VwGH vom 31.01.2019, Ra 2017/15/0034
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Salzburg-Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/6100680/2016, betreffend Umsatzsteuer 2014 (mitbeteiligte Partei: MMag. C B in S, vertreten durch die ergon und friedl Steuerberatungsgesellschaft in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 15), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, der bis zum über einen Wohnsitz in Deutschland verfügte, bezog im Streitjahr Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und Einkünfte aus der Vermietung von zwei in Österreich gelegenen Wohnungen. Am trat er ein Dienstverhältnis in Österreich an, erwarb eine weitere Wohnung in Österreich und verlegte seinen einzigen Wohnsitz dorthin. Seit Oktober 2014 ist unstrittig seine Ansässigkeit in Österreich gegeben.
2 Für das Jahr 2014 reichte der Mitbeteiligte Einkommensteuererklärungen für die beschränkte (Jänner bis September) und unbeschränkte (Oktober bis Dezember) Steuerpflicht ein, in denen er Mieteinnahmen von insgesamt 28.689,96 EUR erfasste. Hinsichtlich der Umsatzsteuer erklärte er, für 2014 die Kleinunternehmerregelung in Anspruch nehmen zu wollen.
3 Das Finanzamt erließ für das Jahr 2014 einen Umsatzsteuerbescheid, in welchem die im Zeitraum Jänner bis September vereinnahmten Mieterlöse als umsatzsteuerpflichtig und die Mieterlöse des Zeitraumes Oktober bis Dezember als unecht steuerbefreit behandelt wurden.
4 Der Mitbeteiligte erhob Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid und führte aus, Kleinunternehmer könnten für den gesamten Veranlagungszeitraum nur den Status als Kleinunternehmer haben oder die Kriterien hierfür nicht erfüllen. Ein Umsatzsteuerbescheid, in dem steuerpflichtige Umsätze mit Vorsteuerabzug für bestimmte Monate und steuerbefreite Umsätze aufgrund einer persönlichen Steuerbefreiung wie der Kleinunternehmerregelung, die für das gesamte Unternehmen eines Unternehmers gelte, nebeneinander angeführt würden, widerspreche dem Umsatzsteuerrecht. Weder § 26 BAO, der den Wohnsitz regle, noch § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 sähen einen bestimmten Zeitraum des Bestehens des Wohnsitzes oder eine tatsächliche Mindestnutzung der inländischen Wohnung vor. Im Jahr 2014 sei ein inländischer Wohnsitz unstrittig gegeben, womit die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Kleinunternehmerregelung erfüllt seien.
5 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab, woraufhin der Mitbeteiligte deren Vorlage an das Bundesfinanzgericht beantragte.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob den Umsatzsteuerbescheid ersatzlos auf. Es führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die unionsrechtskonforme Regelung des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 sehe für die Kleinunternehmerbefreiung vor, dass der Unternehmer seinen Wohnsitz oder Sitz im Inland habe und seine Umsätze im Kalenderjahr 30.000 EUR nicht überstiegen. Weitere Voraussetzungen seien weder dem Umsatzsteuergesetz noch der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zu entnehmen. Insbesondere beinhalteten diese Rechtsgrundlagen keine Aussagen über eine bestimmte Dauer der Ansässigkeit.
7 Die Beurteilung, ob jemand Kleinunternehmer sei oder nicht, erfordere die Betrachtung des gesamten Unternehmens im ganzen Kalenderjahr, weil die Umsatzgrenze, die nicht überschritten werden dürfe, auf das Kalenderjahr abstelle. Daraus ziehe das Bundesfinanzgericht den Schluss, dass sich die Kleinunternehmerregelung nur auf den gesamten Veranlagungszeitraum, also das Kalenderjahr beziehen könne. Wenn die Tatbestandsmerkmale des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 erfüllt seien (Wohnsitz im Inland und Umsätze bis zu 30.000 EUR im Jahr), dann bestehe die Kleinunternehmerbefreiung für das ganze Jahr. Ein Splitting der Umsätze in steuerpflichtige und steuerfreie widerspreche dem Prinzip einer persönlichen Steuerbefreiung und ginge in Richtung einer sachlichen Steuerbefreiung.
8 Der EuGH habe sich im Urteil vom , Schmelz, C-97/09, mit den Fragen der Ansässigkeit und des Jahresumsatzes auseinandergesetzt und u.a. ausgesprochen, dass die Beschränkung der Kleinunternehmerbefreiung auf im Inland ansässige Unternehmer wegen der dadurch gewährleisteten Durchführung wirksamer Steuerkontrollen gerechtfertigt sei.
