VwGH vom 23.02.2010, 2008/05/0091
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Pallitsch, Dr. Handstanger, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde 1. des Mag. M K, 2. der Mag. S K, beide in Wien, beide vertreten durch Dr. Matthias Göschke, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Bossigasse 27, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zlen. BOB-674 und 675/07, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. A O, 2. Dr. O, beide in 1230 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die mitbeteiligten Parteien sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 983 der Liegenschaft EZ. 529, KG Auhof. Dieses Grundstück wurde auf Grund des Abteilungsplanes des Zivilgeometers Ing. Franz R. vom , G.Z. 1040/30, gebildet und seine Eintragung im Grundbuch mit Beschluss des Bezirksgerichtes Purkersdorf vom , TZ 687/32, bewilligt. Im genannten Abteilungsplan sind die Ausmaße dieses Grundstückes wie folgt ausgewiesen: an der öffentlichen Verkehrsfläche Friedensstadtgasse
11.90 m; an der gegenüberliegenden Westseite 12,18 m; an der Nord- und Südseite jeweils 48 m. Nach dem bestehenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, Plandokument (PD) Nr. 7711, ist für dieses im Wohngebiet liegende Grundstück Bauklasse I (eins) mit einer Höhenbeschränkung von 6,50 m sowie offene oder gekuppelte Bauweise festgesetzt.
Die Beschwerdeführer sind Eigentümer des im Süden an das Grundstück der mitbeteiligten Parteien grenzenden Grundstückes Nr. 984 der Liegenschaft EZ. 546 desselben Grundbuchs.
Mit Ansuchen vom beantragten die mitbeteiligten Parteien die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf ihrem Grundstück. Das unterkellerte, einstöckige Einfamilienhaus mit Dachgeschoss soll an die linke und rechte Grundstücksgrenze in der Form eines jeweils eingeschossigen Gebäudeteils mit einer Trakttiefe von 10 m und einer maximalen Höhe von ca. 3,48 m angebaut werden.
Die Beschwerdeführer erhoben den Einwand, dass "aufgrund des Vermessungsplanes ... eine Grundstücksbreite von 12,02 m vor(liege) und daher ... die lt. Art VIa mögliche Bebauung aus unserer Sicht nicht möglich" sei.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom 23. Februar 201023. November 2007 wurde die beantragte Baubewilligung erteilt.
In der dagegen erhobenen Berufung führten die Beschwerdeführer aus, dass die Frontbreite des Baugrundstückes in der Natur entsprechend den aufgefundenen Einfriedungen 12,02 m betrage. Die Projektspläne wären entsprechend der Vermessungsverordnung dem Naturbestand anzugleichen gewesen. Die Frage eines unklaren Grenzverlaufes sei im Baubewilligungsverfahren als Vorfrage zu entscheiden, wenn dies zur Beurteilung (Einhaltung von Abständen auch im Bereich der seitlichen Grenzen) notwendig sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, das Baugrundstück habe als Bauplatz bereits vor dem Inkrafttreten der Stadtgestaltungsnovelle LGBl. Nr. 44/1996 bestanden. Das bewilligte Bauvorhaben halte im Sinne des Art. VIa Bauordnung für Wien (in der Folge: BO) an der linken und rechten Grundstücksgrenze die Tiefe des Vorgartens ein und erstrecke sich auf eine Tiefe von weniger als 10 m. Auch die in dieser Gesetzesstelle normierte Gebäudehöhe werde eingehalten. Da das Baubewilligungsverfahren ein Projektgenehmigungsverfahren sei, sei Gegenstand des vorliegenden Baubewilligungsverfahrens das Bauvorhaben, wie es im Einreichplan ausgewiesen sei. Der Grenzverlauf eines Grundstückes werde gemäß § 8 Vermessungsgesetz durch den Grenzkataster verbindlich nachgewiesen. Die Anordnung im § 4 Abs. 2 Vermessungsverordnung, dass innerhalb der festgelegten Toleranzgrenzen das Naturmaß als rechtsverbindlich anzusehen sei, beziehe sich lediglich auf die Feststellung der unveränderten Lage von Grenzzeichen. Im vorliegenden Fall sei der Bauplatz mit dem Grundbuchsbeschluss aus dem Jahre 1932 rechtskräftig bewilligt worden. Diesem sei