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VwGH vom 14.11.2012, 2010/08/0033

VwGH vom 14.11.2012, 2010/08/0033

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Peck, über die Beschwerde des M C in P, vertreten durch Dr. Elfgund Frischenschlager, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Landstraße 15/IV, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. LGSOÖ/Abt.4/2009-0566-4-000990-8, betreffend Widerruf des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 4. September bis widerrufen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer beziehe seit Arbeitslosengeld in der Höhe von EUR 29,97 täglich. Am sei gegen 14:35 Uhr von Organen des Finanzamts G, Abteilung KIAB, im Kebapstand A.-Straße 61, betrieben von der S. OG, eine Kontrolle auf Einhaltung der Bestimmungen nach dem AuslBG und § 89 Abs. 3 EStG durchgeführt worden. Hierbei sei der Beschwerdeführer alleine im Kebapstand angetroffen worden. Beim Betreten des Kebapstands seien die Kontrollorgane mit den Worten "Bitte" begrüßt worden. Als sich die Beamten daraufhin als Organe des Finanzamtes G zu erkennen gegeben hätten, habe der Beschwerdeführer den Kontrollorganen mitgeteilt, dass er seine Chefin holen würde und habe daraufhin "fluchtartig" den Kebapstand verlassen. Kurze Zeit später sei eine weibliche Person mit einer großen Schüssel rohem Faschiertem aus dem Wohnhaus A.-Straße 61, welches sich hinter dem Kebapstand befinde, gekommen und habe gegenüber den Kontrollorganen angegeben, dass der Beschwerdeführer "sich dieses (das Faschierte) im Kebapstand selbst kochen" würde. Der Beschwerdeführer selbst sei erst nach mehrmaliger Aufforderung durch die Kontrollorgane mit seinem Ausweis wieder zurück zum Kebapstand gekommen. Er sei bereits "vorab" von den Kontrollorganen dabei beobachtet worden, wie er eine Cola-Dose an einen Jugendlichen verkauft habe.

Eine zeitgerechte Meldung der Aufnahme der Beschäftigung an die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice F sei nicht erfolgt.

Eine Datenanforderung der belangten Behörde vom Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger vom bestätige, dass "die Firma" (gemeint wohl: die S. OG) den Beschwerdeführer nicht angemeldet habe.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen eingewendet, dass er mit seiner Frau bei der Familie S. zu Besuch gewesen sei und für alle eine türkische Pizza zubereitet habe. Er habe keine Tätigkeiten für die "Firma S." ausgeführt, sondern privat gekocht und auch keine Arbeitskleidung getragen. In einer Stellungnahme vom habe der Beschwerdeführer darüber hinaus ausgeführt, dass er nicht gearbeitet habe. Er sei dort zu Besuch gewesen und habe für die Familie Pizza zubereitet. Er sei für einen Besuch und nicht für die Arbeit gekleidet gewesen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass es unstrittig sei, dass der Beschwerdeführer seit Arbeitslosengeld beziehe und Organe des Finanzamts den Beschwerdeführer im Zuge einer Kontrolle am um 14:35 Uhr bei Tätigkeiten (Verkauf einer Cola-Dose) für die S. OG angetroffen bzw. betreten hätten.

Eine zeitgerechte Meldung der Aufnahme der Beschäftigung an das Arbeitsmarktservice F sei nicht erfolgt und eine Speicherung des Dienstverhältnisses im Hauptverband scheine nicht auf.

Dem Einwand des Beschwerdeführers, dass er nur für seine Familie türkische Pizza zubereitet habe, sei zu entgegnen, dass er bereits vorab von den Kontrollorganen dabei beobachtet worden sei, wie er eine Cola-Dose an einen Jugendlichen verkauft habe. Zudem sei er alleine am Kebapstand angetroffen worden.

Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld sei, dass der Beschwerdeführer arbeitslos sei. Er sei nicht arbeitslos, wenn er in einem Beschäftigungsverhältnis stehe. Das Beschäftigungsverhältnis habe der Beschwerdeführer beim Arbeitsmarktservice nicht gemeldet. Das Arbeitslosengeld sei daher vom 4. September bis zu widerrufen, da die unwiderlegliche Rechtsvermutung gelte, dass diese Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 25 Abs. 2 AlVG idF BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:

"(2) Wird ein Empfänger von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) bei einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 lit. a, b oder d durch öffentliche Organe, insbesondere Organe von Behörden oder Sozialversicherungsträgern oder Exekutivorgane, betreten, die er nicht unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle angezeigt hat (§ 50), so gilt die unwiderlegliche Rechtsvermutung, daß diese Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt ist. Das Arbeitslosengeld (die Notstandshilfe) für zumindest vier Wochen ist rückzufordern. Erfolgte in einem solchen Fall keine zeitgerechte Meldung durch den Dienstgeber an den zuständigen Träger der Krankenversicherung, so ist dem Dienstgeber von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ein Sonderbeitrag in der doppelten Höhe des Dienstgeber- und des Dienstnehmeranteiles zur Arbeitslosenversicherung (§ 2 des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes, BGBl. Nr. 315/1994) für die Dauer von sechs Wochen vorzuschreiben. Als Bemessungsgrundlage dient der jeweilige Kollektivvertragslohn bzw., falls kein Kollektivvertrag gilt, der Anspruchslohn. Die Vorschreibung gilt als vollstreckbarer Titel und ist im Wege der gerichtlichen Exekution eintreibbar."

Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG gilt als arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Nach § 12 Abs. 3 AlVG gilt als arbeitslos insbesondere (u.a.) nicht, wer in einem Dienstverhältnis steht (lit. a), wer selbständig erwerbstätig ist (lit. b) oder wer, ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen, im Betrieb des Ehegatten, der Eltern oder Kinder tätig ist (lit. d).

2. Im Beschwerdefall sprach die belangte Behörde gestützt auf § 25 Abs. 2 AlVG gegenüber dem Beschwerdeführer einen "Widerruf des Arbeitslosengeldes", jedoch keine Rückforderung des unrechtmäßig Empfangenen, aus. Aus dem Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer die Leistung zum Zeitpunkt des Widerrufs ihrer Zuerkennung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum noch nicht ausbezahlt worden war, weshalb eine Rückforderung nicht in Betracht kam. Wenngleich § 25 Abs. 2 AlVG zweiter Satz nur von der "Rückforderung" der Leistung für zumindest vier Wochen spricht, ist davon auszugehen, dass auf Grundlage dieser Bestimmung auch ein Widerruf der Zuerkennung von Arbeitslosengeld ausgesprochen werden kann, wenn - wie im gegenständlichen Fall - eine Rückforderung mangels Empfang einer Leistung nicht möglich ist. Andernfalls müsste das Arbeitsmarktservice bei einer unmittelbaren Betretung des Leistungsbeziehers den bereits zuerkannten aber noch nicht ausbezahlten Leistungsanspruch trotz dessen Nichtberechtigung zuerst erfüllen um anschließend nach § 25 Abs. 2 AlVG die Rückforderung aussprechen zu können. Eine solche Vorgangsweise würde der durch § 39 Abs. 2 AVG geforderten Rücksichtnahme auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis im Verwaltungsverfahren zuwiderlaufen.

3. Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer bei einer gemäß § 50 AlVG meldepflichtigen Beschäftigung betreten wurde, weshalb gemäß der unwiderleglichen Rechtsvermutung des § 25 Abs. 2 AlVG eine Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze anzunehmen sei.

Wenn ein Empfänger von Arbeitslosengeld von einem öffentlichen Organ bei Tätigkeiten gemäß § 25 Abs. 2 AlVG angetroffen wird, kann dem Vorhalt der Nichtanzeige dieser Tätigkeit die Geringfügigkeit der Entlohnung nicht entgegengehalten werden. Die gesetzliche Vermutung des § 25 Abs. 2 erster Satz AlVG setzt aber voraus, dass der Empfänger von Arbeitslosengeld (bzw. Notstandshilfe) bei einer Tätigkeit als Dienstnehmer (oder als selbständig Erwerbstätiger oder als im Betrieb des Ehegatten, der Eltern oder Kinder Tätiger) angetroffen wird. Gesetzlich fingiert wird nur die Höhe der Entlohnung, nicht aber, dass es sich bei der beanstandeten Tätigkeit um eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 25 AlVG handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0262).

