VwGH vom 21.02.2013, 2012/13/0108
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des Ing. U in W, vertreten durch Mag. Harald Schuster, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Wickenburggasse 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0368-W/07, miterledigt RV/0369-W/07, betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer 1990 bis 1994, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Streitgegenständlich sind Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 1990 bis 1994 im Zusammenhang mit einer vom Beschwerdeführer, einem früheren Betriebsprüfer und während des Streitzeitraums in einem anderen Bereich der Bundesverwaltung tätigen Beamten, ausgeübten und 1995 beendeten Tätigkeit für Steuerberatungskanzleien. Mit dem hg. Erkenntnis vom , 2002/13/0105, auf das zur Vorgeschichte im Übrigen zu verweisen ist, hob der Verwaltungsgerichtshof den Berufungsbescheid der Finanzlandesdirektion vom wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Die Aufhebung gründete sich darauf, dass die damals zuständige Berufungsbehörde in Bezug auf ihre Schätzungsbefugnis die durch § 184 Abs. 1 BAO gestaltete Rechtslage verkannt hatte.
Nach der Zustellung des Erkenntnisses im Oktober 2006 machte der Beschwerdeführer von der Möglichkeit, gemäß § 323 Abs. 12 zweiter Halbsatz BAO für das Verfahren vor dem unabhängigen Finanzsenat die Entscheidung durch den gesamten Berufungssenat zu beantragen, innerhalb der dafür vorgesehenen Frist nicht Gebrauch. Der Vorsitzende des zuständigen Senates erklärte sich, wie aus dem nunmehr angefochtenen Bescheid, der Gegenschrift und deren Beilagen hervorgeht, im März 2007 für befangen. Seine Vertreterin nahm die Bestellung eines hauptberuflichen Mitglieds der belangten Behörde zur Referentin vor.
Die Referentin kündigte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom für den die "Durchführung eines Augenscheins des Arbeitszimmers bzw. ehemaligen Arbeitszimmers" an, wogegen sich der Beschwerdeführer u.a. mit dem Hinweis auf die Einstellung der verfahrensgegenständlichen Tätigkeit im Jahr 1995 und seither vorgenommene Renovierungen und Umbauten in seiner Wohnung aussprach. Er ersuchte "um Einhaltung des Rechtsfriedens und um Unterlassung einer weiteren Nachschau" und vertrat in dieser Eingabe auch die Ansicht, in Bezug auf die Abgaben für die Jahre 1990 bis 1994 sei absolute Verjährung eingetreten.
Mit Schreiben vom lud die Referentin den Beschwerdeführer für Freitag, den , zur mündlichen Berufungsverhandlung um 9.00 Uhr, wobei aus den vorgelegten Akten hervorgeht, dass der Saal dafür "bis 14.00 Uhr gebucht" war.
In dieser Vorladung wurde der Beschwerdeführer auch aufgefordert, bis längstens Beweismittel vorzulegen und Fragen zu beantworten, die sich u.a. auf eine bisher nicht angenommene Erzielung von Einkünften durch musikalische Aktivitäten des Beschwerdeführers bezogen.
Der Beschwerdeführer antwortete darauf mit einem Schriftsatz vom , in dem er um "Überlassung der Grundlagen" für die - seinen Ausführungen zufolge nicht richtige - Annahme einer solchen Einkunftsquelle ersuchte und erklärte, die Referentin für den Fall der Grundlosigkeit der Annahme, er habe Einkünfte aus einer solchen Tätigkeit erzielt und nicht angegeben, wegen Befangenheit abzulehnen.
Auf dieses Schreiben reagierte die Referentin mit einem Schreiben vom , das sie dem Beschwerdeführer noch am selben Tag an seinem Arbeitsplatz zustellen ließ. Auf welcher Grundlage sie ihn mit dem Schreiben vom zur "Bekanntgabe von Jahresumsatz und Vorsteuern sowie Betriebseinnahmen und -ausgaben" aus musikalischen Tätigkeiten in den Jahren 1990 bis 1994 sowie zur Vorlage der "Belege und steuerlichen Aufzeichnungen dazu" aufgefordert hatte, teilte sie ihm in diesem Schreiben nicht mit.