ein Abteilungsplan zu Grunde gelegen, der an der Baulinie entlang der Friedensstadtgasse eine Breite von 11,90 m ausweise. Da der Grenzverlauf durch den Grenzkataster verbindlich nachgewiesen werde und aus dem Auszug des Katasterplanes ersichtlich sei, dass die Frontlänge des gegenständlichen Bauplatzes unter 12 m betrage, sei vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. VIa BO auszugehen. Einfriedungen müssten nicht mit den Liegenschaftsgrenzen übereinstimmen, sie seien nicht geeignet, die Frontlänge eines Bauplatzes festzulegen bzw. zu bestimmen. Der Grenzverlauf sei vielmehr an Hand des bewilligten Bauplatzes zu ermitteln. Da eine rechtskräftig bewilligte Grundabteilung vorliege, sei auch das Vorbringen der Beschwerdeführer, es sei bisher keine Grenzverhandlung und Grenzfestlegung vorgenommen worden, weshalb ein unklarer Grenzverlauf vorliege, unbeachtlich, weil dem Einreichplan entnommen werden könne, dass das Bauvorhaben nicht über die ausgewiesenen Bauplatzgrenzen hinausgehe. Durch das von den Beschwerdeführern behauptete "Zurückrücken" des geplanten Gebäudes von den von ihnen angenommenen Grundgrenzen könnten sie in keinem Recht verletzt werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf "Einhaltung eines Mindestabstandes gemäß § 79 Abs. 3 W-BO verletzt". Sie machen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten ebenfalls eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.
Die Beschwerdeführer replizierten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 134 Abs. 3 dritter Satz Bauordnung für Wien (BO) sind im Baubewilligungsverfahren die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben; das Recht auf Akteneinsicht (§ 17 AVG) steht Nachbarn bereits ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu.
Gemäß § 134a Abs. 1 leg. cit. werden subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, u.a. durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:
"a) Bestimmungen über den Abstand eines Bauwerkes zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche;
..."
Die beschwerdeführenden Nachbarn haben im Baubewilligungsverfahren betreffend das gegenständliche Bauvorhaben der mitbeteiligten Parteien Einwendungen im Sinne des § 134 Abs. 3 dritter Satz in Verbindung mit § 134a Abs. 1 Z. 1 BO erhoben. Sie führen in der Beschwerde aus, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage für das bewilligte Bauvorhaben der mitbeteiligten Parteien die Erfüllung der im Art. VIa BO normierten Voraussetzungen angenommen habe. Für die in Art. VIa BO festgelegte Frontlänge des Baugrundstückes von höchstens 12 m seien die Naturmaße maßgeblich; diese betrügen im Beschwerdefall 12,02 m und nicht wie im Katasterplan verzeichnet 11,90 m. Im Beschwerdefall seien daher die Abstandsregelungen des § 79 BO, insbesondere dessen Abs. 3 maßgeblich. Ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht habe die belangte Behörde keine Feststellungen zur tatsächlichen Grundstücksbreite an der Front des Grundstückes getroffen.
Art. VIa und § 79 BO haben folgenden Wortlaut (auszugsweise):
"Artikel VIa
Auf Bauplätzen, die bei Inkrafttreten der Stadtgestaltungsnovelle, LGBl. für Wien Nr. 44/1996, bereits bestehen und deren Frontlänge an einer Front 12 m nicht überschreitet, darf, soweit der Bebauungsplan durch Baufluchtlinien dies nicht ausschließt, in Wohngebieten der Bauklasse I, in der offenen, offenen oder gekuppelten sowie in der Gruppenbauweise in die Abstandsflächen ein Gebäude oder Gebäudeteil auf eine Tiefe von höchstens 10 m mit einer Gebäudehöhe von höchstens 3,50 m ohne Zustimmung des Nachbarn an die Nachbargrenze angebaut werden. Die Tiefe des Vorgartens ist jedenfalls einzuhalten. Im Bereich der Abstandsflächen sind Giebel nicht zulässig. Der Nachbar muss auf Grund der Tatsache des Anbaues an seine Grundgrenze nicht anbauen. Bei Fahnenbauplätzen tritt an die Stelle der Frontlänge die entsprechende Bauplatzbreite."
