VwGH vom 19.10.2017, Ra 2017/16/0098
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, über die Revision des Zollamtes St. Pölten Krems Wiener Neustadt in 3500 Krems an der Donau, Rechte Kremszeile 58, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/7200068/2016, betreffend nachträgliche buchmäßige Erfassung von Eingangsabgaben und Abgabenerhöhung (mitbeteiligte Partei: F Z in P), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es über die Abgabenerhöhung (mit Null) abspricht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom hatte das Zollamt St. Pölten Krems Wiener Neustadt gegenüber dem Mitbeteiligten Beträge an in den Jahren 2007 und 2008 entstandenen Eingangsabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK nachträglich buchmäßig erfasst und gemäß Art. 221 Abs. 1 ZK mitgeteilt sowie gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG eine Abgabenerhöhung vorgeschrieben. Über die dagegen erhobene Beschwerde entschied das Zollamt mit Beschwerdevorentscheidung vom dahingehend, dass es im Spruch die gesetzlichen Grundlagen ergänzte, die Beschwerde jedoch im Übrigen als unbegründet abwies, worauf der Mitbeteiligte die Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragte.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Gericht der Beschwerde gemäß § 279 Abs. 1 BAO teilweise Folge, berechnete die Eingangsabgaben (Zoll und Einfuhrumsatzsteuer) mit denselben Beträgen wie das Zollamt im Bescheid vom , die Abgabenerhöhung jedoch mit Null.
Weiters sprach das Gericht aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Betreffend seine Entscheidung über die Abgabenerhöhung führte das Gericht aus (Seite 28 des angefochtenen Erkenntnisses):
"Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtene Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. ) hat das BFG grundsätzlich auf Grund der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage zu entscheiden, soweit sich nicht insbesondere aus dem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften das Gebot zur Anwendung der zu einem bestimmten früheren Zeitpunkt maßgebenden Rechtslage ergibt oder ein Sachverhalt zu einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zugrunde zu legen ist.
Demnach ist hinsichtlich des Zolles aufgrund der Zeitbezogenheit der diesbezüglichen zollrechtlichen Bestimmungen noch der Zollkodex in der bis zum geltenden Fassung anzuwenden. Der Abgabenanspruch für eine Abgabenerhöhung entsteht hingegen jedoch erst durch die Festsetzung (vgl. ).
Die die Abgabenerhöhung regelnde Bestimmung des § 108 Abs. 1 ZollR-DG ist mit dem Abgabenänderungsgesetz 2015, BGBl. I Nr. 163/2015, mit Wirkung aufgehoben worden. Das BFG hatte daher - ausgehend von der nunmehr geltenden Rechtslage - die vom Zollamt vorgeschriebene Abgabenerhöhung mangels Bestehens einer entsprechenden Bestimmung nicht zu bestätigen."
Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision begründete das Gericht abschließend damit, die mit dem vorliegenden Erkenntnis zu lösenden Rechtsfragen, insbesondere u.a. zur Abgabenerhöhung, seien durch die im Erkenntnis zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie des Gerichtshofes der Europäischen Union geklärt oder ergäben sich aus dem Wortlaut der angewendeten einschlägigen Bestimmungen.
3 Gegen dieses Erkenntnis, und zwar erkennbar nur gegen die Festsetzung der Abgabenerhöhung mit Null, wendet sich die außerordentliche Amtsrevision des Zollamtes St. Pölten Krems Wiener Neustadt mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis betreffend die Aufhebung der Festsetzung der Abgabenerhöhung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Amtsrevision erblickt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darin, ob der Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften auch auf die Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG anzuwenden sei, obwohl der vorgenannten Bestimmung im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht formell derogiert gewesen sei. Hiezu existiere noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Im Erkenntnis vom , 2012/16/0090, erkenne der Verwaltungsgerichtshof zwar, dass bei verfahrensrechtlicher Überlagerung der materiellen Bestimmung des § 108 Abs. 1 ZollR-DG durch den "seinerzeitigen" § 30a Abs. 5 FinStrG die erstgenannte Bestimmung rückwirkend nicht anwendbar gewesen sei, im vorliegenden Fall ermangle es aber einer derartigen verfahrensrechtlichen Bestimmung.
