VwGH vom 21.10.2015, 2012/13/0097
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fries, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Nikolaus, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 1130 Wien, St. Veit-Gasse 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0327-W/08, miterledigt RV/0326-W/08, betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2002 bis 2004, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer betrieb im Streitzeitraum 2002 bis 2004 ein Taxiunternehmen.
Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung dieser Jahre wurde u.a. festgestellt, der Beschwerdeführer habe die Grundaufzeichnungen lediglich mit Bleistift geführt und würden diese nur den Tag, die Kilometeranzahl pro Tag und die Tageslosung umfassen. Weiters sei zu Jahresbeginn jeweils der Tachostand notiert worden. Im Übrigen seien Mehrfachlosungen in gehäufter Form festzustellen. Mangels Aufzeichnung der Einzelfahrterlöse könne nicht nachvollzogen werden, wie lange eine durchschnittliche Taxifahrt dauere. Der Schätzung seien daher die Durchschnittswerte der Taxiinnung für Wien zugrunde zu legen. Danach betrage die durchschnittliche Taxifahrt 5 Kilometer. Der Anteil der Standplatz- bzw. Mobiltelefonfahrten sei unter Berücksichtigung, dass keine Funkfahrten durchgeführt worden seien, mit 90% festzulegen. Der Anteil der Leerfahrten werde mit 40% angesetzt und seien damit die betrieblichen, nicht operativen Fahrten, wie z.B. die Fahrten zum Standplatz, zur Tankstelle, zur Autoreparatur etc., erfasst. Weiters sei von zwei Wartezeiten pro gefahrenem Kilometer auszugehen. Unter Zugrundelegung dieser Parameter ergebe sich ein durchschnittlicher Kilometerertrag von EUR 1,19 für das Jahr 2002 und (aufgrund einer Erhöhung der Grundtaxe) von EUR 1,25 für das Jahr 2004. Für das Jahr 2003 werde ein durchschnittlicher Kilometerertrag von EUR 1,21 angenommen. Da diese Kilometererträge wesentlich von den erklärten Kilometererträgen (EUR 0,78 für 2002, EUR 0,79 für 2003 und 2004) abweichen würden, seien die Umsätze aufgrund der bestehenden Aufzeichnungsmängel im Schätzungswege gemäß § 184 BAO zu ermitteln. Unter Berücksichtigung eines Privatanteils von 17% ergebe sich eine Differenz zwischen den erklärten und den kalkulierten Umsätzen in Höhe von EUR 6.104,-- für das Jahr 2002, EUR 5.899,-- für das Jahr 2003 und EUR 5.267,-- für das Jahr 2004.
Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und setzte nach Wiederaufnahme der Verfahren mit Bescheiden vom die Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2002 bis 2004 (neu) fest.
In der dagegen erhobenen Berufung vom brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, die kalkulatorische Verprobung der erklärten Erlöse sei fehlerhaft, weil sie die individuellen Verhältnisse der betrieblichen Tätigkeit des Beschwerdeführers nicht hinreichend berücksichtige. So beginne dieser seine Tätigkeit stets an einem näher genannten Taxistandplatz in Wien. Er kehre nach Ende der Besetztfahrt mit einem Kunden regelmäßig im Rahmen einer Leerfahrt zu diesem Standplatz zurück, sodass der Anteil der Leerfahrten mit 50% anzusetzen sei. Die durchschnittliche Taxifahrt des Beschwerdeführers sei jene vom Standplatz ins Zentrum von Wien, etwa zur Wiener Staatsoper, und betrage 6,5 Kilometer. Dies entspreche auch einer Auswertung der Statistik Austria, wonach die durchschnittliche Länge einer Taxifahrt im Jahr 1999 6,3 Kilometer betragen habe. Da der Beschwerdeführer nur wochentags von 14 bis 18 Uhr und damit in einer verkehrsarmen Zeit arbeite, sei lediglich von vier Wartezeiten pro Taxifahrt auszugehen. Der Anteil der telefonisch beauftragten Taxifahrten betrage höchstens 5%. Auch führe der Beschwerdeführer keine Funkfahrten durch. Unter Zugrundelegung dieser Parameter ergebe sich ein kalkulatorischer Kilometerertrag von EUR 0,71 für die Zeit bis zum und (aufgrund der Erhöhung der Grundtaxe) von EUR 0,75 für die Zeit ab . Da der sich aus den Grundaufzeichnungen ergebende durchschnittliche Kilometerertrag jedenfalls über dem kalkulatorisch ermittelten Kilometerertrag liege, bestehe kein Anlass dafür, die materielle Richtigkeit der Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen. Darüber hinaus seien von der Gesamtjahreskilometerleistung neben den Privatfahrten auch Leerfahrten für Betankung, Reparaturen, Fahrten vom Wohnort zum Standplatz etc. in Abzug zu bringen. Im Übrigen sei eine formelle Mangelhaftigkeit der Grundaufzeichnungen nicht gegeben.