VwGH vom 12.09.2017, Ra 2017/16/0078
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann über die Revision der Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien in 1011 Wien, Schmerlingplatz 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W176 2150820- 1/2E, betreffend Aussetzung eines Verfahrens in einer Angelegenheit der Gerichtsgebühren (mitbeteiligte Partei: Mag. CÖ in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Unbestritten ist, dass beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien ein Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters für die Mitbeteiligte anhängig ist.
2 Nachdem die Mitbeteiligte gegen den Zahlungsauftrag der Kostenbeamtin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom in ihrer Eingabe vom 21. d.M. Vorstellung erhoben hatte, sprach die Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien (die Revisionswerberin) mit Bescheid vom die Unterbrechung des Verfahrens hierüber gemäß § 38 AVG aus, weil - so die Begründung - beim Bezirksgericht Innere Stadt ein Sachwalterschaftsverfahren hinsichtlich der Mitbeteiligten anhängig sei, in dem bis dato noch nicht über die Notwendigkeit einer Sachwalterschaftsbestellung entschieden worden sei. Gemäß § 6b Abs. 1 GEG seien für das Verfahren zur Einbringung die Bestimmungen des GOG mit Ausnahme des § 91 und subsidiär das AVG anzuwenden.
3 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und hob den Bescheid vom auf.
Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Kern aus, die belangte Behörde habe mit dem angefochtenen Bescheid die Entscheidung über die Vorstellung gegen den Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) gemäß § 38 AVG ausgesetzt, und zwar - wie mit Blick auf die Bescheidbegründung zu erkennen sei - bis zum rechtskräftigen Abschluss des vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien anhängigen Verfahrens betreffen die Bestellung eines Sachwalters für die Mitbeteiligte.
Da mit der rechtzeitigen Einbringung der Vorstellung der Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) jedoch außer Kraft getreten sei und ein Verfahren über die Vorstellung bei der belangten Behörde somit nicht anhängig gewesen sei, hätte sie nicht - wie es im angefochtenen Bescheid, mit dem die Entscheidung über die Vorstellung gegen den Zahlungsauftrag und nicht etwa die Entscheidung über die Gebührenvorschreibung durch die Revisionswerberin selbst ausgesetzt werde, aber zweifellos der Fall gewesen sei - als Vorstellungsbehörde tätig werden dürfen. Es liege daher Unzuständigkeit der Revisionswerberin zur Entscheidung "als Vorstellungsbehörde" vor, die vom Verwaltungsgericht aufzugreifen sei, und zwar auch dann, wenn sie in der Beschwerde nicht gerügt werde.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision der Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, in der die Abänderung des angefochtenen Erkenntnisses dahingehend beantragt wird, dass die Beschwerde der Mitbeteiligten zurückgewiesen, in eventu, dass das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werde.
Die Revisionswerberin führt zur Zulässigkeit ihres Rechtsmittels aus, die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, wonach eine klare Rechtslage vorliege, sei zwar zutreffend, das Verwaltungsgericht habe im Revisionsfall jedoch die Rechtslage verkannt, wonach eine Vorstellung unzulässig sei, wenn es der die Vorstellung erhebenden Partei an der Handlungsfähigkeit (§ 9 AVG) fehlte und weder ein gesetzlicher Vertreter noch ein Vorsorgebevollmächtigter für diese gehandelt oder deren Handlung genehmigt habe.
Die Beantwortung der Frage der rechtlichen Wirksamkeit von Beschwerden von Personen, deren Verfahrensfähigkeit nicht abschließend geklärt sei, sei von grundsätzlicher Bedeutung und gehe über den Einzelfall hinaus.
6 Damit legte die Revision ihre Zulässigkeit dar, weshalb der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren einleitete.
7 Die Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die - zulässige - Revision erweist sich aus folgenden
Gründen als berechtigt:
9 Gegenstand des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen
Bescheides war die Aussetzung des Verfahrens über die Vorstellung der Mitbeteiligten gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Vorfrage der Prozessfähigkeit der Mitbeteiligten im Rahmen des beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien anhängigen Sachwalterschaftsverfahrens für die Mitbeteiligte.
10 Gemäß § 38 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 ist, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
11 Während sich die Revisionswerberin gemäß § 38 zweiter Satz AVG zur Beurteilung der für die Wirksamkeit der Vorstellung entscheidenden Vorfrage der Prozessfähigkeit der Mitbeteiligten zu einer Aussetzung des Verfahrens für berechtigt erachtete, sah das Verwaltungsgericht unter der Annahme einer unbedingten Wirksamkeit der Vorstellung hiezu keine Zuständigkeit der Revisionswerberin mehr.
12 Die Vorstellung im Sinn des § 57 Abs. 2 AVG iVm § 6b Abs. 1 GEG stellt als Rechtsmittel im Sinn des § 13 Abs. 2 AVG eine Verfahrenshandlung dar, die nach § 9 AVG u.a. die Fähigkeit der Partei voraussetzt, durch eigenes Handeln oder durch Handeln eines selbst gewählten (gewillkürten) Vertreters rechtswirksam Verfahrenshandlungen vor- oder entgegenzunehmen (Prozessfähigkeit, prozessuale Handlungsfähigkeit).
13 Inwieweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, ist sie gemäß § 9 AVG von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
14 Das Gerichtliche Einbringungsgesetz bestimmt im vorliegenden Zusammenhang nicht anderes.
15 Die Frage der Handlungsfähigkeit und somit auch jene der Prozessfähigkeit ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von der Behörde als Vorfrage (iSd § 38 AVG) zu beurteilen. Einen Mangel der Prozessfähigkeit hat sie in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Mangelt es einem Adressaten einer Verfahrenshandlung (insbesondere auch eines Bescheides) in Bezug auf den Verfahrensgegenstand an der Prozessfähigkeit, so geht die Verfahrenshandlung insofern ins Leere, als sie diesem Adressaten gegenüber keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Die Behörde kann diesfalls Verfahrenshandlungen rechtswirksam nur gegenüber dem gesetzlichen Vertreter setzen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. Feber 2016, Ra 2016/19/0007, mwN sowie die in Hengstschläger/Leeb, AVG I2, unter Rz 5 f zu § 9 AVG wiedergegebene weitere Judikatur).
16 Zur Beurteilung schon der Wirksamkeit der Erlassung des Zahlungsbefehls (Mandatsbescheides) vom , aber auch der dagegen erhobenen Vorstellung der Mitbeteiligten und in weiterer Folge der Beschwerde ist das Verwaltungsgericht gehalten; mangels jeglicher Feststellungen zu der in Frage stehenden prozessualen Handlungsfähigkeit der Mitbeteiligten entbehrt die Annahme des Verwaltungsgerichtes, wonach jedenfalls die Verfahrenshandlung der Vorstellung wirksam gewesen sei, einer tragfähigen Grundlage, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben ist.
Wien, am