"Vorgärten, Abstandsflächen und gärtnerisch auszugestaltende Flächen
§ 79. ...
(3) In der offenen Bauweise muß der Abstand der Gebäude von Nachbargrenzen in den Bauklassen I und II mindestens 6 m, in der Bauklasse III mindestens 12 m, in der Bauklasse IV mindestens 14 m, in der Bauklasse V mindestens 16 m und in der Bauklasse VI mindestens 20 m betragen. Die Fläche, die zwischen den Nachbargrenzen und den gedachten Abstandslinien liegt, wird als Abstandsfläche bezeichnet. In die Abstandsflächen darf mit Gebäuden auf höchstens die Hälfte des Abstandes an die Nachbargrenzen herangerückt werden, wobei die über die gedachte Abstandslinie hinausragende bebaute Fläche je Front in den Bauklassen I und II 45 m2, in der Bauklasse III 90 m2, in der Bauklasse IV 105 m2, in der Bauklasse V 120 m2 und in der Bauklasse VI 150 m2 nicht überschreiten darf; insgesamt darf diese über die gedachte Abstandslinie hinausragende bebaute Fläche auf demselben Bauplatz in den Bauklassen I und II 90 m2, in der Bauklasse III 180 m2, in der Bauklasse IV 210 m2, in der Bauklasse V 240 m2 und in der Bauklasse VI 300 m2 nicht überschreiten.
..."
Für die Anwendbarkeit des Art. VIa BO wird im Gesetz auf die Frontlänge an einer Front des Bauplatzes abgestellt. Die Baubehörden haben daher bei Anwendung des Art. VIa BO (auch) zu prüfen, ob eine Frontlänge des Bauplatzes an einer Front 12 m nicht überschreitet.
Das vom Bauvorhaben betroffene Grundstück der mitbeteiligten Parteien ist ein Bauplatz, der bereits vor Inkrafttreten der Stadtgestaltungsnovelle, LGBl. für Wien Nr. 44/1996, bestanden hat.
Dieser Bauplatz ist - wie sich aus dem maßgeblichen Abteilungsplan ergibt - an der Friedensstadtgasse 11,90 m breit und erfüllt somit die für die Anwendbarkeit des Artikel VIa BO geforderte Voraussetzung, dass an einer Front des Bauplatzes die Frontlänge von 12 m nicht überschritten werden darf.
Das Baubewilligungsverfahren ist ein Projektgenehmigungsverfahren, bei dem die Zulässigkeit des Bauverfahrens auf Grund der eingereichten Pläne zu beurteilen ist; Gegenstand des Verfahrens ist das in den Einreichplänen und sonstigen Unterlagen dargestellte Projekt. Die Behörde hat daher lediglich die Zulässigkeit des planmäßig belegten Vorhabens zu überprüfen und nicht die in Natur hergestellten Ausführungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/05/0191).
Nach dem vorliegenden Einreichplan soll das Bauvorhaben der mitbeteiligten Parteien innerhalb der Bauplatzgrenzen an die Nachbargrenzen unter Einhaltung der für die Anwendbarkeit des Artikel VIa BO genannten Voraussetzungen errichtet werden.
Da bei Vorliegen der Voraussetzungen des Artikel VIa BO auch ohne Zustimmung des Nachbarn an die Nachbargrenze angebaut werden darf, werden daher die Beschwerdeführer durch das vorliegende Bauvorhaben der mitbeteiligten Parteien in dem von ihnen allein gelten gemachten Recht auf "Einhaltung eines Mindestabstandes" nicht verletzt.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
SAAAE-74079