Mit Schreiben vom Montag, dem , erklärte der Beschwerdeführer daraufhin, die Referentin gemäß § 278 Abs. 1 in Verbindung mit § 76 Abs. 1 lit. c BAO wegen Befangenheit abzulehnen. Er beantragte, die Vertretung der Referentin durch ein unbefangenes Mitglied der belangten Behörde zu veranlassen und die anberaumte Verhandlung "bis zur Entscheidungsreife" zu verschieben. Zur Begründung der nun geltend gemachten Befangenheit legte er u.a. dar, die "Aufstellung von Behauptungen einer zusätzlichen steuerpflichtigen Tätigkeit" auf musikalischem Gebiet könne er sich nur damit erklären, dass der Vorsitzende des Berufungssenates sein Wohnungsnachbar und Verfahrensgegner in verschiedenen Zivilverfahren sei und vielleicht in einem Gespräch mit der Referentin auf das musikalische Hobby des Beschwerdeführers hingewiesen habe. Dies würde auch erklären, warum ihm die Referentin die Grundlagen ihrer Behauptung vorenthalte. Möglicherweise störe das Hobby des Beschwerdeführers den Senatsvorsitzenden. Nur er als sein Wohnungsnachbar könne davon Kenntnis haben, und offenbar lägen Anfeindungen vor, die eine objektive Entscheidung durch Senatsmitglieder wie die Referentin nicht mehr zuließen. Sein Ablehnungsantrag beziehe sich auch auf den Vorsitzenden - von dessen Befangenheitsanzeige von 2007 der Beschwerdeführer nichts wusste - und auf nicht namentlich bezeichnete weitere Mitglieder des Senates, die dem Vorsitzenden "zugeteilt" und schon am Fall beteiligt gewesen seien.
Der Beschwerdeführer gab diesen Ablehnungsantrag am Dienstag, dem , vormittags in zwei unterschriebenen Ausfertigungen in Wien zur Post, wobei er auf den beiden mit derselben Adresse in Wien versehenen Kuverts den Empfänger einmal als unabhängigen Finanzsenat, Außenstelle Wien, mit Angabe des Senats, zu Handen der Referentin, und einmal als "Abgabenbehörde II. Instanz (Unabhängiger Berufungssenat)" bezeichnete. Bei der belangten Behörde wurde die erste dieser Ausfertigungen mit dem Eingangsstempel vom Donnerstag, dem , die zweite mit dem Eingangsstempel vom , dem Tag der Verhandlung, versehen.
Die Niederschrift über die Verhandlung am , bei der außer der Referentin und einer Schriftführerin ein Vertreter des Finanzamts zugegen war, führt als Dauer der Verhandlung den Zeitraum von 9.30 bis 12.05 Uhr an und beginnt mit der Feststellung, der Beschwerdeführer sei bis 9.20 Uhr nicht erschienen. Daraufhin sei die Referentin in ihr Zimmer gegangen, wo sie "in der Post" den am eingelangten Ablehnungsantrag vom vorgefunden habe. Die Geschäftsverteilung der belangten Behörde sehe vor, dass über Ablehnungsanträge, "die unmittelbar vor der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt werden und eine rechtzeitige Entscheidung durch das nach Pkt. 3.2.8.1. zuständige Organ (d.h. bei Ablehnung eines hauptberuflichen Mitglieds durch den Vorsitzenden des Berufungssenates, siehe unten) nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist", das für die Sachentscheidung zuständige Organ entscheide. Es ergehe die "Entscheidung: Der Ablehnungsantrag wird abgewiesen. Die Begründung ist der nachfolgenden Berufungsentscheidung zu entnehmen." Die Berufungsentscheidung selbst wurde der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten.
