VwGH 16.09.2015, 2012/13/0070
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des DI S in W, vertreten durch die Proksch & Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Nibelungengasse 11/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/1652-W/06, miterledigt RV/1653-W/06, betreffend Wiederaufnahme und Einkommensteuer für das Jahr 2002, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In seiner im Oktober 2003 beim Finanzamt eingelangten Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 erklärte der Beschwerdeführer W. S. u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die er von der W. S. GmbH - nach einer Beilage zur Einkommensteuererklärung als Geschäftsführer dieser GmbH - bezogen hatte. Eine von der V. GmbH in Deutschland empfangene Zahlung führte er in der Einkommensteuererklärung nicht an.
Im August 2002 hatte der Beschwerdeführer einen Betrag von EUR 5.354,79 an das Finanzamt überwiesen, wobei er im Überweisungsbeleg als Abgabenart "L" und als Zeitraum "07/02" angeführt hatte. Von diesem Überweisungsbeleg legte er im Verfahren vor der belangten Behörde eine Kopie vor, in der der Beleg u.a. die beiden Vermerke "fällig bis 16.8." und "für Abfertigung (...) EUR 89.246,58" trug. In dem begleitenden Schriftsatz erstattete er dazu das Vorbringen, dem Beleg sei u.a. "der Abfertigungsbetrag selbst" zu entnehmen.
Die von der belangten Behörde vom Finanzamt beigeschaffte, in den vorgelegten Akten enthaltene Kopie des beim Finanzamt aufliegenden Belegabschnittes weist die beiden Vermerke nicht auf. Das Finanzamt verbuchte die Zahlung am als "Zahlung mit Verrechnungsweisung Lohnsteuer 07/2002".
Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für das Jahr 2002 auf der Grundlage der in der Einkommensteuererklärung angeführten Einkünfte des Beschwerdeführers fest.
Im Bericht vom über eine bei der W. S. GmbH durchgeführte Außenprüfung wurde u.a. Folgendes festgestellt:
"Im Jahr 2002 ging auf der Bank ein Betrag von EUR 89.476,08 (zu ergänzen: ein). Vom Abgpfl. wurde erklärt, dass es sich um eine Abfertigung aus der Tätigkeit vom ehemaligen Einzelunternehmen aus den Jahren 1981-1991 handelt. Der Kundenstock des Einzelunternehmens wurde ab 1992 an die neugegründete '(W. S. GmbH)' verpachtet. Der Betrag von EUR 89.476,08 wurde von der Fa. (V. GmbH) auf das Konto der (W. S. GmbH) überwiesen. Der oben angeführte Betrag wurde erlösmäßig in der GmbH nicht erfasst. Dies stellt lt. Ansicht der Bp eine verdeckte Gewinnausschüttung dar."
Im Berufungsverfahren betreffend den auf der Grundlage dieses Berichts erlassenen Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 2002 machte die W. S. GmbH geltend, es habe sich um eine Zahlung an W. S. persönlich und bei der GmbH demnach um Fremdgeld gehandelt. Vorgelegt wurden dazu u.a. ein "Vertreter-Vertrag" aus dem Jahr 1981 zwischen W. S. und der deutschen GmbH und ein Schreiben des Rechtsvertreters von W. S. aus dem Jahr 1992, in dem im Zusammenhang mit der Gründung der W. S. GmbH und der Regelung der Verhältnisse zwischen ihr und W. S. zum Inhalt des Vertrages von 1981 Stellung genommen und die Rechtsauffassung vertreten wurde, es liege "ein verdecktes Angestelltenverhältnis" vor, woraus sich ein Abfertigungsanspruch ergebe.
Mit Bescheiden vom verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer des Beschwerdeführers für das Jahr 2002 und setzte die Einkommensteuer unter Einbeziehung der Zahlung der V. GmbH als Einkünfte aus Gewerbebetrieb neu fest. Die gesonderte Begründung dazu begann mit allgemeinen Ausführungen über die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Dienstverhältnisses und die diesbezüglichen Abgrenzungsschwierigkeiten speziell bei Handelsagenten. Fallbezogen wurde dargelegt, vier Punkte des Vertrages von 1981 sprächen - entgegen der im Schreiben des Rechtsvertreters aus dem Jahr 1992 zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht - gegen das Vorliegen eines Dienstverhältnisses. Da kein Dienstverhältnis vorgelegen habe, komme eine begünstigte Besteuerung gemäß § 67 Abs. 3 EStG 1988 nicht in Betracht. Es müsse dem "Verhandlungsgeschick" des Beschwerdeführers "zugesprochen werden", dass er von der V. GmbH "eine freiwillige Zahlung - aus welchem Titel auch immer" erhalten habe. Diese "nach Einstellung des Betriebes eingegangene Zahlung" sei als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb anzusetzen. Zur Wiederaufnahme wurde weiters dargelegt, "im Zuge der BP" bei der W. S. GmbH sei "festgestellt" worden, "dass im Jahr 2002 eine 'Abfertigungszahlung' iHv EUR 89.476,08 von der dt. Fa. (V. GmbH) auf das Konto der (W. S. GmbH) geflossen" und "bisher nicht versteuert" worden sei.
Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer in zwei getrennten Schriftsätzen vom Berufung. Er bezog sich darauf, dass dem Finanzamt das "Rechtsgutachten" aus dem Jahr 1992 vorliege, das Finanzamt die auf dieser rechtlichen Würdigung beruhende Lohnsteuerzahlung entgegengenommen habe und der nunmehrige "Wunsch nach rechtlicher Umwürdigung" kein Grund für eine Wiederaufnahme sei. Es sei "NICHTS neu hervorgekommen". Dem neuen Einkommensteuerbescheid hielt er auch entgegen, im Falle des Vorliegens von Einkünften aus Gewerbebetrieb wäre ein Ausgabenpauschale abzuziehen und die schon geleistete Zahlung dürfe (gemeint offenbar: bei der Abgabenfestsetzung) nicht "unberücksichtigt" bleiben.
Zu diesen Berufungen legte der Beschwerdeführer ein mit datiertes Schreiben der V. GmbH vor, in dem diese u. a. darlegte, der Beschwerdeführer sei "gemäß den vertraglichen Bestimmungen weisungsgebunden und zur persönlichen Erbringung der Dienste verpflichtet" gewesen. Die "Zahlung der Abfertigung" habe seine "jahrzehntelangen treuen Dienste belohnen" sollen. Für den Fall einer nunmehrigen Besteuerung des Betrages fordere ihn die V. GmbH zurück, womit "gewährleistet" sei, "dass bei Ihnen keine Besteuerungsgrundlage erhalten ist".
In einem Ergänzungsschriftsatz vom , in dem er - verspätet - die Anordnung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragte, brachte der Beschwerdeführer auch vor, er sei "unmissverständlich" zur persönlichen Dienstleistung verpflichtet und weisungsgebunden gewesen, was in dem vorgelegten Schreiben der V. GmbH "einmal mehr klargestellt" worden sei. In Anbetracht der weiters angekündigten Rückforderung mit der Folge von Werbungskosten im Jahr der Rückzahlung sei zu erwägen, ob "man nicht rechtspolitisch doch eher der Berufung Folge geben" solle.
Im Anschluss an ein Telefonat am legte der Vertreter des Beschwerdeführers schließlich der belangten Behörde die schon erwähnte Kopie des Beleges vom August 2002 vor, dem u.a. "der Abfertigungsbetrag selbst" zu entnehmen sei. "In merito" verwies er in diesem Schriftsatz "nochmals darauf", dass der Beschwerdeführer "nach dem abgeschlossenen Vertrag rechtlich als Dienstnehmer zu werten" gewesen sei, "der die Hälfte seiner Arbeitszeit, sprich 20 Wochenstunden, für den Dienstgeber zu erbringen hatte und außerdem selbst zur Erbringung der Dienstleistungen verpflichtet war; er durfte sich sohin nicht bei Erbringung von Dienstleistungen vertreten lassen. Das war und ist nach der ständigen Judikatur der österreichischen Gerichte ein typisches Dienstverhältnis, das hier abgefertigt wurde".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufungen als unbegründet ab. Die Begründung dafür begann mit einer Wiedergabe der Begründung der Bescheide des Finanzamts vom (Seiten 2 bis 4 des angefochtenen Bescheides). Es folgten eine verkürzte Darstellung des Vorbringens in den beiden Berufungen mit Erwähnung des Umstandes, dass als Beweis ein Schreiben der V. GmbH beigelegt worden sei, sowie - unter Auslassung des Schriftsatzes vom - des Schreibens vom ohne Erwähnung des darin enthaltenen Vorbringens, die Abfertigung und ihre Höhe seien auf dem Einzahlungsschein angeführt worden.
In ihren Erwägungen legte die belangte Behörde zur Wiederaufnahme dar, "erst im Zuge der Betriebsprüfung" (bei der W. S. GmbH) habe sich "herausgestellt", "dass der Bw. die von der Fa. (V. GmbH) erhaltene Abfertigung nicht in seiner Steuererklärung bekannt gegeben hat", was eine neu hervorgekommene Tatsache sei und die Wiederaufnahme rechtfertige. Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, "dass die Abgabenbehörde im Jahr 2002 seine als Lohnsteuer 7/2002 deklarierte Zahlung entgegengenommen und damit akzeptiert habe", so sei dem entgegenzuhalten, "dass die Titulierung einer Zahlung durch den Zahlungsverpflichteten keine für das Finanzamt rechtlich verbindliche Aussage darstellt".