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers teilweise Folge und reduzierte den "Zuschlag Telefon" in der Kalkulation von 90% auf 50%. Mangels Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen sei die Schätzungsberechtigung jedenfalls dem Grunde nach gegeben. Die Ermittlung der Tageslosung lasse sich mangels Aufzeichnung der einzelnen Fahrten nicht nachvollziehen. Auch wenn der Beschwerdeführer vorbringe, die Losungsermittlung sei mittels Kassasturz erfolgt, sei diese nicht überprüfbar, fehle es doch an entsprechenden Aufzeichnungen der Tagesanfangs- und Endbestände sowie der Privatentnahmen. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer nicht bestritten, dass die Eintragungen mit Bleistift erfolgt seien und somit jederzeit geändert werden könnten. Dieses Bild werde durch die Häufigkeit der von der Betriebsprüfung festgestellten Mehrfachlosungen abgerundet.
Hinsichtlich der Höhe der Schätzung führte die belangte Behörde unter Verweis auf die Stellungnahme der Betriebsprüfung zur Berufung des Beschwerdeführers aus, ein "Vorsteher" der Taxiinnung Wien habe in einem Zeitungsartikel vom die Länge einer Durchschnittsfahrt für Wien mit 4,5 Kilometer angegeben. Laut Statistik Austria betrage die durchschnittliche Länge einer Taxifahrt 6,3 Kilometer. Der von der Betriebsprüfung angesetzte Durchschnittswert sei daher durchaus realistisch und entspreche eher den tatsächlichen Verhältnissen als der vom Beschwerdeführer angegebene Wert von 6,5 Kilometer. Weiters sei es nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer nach jeder Besetztfahrt wieder an seinen ursprünglichen Standplatz zurückkehre und hauptsächlich von diesem aus zur Oper in die Innenstadt fahre. Dies folge schon daraus, dass unter Zugrundelegung der Annahmen des Beschwerdeführers nicht einmal die von ihm erklärten Erlöse erzielbar wären. Da der Beschwerdeführer nach seinen Angaben nur zwischen 14 und 18 Uhr arbeite, könne er maximal fünf Fahrten pro Tag von seinem Standplatz zur Oper und zurück durchführen. Unter Annahme einer Fahrtstrecke von 6,5 Kilometer und dem vom Beschwerdeführer ermittelten Kilometerertrag von EUR 0,71 (bis ) bzw. von EUR 0,75 (ab ) sei ein Tageserlös von EUR 23,075 bzw. EUR 24,375 erzielbar. Die vom Beschwerdeführer erklärten Erlöse würden zum Großteil über diesen Werten liegen, woraus zu schließen sei, dass die vom Beschwerdeführer angegebene durchschnittliche Fahrtstrecke von 6,5 Kilometer sowie der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach jeder Besetztfahrt wieder zu seinem ursprünglichen Standplatz zurückkehre, nicht zutreffen könnten. Auch sei nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer keine Funkfahrten durchführe, ergebe sich dies doch schon aus seinen eigenen Angaben, wonach jede zwanzigste Taxifahrt eine Funkfahrt sei. Da ein Anteil von 5% nicht realistisch sei, werde der Anteil der Funkfahrten mit 50% geschätzt. Der Anteil an Leerfahrten in Höhe von 40% sei durchaus plausibel, da der Beschwerdeführer nur Tagfahrten durchführe und die vom Beschwerdeführer angeführte Diplomarbeit sowie der darauf bezugnehmende Schriftsatz der Fachgruppe Wien für das Beförderungsgewerbe unter Ansatz von Tag- und Nachtfahrten von einem Leerfahrtenanteil von zumindest 46,58% ausgehen würden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen, wobei alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar ihre Schätzungsbefugnis mangels formeller Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen dem Grunde nach bejaht. Dem wird in der Beschwerde auch nicht mehr substantiiert entgegen getreten.