4 Der Verwaltungsgerichtshof hat gemäß § 36 Abs. 1 VwGG über die Amtsrevision das Vorverfahren eingeleitet; der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass eine Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3) zu überprüfen.
6 Die Amtsrevision weist im Rahmen der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG zutreffend daraufhin, dass vor dem Hintergrund der Rechtslage nach dem Abgabenänderungsgesetz 2015 zur Frage der Festsetzung einer Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, womit sich die Amtsrevision als zulässig erweist; weiters erweist sie sich auch aus folgenden Gründen als berechtigt:
7 Zur Darstellung der Rechtslage wird zunächst auf das Erkenntnis vom , 2012/16/0090 = Slg. 8.757/F, verwiesen.
In dem genannten Erkenntnis führte der Verwaltungsgerichtshof u. a. tragend aus:
"§ 30a FinStrG ist somit am in Kraft getreten. Die Bestimmung des § 30a Abs. 5 FinStrG ist eine Verfahrensbestimmung, die somit ab Inkrafttreten anwendbar ist. Dass die Abgaben, hinsichtlich welcher die Abgabenerhöhung vorgesehen ist, erst nach Inkrafttreten entstanden sein sollten, ist weder der Bestimmung des § 30a FinStrG noch der Inkrafttretensbestimmung (mangels entsprechender Übergangsbestimmungen) zu entnehmen.
§ 30a Abs. 5 FinStrG spricht deutlich und keinen Zweifel offen lassend davon, dass die Festsetzung einer Abgabenerhöhung im Zusammenhang mit Zöllen und mit Abgaben, die von den Zollämtern zu erheben sind, unzulässig ist. Davon ausgenommen wird ausdrücklich die Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 2 ZollR-DG. § 30a Abs. 5 FinStrG spricht von ‚einer Abgabenerhöhung' und nicht von ‚der Abgabenerhöhung'. Damit ist nicht lediglich die Festsetzung ‚der' Abgabenerhöhung nach § 30a Abs. 1 leg.cit., sondern die Festsetzung jeglicher Abgabenerhöhung (eben unbeschadet der nach § 108 Abs. 2 ZollR-DG) im Zusammenhang mit Zöllen und von den Zollämtern zu erhebenden Abgaben unzulässig. Somit ist mit der Bestimmung des § 30a Abs. 5 FinStrG als lex posterior der Bestimmung des § 108 Abs. 1 ZollR-DG materiell derogiert. Angesichts der ausdrücklichen Erwähnung des § 108 ZollR-DG in § 30a Abs. 5 FinStrG kann auch nicht davon gesprochen werden, dass
§ 108 Abs. 1 ZollR-DG die speziellere Regelung gegenüber der Bestimmung des § 30a Abs. 5 FinStrG wäre.
Wäre lediglich der Ausschluss der strafbefreienden Wirkung einer Abgabenerhöhung oder die Anwendung des § 30a auf die von den Zollämtern zu erhebenden Abgaben beabsichtigt gewesen, so hätte dem durch eine Regelung wie etwa ‚§ 30a ist im Zusammenhang mit Zöllen und von den Zollämtern zu erhebenden Abgaben nicht anzuwenden' oder ‚§ 30a ist in Angelegenheiten des Zollrechts nicht anzuwenden' entsprochen werden können.
Somit ist ab Inkrafttreten des § 30a FinStrG, ab , die Festsetzung einer Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG unzulässig."
8 Diese Ansicht vertrat der Verwaltungsgerichtshof auch in seinen Erkenntnissen vom , 2011/16/0043 und 2011/16/0145, sowie vom , 2012/16/0002.
9 Mit dem Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012, BGBl. I Nr. 12/2013, trug der Gesetzgeber dem Rechnung und änderte § 30a Abs. 5 FinStrG, wodurch eine Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG wieder zulässig war (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , 2013/16/0132).
