VwGH vom 19.12.2013, 2012/15/0047
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser und die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Linz in 4021 Linz, Bahnhofplatz 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zlen. RV/0118-L/10, RV/0119-L/10, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Umsatzsteuer 2006) und Umsatzsteuer 2006 (mitbeteiligte Partei: OM in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte erzielte aus der Vermietung von Teilen ihres Hauses in L, G-Straße, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und entsprechende Umsätze.
Mit (endgültigem) Umsatzsteuerbescheid 2006 vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer in der Höhe fest, wie sie sich aus der Umsatzsteuererklärung der Mitbeteiligten ergab.
In einem ebenfalls mit datierten Aktenvermerk hielt das Finanzamt fest, es werde eine Betriebsprüfung zu den umsatzsteuerlichen Verhältnissen der Mitbeteiligten in den Jahren 2006 bis 2008 angeregt. Aufgrund des Umbaues des Hauses in der G-Straße seien ab 2006 hohe Vorsteuern angefallen. Ein Privatanteil sei nicht ausgeschieden worden, obwohl sich in diesem Haus auch die Privatwohnung der Mitbeteiligten befinde. Dies sei nach Ansicht des Finanzamtes "überprüfungswürdig".
Das Finanzamt führte sodann im Jahre 2009 eine Nachschau durch. Dabei wurde festgestellt, dass die Vorsteuern sowohl die Aufstockung des Haues in der G-Straße wie auch dessen Renovierung beträfen und ein Anteil der Baumaßnahmen auf den durch die Mitbeteiligte privat genutzten Gebäudeteil (auf deren private Wohnung) entfielen.
Mit Bescheid vom nahm das Finanzamt das Umsatzsteuerverfahren für 2006 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ einen neuen Umsatzsteuerbescheid, aus dem sich eine Nachforderung von 7.500 EUR ergab.
Zur Begründung der Wiederaufnahme führte das Finanzamt aus, die Nachschau habe hinsichtlich der im Jahr 2006 erfolgten Aufstockung und Sanierung des Hauses Folgendes ergeben:
Die Mitbeteiligte bewohne das erste Obergeschoß, das seien ca. 130 m2 bzw. 25 % der Gesamtfläche des Hauses. Die gesamte nutz- bzw. vermietbare Fläche betrage ca. 520 m2.
Im Zuge der Aufstockung seien darüber hinausgehende Baumaßnahmen gesetzt worden. Es sei der morsche Dachstuhl mitsamt dem Dach zur Gänze erneuert worden. Es seien auch Mauer-, Verputz- und Malerarbeiten durchgeführt worden, die das gesamte Objekt, also auch den Altbestand betroffen hätten. Von den Gesamtkosten der Aufstockung und Sanierung habe die Mitbeteiligte den Vorsteuerabzug geltend gemacht, wiewohl ein Anteil auch auf die Privatwohnung der Mitbeteiligten entfalle.
Die Baukosten beträfen sohin nicht nur die Aufstockung, sondern auch die Sanierung/Renovierung. Weiters sei dem Finanzamt nicht bekannt gewesen, in welchem Ausmaß eine private Nutzung des Gebäudes durch die Mitbeteiligte erfolgt sei. Auf Grund des von der Mitbeteiligten zu Beginn der Nachschau erläuterten Umfangs der im Zuge der Aufstockung getätigten Sanierungs- bzw. Renovierungsarbeiten sei nach Durchsicht des Aktenmaterials der Baufirma eine Kürzung des geltend gemachten Vorsteuerabzugs um
7.500 EUR vorzunehmen gewesen.
Die Mitbeteiligte brachte gegen den Wiederaufnahmebescheid und gegen den neuen Sachbescheid Berufung ein. In der Berufung wurde ausgeführt, ein Neuhervorkommen von Tatsachen sei nicht gegeben. Dem Finanzamt sei bekannt gewesen, dass die Vorsteuern nicht um den Privatanteil gekürzt worden seien.
In der Stellungnahme des Finanzamtes zur Berufung wird ausgeführt, im Zuge der Veranlagungsbearbeitung des Jahres 2008 sei eine Betriebsprüfung für die Jahre 2006 bis 2008 angeregt worden. Bedienstete des Finanzamtes hätten sodann einen Ortsaugenschein vorgenommen. Auf Grund der dabei festgestellten Fakten sei erkannt worden, dass eine Nachschau mit Einsicht in die Aufzeichnungen betreffend die Aufstockung bzw. Sanierung des Objektes ausreiche.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid Folge und hob diesen Bescheid auf. Die Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid wurde als unzulässig zurückgewiesen.
Die Mitbeteiligte habe seit Jahrzehnten ihre Privatwohnung im Miethaus. Sie habe daher stets einen Privatanteil von den Vorsteuern für Wasser- und Kanalgebühren, Schneeräumung uä abgezogen.
Dem Finanzamt sei somit bei Erlassung des Umsatzsteuerbescheides vom auch bekannt gewesen, dass die Mitbeteiligte im Mietobjekt ihre Privatwohnung gehabt und aus diesem Grund eine Vorsteuerkürzung bei den laufenden Werbungskosten (wie Kanal- und Wassergebühren, Schneeräumung uä) vorgenommen habe.
Dass die Mitbeteiligte keine Vorsteuern aus den Baukosten ausgeschieden habe, sei dem Finanzamt ebenfalls schon bei der Erlassung des Umsatzsteuerbescheids 2006 vom bekannt gewesen, zumal es im Aktenvermerk ausführe, dass hohe Vorsteuern aus dem Umbau geltend gemacht worden seien, aber kein Privatanteil ausgeschieden worden sei.