Ist eine Schätzung zulässig, so steht die Wahl der anzuwendenden Schätzungsmethode der Abgabenbehörde im Allgemeinen frei, doch muss das Schätzungsverfahren einwandfrei abgeführt werden, müssen die zum Schätzungsergebnis führenden Gedankengänge schlüssig und folgerichtig sein und muss das Ergebnis, das in der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen besteht, mit der Lebenserfahrung im Einklang stehen. Das gewählte Verfahren muss stets auf das Ziel gerichtet sein, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, welche die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Hiebei muss die Behörde im Rahmen des Schätzungsverfahrens auf alle vom Abgabepflichtigen substantiiert vorgetragenen, für die Schätzung relevanten Behauptungen eingehen (vgl. die Erkenntnisse vom , 2010/15/0088, 0089, mwN, und vom , 2010/13/0016). Die Begründung muss in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom , 2007/15/0226, mwN).
Die Begründung des angefochtenen Bescheids hält diesen Anforderungen an eine Bescheidbegründung nicht in Bezug auf alle der Ermittlung des Kilometerertrags zugrunde gelegten Parameter stand:
So rügt die Beschwerde zu Recht, dass die von der belangten Behörde vorgenommene kalkulatorische Verprobung der erklärten Erlöse fehlerhaft sei, hat die belangte Behörde doch nicht berücksichtigt, dass auch für die leere Rückfahrt zum Standplatz der vom Beschwerdeführer für die Gesamtstrecke einschließlich der Rückfahrt ermittelte Kilometerertrag anzusetzen gewesen wäre. Dieser Fehler ist - entgegen dem Vorbringen der belangten Behörde in der Gegenschrift - aber auch nicht unbeachtlich, spricht sie doch gerade mit der Begründung, dass unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers nicht einmal die von ihm selbst erklärten Erlöse erzielbar wären, dem Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach dieser grundsätzlich nach jeder Fahrt an seinen Standplatz zurückkehre und seine durchschnittliche Fahrtstrecke 6,5 Kilometer betrage, die Glaubwürdigkeit ab.
Auch ist die Begründung der belangten Behörde für die Annahme eines Anteils der Funkfahrten in Höhe von 50% nicht tragfähig. Die belangte Behörde erachtet das Vorbringen des Beschwerdeführers, keine Funkfahrten durchzuführen, als nicht glaubwürdig, habe dieser doch selbst angegeben, dass jede zwanzigste Taxifahrt eine Funkfahrt sei. Dem hält der Beschwerdeführer zu Recht entgegen, dass im erstinstanzlichen Verfahren nur der Anteil der über Mobiltelefon oder Standplatztelefon beauftragten Taxifahrten strittig gewesen sei und er dazu stets vorgebracht habe, dass sich dieser Anteil lediglich auf 5% belaufe (die belangte Behörde habe solcherart "Funkfahrten" mit über Mobiltelefon oder Standplatztelefon beauftragten Taxifahrten schlichtweg verwechselt).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am