VwGH vom 21.03.2018, Ra 2017/13/0014
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des A A in T, vertreten durch die Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in 1030 Wien, Am Heumarkt 9/I/11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/7102523/2013, betreffend u. a. Einkommensteuer für die Jahre 2004 bis 2010, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Anfechtung (betreffend die Jahre 2004 bis 2010) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der seinem Vorbringen nach im Jahr 1995 von Österreich in die Slowakische Republik ausgewanderte und seither dort wohnende Revisionswerber erzielte in den Streitjahren 2004 bis 2010 insbesondere Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Gesellschafter-Geschäftsführer einer zypriotischen Gesellschaft. Er war jedoch weiterhin bei seinen Eltern in Österreich polizeilich gemeldet und Eigentümer eines ab dem Jahr 2000 in der Nähe der Wohnung seiner Eltern errichteten Einfamilienhauses, das im Streitzeitraum von seiner aus der Ukraine stammenden Ehefrau und der im Dezember 1998, dem Jahr der Eheschließung, geborenen gemeinsamen Tochter bewohnt wurde.
2 Nach dem Vorbringen des Revisionswerbers habe er sich von seiner Ehefrau getrennt, bevor sie zusammen mit der gemeinsamen Tochter im Jahr 2002 das Haus in Österreich bezog. Der Revisionswerber sei dort nie eingezogen, sondern in seiner 1997 angemieteten Wohnung in der Slowakischen Republik geblieben. Er führe dort eine Lebensgemeinschaft mit einer Frau, die er im Jahr 2002 kennengelernt habe. Der Revisionswerber bestreitet nicht, das Haus in Österreich in den Streitjahren regelmäßig aufgesucht zu haben, um seine Tochter zu besuchen, und bei solchen Gelegenheiten in dem Haus auch übernachtet zu haben.
3 Bei einer Hausdurchsuchung im August 2009 wurden in dem Haus in Österreich u.a. Kleidungsstücke und Papiere des Revisionswerbers vorgefunden. Im Bericht vom über eine den Revisionswerber betreffende Außenprüfung wurde die Ansicht vertreten, der Revisionswerber habe in den Streitjahren sowohl seinen Wohnsitz als auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt, weshalb er hier - entgegen dem von ihm vertretenen Rechtsstandpunkt - unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei.
4 Gegen die Einkommensteuerbescheide vom , mit denen die vom Revisionswerber für die Streitjahre zu entrichtende Einkommensteuer auf der Grundlage von Schätzungen der Einkünfte mit Beträgen von etwa EUR 52.000,-- bis EUR 58.000,-- pro Jahr festgesetzt wurde, erhob der Revisionswerber mit Schriftsätzen vom Berufung. Er bestritt darin vor allem, in dem Haus in Österreich wohnhaft gewesen zu sein.
5 Im April 2013 erhob die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt gegen den Revisionswerber Anklage wegen gewerbsmäßiger Abgabenhinterziehung. In der Hauptverhandlung darüber am wurde der Revisionswerber einvernommen. Bei dieser Vernehmung (Seiten 2 bis 18 des dem Finanzamt am zugegangenen Hauptverhandlungsprotokolls) beschrieb er im Detail seinen beruflichen und privaten Werdegang. Seine Ehefrau entschlug sich der Aussage. Nach Einvernahme des Betriebsprüfers, Schluss des Beweisverfahrens und Beratung verkündete der Vorsitzende den Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO, dessen Begründung im Protokoll wie folgt festgehalten wurde: "Kein Schuldnachweis - Der Angeklagte weist keinen Wohnsitz in Österreich auf".
6 Im Vorlagebericht vom beantragte das Finanzamt (das keine Berufungsvorentscheidungen erlassen hatte) die Abweisung der Berufungen mit der Begründung, der Revisionswerber habe den Ausführungen im Außenprüfungsbericht "keine stichhaltigen Argumente entgegengesetzt".
7 Die Richterin des Bundesfinanzgerichtes hielt dem Revisionswerber mit Schreiben vom vor, sie gehe davon aus, dass er seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der zypriotischen Gesellschaft von seinem "Wohnsitz in Österreich aus" nachgekommen sei.
8 In seiner Stellungnahme dazu vom verwies der Revisionswerber auf den Ausgang des Strafverfahrens und auf seine "wirtschaftliche Geschichte", die er in einem Vorlageantrag vom betreffend Säumniszuschläge (zu denen eine Berufungsvorentscheidung ergangen war) beschrieben habe. Dieser Vorlageantrag enthielt auch Beweisanträge, darunter den auf Einvernahme der Lebensgefährtin und des langjährigen rechtlichen Vertreters des Revisionswerbers in der Slowakischen Republik. In seiner Stellungnahme, der er den Vorlageantrag anschloss, beantragte der Revisionswerber darüber hinaus auch seine eigene Einvernahme und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung "zum Zwecke seiner Einvernahme sowie der beantragten Zeugen".