Auf Grund eines Schreibens der Mitbeteiligten vom 14. bzw. an das Finanzamt (Beilage zur UVA für das zweite Quartal 2006) sei dem Finanzamt bekannt gewesen, dass das Haus in der G-Straße renoviert und aufgestockt werde, um zu vermietenden Wohnraum neu zu schaffen.
Die belangte Behörde halte sohin fest, dass das Finanzamt die Wiederaufnahme auf eine Tatsache stütze (nämlich den fehlenden Abzug von Privatanteilen der Vorsteuer in Zusammenhang mit Baumaßnahmen am Mietobjekt), die ihr bei Erlassung des Umsatzsteuerbescheides 2006 bereits bekannt gewesen sei, wie sich dies aus dem Aktenvermerk vom ergebe. Somit sei dem Finanzamt im Verfahren zur Erlassung des Umsatzsteuerbescheides vom der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen, dass es damals bereits zu der schließlich im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können.
Da Tatsachen somit nicht neu hervorgekommen und daher die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO nicht erfüllt seien, sei der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid stattzugeben und der angefochtene Wiederaufnahmebescheid aufzuheben.
Gemäß § 307 Abs. 3 BAO trete durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Wiederaufnahme befunden habe. Daher sei die Berufung gegen den neuen Umsatzsteuerbescheid als unzulässig geworden zurückzuweisen.
Das Finanzamt hat Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u.a. in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Das Finanzamt bringt in der Beschwerde vor, bei Erlassung des Umsatzsteuerbescheides 2006 vom sei ihm nicht bekannt gewesen, dass die von der Mitbeteiligten getätigten Baumaßnahmen (Sanierung/Renovierung) auch die von ihr selbst bewohnte Wohnung betroffen hätten. Im Hinblick auf das Fehlen der entsprechenden Kenntnis über die Baumaßnahmen sei nicht bekannt gewesen, "ob tatsächlich ein Privatanteil auszuscheiden ist". Erst durch die später erfolgte Nachschau habe das Finanzamt von der Art der Baumaßnahmen erfahren. Erst dadurch habe es Kenntnis insbesondere darüber erlangt, dass die Sanierung/Renovierung sich auf das gesamte Gebäude und damit auch auf die von der Mitbeteiligten privat genutzte Wohnung bezogen habe. Das Ausmaß der Renovierung/Sanierung bzw. des Umbaus und das Ausmaß der privaten Gebäudenutzung durch die Mitbeteiligte seien neu hervorgekommene Tatsachen gewesen, aus denen sich die Auswirkung auf die tatsächlich zustehenden Vorsteuern ergeben habe. Durch den im Zuge der Nachschau durchgeführten Lokalaugenschein und die in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen habe das Finanzamt erstmals Kenntnis von diesen Umständen erlangt. Demgegenüber enthalte der Aktenvermerk vom lediglich den Verdacht betreffend die Erforderlichkeit des Ausscheiden eines Privatanteils, zumal noch nicht geklärt gewesen sei, ob tatsächlich ein Privatanteil auszuscheiden sei. Im gegenständlichen Fall sei es also nicht um eine geänderte rechtliche Beurteilung eines dem Finanzamt bereits bekannten Sachverhalts gegangen. Vielmehr seien nachträglich tatsächliche Umstände neu hervorgekommen, aufgrund derer die Berechtigung zum Vorsteuerabzug erst habe beurteilt werden können.
Mit diesem Vorbringen gelingt es dem Finanzamt, die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen:
Dem Aktenvermerk des Finanzamtes vom ist zwar die Information zu entnehmen, dass es zu Umbaumaßnahmen am (teilweise vermieteten) Haus in der G-Straße und als Folge dessen zum Abzug von Vorsteuern gekommen ist, die Mitbeteiligte in diesem Haus eine Privatwohnung hat und ein "Privatanteil" nicht ausgeschieden worden ist. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde reichen diese Umstände jedoch nicht aus, um zu der Entscheidung über das Ausmaß des Vorsteuerabzuges zu gelangen, die sodann im wiederaufgenommenen Verfahren ergangen ist. Im gegenständlichen Fall ist es vielmehr entscheidend auf die Kenntnis angekommen, dass sich die Baumaßnahmen (Renovierung, Sanierung, Aufstockung) nicht ausschließlich auf jene Gebäudeteile bezogen haben, die bereits vermietet waren oder die durch die Baumaßnahmen für Zwecke der Vermietung neu geschaffen wurden.
Erst im Zuge der Nachschau ist hervorgekommen, dass ein Teil der in Rede stehenden Baumaßnahmen auch der Wohnung zuzuordnen ist, die von der Mitbeteiligten privat genutzt wird. Erst daraus ergab sich aber in rechtlicher Hinsicht, dass hinsichtlich eines Teiles der geltend gemachten Vorsteuern der Abzug im Grunde des § 12 Abs. 2 Z 2 lit. a UStG 1994 nicht zugestanden ist (siehe zum Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Gebäuden beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom , 2010/15/0085, und vom , 2010/13/0067).
Mit der Auffassung, aufgrund der im Aktenvermerk des Finanzamtes vom festgehaltenen Informationen hätte das Finanzamt bereits einen Bescheid erlassen können, der inhaltlich dem im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Umsatzsteuerbescheid entspricht, sodass die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der amtswegigen Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 4 BAO nicht vorlägen, hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
Die Rechtswidrigkeit betrifft den angefochtenen Bescheid nicht nur hinsichtlich seines Ausspruches, dass der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid Folge gegeben und dieser Bescheid des Finanzamtes aufgehoben wird, sondern auch hinsichtlich der als Folge dieser Bescheidaufhebung ausgesprochenen Zurückweisung der Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid.
Der angefochtene Bescheid war sohin insgesamt gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am