9 Die Kleinunternehmerregelung ändere nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes nichts an der Verpflichtung zur Führung von Aufzeichnungen. Daher erscheine das Merkmal der Ansässigkeit während des gesamten Veranlagungszeitraumes auch für Zwecke der Steuerkontrolle nicht erforderlich. Wenn - wie im Revisionsfall - der inländische Wohnsitz im Laufe des Kalenderjahres begründet und beibehalten werde, habe das Finanzamt auch dann die Möglichkeit der Steuerkontrolle, wenn der Steuerpflichtige keine Umsatzsteuererklärung abgebe. Dem Mitbeteiligten stehe demnach die Kleinunternehmerbefreiung für das Jahr 2014 zu, weshalb keine Veranlagung der Umsatzsteuer durchzuführen sei.
10 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil die anzuwendenden Normen klar und eindeutig und ihre Auslegung, soweit sie im gegenständlichen Fall erforderlich sei, durch die zitierte EuGH-Rechtsprechung geklärt sei.
11 In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten außerordentlichen Revision des Finanzamtes wird zur Zulässigkeit vorgebracht, dass es entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes keine Judikatur, weder österreichische höchstgerichtliche, noch EU-Rechtsprechung in Bezug auf die Dauer der Ansässigkeit gebe.
12 Der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
15 Gemäß § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 in der hier anzuwendenden Fassung vor dem Abgabenänderungsgesetz 2016 (AbgÄG 2016), BGBl. I Nr. 117/2016, sind die Umsätze der Kleinunternehmer steuerfrei. Kleinunternehmer ist ein Unternehmer, der im Inland einen Wohnsitz oder Sitz hat und dessen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 im Veranlagungszeitraum 30 000 Euro nicht übersteigen.
16 § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 findet seine unionsrechtliche Grundlage in den nachstehend angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL):
17 Nach Art. 272 Abs. 1 Buchst. d der MwStSystRL können die Mitgliedstaaten Steuerpflichtige, die die Steuerbefreiung für Kleinunternehmen nach den Artikeln 282 bis 292 in Anspruch nehmen, von bestimmten oder allen Pflichten nach den Kapiteln 2 bis 6 befreien.
18 Titel XII (Sonderregelungen) der MwStSystRL enthält in Kapitel 1 eine Sonderregelung für Kleinunternehmen. Art. 281 in Abschnitt 1 (Vereinfachte Modalitäten für die Besteuerung und die Steuererhebung) dieses Kapitels ermöglicht es im Wesentlichen den Mitgliedstaaten, in denen die normale Besteuerung von Kleinunternehmen wegen deren Tätigkeit oder Struktur auf Schwierigkeiten stoßen würde, vereinfachte Modalitäten für die Besteuerung und Steuererhebung anzuwenden.
19 Gemäß Art. 282 der MwStSystRL gelten die Steuerbefreiungen und -ermäßigungen nach Abschnitt 2 für Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen, die von Kleinunternehmen bewirkt werden.
20 Nach Art. 283 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL gilt Abschnitt 2 nicht für die Lieferungen von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch einen Steuerpflichtigen, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird.
21 Nach Art. 287 der MwStSystRL können Mitgliedstaaten, die nach dem beigetreten sind, Steuerpflichtigen eine Steuerbefreiung gewähren, wenn ihr Jahresumsatz den in Landeswährung ausgedrückten Gegenwert bestimmter Beträge nicht übersteigt, wobei der Umrechnungskurs am Tag des Beitritts zugrunde zu legen ist. Für die Republik Österreich wurde dieser Betrag auf 35 000 Euro festgesetzt.
22 Art. 283 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Kleinunternehmen eine Mehrwertsteuerbefreiung mit Verlust des Vorsteuerabzugs zu gewähren, schließt diese Möglichkeit aber hinsichtlich der in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Kleinunternehmen aus (EuGH Schmelz, Rn 51).
