VwGH vom 15.11.2011, 2008/05/0243
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Handstanger und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde 1. des Dipl. Ing. A F, 2. der W B, und 3. der Dipl. Ing. E W-A, alle in Wien und vertreten durch Dr. Bertram Broesigke und Dr. Wolfgang Broesigke, Rechtsanwälte in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 14/1/22, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB-231/08, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (weitere Partei:
Wiener Landesregierung; mitbeteiligte Partei: RK gesmbH in Wien, vertreten durch Regner Günther Rechtsanwälte GmbH in 1040 Wien, Rechte Wienzeile 31/7), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
A. Zum angefochtenen Bescheid
1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der mitbeteiligten Bauwerberin eine Baubewilligung mit folgendem Spruch erteilt:
"Nach Maßgabe der mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Pläne, die einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bilden, wird gemäß § 70 der Bauordnung für Wien (BO), in Verbindung mit § 69 Abs. 8 BO, § 119a BO, in Anwendung des Wiener Garagengesetzes und auf Grund der mit Bescheid vom , GZ: BV 5 - A-239/2008, erteilten Bewilligung für Abweichungen von den Bebauungsvorschriften, die Bewilligung erteilt, auf der im Betreff genannten Liegenschaft die nachstehend beschriebene Bauführung vorzunehmen:
Auf dem Bauplatz wird ein zweifach unterkellertes, dreigeschossiges Wohngebäude mit einem Dachgeschoss in Massivbauweise, enthaltend insgesamt 34 Wohnungen, errichtet.
Die Erschließung der Gebäudetrakte erfolgt über zwei Stiegenhäuser, die jeweils mit einem Aufzugsschacht für den Einbau eines behindertengerechten Personenaufzuges ausgestattet sind.
Die erforderlichen 34 Pflichtstellplätze werden in der zweigeschossigen Tiefgarage geschaffen. Die Garagenein- und ausfahrt und die Gehsteigauf- und überfahrt werden an der Front Schloßgasse im Bereich der linken Grundgrenze hergestellt.
Die notwendigen Einlagerungsräume werden in den beiden Kellergeschossen eingebaut.
Der Fahrrad- sowie Kinderwagenabstellraum und der Müllsammelraum werden im Erdgeschoss eingebaut. Der Kleinkinderspielplatz befindet sich im Innenhof.
Die Beheizung der Wohnungen erfolgt durch Anschluss an das Fernwärme-Versorgungsnetz.
Der zwingenden Vorschrift des § 36 Abs. 1, in Verbindung mit § 36a des Wiener Garagengesetzes zur Schaffung von 34 Stellplätzen wird entsprochen.
Sämtliche 34 Stellplätze werden in der Tiefgarage auf dem gegenständlichen Bauplatz geschaffen.
Die Bauführung wird in öffentlich-rechtlicher Beziehung für zulässig erklärt."
An die Erteilung der Baubewilligung wurde eine Reihe von Vorschreibungen geknüpft.
1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ferner die Berufung gegen den Bescheid des Bauausschusses für den 5. Bezirk vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen. Dieser Bauausschussbescheid enthält folgenden Spruch:
"Der Bauausschuss der Bezirksvertretung für den X. Bezirk hat in seiner Sitzung vom wie folgt beschlossen:
Gemäß § 69 Abs. 1 lit. f und lit. m der BO sind für das beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, zur Zahl: MA 37/5 - Sgasse 17/25199-1/2007 anhängige Bauvorhaben, nach Maßgabe der diesem Baubewilligungsverfahren zu Grunde liegenden Pläne nachstehende Abweichungen von Bebauungsvorschriften zulässig:
Durch den Neubau darf die zulässige Gebäudehöhe an der Front Sgasse, (Teilbereich Front A Bauklasse I (eins) Gebäudehöhe max. 6,5 m) um 0,56 m, an der Front Sgasse, (Teilbereich Front A
Bauklasse I (eins)) um 0,52 m, an der Front Hgasse (Front B
Bauklasse I (eins)) um 0,38 m, an der Front Hgasse (Front C
Bauklasse I (eins)) um 0,24 m, an der Hoffront (Front E
Bauklasse I (eins)) um 0,25 m, sowie an der Hoffront (Front F Bauklasse I (eins) Gebäudehöhe max. 6,5 m) um 0,56 m überschritten werden.
An der Front Sgasse (Teilbereich Front A) darf der First des Daches die vorgeschriebene Höhe von 4,50 m über die tatsächlich ausgeführten Gebäudehöhe um 0,44 m überschreiten.
Die Gründe, die für die Abweichungen sprechen, überwiegen."
