VwGH vom 18.12.2017, Ra 2017/15/0016
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Landeck Reutte in 6500 Landeck, Innstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100218/2014, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2012 (mitbeteiligte Partei: R E in B), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte machte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2012 u.a. Aufwendungen für Deutschkurse seiner Ehegattin in Höhe von 3.538 EUR als außergewöhnliche Belastung geltend.
2 Mit Bescheid vom wurde die Einkommensteuer des Mitbeteiligten für das Jahr 2012 festgesetzt. Die Kosten für die Deutschkurse der Ehegattin wurden dabei nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt. Hiezu wurde ausgeführt, diese Kosten zählten zu den Aufwendungen der privaten Lebensführung und seien daher nicht "abschreibbar".
3 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Berufung. Er machte geltend, die Ausgaben für die Deutschkurse samt Prüfung seien zwangsläufig. Die Bezirkshauptmannschaft habe seiner Frau verpflichtend vorgeschrieben, diese Deutschkurse erfolgreich abzulegen, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Er habe seine nunmehrige Ehefrau nach fünfjähriger Beziehung im Dezember 2011 in Thailand geheiratet. Sie hätten beschlossen, dass die Ehefrau im April 2012 zu ihm nach Österreich komme. Es handle sich nicht um Aufwendungen der privaten Lebensführung.
4 Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Das Finanzamt führte im Wesentlichen aus, die Erlangung eines Aufenthaltstitels für einen Staat sei eine freiwillige Entscheidung. Die in diesem Zusammenhang anfallenden Kosten seien daher ebenfalls freiwillig.
5 Der Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Er machte ergänzend geltend, ohne Absolvierung der Deutschkurse erfolge nach sechs Monaten die automatische Abschiebung seiner Frau nach Thailand.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesfinanzgericht den Einkommensteuerbescheid 2012 ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Das Bundesfinanzgericht führte im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe seine Ehefrau im Jänner 2011 in Thailand geheiratet. Das Ehepaar habe den gemeinsamen Haushalt an einer näher genannten Anschrift in Tirol. Die Ehefrau sei am mittels Visum "D", das ihr von der österreichischen Botschaft in Bangkok ausgestellt worden sei, in Österreich eingereist. Nach ihrer Einreise habe die Ehefrau des Mitbeteiligten Deutschkurse (Integrationskurse A1/1 und A1/2) besucht und im Juli 2012 die Prüfung des allgemein anerkannten Sprachzertifikats (Deutsch A1 Grundstufe Deutsch 1) erfolgreich abgelegt und im März 2013 den Test betreffend Niveaustufe A2 bestanden.
8 Für den Besuch der Deutschkurse sowie die Prüfungen seien im Jahr 2012 Aufwendungen in Höhe von 3.282,40 EUR angefallen, die der Mitbeteiligte im Rahmen seiner Beistands- und Unterhaltspflicht getragen habe. Vom Bund sei ein Kostenzuschuss in Höhe von 362,50 EUR geleistet worden.
9 Die Ehefrau des Mitbeteiligten habe im Jahr 2012 keine den Betrag von 6.000 EUR übersteigenden Einkünfte erzielt.
10 Da der Ehefrau ohne Vorlage der entsprechenden Sprachzertifikate innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Einreise die Ausweisung gedroht habe, sei das für die Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung geforderte Merkmal der Zwangsläufigkeit gegeben. Freiwilliges Verhalten sei dort unmaßgeblich, wo sich die Freiwilligkeit auf das Entstehen familienrechtlicher Verhältnisse beziehe. Als Argument gegen die Zwangsläufigkeit reiche es daher nicht aus, den Grund für die strittigen Aufwendungen im freiwilligen Entschluss zur Knüpfung des Ehebandes zu sehen. Auch könne nicht jedes freiwillige Verhalten der Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung abträglich sein, gebe es doch grundsätzlich keine Aufwendungen, für die nicht mehr oder weniger freiwillige Entschlüsse des Steuerpflichtigen ursächlich seien. Entscheidend sei, ob dem Steuerpflichtigen nach der normalen Lebenserfahrung eines objektiven Dritten vorgeworfen werden könne, dass er die Aufwendungen getragen habe, obwohl es möglich gewesen sei, ihnen auszuweichen. Dem Mitbeteiligten und seiner Ehefrau wäre es ohne freiwilligen Entschluss zur Ehe und Einreise nach Österreich möglich gewesen, den strittigen Aufwendungen für die Deutschkurse auszuweichen. Dass sie sich im Hinblick auf eine gedeihliche Entwicklung der Ehe diesen nicht entzogen hätten, mache ihnen das Bundesfinanzgericht nicht zum Vorwurf. Letztlich sei auch nicht die Eheschließung oder die Einreise nach Österreich, sondern der für die Ehegattin des Mitbeteiligten außergewöhnliche Umstand, ohne rechtzeitigen Nachweis geeigneter Deutschkenntnisse von der Ausweisung bedroht zu sein, die wesentliche Ursache, aus der die Belastungen zwangsläufig erwachsen seien. Die für Fahrtkosten, Kurs- und Prüfungsgebühren angefallenen Aufwendungen seien um den Kostenzuschuss des Bundes zu kürzen. Weiters sei ein - näher dargestellter - Selbstbehalt zu berücksichtigen.