9 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die von ihm als Beschwerden zu behandelnden Berufungen in Bezug auf die nunmehrigen Streitjahre als unbegründet ab (in Bezug auf zwei vorangegangene Jahre nahm es Verjährung an). In den Entscheidungsgründen stellte es hinsichtlich der Streitjahre folgenden "entscheidungsrelevanten Sachverhalt" fest:
"Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Geschäftsführer und Mehrheitseigentümer der (...) Ltd. mit Sitz in Zypern. Diese Gesellschaft hat ihm in den Streitjahren 2002 bis 2010 ein jährliches Geschäftsführergehalt ausbezahlt, zu dessen Höhe der Bf. (ausgenommen das Streitjahr 2002) keine Auskünfte gibt.
Der Bf. bewohnte in den Streitjahren 2004 bis 2010 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seiner Tochter das in seinem Eigentum befindliche Haus in (Österreich). Der Bf. hatte dort in den Streitjahren 2004 bis 2010 den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen."
10 Im anschließenden Begründungsabschnitt "Rechtsfolgen sowie Begründung für die strittige Sachverhaltsfeststellung" folgten zur Frage der unbeschränkten Steuerpflicht auf allgemeine Rechtsausführungen Argumente dafür, dass der Revisionswerber seinen Wohnsitz in dem Haus in Österreich gehabt habe. Die Ehefrau des Revisionswerbers, die in der vorgelegten eidesstattlichen Erklärung das Gegenteil behaupte, habe zuvor in einem sie selbst betreffenden Zivilprozess mit einem Dritten einen gemeinsamen Haushalt mit dem Revisionswerber behauptet, und auch dieser selbst habe in einem früheren Strafverfahren (gemeint ist ein Personalblatt vom ) eine Tochter im gemeinsamen Haushalt angegeben. Dem "Vorbringen des Bf. betreffend das Nichtvorliegen eines Wohnsitzes" an der österreichischen Adresse komme "somit im Hinblick auf die widersprüchlichen Aussagen des Bf. selbst und andererseits der Zeugen im Verfahren (wer hier gemeint ist, geht aus dem Erkenntnis nicht hervor) ebenso wenig Glaubwürdigkeit zu wie der eidesstattlichen Erklärung der Ehegattin". Auch der Behauptung des Revisionswerbers, er habe "einen Wohnsitz in der Slowakei", werde "kein Glauben geschenkt". Der vorgelegte Mietvertrag aus dem Jahr 1997 sei "zwei Jahre vor der behaupteten Wohnsitzbegründung" abgeschlossen und der Revisionswerber in der Slowakischen Republik erst seit November 2011 "steuerlich erfasst". Seine Behauptung, er habe dort "seinen Wohnsitz", erscheine demnach "als Schutzbehauptung".
11 Gründe für das Unterbleiben der beantragten Einvernahme des Revisionswerbers und der von ihm namhaft gemachten Zeugen, darunter die behauptete Lebensgefährtin in der Slowakischen Republik, sind im angefochtenen Erkenntnis nicht angeführt. Es findet sich auch keine Erwähnung des aktenkundigen Hauptverhandlungsprotokolls mit der ausführlichen Einvernahme des Revisionswerbers. Indirekt wird darauf Bezug genommen, indem dem Revisionswerber vorgehalten wird, er habe einen Wohnsitz in der Slowakischen Republik "für den Zeitraum 1999 bis 2010" behauptet und im Widerspruch dazu einen Mietvertrag aus dem Jahr 1997 vorgelegt. Auf Seite 12 des Hauptverhandlungsprotokolls hatte der Revisionswerber die Frage, wo er "in dem Zeitraum 1999 bis 2010" (dem Anklagezeitraum) gewohnt habe, mit "In der Slowakei" beantwortet. Zuvor hatte er freilich (auf den Seiten 3 und 4) den Beginn seiner Berufstätigkeit in der Slowakischen Republik im Jahr 1995 und (auf Seite 8) die Anmietung seiner jetzigen Wohnung im Jahr 1997 beschrieben. Auch der Vorlageantrag vom , auf den die an das Bundesfinanzgericht erstattete Stellungnahme vom verwies, erwähnte die Auswanderung im Jahr 1995 sowie die Anmietung der Wohnung im Jahr 1997.