2. Begründend kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die beschwerdeführenden Parteien Miteigentümer benachbarter Liegenschaften iSd § 134 Abs. 3 BO seien und daher mit ihren rechtzeitig vorgebrachten Einwendungen gegen das geplante Bauvorhaben subjektiv-öffentliche Nachbarrechte iSd § 134a BO geltend gemacht hätten. Allerdings würden damit (insbesondere betreffend die Gebäudehöhe, Immissionen infolge einer Tiefgarage und die Abweichung von den Bebauungsvorschriften iSd § 69 BO) keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte geltend gemacht, denen zufolge die Bewilligung zu versagen gewesen wäre. Die für das verfahrensgegenständliche Projekt maßgeblichen Flächenwidmungs- und Bebauungsbestimmungen seien im Plandokument 7462 (kundgemacht am ) festgelegt. Demnach sei für jenen Liegenschaftsteil, welcher sich im Bereich der Ecke Sgasse/Hgasse befinde, die Widmung Gemischtes Baugebiet, Bauklasse I und die geschlossene Bauweise festgesetzt. Im südlich gelegenen Liegenschaftsteil an der Sgasse gelte ebenfalls die Widmung Gemischtes Baugebiet, Bauklasse I sowie die geschlossene Bauweise, wobei hier jedoch die zulässige Gebäudehöhe auf 6,5 m eingeschränkt sei. Die gesamte Liegenschaft befinde sich in einer Schutzzone. Weiters sei die bebaubare Fläche auf 70 % des Bauplatzes beschränkt. Der höchste Punkt des Daches dürfe bei den zur Einreichung gelangenden Gebäuden maximal 4,5 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen. Wie den zugrunde liegenden Einreichplänen zu entnehmen sei, komme es im vorliegenden Projekt zu Überschreitungen der zulässigen Gebäudehöhe und des höchsten Punktes des Daches (was näher dargestellt wird). Auf Grund der vorliegenden Überschreitungen der Gebäudehöhe und der Überschreitungen des höchsten Punktes des Daches sei zu prüfen, ob für das gegenständliche Bauvorhaben die Bewilligung einer unwesentlichen Abweichung von den Bebauungsvorschriften gemäß § 69 Abs. 1 lit. f und m BO (der Bauordnung für Wien) möglich sei. Diesbezüglich kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die vom Bauausschuss erteilte Bewilligung für die erforderlichen Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu Recht erfolgt seien und die Erteilung der für das vorliegende Bauvorhaben erforderlichen Ausnahmebewilligungen nach § 69 Abs. 1 lit. f und m BO zur Folge habe, dass dieses Bauvorhaben mit den entsprechenden Bestimmungen der BO nicht mehr im Widerspruch stehe.
B. Zum Beschwerdeverfahren
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen. Die mitbeteiligte Partei beantragte in ihrer Gegenschrift ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.
C. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. § 69 Abs. 1 lit. m und n BO in der vorliegend maßgeblichen Fassung vor der Techniknovelle 2007, LGBl. Nr. 24/2008 (vgl. Art. V Abs. 1 und 2 leg. cit.), lauten:
"§ 69. (1) Für einzelne Bauvorhaben hat die Behörde nach Maßgabe des Abs. 2 über die Zulässigkeit folgender Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu entscheiden:
...
m) das Überschreiten der gemäß § 5 Abs. 4 lit. h und gemäß § 77 Abs. 3 lit. c bestimmten sowie der bauklassenmäßigen Gebäudehöhe in allen Bauklassen, wenn das Interesse an der Gestaltung des örtlichen Stadtbildes nicht entgegensteht;
n) in Schutzzonen Abweichungen von den Bestimmungen des Bebauungsplanes, insbesondere auch von der festgesetzten Baulinie, wenn das öffentliche Interesse an einer besonderen Situierung und Ausbildung des Baukörpers zur Gestaltung des örtlichen Stadtbildes überwiegt und die zulässige Ausnützbarkeit des Bauplatzes nicht überschritten wird;"
2. Das Baugrundstück liegt im vorliegenden Fall unstrittig in einer Schutzzone. Bezüglich Schutzzonen ist nach der hg. Rechtsprechung für unwesentliche Abweichungen von Bebauungsvorschriften gemäß § 69 in der hier anzuwendenden Fassung vor der Techniknovelle 2007 aber die Bestimmung des Abs. 1 lit. n, nicht aber die von der belangten Behörde herangezogene Regelung des Abs. 1 lit. m maßgeblich. Bei der Anwendung des § 69 Abs. 1 lit. n BO sind andere Beurteilungskriterien heranzuziehen als bei der des § 69 Abs. 1 lit. m BO (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/05/0186, und Zl. 2008/05/0161), zumal es in Schutzzonen nicht genügt, dass Interessen des Stadtbildes nicht entgegenstehen, sondern Interessen des Stadtbildes gerade die Abweichung fordern (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/05/1123, Slg. Nr. 16.086/A). Insofern hat die belangte Behörde, die auf das diesbezügliche Berufungsvorbringen nicht eingegangen ist, die Rechtslage verkannt.
3. Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb von einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. gebildeten Senat wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-74512