§ 25 Abs. 2 AlVG verweist auf eine "Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 lit. a, b oder d". In Betracht kommt im vorliegenden Fall, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Betretung in einem Dienstverhältnis im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. a AlVG stand. Ungeachtet dessen, dass § 12 Abs. 3 lit. a AlVG nicht auf das Bestehen der Vollversicherungspflicht, sondern auf das Bestehen eines Dienstverhältnisses abstellt, ist zufolge der Bestimmung des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG der Begriff des nicht geringfügig entlohnten Dienstverhältnisses, der sich aus den genannten Bestimmungen des § 12 AlVG in ihrem Zusammenhang ergibt, ident mit dem des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG, an welches § 1 Abs. 1 lit. a iVm Abs. 4 AlVG für die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpft (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0129, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0135, mwN). § 25 Abs. 2 ASVG stellt daher mit seinem Verweis auf § 12 Abs. 3 lit. a AlVG auf das Vorliegen eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG (bzw. auf ein diesem gleichgestelltes freies Dienstverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 4 ASVG, vgl. § 1 Abs. 8 AlVG) ab, wenngleich im Falle der Betretung bei einer solchen Tätigkeit die Geringfügigkeit der Beschäftigung nicht eingewandt werden kann.

Die belangte Behörde hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowohl einen (undatierten) erstinstanzlichen Bescheid der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse über die (Teil)Versicherungspflicht des Beschwerdeführers in der Unfallversicherung hinsichtlich der gegenständlichen Tätigkeit, wie auch den diesbezüglichen - nach dem angefochtenen Bescheid erlassenen - Berufungsbescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom , vorgelegt. Ungeachtet der Frage, ob der Gegenstand dieses Bescheids überhaupt eine Vorfrage für den Widerruf nach § 25 Abs. 2 AlVG darstellte, lag damit jedenfalls im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids - vgl. zur Relevanz dieses Zeitpunkts für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheids durch den Verwaltungsgerichtshof unter vielen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/10/0080, - eine rechtskräftige Vorfragenentscheidung jedenfalls nicht vor.

4. Der Beschwerdeführer bestreitet in seiner Beschwerde - wie schon im Verwaltungsverfahren -, dass er im Zeitpunkt der Betretung am in einem Dienstverhältnis zur

S. OG stand. Er sei bei der Familie S., die Betreiber eines Kebapstands sei, zu Besuch gewesen und habe für die Familie "Lahmacun" zubereitet. Diese Speise werde im Kebapstand nicht angeboten. Gemeinsam hätten sie dann hinter dem Stand "im gemütlichen Beisammensein" das Lahmacun zu sich nehmen wollen. Da der Beschwerdeführer nur zu Besuch gewesen sei, habe er normale Kleidung getragen. Er habe nicht einmal eine Schürze umgebunden gehabt. Einer Tätigkeit für die S. OG, wie dem Verkauf einer Cola-Dose, sei der Beschwerdeführer nicht nachgegangen, sondern habe er lediglich Essen für die Familie zubereitet. Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Der angefochtene Bescheid enthält zwar Feststellungen, die offenkundig auf der Anzeige durch die Kontrollorgane des Finanzamtes beruhen; es fehlt jedoch jede Beweiswürdigung, aus welchen Gründen die belangte Behörde offenbar uneingeschränkt dieser Anzeige folgt, obwohl der Beschwerdeführer die Vorwürfe in seiner Berufung im Einzelnen bestritten hat. Insbesondere kann vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer auch den Verkauf der Cola-Dose ausdrücklich bestritten hat (und eine diese Darstellung bestätigende Schilderung der Vorfälle durch seine Frau der Berufung angeschlossen hat) auch keine Rede davon sein, dass diese Verkaufstätigkeit, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid schreibt, "unstrittig" sei.

5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am