Die Erwägungen zum Vorliegen gewerblicher Einkünfte lauten im angefochtenen Bescheid wie folgt:
"Die Betriebsprüfung (gemeint: das Finanzamt) hat festgestellt, dass der Bw. kein nichtselbständiges Dienstverhältnis zu der Fa. (V. GmbH) hatte. Aufgrund der oben ausführlich dargestellten Ausführungen (gemeint: des Finanzamts in der Begründung der Bescheide vom ) schließt sich der UFS der Ansicht der Betriebsprüfung (gemeint: des Finanzamts) an, dass der Bw. seine Tätigkeit selbständig ausgeüb(t) hat und daher gewerbliche Einkünfte vorliegen.
Die Folge dieser Beurteilung ist, dass auch die berufungsgegenständliche Zahlung keine, für eine nichtselbständige Tätigkeit ausbezahlte Abfertigung ist. Darüber hinaus waren (sind) auch im Vertretervertrag (§ 10) (Anmerkung: eine der vier vom Finanzamt angeführten Vertragsbestimmungen) keinerlei Ansprüche bei Beendigung des Vertragsverhältnisses festgeschrieben.
Da kein Dienstverhältnis vorgelegen hat, kann auch die begünstigte Besteuerung der 'Abfertigung' nach § 67 Abs. 3 EStG nicht Platz greifen.
Daran ändert auch die mit Datum beim Finanzamt mit Verrechnungsweisung 'Lohnsteuer 7/2002' eingelangte Zahlung in Höhe von EUR 5.354,(7)9 nichts. Die Titulierung einer Zahlung durch den Steuerpflichtigen führt nämlich nicht dazu eine rechtlich verbindliche Abgabenart herbeizuführen."
In zwei weiteren, die Erwägungen abschließenden Absätzen legte die belangte Behörde dar, dass ein Ausgabenpauschale "bei einer Abfertigungszahlung" nicht in Betracht komme und das Vorbringen des Beschwerdeführers, die V. GmbH werde die Abfertigung im Falle ihrer Besteuerung zurückfordern, ohne Einfluss auf die rechtliche Beurteilung sei.
Schließlich begründete die belangte Behörde noch das Unterbleiben einer mündlichen Berufungsverhandlung, wobei sie (nur) in diesem Zusammenhang auf den Schriftsatz vom Bezug nahm.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof unter Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 397/12-4, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene und vom Beschwerdeführer für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ergänzte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer an dem Vorbringen festhält, bei Veranlagung des Beschwerdeführers (mit dem Bescheid vom ) sei das Finanzamt "in Kenntnis" der "im Verwendungszweck der Überweisung" angeführten "Abfertigung" gewesen. Geltend gemacht wird u.a. auch, die belangte Behörde sei nicht auf das im Berufungsverfahren erstattete Vorbringen und das zum Beweis vorgelegte Schreiben der V. GmbH eingegangen.
Die belangte Behörde verweist dazu in ihrer Gegenschrift "auf die Ausführungen im Begründungsteil des angefochtenen Bescheides" und hält der Behauptung, die Abfertigung sei auf dem Zahlungsbeleg angeführt worden, nun entgegen, der Vermerk darüber sei auf dem beim Finanzamt aufliegenden Zahlungsabschnitt nicht enthalten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung eines Abgabenbescheides in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist. Auch ist auf das Vorbringen der Parteien im Berufungsverfahren sachverhaltsbezogen im Einzelnen einzugehen (vgl. zuletzt etwa das Erkenntnis vom , 2012/13/0044).
Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde in Bezug auf das Fehlen eines Dienstverhältnisses "der Ansicht der Betriebsprüfung" (gemeint: der Begründung der vom Beschwerdeführer bekämpften Bescheide des Finanzamts) angeschlossen, ohne auf das - schon unvollständig wiedergegebene - Vorbringen, mit dem der Beschwerdeführer dieser Ansicht im Berufungsverfahren entgegengetreten war, einzugehen, und ohne das zum Beweis vorgelegte Schreiben der V. GmbH, das Behauptungen über die Gestaltung der Tätigkeit des Beschwerdeführers für die V. GmbH enthielt, einer Beweiswürdigung zu unterziehen. Auch in Bezug auf die Frage, wann das Finanzamt von der "Abfertigung" und ihrer Höhe Kenntnis erlangte, sind die Erwägungen der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ausreichend nachvollziehbar.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2015:2012130070.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
WAAAE-74150