VwGH vom 23.07.2009, 2008/05/0099
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2008/05/0102 E
2008/05/0101 E
2008/05/0100 E
2008/05/0105 E
2008/05/0103 E
2008/05/0109 E
2008/05/0106 E
2008/05/0110 E
2008/05/0107 E
2008/05/0108 E
2008/05/0104 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Pallitsch, Dr. Handstanger, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde 1. des J B, und 2. des G B, beide in Oberwölbling, beide vertreten durch Thum Weinreich Schwarz Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Josefstraße 13, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-BR-640/002-2007, betreffend Kanalanschluss (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde Wölbling in 3124 Oberwölbling, Oberer Markt 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer beantragten mit Schriftsatz vom als Eigentümer der Grundstücke Nr. 4, 5/2 und 5/3, je KG Hausheim, die "Ausnahme von der Anschlusspflicht der öffentlichen Abwasserentsorgung nach § 62 der NÖ Bauordnung", weil die Entsorgung der Schmutzwässer über die aufrechte Güllewirtschaft des landwirtschaftlichen Betriebes unter Einhaltung der Bestimmungen des § 10 NÖ Bodenschutzgesetz erfolge.
Der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde erteilte hierauf den Beschwerdeführern mit Schreiben vom den Auftrag, binnen 14 Tagen näher bezeichnete Unterlagen nachzureichen.
Mit Schriftsatz vom wurden von den Beschwerdeführern bestimmte Unterlagen nachgereicht.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom wurde das Ansuchen der Beschwerdeführer im Grunde des § 13 Abs. 3 AVG "abgewiesen", weil die Beschwerdeführer nicht die Benützungsbewilligung der Senkgrube sowie die Bau- und Benützungsbewilligung inklusive Dichtheitsattest der Senkgrube vorgelegt hätten.
Der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Marktgemeinde vom keine Folge gegeben. Begründet wurde dies damit, dass die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Anschlussverpflichtung der öffentlichen Abwasserentsorgung der Marktgemeinde Wölbling nach § 62 NÖ Bauordnung 1996 nicht vorlägen.
Mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom wurde der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer Folge gegeben, der angefochtene Berufungsbescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die mitbeteiligte Marktgemeinde verwiesen. In der Begründung des auf § 61 Abs. 4 NÖ Gemeindeordnung 1973 gestützten Bescheides führte die Vorstellungsbehörde aus, dass Gegenstand ihrer Entscheidung "ausschließlich die durch den Gemeindevorstand mit Bescheid vom erfolgte Bestätigung der auf der Rechtsgrundlage von § 13 Abs. 3 AVG 1991 erfolgten 'Abweisung' des Ansuchens von (Beschwerdeführer) um Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Kanalanschlussverpflichtung durch den Bescheid des Bürgermeisters vom ist". Der Prüfungsumfang der Vorstellungsbehörde beschränke sich daher auf die Frage, ob durch die erfolgte "Abweisung" des Ausnahmeansuchens gemäß § 13 Abs. 3 AVG 1991 Rechte der Vorstellungswerber verletzt worden seien. Aus dem Spruch des erstinstanzlichen Bescheides, der vom Gemeindevorstand vollinhaltlich bestätigt worden sei, gehe hervor, dass die Baubehörden diese Rechtsgrundlage für ihre Bescheide herangezogen hätten, auch wenn sie im Spruch des Bescheides das Ansuchen "abgewiesen" statt "zurückgewiesen" hätten. Welche Anforderungen ein mängelfreies Anbringen erfüllen müsse, ergebe sich in erster Linie aus den Verwaltungsvorschriften, im vorliegenden Fall aus § 62 Abs. 4 vorletzter Absatz der NÖ Bauordnung 1996. Mängel im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG seien solche Fehler eines schriftlichen Anbringens, die darin bestünden, dass erforderliche Angaben im Anbringen oder gesetzlich geforderte Beilagen fehlten. Im vorliegenden Fall sei die "Abweisung" des Ansuchens um Ausnahmegenehmigung mit der Begründung erfolgt, dass seitens der Antragsteller keine Bau- und Benützungsbewilligungen bzw. Dichtheitsatteste für die bestehenden Senkgruben vorgelegt worden seien. Diese Belege stellten jedoch keine Nachweise der ordnungsgemäßen Entsorgung entsprechend den Bestimmungen des § 10 des NÖ Bodenschutzgesetzes dar. Indem die Baubehörden die genannten urkundlichen Nachweise als gesetzlich geforderte Beilagen gewertet hätten, hätten sie ihre Bescheide mit einem Verfahrensmangel belastet. Werde nämlich ein Anbringen deshalb zurückgewiesen, weil die Behörde zu Unrecht einen Mangel angenommen habe, sei dieser Bescheid inhaltlich rechtswidrig und verletze das Recht auf den gesetzlichen Richter. Im Übrigen habe die Baubehörde erster Instanz nicht ausdrücklich auf die Folgen der Missachtung des Verbesserungsauftrages hingewiesen. Im fortgesetzten Verfahren werde die Berufungsbehörde zu prüfen haben, ob der im § 62 Abs. 4 NÖ Bauordnung 1996 vorletzter Absatz angesprochene Nachweis der ordnungsgemäßen Entsorgung entsprechend den Bestimmungen des § 10 NÖ Bodenschutzgesetz von den Antragstellern durch die vorgelegten Unterlagen erbracht worden sei und ob der Ausnahmetatbestand des § 62 Abs. 4 NÖ Bauordnung 1996 von der Anschlussverpflichtung an die Kanalisationsanlage gegeben sei.
Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Marktgemeinde vom wurde der Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom
"insofern abgeändert, als er zu lauten hat:
Der Antrag (Beschwerdeführer) vom um Ausnahmegenehmigung von der Kanalanschlussverpflichtung wird gemäß § 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG 1991) iVm § 62 Abs. 3 und 4 NÖ BauO 1996 iVm § 10 NÖ Bodenschutzgesetz abgewiesen".
Begründend führte die Berufungsbehörde aus, dass der im § 62 Abs. 4 vorletzter Absatz NÖ Bauordnung 1996 angesprochene Nachweis der ordnungsgemäßen Entsorgung entsprechend den Bestimmungen des § 10 NÖ Bodenschutzgesetz von den Antragstellern durch die vorgelegten Urkunden bzw. im Ermittlungsverfahren erbracht worden sei. Die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmebestimmung nach § 62 Abs. 4 NÖ Bauordnung lägen aber nicht vor, weshalb der Antrag abzuweisen gewesen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer abgewiesen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer machen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Marktgemeinde - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Die Beschwerdeführer replizierten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde ist im Hinblick auf folgende Überlegungen begründet:
Gemäß § 61 Abs. 1 NÖ Gemeindeordnung 1973 kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorgans in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen, von der Zustellung des Bescheides an gerechnet, dagegen eine mit einem begründeten Antrag versehene Vorstellung bei der Aufsichtsbehörde erheben.
Nach Abs. 4 dieses Paragraphen hat die Aufsichtsbehörde den Bescheid, wenn durch ihn Rechte des Einschreiters verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen.
Gemäß Abs. 5 dieser Norm ist die Gemeinde bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden.
Den tragenden Aufhebungsgründen eines auf § 61 Abs. 4 NÖ Gemeindeordnung 1973 gestützten aufsichtsbehördlichen Bescheides kommt für das fortgesetzte Verfahren bindende Wirkung zu. Die Besonderheit der Bindungswirkung kassatorischer gemeindeaufsichtsbehördlicher Bescheide, die sich im gegebenen Fall aus § 61 Abs. 5 NÖ Gemeindeordnung 1973 ergibt, bringt es mit sich, dass nicht nur der Spruch an sich, sondern auch die maßgebende, in der Begründung enthaltene Rechtsansicht taugliches Beschwerdeobjekt sein kann (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0250). An den tragenden Grund der Aufhebung sind nicht nur die Gemeindebehörden, sondern auch die Aufsichtsbehörde und die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gebunden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/05/1035).
Tragender Aufhebungsgrund des auf § 61 Abs. 4 NÖ Gemeindeordnung 1973 gestützten Bescheides der NÖ Landesregierung vom war, dass der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde in Verkennung der Rechtslage den Antrag der Beschwerdeführer um Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Kanalanschlussverpflichtung gemäß § 13 Abs. 3 AVG "abgewiesen" hat, weil die von ihm als fehlend angenommenen Beilagen zum Antrag für die Erledigung des Ansuchens der Beschwerdeführer nicht erforderlich gewesen seien.
Tragend war auch die Begründung der Vorstellungsbehörde, dass Sache der Berufungsbehörde im Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Marktgemeinde vom die von der Berufungsbehörde erfolgte Bestätigung des auf der Rechtsgrundlage des § 13 Abs. 3 AVG ergangenen erstinstanzlichen Bescheides gewesen sei. Die von der Behörde erster Instanz erfolgte "Abweisung" des Ansuchens stelle lediglich ein Vergreifen im Ausdruck dar. Es handle sich vielmehr um eine Zurückweisung des Antrages.
An diese Rechtsansicht waren im fortgesetzten Verfahren die Berufungsbehörde, die belangte Behörde und der Verwaltungsgerichtshof gebunden.
Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Marktgemeinde als Berufungsbehörde hat jedoch in der Folge mit seinem Bescheid vom den auf § 13 Abs. 3 AVG gestützten Zurückweisungsbescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom abgeändert und gestützt auf § 66 Abs. 4 AVG in der Sache dahingehend entschieden, dass das Ansuchen der Beschwerdeführer vom abgewiesen wurde. Mit dem beschwerdegegenständlichen angefochtenen Bescheid wurde der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer keine Folge gegeben.
Die von der belangten Behörde gewählte Vorgangsweise ist jedoch aus folgenden Gründen verfehlt:
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat - außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall - die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Bei einer Zurückweisung eines Antrages gemäß § 13 Abs. 3 AVG ist jedoch Sache der Berufungsbehörde im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG allein die Frage, ob die sachliche Entscheidung über die Angelegenheit zu Recht verweigert worden ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/06/0084, mwN).
Im Beschwerdefall war daher Sache der Berufungsbehörde allein die Frage, ob die Entscheidung des Bürgermeisters der mitbeteiligten Marktgemeinde vom den Bestimmungen des § 13 Abs. 3 AVG entsprach, ob also der Antrag auf Ausnahmegenehmigung von der Kanalanschlussverpflichtung zu Recht - wegen eines Formgebrechens - zurückgewiesen wurde. Die Berufungsbehörde hätte dementsprechend entweder (im Falle der zu Recht bestehenden Annahme des Vorliegens eines Formgebrechens) das Rechtsmittel abweisen oder (im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung) den in Berufung gezogenen Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben gehabt, dass die Unterinstanz (Bürgermeister) in Bindung an die Auffassung der von der Vorstellungsbehörde in ihrem aufhebenden Bescheid vom der Berufungsbehörde überbundenen Rechtsansicht den gestellten Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen des Vorliegens eines Formgebrechens zurückweisen durfte. Eine Abänderung des Bescheides im Sinne einer Abweisung des Antrages der Beschwerdeführer (Sachentscheidung) war jedoch der Berufungsbehörde verwehrt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/04/0188).
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurft hätte.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
PAAAE-74109