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VwGH vom 28.04.2011, 2010/07/0059

VwGH vom 28.04.2011, 2010/07/0059

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer, Dr. Sulzbacher und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde

1. des JM und 2. des RM, beide in U, beide vertreten durch Dr. Peter Rohracher, Rechtsanwalt in 9900 Lienz, Hauptplatz 9, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung vom , Zl. LAS-604/159-99, betreffend eine Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis (mitbeteiligte Partei: Agrargemeinschaft Nachbarschaft A, B und W, vertreten durch den Obmann SB), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

JM und RM sind Miteigentümer der an der Agrargemeinschaft Nachbarschaft A, B und W (auch Agrargemeinschaft A-B-W, in weiterer Folge: AG ABW), Eigentümerin der Liegenschaft EZ 27 GB U, anteilsberechtigten Stammsitzliegenschaft EZ 82 GB U und zwar JM zu 7/9-Anteilen und RM zu 2/9-Anteilen. An der Agrargemeinschaft W-Alpe (in weiterer Folge AG W-Alpe) ist die genannte Stammsitzliegenschaft ebenfalls anteilsberechtigt.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom war festgestellt worden, dass für die Stammsitzliegenschaft EZ 82 das Recht zum Auftrieb von zwei Rindern auf die Alm der AG ABW und zum Auftrieb von einem Rind auf die Almen der AG W-Alpe (jeweils Galtrinder ohne Unterschied des Alters) besteht.

Mit Eingabe vom brachte RM vor, dass er mit Schreiben vom an den Obmann der AG ABW seine Tiere, wie es die Regulierung vorsehe, zum Auftrieb angemeldet habe. Trotz zahlreicher telefonischer und schriftlicher Anfragen sei weder der Auftriebszeitpunkt noch die Anzahl der Tiere, die er auftreiben dürfe, mitgeteilt worden. Am und in den darauf folgenden Tagen seien etwa 100 Rinder zur Beweidung aufgetrieben worden. Über diesen Auftrieb sei er als berechtigtes Mitglied bis heute nicht informiert worden. Damit verweigere ihm der Obmann, seinen rechtmäßigen Anspruch gemäß seiner Anteilsberechtigung an der AG ABW auszuüben. Dies stelle einen schweren Verstoß gegen geltendes Recht dar.

RM stellte den Antrag, die Schadenersatzpflicht der AG ABW, insbesondere des Obmannes, ihm gegenüber mittels Bescheid festzustellen. Die genaue Schadenshöhe werde auf Kosten der AG ABW von einem von ihm beauftragten unabhängigen Sachverständigen festgestellt werden.

Mit Eingabe vom konkretisierte RM unter Vorlage von Belegen, Berechnungen und Erläuterungen seinen Antrag hinsichtlich der Höhe des Schadenersatzes. Die festgestellte Schadensumme von EUR 2.655,70 sei binnen zehn Tagen nach erstinstanzlicher Entscheidung auf das von ihm angegebene Konto anzuweisen.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am und Einholung einer Stellungnahme des beigezogenen landwirtschaftlichen Amtssachverständigen wurde mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz (im Folgenden: AB) vom gemäß § 37 Abs. 7 des Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetzes 1996 (im Folgenden: TFLG 1996) über den Antrag des RM vom dahingehend entschieden, dass dem Antrag teilweise Folge gegeben und die AG ABW verpflichtet werde, binnen 14 Tagen ab Rechtskraft "an die Antragsteller RM und JM, dieser vertreten durch RM" den Betrag von EUR 574,20 samt 4 % Zinsen seit zu bezahlen. Das darüber hinausgehende Antragsbegehren wurde abgewiesen.

Der Bescheid wurde laut Zustellverfügung an RM und die AG ABW zu Handen ihres Obmannes zugestellt.

Gegen diesen Bescheid der AB vom wurde von RM, ausgestattet mit einer Vollmacht des JM, und von der AG ABW Berufung an die belangte Behörde erhoben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde wie folgt:


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"1)
Die Berufung des JM wird als unzulässig zurückgewiesen.
2)
Die Berufung des RM wird als unbegründet abgewiesen, aus Anlass der Berufung der angefochtene Bescheid jedoch dahingehend abgeändert, dass der Antrag des RM vom in der Fassung als unzulässig zurückgewiesen wird.
3)
Der Berufung der Agrargemeinschaft Nachbarschaft A, B und
W wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid entsprechend Spruchpunkt 2 abgeändert."
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Antrag vom (in der Fassung vom ), über den die AB mit Bescheid vom entschieden habe, allein von RM gestellt worden sei. Im Spruch dieses Bescheides der AB werde zwar von der Zahlungsverpflichtung "an die Antragsteller RM und JM, dieser vertreten durch RM" gesprochen. Es sei jedoch "über den Antrag des Herrn RM" entschieden worden.
Nach der Begründung des AB-Bescheides sei es unzweifelhaft, dass RM nicht nur für sich, sondern auch im Namen seines Bruders und Miteigentümers, JM, und somit für die Stammsitzliegenschaft auftrete. Dieser durch die Aktenlage nicht bestätigten Ansicht - so führte die belangte Behörde in ihrer Begründung weiter aus - könne nicht beigepflichtet werden. Bei Annahme, dass RM auch im Namen des weiteren Miteigentümers aufgetreten sei, hätte der Bescheid "konsequenterweise auch gegenüber JM" erlassen werden müssen. Dieser scheine allerdings in der Zustellverfügung des Bescheides als Bescheidadressat nicht auf. Der angefochtene Bescheid sei somit gegenüber JM nicht erlassen worden.
Sowohl im Antrag vom als auch in der Eingabe vom , mit dem der Antrag konkretisiert worden sei, werde als Antragsteller ausschließlich RM genannt. Eine Vollmacht des weiteren Miteigentümers JM sei nie vorgelegt worden. Auch in der mündlichen Verhandlung der AB am habe sich RM auf keine Vollmacht berufen. Die mit Telefax eingebrachte Gegenäußerung zur Stellungnahme des landwirtschaftlichen Amtssachverständigen sei ebenfalls von RM allein ohne Bezugnahme auf eine Bevollmächtigung durch JM erstattet worden. Erstmals in der vorliegenden Berufung an die belangte Behörde werde ein Vollmachtsverhältnis erwähnt; eine schriftliche Vollmacht sei der Berufung allerdings nicht angeschlossen. Aber auch bei Bestehen eines Vollmachtsverhältnisses wäre die Berufung des JM unzulässig, weil der angefochtene Bescheid ihm gegenüber nicht erlassen worden sei, sodass "für ihn das Berufungsrecht nicht entstanden" sei.
Der verfahrenseinleitende Antrag des RM vom enthalte folgenden Schlusssatz:
"Eine Vollmacht des Miteigentümers wird meinerseits nachgereicht." Dies sei jedoch nicht geschehen. RM sei von der AB auch nicht aufgefordert worden, eine Vollmacht des weiteren Miteigentümers JM nachzureichen.
RM sei zu 2/9 Miteigentümer der Stammsitzliegenschaft EZ 82. Als Bewirtschafter des auf dieser Liegenschaft bestehenden landwirtschaftlichen Betriebes mit der Betriebsnummer 3897419 scheine im an die Agrarmarkt Austria gerichteten Mehrfachantrag-Flächen 2008 JM auf. Die Zulässigkeit des dem RM allein zuzurechnenden Antrages vom (in der Fassung vom ) sei nach § 833 ABGB zu beurteilen. Zu den Maßnahmen der in dieser Bestimmung genannten "ordentlichen Verwaltung" gehörten auf die gemeinsame Liegenschaft bezogene Gewährleistungs- und (im vorliegenden Fall zutreffend) Schadenersatzansprüche.
Die Geltendmachung gemeinsamer Ansprüche und die Ausübung von Gestaltungsrechten unterliege bei einer Liegenschaft im Miteigentum der Regelung des § 833 ABGB. Erwüchsen den Teilhabern einer gemeinsamen Sache (Liegenschaft) gemeinsame Ansprüche, insbesondere Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche und seien im Zusammenhang damit Gestaltungsrechte auszuüben, so sei die Frage, ob und wie die Gemeinschaft ihre Rechte ausübe, eine Angelegenheit der ordentlichen Verwaltung im Sinne des § 833 ABGB, über die die Mehrheit entscheide.
Auf Grund des § 833 ABGB sei die Aktivlegitimation des Minderheitseigentümers zur Geltendmachung einer aus dem agrargemeinschaftlichen Anteilsrecht, das mit der gemeinschaftlichen Liegenschaft verbunden sei, abgeleiteten Schadenersatzforderung zu verneinen. Der von RM gestellte Antrag sei als unzulässig anzusehen. Eine meritorische Erledigung (Sachentscheidung) der antragsgegenständlichen Angelegenheit habe daher zu unterbleiben. RM und JM bleibe es allerdings unbenommen, einen neuen - gültigen - Antrag einzubringen.
Aus der Unzulässigkeit des Antrages von RM, welcher Umstand das Unterbleiben einer Sachentscheidung zur Folge habe, ergebe sich, dass allein aus diesem Grund der Berufung der AG ABW Folge zu geben gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des JM und des RM. Die Beschwerdeführer machen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.