12 Eine Revision gegen seine Entscheidung - in der noch das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates nach Art. 14 des mit Zypern geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens und die Schätzung begründet wurden - erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig.
13 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, zu der das Finanzamt keine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
14 Zur Zulässigkeit der Revision wird in ihr u.a. dargelegt, das Bundesfinanzgericht habe von der Einvernahme des Revisionswerbers und der beantragten Zeugen ohne ausreichende Begründung abgesehen.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision ist schon wegen der gerügten Verfahrensmängel zulässig und begründet.
17 Entscheidungserheblich ist im vorliegenden Fall nicht nur, ob der Revisionswerber, wie vom Bundesfinanzgericht angenommen, auf Grund eines Wohnsitzes in Österreich hier unbeschränkt steuerpflichtig war und Art. 14 des Doppelbesteuerungsabkommens mit Zypern, BGBl. Nr. 709/1990, das Besteuerungsrecht für die hier strittigen Einkünfte - entgegen der von den Vertretern des Revisionswerbers noch in der Revision aufrechterhaltenen Meinung - dem Ansässigkeitsstaat zuweist. Ausschlaggebend ist diesfalls, ob der Revisionswerber nicht ungeachtet eines Wohnsitzes in Österreich im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 des im Verhältnis zur Slowakischen Republik geltenden Doppelbesteuerungsabkommens mit der CSSR, BGBl. Nr. 34/1979 (vgl. dazu den Notenwechsel BGBl. Nr. 1046/1994), in der Slowakischen Republik "ansässig" war. Traf dies zu, so durften die strittigen Einkünfte nur in der Slowakischen Republik als Ansässigkeitsstaat besteuert werden.
18 Das Bundesfinanzgericht hat dem - ohne Erwähnung dieses Abkommens - Rechnung getragen, indem es die für die Bejahung der unbeschränkten Steuerpflicht (und mangels Behauptung eines dortigen Wohnsitzes auch im Verhältnis zu Zypern) nicht erforderliche Feststellung traf, der Revisionswerber habe in den Streitjahren "den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen" in dem Haus in Österreich gehabt. Traf dies zu, so war er nach Art. 4 Abs. 2 lit. a des vom Bundesfinanzgericht nicht erwähnten Abkommens auch bei Verfügung über eine ständige Wohnstätte an der von ihm angegebenen slowakischen Adresse nicht dort, sondern in Österreich "ansässig".
19 Der Absicherung der demnach entscheidungswesentlichen, in die Rechtsausführungen - mangels Erwähnung des Abkommens - aber nicht eingebundenen Feststellung dient in den mit der rechtlichen Beurteilung vermischten Ausführungen zur Beweiswürdigung keine Gegenüberstellung der Lebensverhältnisse des Revisionswerbers in der Slowakischen Republik mit seinen Aufenthalten in dem Haus in Österreich. Das Bundesfinanzgericht legt vielmehr dar, der Behauptung des Revisionswerbers, "einen Wohnsitz in der Slowakei" gehabt zu haben, werde "kein Glauben geschenkt". Verwiesen wird dazu auf den vermeintlichen Widerspruch zwischen Vorbringen ("1999 bis 2010") und Datum des Mietvertrags (1997) sowie darauf, dass der Revisionswerber in der Slowakischen Republik erst 2011 "steuerlich erfasst" worden sei. Zur Frage einer in den Streitjahren in der Slowakischen Republik geführten Lebensgemeinschaft mit der als Zeugin namhaft gemachten, vom Bundesfinanzgericht aber nicht vernommenen Person wird nicht Stellung genommen.
20 Diese Argumentation hält der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Es ist schon nicht klar, wo der Revisionswerber eine "Wohnsitzbegründung" in der Slowakischen Republik im Jahr 1999 "behauptet" haben soll. Träfe es zu, so wäre der Mietvertrag aus dem Jahr 1997 damit aber noch nicht widerlegt, wobei es im Verfahren auch nicht um die Wohnverhältnisse in der Zwischenzeit, sondern um solche ab dem Jahr 2004 geht. Die Verneinung (zumindest auch) eines Wohnsitzes in der Slowakischen Republik erfolgt im angefochtenen Erkenntnis aber vor allem ohne Auseinandersetzung nicht nur mit den beantragten und nicht aufgenommenen Beweisen, sondern auch mit der schon aktenkundigen detaillierten Aussage des Revisionswerbers in der Hauptverhandlung.
21 Das angefochtene Erkenntnis war im Umfang der Anfechtung schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
22 Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
23 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017130014.L00 |
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