23 Der Umstand, dass der Mitgliedstaat die Mehrwertsteuerbefreiung nur auf die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Kleinunternehmer anwenden darf, würde zwar zu einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit führen, diese Richtlinienbestimmung ist aber - vor dem Hintergrund, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 272 Abs. 1 Buchst. d der MwStSystRL Kleinunternehmen von sämtlichen in den Art. 213 bis 271 dieser Richtlinie vorgesehenen Formalitäten befreien können - durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen zu gewährleisten. Die Maßnahme erweist sich als für die Gewährleistung wirksamer Steuerkontrollen, ob die Voraussetzungen für die Befreiung tatsächlich erfüllt sind, geeignet, weil die Unternehmen die Unterlagen über ihre sämtlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten grundsätzlich am Ort ihrer Niederlassung aufbewahren (EuGH Schmelz, Rn 52 bis 64).
24 Die Beschränkung der Mehrwertsteuerbefreiung für Kleinunternehmer auf die Steuerpflichtigen, die in dem Mitgliedstaat, der eine solche Befreiung eingeführt hat, ansässig sind, ist weiters durch die Notwendigkeit der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen und Steuerumgehungen gerechtfertigt. Die Regelung verhindert nämlich, dass Steuerpflichtige, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, ohne dort ansässig zu sein, der Besteuerung ihrer Tätigkeiten unter dem Deckmantel der dort geltenden Befreiungen ganz oder zum großen Teil entgehen könnten, auch wenn diese Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit den Umfang der Geschäftstätigkeit eines Kleinunternehmens objektiv überschreiten würden (EuGH Schmelz, Rn 70).
25 Aus dem Stoppelkamp, C-421/10, Rn 26 bis 36, ergibt sich, dass ein Steuerpflichtiger dann ein "im Ausland ansässiger Steuerpflichtiger" ist, wenn er den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland hat.
26 Dass der Mitbeteiligte bis Ende September 2014 ein "im Ausland ansässiger Steuerpflichtiger" war und somit die Ansässigkeit erst mit Beginn des Oktober 2014 begründet wurde, steht im gegenständlichen Fall außer Streit.
27 Nun verbietet Art. 283 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL die Anwendung der Begünstigung für Kleinunternehmer für "die Lieferung von Gegenständen und Erbringung von Dienstleistungen durch einen Steuerpflichtigen, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird". Die Richtlinie stellt damit darauf ab, ob im Zeitpunkt der (Lieferung oder der) Erbringung der Dienstleistung die Ansässigkeit im entsprechenden Staat gegeben war. Damit wird verhindert, dass ein Steuerpflichtiger zeitgleich in mehreren Mitgliedstaaten von der Kleinunternehmerregelung Gebrauch machen kann.
28 Bei Dauerleistungen, die zu regelmäßigen Abrechnungen führen, wie insbesondere bei der Vermietung, wird die Leistung nach Maßgabe der einzelnen Abrechnungsperioden (Monate) erbracht (vgl. etwa , mwN). Nach Art. 283 Abs. 1 Buchst. c der MwStSystRL darf der Mitgliedstaat somit die Kleinunternehmerregelung bei Dauerdienstleistungen nur für jene Abrechnungsperioden zur Anwendung bringen, in denen der Steuerpflichtige im Inland ansässig ist. Dieser Inhalt der Richtlinie ist bei Interpretation der in Umsetzung der Richtlinienbestimmung ergangenen nationalen Regelung des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 zu beachten.
29 Das revisionswerbende Finanzamt zeigt zutreffend auf, dass die Vermietung der beiden Wohnungen in den Monaten Jänner bis September 2014 durch einen - bei Leistungserbringung - "im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen" durchgeführt worden ist und solcherart für diesen Zeitraum keine Berechtigung zur Anwendung der Kleinunternehmerregelung des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 bestanden hat.
30 Folgte man hingegen der im angefochtenen Erkenntnis vertretenen Auffassung, würde - worauf vom Finanzamt in der Revision zutreffend hingewiesen wird - beispielsweise die Begründung der Ansässigkeit am 31. Dezember eines Jahres für die ganzjährige Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung ausreichen. Dies hätte u.a. zur Folge, dass Steuerpflichtige, die innerhalb eines Jahres in mehreren Mitgliedstaaten tätig und (kurzfristig) ansässig sind, die in den jeweiligen Mitgliedstaaten geltenden Befreiungen in Anspruch nehmen könnten. Das wäre aber - wie der EuGH im Urteil Schmelz, Rn 70, u.a. ausgesprochen hat - mit dem Erfordernis, durch die Ausnahme vom Grundsatz der Besteuerung, die eine solche Befreiungsregelung darstellt, nur Kleinunternehmen zu fördern, nicht zu vereinbaren.
31 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017150034.L00 |
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