10 Gemäß Art. 10 Z. 29 des Abgabenänderungsgesetzes 2015 - AbgÄG 2015, BGBl. I. Nr. 163, entfiel Abs. 1 und wurde Abs. 2 des § 108 ZollR-DG neu gefasst; gemäß § 120 Abs. 1v ZollR-DG in der Fassung des AbgÄG 2015 trat § 108 ZollR-DG in der Fassung dieser Novelle mit in Kraft.
Die ErläutRV zum AbgÄG 2015, 896 BlgNR XXV. GP 28, begründen die Änderungen des Zollrechts-Durchführungsgesetzes im Allgemeinen Teil damit, künftig enthalte der durch die Verordnung (EU) Nr. 952/2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union geschaffene Zollkodex der Union auf unionsrechtlicher Ebene die grundlegenden zollrechtlichen Bestimmungen. Auch zum Zollkodex der Union sei weiterhin ein eigenes Durchführungsgesetz erforderlich, wobei das bisherige Zollrechts-Durchführungsgesetz entsprechend den geänderten Regelungen des neuen Zollkodex der Union anzupassen sei. Zu Art. 10 Z. 29 lit. a (dem Entfall des § 108 Abs. 1 ZollR-DG) führen die ErläutRV zum AbgÄG 2015 im Besonderen aus:
"Künftig ist bereits aufgrund der Bestimmung des Art. 114 Abs. 2 des Zollkodex für die Erhebung einer Zollschuld, die nicht mit dem in den in der Zollanmeldung angegebenen Abgabenbetrag übereinstimmt, die Vorschreibung von Verzugszinsen für den Zeitraum zwischen der Entstehung der Zollschuld und der Mitteilung der Zollschuld vorgesehen. Die bisher in § 108 Abs. 1 ZollR-DG enthaltene Regelung betreffend eine diesbezügliche Abgabenerhöhung soll daher ersatzlos entfallen."
11 Nach der wiedergegebenen Rechtsprechung handelte es sich bei der Bestimmung des § 30a Abs. 5 FinStrG um eine Verfahrensbestimmung, die infolge ihrer Änderung durch das zweite Abgabenänderungsgesetz 2014 im Revisionsfall ohnehin nicht von Belang ist.
Vergleichbares hat der Verwaltungsgerichtshof zur Bestimmung des § 108 Abs. 1 ZollR-DG nicht judiziert.
12 Die mit dem Abgabenänderungsgesetz 2015 erfolgte Novellierung u.a. des § 108 ZollR-DG zielt auf die Anpassung der Rechtslage an den am in Kraft getretenen Zollkodex der Union - UZK ab; dass zwischen der Aufhebung des § 108 Abs. 1 ZollR-DG und dem In-Kraft-Treten des UZK, namentlich seines Art. 114 Abs. 2, eine Legisvakanz für Abgabenerhöhungen beabsichtigt war, ist nicht ersichtlich. Im Hinblick darauf ist die Übergangsbestimmung des § 120 Abs. 1v ZollR-DG in der Fassung des AbgÄG 2015 dahingehend auszulegen, dass die Aufhebung des § 108 Abs. 1 ZollR-DG mit nur für jene Sachverhalte gelten soll, die ab diesem Zeitpunkt verwirklicht würden, jedoch § 108 Abs. 1 ZollR-DG für vor dem verwirklichte Sachverhalte seine Maßgeblichkeit behalten; mit diesem Ergebnis wird die Annahme eines unter dem Blickwinkel der Abgabenerhöhung sanktionslosen Zeitraumes bis zur vollen Wirksamkeit der entsprechenden Bestimmung des Art. 114 Abs. 2 UZK vermieden.
13 Das Bundesfinanzgericht belastete daher das angefochtene Erkenntnis durch die im Instanzenzug erfolgte Festsetzung der Abgabenerhöhung mit Null mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb das Erkenntnis im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben ist.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017160098.L00 |
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