrieb eines Abgabepflichtigen um einen gewerblichen Beherbergungsbetrieb handle, für den keine Buchführungspflicht bestehe und für den auch nicht freiwillig Bücher geführt würden sowie, ob die Umsätze des jeweiligen Vorjahres den Betrag von 255.000 EUR überstiegen. Diese Kriterien lägen in Bezug auf den Betrieb des Beschwerdeführers unstrittig vor, weshalb die Gaststättenpauschalierungsverordnung anwendbar sei.

Der Prüfer wiederholte in einer Stellungnahme zur Berufung die oben dargelegten Ausführungen in der Niederschrift über die Schlussbesprechung und im Betriebsprüfungsbericht.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2003 bis 2006 ab und führte begründend dazu aus, dass es bei Beurteilung der Frage, "ob neu hervorgekommene Tatsachen vorliegen, auf den Wissensstand der Behörde im jeweiligen Veranlagungsjahr ankommt (, mwN)" und den Abgabenerklärungen und Beilagen der Jahre 2003 bis 2006 nur zu entnehmen sei, dass der Beschwerdeführer Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt und die Gewinne aus dem Gewerbebetrieb "lt. Pauschalierungs-VO" ermittelt habe. Den Beilagen "Komb 11U" und "Komb 11E" seien nur die in der VO vorgesehenen Ausgangsgrößen (Betriebseinnahmen einschließlich Umsatzsteuer) und Rechenschritte zu entnehmen. Dass die Umsätze aus der Beherbergung stammten, gehe überhaupt nur aus Beilagen für die Jahre 2004 und 2007 hervor. Im Betriebsprüfungsbericht betreffend die Jahre 1997 bis 2000 finde sich zum Gegenstand des vom Beschwerdeführer betriebenen Unternehmens nur der Hinweis "Beherbergungswesen". Es könne daher keine Rede davon sein, dass Art und Umfang des bestehenden Gewerbetriebes, wie er sich in den Veranlagungsjahren 2003 bis 2006 dargestellt habe, bei Erlassung der Erstbescheide dieser Jahre bekannt gewesen seien. Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben liege ebenfalls nicht vor, weil die Berufung nicht zur Darstellung bringe, welche "Tatsachenbeurteilung durch die Abgabenbehörde ausdrücklich als zulässig zum Ausdruck gebracht worden" sei.

Weiters setzte die belangte Behörde im Instanzenzug die Einkommensteuer 2003 bis 2006 fest, wobei sie - dem Finanzamt folgend - den durch Einnahmen-Ausgaben Rechnung ermittelten Gewinn aus Gewerbebetrieb erfasste. Dem Begehren des Beschwerdeführers, den Gewinn unter Zugrundelegung der Gaststättenpauschalierungsverordnung zum Ansatz zu bringen, entsprach sie mit der Begründung nicht, dass der vom Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme der Verordnung erzielte Steuervorteil ca. 90.000 EUR jährlich betragen habe und daher als verbotene Beihilfe iSd Art. 87 EG (nunmehr Art. 107 AEUV) anzusehen sei.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wegen:

"a. Verletzung des subjektiv-öffentlichen Rechts auf

Ermittlung des Gewinnes des gegenständlichen

Beherbergungsbetriebes nach der VO BGBL II 1999/227

b. Verletzung des subjektive-öffentlichen Rechts auf

Geltendmachung des Vorsteuerabzugs nach der VO BGBL II 1999/227

c. Verletzung des subjektiv-öffentlichen Rechts auf

eine bloß gesetzeskonforme Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß

§ 303 Abs. 4 BAO

d. Verletzung des subjektiv-öffentlichen Rechts auf

eine erstinstanzliche Begründung von Ermessensentscheidungen nach

§ 20, § 93 Abs 3 lit a iVm § 303 BAO"

Auch aus Anlass dieser Beschwerde stellte der

Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom ,

A 2011/0003 bis 0006, gemäß Art. 139 Abs. 1 B-VG den Antrag an den

Verfassungsgerichtshof, die für die Streitjahre geltenden

Bestimmungen der Gaststättenpauschalierungsverordnung als

gesetzwidrig aufzuheben.

Mit Erkenntnis vom , V 113/11-14, sprach der Verfassungsgerichtshof aus:

"I. In der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Aufzeichnungspflicht bei Lieferungen von Lebensmitteln und Getränken sowie über die Aufstellung von Durchschnittssätzen für die Ermittlung des Gewinnes und der Vorsteuerbeträge der nichtbuchführenden Inhaber von Betrieben des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes (Gaststättenpauschalierungs-Verordnung) werden als gesetzwidrig aufgehoben:


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-
die §§ 2 und 3 jeweils in der Stammfassung BGBl. II Nr. 227/1999 und in der Fassung BGBl. II Nr. 416/2001;
-
die §§ 4 und 5 in der Stammfassung BGBl. II Nr. 227/1999;
-
§ 6 in der Stammfassung BGBl. II Nr. 227/1999 sowie in der Fassung BGBl. II Nr. 416/2001 und in der Fassung BGBl. II Nr. 634/2003.
II. Die Aufhebung des § 3 in der Fassung BGBl. II Nr. 416/2001 und des § 4 dieser Verordnung tritt mit Ablauf des in Kraft."
Dass der Verfassungsgerichtshof die Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen nach Art. 139 Abs. 5 letzter Satz B-VG auf die §§ 3 und 4 der Verordnung beschränkt hat, versteht sich daraus, dass die §§ 2 und 6 der Verordnung durch BGBl. II Nr. 149/2007 mit Wirksamkeit ab der Veranlagung 2008 eine neue Fassung erhalten haben und § 5 der Verordnung gemäß BGBl. II Nr. 634/2003 ohnedies letztmalig bei der Veranlagung 2002 anzuwenden war.