Mit dem angefochtenen, im September 2012 ausgefertigten Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen des Beschwerdeführers in der Sache nur teilweise Folge, wobei sie sich mit den ursprünglichen Streitpunkten des Berufungsverfahrens auseinandersetzte und den Beschwerdeführer an einer Stelle der Bescheidbegründung als Hobbymusiker und Komponisten bezeichnete, der daraus im Streitzeitraum aber keine steuerlich relevanten Einkünfte erzielt habe.
Der angefochtene Bescheid enthält in den Entscheidungsgründen auf Seite 22 bis 26 auch eine Ausfertigung der Entscheidung (Spruch und Begründung) über den Ablehnungsantrag des Beschwerdeführers. Zur diesbezüglichen Zuständigkeit der Referentin wird ausgeführt, der am zur Post gegebene und am bei der belangten Behörde eingelangte Antrag sei "unmittelbar vor der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt" worden und eine Entscheidung durch die Vertreterin des befangenen Vorsitzenden sei aus diesem Grund ("Da der Ablehnungsantrag unmittelbar vor der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt wurde") nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich gewesen. Über den Antrag habe daher die Referentin abzusprechen gehabt. Inhaltlich wird dem Ablehnungsantrag, soweit er die Behauptung nicht erklärter Einnahmen aus einer musikalischen Tätigkeit betrifft, entgegengehalten, diese Tätigkeit des Beschwerdeführers sei "bereits aus dem Akt ersichtlich" gewesen. "Somit" sei es auf Grund der Ermittlungspflichten der Berufungsbehörde "geboten" gewesen, vor der Verhandlung "abzuklären, ob hieraus allenfalls steuerlich relevante Einkünfte geflossen sind". Dass daraus keine Befangenheit der Referentin abgeleitet werden könne, sei schon daraus ersichtlich, dass in der Sachentscheidung "keine Einkünfte aus dieser Tätigkeit zum Ansatz gekommen" seien. Auf die vom Beschwerdeführer vermutete Involvierung des Vorsitzenden im Vorfeld der Aufforderung, "Jahresumsatz und Vorsteuern sowie Betriebseinnahmen und -ausgaben" aus einer Tätigkeit bekanntzugeben, deren Steuerbemessungsgrundlagen "bisher nicht erklärt" worden seien, wird im angefochtenen Bescheid nicht eingegangen und der Beschwerdeführer nur insoweit, als sich die Ablehnung auch gegen den Vorsitzenden richtete, auf dessen Befangenheitsanzeige und Vertretung verwiesen.
Welche Aktenteile zu der erwähnten Aufforderung Anlass gegeben hätten, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor. Die Gegenschrift verweist dazu auf eine Eingabe des Beschwerdeführers vom April 1998, in der er seine 1981 erfolgte steuerliche Erfassung "als Autor, Musiker und Komponist" erwähnte, die ab dem Jahr 1987 zu keiner Veranlagung mehr geführt habe. Darüber hinaus heißt es in der Gegenschrift noch, die Referentin habe den Beschwerdeführer "gegoogelt", wozu auf Internet-Ausdrucke vom Juli 2011 verwiesen wird, und die "Bezichtigung" des Vorsitzenden durch den Beschwerdeführer "grenze zumindest" an "Rufschädigung".
Mit der vorliegenden Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer u.a. gegen die Art der Behandlung seines Ablehnungsantrages und gegen die Erlassung der Berufungsentscheidung durch eine unzuständige Behörde, wobei er nun die Auffassung zu vertreten scheint, in seiner Angelegenheit hätte überhaupt nicht mehr durch die Außenstelle Wien der belangten Behörde entschieden werden dürfen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Organe der Abgabenbehörden haben sich gemäß § 76 Abs. 1 BAO u. a. dann der Ausübung ihres Amtes wegen Befangenheit zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn es sich um ihre eigenen Abgabenangelegenheiten oder um jene eines ihrer Angehörigen oder Pflegebefohlenen handelt (lit. a), wenn sie als Vertreter einer Partei bestellt sind oder waren (lit. b) oder wenn "sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen" (lit. c).