11 Die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig seien, sei durch im angefochtenen Erkenntnis näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ausreichend beantwortet. Die ordentliche Revision sei demzufolge nicht zulässig.
12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamts. Das Finanzamt macht im Wesentlichen geltend, eine "zwingende Deutschpflicht" bestehe nicht; demnach sei das Bundesfinanzgericht von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Selbst wenn der Nachweis von Deutschkenntnissen als zwingend erforderlich eingestuft werde, sei ein etwaiger Sprachkurs nicht zwangsläufig in Österreich zu absolvieren. Die Kosten für den Besuch des Kurses A2 seien jedenfalls nicht mehr zwangsläufig entstanden. Weiters sei die Wahl des gemeinsamen Aufenthaltsortes der Eheleute im Inland nicht mehr vom Akt des Entstehens des familienrechtlichen Verhältnisses umfasst, sondern beruhe auf einer freiwilligen Entscheidung. Zwingende (und beachtliche) Gründe für die Wahl des Aufenthaltsortes in Österreich seien dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Die Kosten, die mit der Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung zusammenhingen, seien bereits mit dem (steuerlichen) Existenzminimum abgegolten. Kosten der Eheschließung und der Einbürgerung seien nicht zwangsläufig.
13 Der Mitbeteiligte hat - unvertreten - eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 Die Revision ist, da es zu einer Fallgruppe wie der vorliegenden keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gibt, zulässig und im Ergebnis begründet.
16 Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein, sie muss zwangsläufig erwachsen und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
17 Die Belastung erwächst nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
18 Unterhaltsleistungen sind nach § 34 Abs. 7 Z 4 EStG 1988 nur insoweit abzugsfähig, als sie zur Deckung von Aufwendungen gewährt werden, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden. Ein Selbstbehalt auf Grund eigener Einkünfte des Unterhaltsberechtigten ist nicht zu berücksichtigen. Besteht keine rechtliche Unterhaltspflicht, könnte sich eine Verpflichtung zur Unterhaltsleistung aus sittlichen Gründen ergeben. Bloß aus sittlichen Gründen geleistete Unterhaltszahlungen können aber nicht in einem weiteren Ausmaß berücksichtigt werden als gesetzlich geregelte Unterhaltslasten (vgl. ).
19 Ob eine Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwächst, ist stets nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen. Aufwendungen, die Folge eines Verhaltens sind, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat, sind nicht zwangsläufig erwachsen. So können etwa Aufwendungen, die Folge der Abgabe einer unbedingten Erbserklärung oder der Einwilligung in eine einvernehmliche Scheidung sind, zu keiner Steuerermäßigung nach § 34 EStG 1988 führen (vgl. , VwSlg. 8863/F).
20 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass etwa "Schulgeld" (Zahlungen für den Besuch von Ausbildungsmodulen), soweit dieses vom Unterhaltspflichtigen getragen wird, nach § 34 Abs. 7 Z 4 EStG 1988 als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen ist, wenn diese Aufwendungen beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellten. Das Schulgeld würde beim Unterhaltsberechtigten regelmäßig keine außergewöhnliche Belastung darstellen, erfolgt die Ausbildung doch kraft freien Willensentschlusses. Eine außergewöhnliche Belastung könnte nur vorliegen, wenn dem Steuerpflichtigen die Existenzgrundlage ohne sein Verschulden entzogen wird und die Berufsausbildung zur künftigen Existenzsicherung notwendig ist, oder wenn die (neuerliche) Berufsausbildung durch Krankheit, Verletzung oder ähnliche Umstände erforderlich wird (vgl. , mwN).