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Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.
Die belangte Behörde tritt im angefochtenen Bescheid der von der AB in ihrem Bescheid vom vertretenen Ansicht über das Vorhandensein einer Vollmacht des JM für RM nicht bei. Der Spruch des Bescheides der AB handelt von einer Zahlungsverpflichtung der AG ABW "an die Antragsteller RM und JM, dieser vertreten durch RM". In der Begründung ihres Bescheides führte die AB aus, es sei "unzweifelhaft, dass RM nicht nur für sich, sondern auch im Namen seines Bruders und Miteigentümers, JM, und somit für die Stammsitzliegenschaft auftritt".
Diese Ausführungen der AB erweisen sich - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - als zutreffend. Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der AB am ist nämlich nicht nur der beschwerdegegenständliche Antrag des RM vom gewesen. Die Verhandlungsausschreibung der AB vom umfasst insgesamt 18 Tagesordnungspunkte. Der verfahrensgegenständliche Antrag vom ist dabei der Tagesordnungspunkt 8. Unter Tagesordnungspunkt 12 ist in dieser Verhandlungsausschreibung auch der Antrag des RM vom (GZ: ABW15-2008) angeführt.
Wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, langte dieser Antrag am bei der AB ein. Als Beilage dieses Antrages findet sich in den vorgelegten Verwaltungsakten auch eine Vollmacht von JM vom . Diese lautet wie folgt:
"Ich erteile hiermit meinem Bruder RM, geboren am , eine allgemeine und unbeschränkte Vollmacht, so dass er berechtigt ist, mich in allen Angelegenheiten der Agrargemeinschaft 'A, B und W' ELZ. 27 KG. U, nach bestem Wissen und Gewissen zu vertreten. Insbesondere ist er auch berechtigt Aufsichtsbeschwerden, Einsprüche, Sachverhaltsdarstellungen ect. beim Amt der Tiroler Landesregierung einzubringen.
Er ist überdies bevollmächtigt, in meinem Namen das Stimmrecht bei der ordentlichen / außerordentlichen Vollversammlung der Agrargemeinschaft auszuüben."
2.
In der Verhandlungsschrift über die Verhandlung vom heißt es unter der Rubrik Anwesende: "RM, auch für JM (entschuldigt)". In dieser Verhandlungsschrift finden sich sowohl Vorbringen zum verfahrensgegenständlichen Tagesordnungspunkt 8 als auch zum Tagesordnungspunkt 12, dessen Gegenstand der Antrag von RM vom ist, dem die dargestellte Vollmacht des JM vom beiliegt.
Die "allgemeine und unbeschränkte" Vollmacht des JM vom , die dem Antrag des RM vom zu Tagesordnungspunkt 12 beigelegen ist, bezieht sich demnach auch auf den verfahrensgegenständlichen Antrag des RM vom . Beide Anträge waren auch - neben einer Vielzahl weiterer Anträge - Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der AB am . Damit wurde von RM - wie dieser in seinem Antrag vom ausführt - eine Vollmacht "nachgereicht".
Eine gemäß § 10 Abs. 1 zweiter Satz AVG schriftliche, nach ihrem Wortlaut eindeutige Bevollmächtigung des RM durch JM liegt somit vor. Der Spruch des Bescheides der AB vom sowie dessen Begründung erweisen sich demnach - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid - als zutreffend. Die Ansicht der belangten Behörde wird durch die vorgelegten Verwaltungsakten eindeutig widerlegt.
3.
Damit lässt sich aber auch die Meinung der belangten Behörde, dass der Bescheid der AB vom gegenüber JM nicht erlassen worden sei, nicht aufrechterhalten.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 10.327/A, ausgesprochen hat, hängt die Frage, für wen nach dem - allein maßgebenden - Willen der Behörde das Schriftstück bestimmt, wer also "Empfänger" desselben im Sinne des (damaligen) § 31 AVG ist, von der Zustellverfügung ab. Für die Frage, wer "Empfänger" im Sinne des § 2 Z. 1 ZustG sein soll, ist allein der in einer bestimmten Weise (durch die Zustellverfügung nach § 5 ZustG) geäußerte Wille der Behörde maßgebend, mit dem sie zum Ausdruck bringt, für wen das zuzustellende Schriftstück bestimmt ist (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 95/07/0038, vom , Zl. 2005/05/0309, und vom , Zl. 2008/17/0154, mwN).
Die Zustellverfügung des Bescheides der AB vom nennt - wie die belangte Behörde zutreffend ausführt - RM und die AG ABW zu Handen ihres Obmannes.
Angesichts der dargestellten Formulierung im Spruch des Bescheides der AB vom und dessen Begründungsausführungen kann die RM betreffende Zustellverfügung nur dahingehend verstanden werden, dass diesem der Bescheid der AB für seine Person und als Vertreter des JM zugestellt werden möge.
4.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am