Im Verfahren vor der belangten Behörde steht den Parteien gemäß § 278 Abs. 1 BAO das mit dem Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002, eingeführte "Recht zu, ein Mitglied des Berufungssenates mit der Begründung abzulehnen, dass einer der im § 76 Abs. 1 aufgezählten Befangenheitsgründe vorliegt". Gemäß § 278 Abs. 3 BAO sind Ablehnungsanträge bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen und die Gründe für die Ablehnung glaubhaft zu machen.
Die Geschäftsverteilung der belangten Behörde hat nach § 270 Abs. 2 zweiter Satz BAO "zu regeln, wem die Entscheidung über Ablehnungsanträge (§ 278) obliegt". Die im Zeitpunkt des Ablehnungsantrages des Beschwerdeführers maßgebliche Fassung der Geschäftsverteilung sah - wie auch die derzeit gültige - in Punkt
3.2.8.1 die Zuständigkeit des Vorsitzenden des Berufungssenates zur Entscheidung über Ablehnungsanträge gegen hauptberufliche Mitglieder vor. Über die Ablehnung des Vorsitzenden des Berufungssenates hatte (und hat) der Landessenatsvorsitzende zu entscheiden.
Punkt 3.2.8.2 der Geschäftsverteilung lautete (und lautet):
"Über Ablehnungsanträge (§ 278 BAO) die während der mündlichen Berufungsverhandlung (§ 284 BAO) eingebracht werden, entscheidet das für die Sachentscheidung zuständige Organ (Referent bzw. gesamter Berufungssenat). Gleiches gilt für Ablehnungsanträge, die unmittelbar vor der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt werden und eine rechtzeitige Entscheidung durch das nach Punkt 3.2.8.1 zuständige Organ nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist."
Im Bericht des Finanzausschusses zum Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz heißt es zu § 278 BAO, zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens im Sinn des Art. 6 Abs. 1 MRK gehöre u.a. die Möglichkeit der Ablehnung von Mitgliedern des Tribunals. Daher werde das Recht, Mitglieder der Berufungssenate wegen Vorliegens von Befangenheitsgründen (§ 76 Abs. 1 BAO) abzulehnen, vorgesehen. Die Entscheidung über den Ablehnungsantrag sei eine verfahrensleitende Verfügung im Sinn des § 94 BAO, der betreffende Bescheid daher nicht abgesondert anfechtbar (1128 BlgNR 21. GP 12 in Übernahme von Ausführungen aus der Begründung des Antrags 666/A BlgNR 21. GP).
Im vorliegenden Fall kann der Ansicht der belangten Behörde, der im Schreiben vom vorangekündigte, am zur Post gegebene und am Vortag der Verhandlung mit einem Eingangsstempel versehene Ablehnungsantrag sei im Sinne der zitierten Bestimmung der Geschäftsverteilung "unmittelbar vor der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt" worden, nicht gefolgt werden. Die abgelehnte Referentin war zu seiner Erledigung daher nicht zuständig. Davon abgesehen sieht die Geschäftsverteilung für Anträge, die "unmittelbar" vor der Verhandlung gestellt werden, eine Prüfung der Frage vor, ob das nach Punkt 3.2.8.1 der Geschäftsverteilung zuständige Organ noch "ohne ungebührliche Verzögerung" der Verhandlung befasst werden kann. Dass und weshalb die Verzögerung im vorliegenden Fall - trotz Anberaumung der Verhandlung, zu der keine Zeugen oder Sachverständigen geladen waren, für den ganzen Vormittag und Ausfertigung der Entscheidung erst im September - nicht hinnehmbar gewesen wäre, ist unbegründet geblieben, worauf es aber nicht mehr ankommt.
Die Unzuständigkeit der Referentin zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag nach § 278 Abs. 1 BAO schlägt nach der durch das Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz geschaffenen Rechtslage auf die Sachentscheidung durch, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war.
Ob die behauptete Befangenheit vorlag, ist dafür nicht ausschlaggebend, wobei im vorliegenden Fall aber anzumerken ist, dass ein Anschein der Befangenheit aus der Sicht der Partei wohl bestehen konnte und die Ausführungen in der Gegenschrift nicht geeignet sind, ihn abzuschwächen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am