21 Diesen Ausnahmefällen, in denen Kosten einer Ausbildung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind, wurde der Fall gleichgehalten, dass Kindern eines Abgabepflichtigen, der berufsbedingt den Familienwohnsitz nach Österreich verlegt hatte, keine Aufenthaltsbewilligung in Österreich erteilt wurde. Den in der Lebensphase der Berufsausbildung stehenden Kindern sei damit die Möglichkeit verwehrt worden, bei ihren Eltern zu leben und von dort aus ihre Berufsausbildung fortzusetzen. Dass den Kindern die Fortsetzung ihrer Ausbildung getrennt von ihren Eltern aufgezwungen worden sei, begründe nämlich einen Umstand, der die Kosten der Berufsausbildung auch beim Steuerpflichtigen selbst zu einer außergewöhnlichen Belastung gemacht hätte (vgl. , VwSlg. 7525/F).
22 Gleichzuhaltende Gründe liegen auch im konkreten Fall vor. Das Finanzamt verweist in der Revision zwar an sich zutreffend darauf, dass eine "zwingende Deutschpflicht" insofern nicht besteht, als die Behörde auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen von einem Nachweis von Kenntnissen der deutschen Sprache auch absehen kann, wenn dies u.a. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK notwendig ist (§ 21a Abs. 5 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG; vgl. hiezu etwa ). Auch verweist das Finanzamt an sich zutreffend darauf, dass nach § 9b der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (BGBl. II Nr. 451/2005 idF BGBl. II Nr. 201/2011) Kenntnisse der deutschen Sprache entsprechend dem A1-Niveau nachzuweisen sind.
23 Wie der Mitbeteiligte aber in der Berufung - inhaltlich vom Finanzamt und vom Bundesfinanzgericht nicht in Frage gestellt -
vorgebracht hat, habe die Bezirkshauptmannschaft (Fremdenpolizei) seiner Ehefrau verpflichtend Deutschkurse vorgeschrieben, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Im Vorlageantrag brachte er hiezu ergänzend vor, ohne Absolvierung der Deutschkurse würde eine "automatische Abschiebung" seiner Frau nach sechs Monaten drohen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch der bloße Ausnahmecharakter des § 21a Abs. 5 Z 2 NAG. Weiters ist darauf zu verweisen, dass Drittstaatsangehörige nach § 14a Abs. 1 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet sind. Ziel des Deutsch-Integrationskurses (Modul 1 der Integrationsvereinbarung) ist aber die Erreichung des A2-Niveaus (vgl. § 7 Abs. 1 der Integrationsvereinbarungs-Verordnung, BGBl. II Nr. 449/2005 idF BGBl. II Nr. 205/2011).
24 Vor diesem Hintergrund erfolgte die Teilnahme an der Ausbildung - einschließlich des Kurses betreffend Deutsch A2 - aber nicht kraft freien Willensentschlusses, sondern im Hinblick auf die Androhung einer Abschiebung durch die zuständige Behörde. Es handelt sich dabei um eine Belastung, deren wesentliche Ursache (vgl. ) nicht die Eheschließung oder der Zuzug, sondern die Vermeidung der Gefahr der Abschiebung war. Diese Aufwendungen sind dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
25 Wenn das Finanzamt ergänzend geltend macht, Kosten, die mit der Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung zusammenhingen, seien bereits mit dem (steuerlichen) Existenzminimum abgegolten, so handelt es sich aber bei den Kosten der Deutschkurse zweifellos nicht um typische Kosten der Lebensführung, die durch die tarifliche Steuerfreistellung des pauschalen Existenzminimums berücksichtigt sind (vgl. hiezu etwa , mwN). Es handelt sich vielmehr um Aufwendungen, die höher sind als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst (§ 34 Abs. 2 EStG 1988).
26 Das Merkmal der Zwangsläufigkeit muss auch der Höhe nach gegeben sein (vgl. , VwSlg. 8356/F). Demnach sind aber die Kurskosten und insbesondere Fahrtkosten nur in notwendiger Höhe zu berücksichtigen. Im angefochtenen Erkenntnis sind Fahrtkosten pauschal mit dem Kilometergeld anerkannt worden, welche den Betrag der eigentlichen Kurskosten übersteigen. Ob für das Erreichen eines geeigneten Kursortes tatsächlich Fahrtkosten in dieser Höhe - insbesondere bei allenfalls möglicher Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel - unvermeidbar gewesen sind, hat das Bundesfinanzgericht aber nicht erhoben.
27 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am