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Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Art. 139 Abs. 6 B-VG lautet auszugsweise:
"Ist eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden (…), so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden."
Mit dem Erkenntnis vom , V 113/11-14, hat der Verfassungsgerichtshof die Gaststättenpauschalierungsverordnung u. a. in der für die Veranlagungsjahre 2003 bis 2006 maßgeblichen Fassung als gesetzwidrig aufgehoben.
Der Beschwerdefall stellt, weil der Verwaltungsgerichtshof den Antrag nach Art. 139 Abs. 1 B-VG, über den der Verfassungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom abgesprochen hat, u.a. im Verfahren über die gegenständliche Beschwerde gestellt hat, einen Anlassfall iSd Art. 139 Abs. 6 B-VG dar.
Gemäß Art. 139 Abs. 6 B-VG ist hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig aufgehobene Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Sachverhalts nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2010/15/0182).
Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer in dem als Beschwerdepunkt geltend gemachten Recht auf Anwendung der Gaststättenpauschalierungsverordnung nicht verletzt ist.
Es bleibt daher nur zu prüfen, ob die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2003 bis 2006 zu Recht erfolgt ist.
Der Prüfer stellte fest, dass der Beschwerdeführer im Streitzeitraum einer GmbH, deren Geschäftsführer er gewesen sei, einen Wohnpark zur Verfügung gestellt habe. Der Wohnpark sei von der GmbH an Gäste vermietet und als Unterkunft für deren Personal verwendet worden. Die Einnahmen des Einzelunternehmens hätten zur Gänze von der GmbH gestammt, die auch das gesamte Marketing und die Verwaltung des Wohnparks betrieben und den im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung des Wohnparks stehenden Lohnaufwand getragen habe. Unter Hinweis auf die beim Beschwerdeführer festgestellte Ausgabenstruktur (kein Wareneinsatz, geringfügige Ausgabenpositionen) und den Umstand, dass der vom Beschwerdeführer erzielte Gewinn in den Streitjahren bis zu 80% des Umsatzes betragen habe, kam der Prüfer zur Überzeugung, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit um eine "Verpachtung" handle, die nicht unter die Gaststättenpauschalierungsverordnung falle.
Dagegen wendete der Beschwerdeführer in der Berufung u. a. ein, dass er seinen Gewerbetrieb seit dem Jahr 1997 in unveränderter Form betreibe, seit dem Jahr 2000 die Gaststättenpauschalierungsverordnung anwende und diese Umstände in den Beilagen zur jeweiligen Abgabenerklärung offengelegt habe. Im Rahmen einer die Jahre 1997 bis 2000 betreffenden Betriebsprüfung habe sich diesbezüglich keine Beanstandung ergeben. Daraus gehe hervor, dass sowohl die Art und der Umfang des bestehenden Gewerbebetriebes als auch die Form der Gewinnermittlung bereits seit Jahren bekannt seien, weshalb die Wiederaufnahme unzulässig sei und zudem gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße.
Diesem Berufungsvorbringen hielt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen entgegen, dass es bei Beurteilung der Frage, ob neu hervorgekommene Tatsachen vorliegen, auf den Wissensstand der Behörde im jeweiligen Veranlagungsjahr ankomme und dass aus Abgabenerklärungen und Beilagen der Jahre 2003 bis 2006 nur ersichtlich sei, dass der Beschwerdeführer Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt und die Gewinne aus dem Gewerbebetrieb nach der Gaststättenpauschalierungsverordnung ermittelt habe. Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben liege ebenfalls nicht vor, weil die Berufung nicht zur Darstellung bringe, welche "Tatsachenbeurteilung durch die Abgabenbehörde ausdrücklich als zulässig zum Ausdruck gebracht worden" sei.
Dass die näheren Umstände der streitgegenständlichen Betätigung des Beschwerdeführers bereits bei Ergehen der wiederaufzunehmenden Bescheide bekannt gewesen seien, wird in der Beschwerde nicht (mehr) behauptet. Es wird aber die Auffassung vertreten, dass die vom Prüfer festgestellte Ausgabenstruktur irrelevant sei, weil es nach der Gaststättenpauschalierungsverordnung "ausschließlich auf die Größe der 'Betriebseinnahmen (einschließlich Umsatzsteuer)' nicht jedoch auf Ausgaben- oder Aufwandspositionen" ankomme. Damit verkennt die Beschwerde, dass erst anhand von Angaben zur näheren Ausgestaltung der hier in Rede stehenden Betätigung feststellbar gewesen wäre, ob diese ihrer Art nach einen "Beherbergungsbetrieb" im Sinne der - im Zeitpunkt der Verfügung der Wiederaufnahme auch für den Beschwerdefall im Rechtsbestand befindlichen - Gaststättenpauschalierungsverordnung darstellt.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die die §§ 47ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am