VwGH vom 13.09.2017, Ra 2017/12/0023
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die außerordentliche Revision des Ing. J S in D, vertreten durch Dr. Peter Ringhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-1265/001-2016, betreffend Entfall der Bezüge gemäß § 31 Abs. 4 DPL (vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich belangte Behörde: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich.
2 Am stürzte er in der Dusche und befand sich fortan im "Krankenstand". Am suchte er einen Facharzt für Orthopädie auf, welcher ihm zu einer MRT-Untersuchung zur Abklärung der Ursache seiner Rückenschmerzen riet. Bis zum holte der Revisionswerber weder eine Überweisung zur MRT-Untersuchung ein, noch traf er mit einem entsprechenden Institut eine Terminvereinbarung. Am erfolgte im Auftrag der Dienstbehörde eine amtsärztliche Erhebung beim Revisionswerber, aus deren Anlass der Sachverständige eine Verzögerung der Einholung einer MRT-Untersuchung feststellte. Am ließ sich der Revisionswerber von seiner Hausärztin eine Überweisung ausstellen.
3 Über Auftrag der Dienstbehörde erstattete der Amtssachverständige am folgende Äußerung:
"Das Auftreten von Rückenschmerzen in der vom Revisionswerber geschilderten Art und Weise ist ein häufiges Krankheitsbild in der Allgemeinmedizin. Der Revisionswerber hat offenbar zunächst zeitnahe seine Hausärztin aufgesucht. Diese hat eine schmerzstillende Medikation verordnet sowie ein Wirbelsäulenröntgen veranlasst. Dieses Röntgenbild wurde auch am ebenfalls ohne relevante Zeitverzögerung angefertigt.
Zu diesem Zeitpunkt (ca. 2 Wochen nach Krankheitsbeginn) war noch keine weitere fachärztliche Konsultation erforderlich, da dies ohnehin keine weitere medizinische Konsequenz nach sich gezogen hätte. Dies deshalb, da keine eindeutigen neurologischen Ausfälle/neurologischen Auffälligkeiten vorhanden waren, welche eine Operationsindikation darstellen würden und die beschriebenen Rückenschmerzen ohne weiteres 3 Wochen andauern können. Auch ein Facharzt hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt (anfangs Februar) keine andere Therapie vorgenommen, als dies die Hausärztin getan hat.
Am - nach ca. 2 Monaten Krankheitsdauer-hat er dann einen Facharzt für Orthopädie aufgesucht.
Auch diese dann doch schon lange - Zeitdauer bis zum Aufsuchen des Facharztes kann noch damit erklärt werden, ‚dass es halt lange dauert bis man einen entsprechenden Termin beim Facharzt erhält'.
Als aus meiner Sicht verzögert ist aber die Vorgangsweise zum vom Facharzt empfohlenen MRT Befund zu bezeichnen: Besuch des Facharztes mit der Empfehlung ein MRT anfertigen zu lassen. Bei meinem Besuch am , also ca. eine Woche später, hat er sich noch weder eine Überweisung vom Hausarzt geholt noch einen Termin für die MRT Untersuchung beim radiologischen Institut vereinbart.
Übliche Vorgangsweise bei einem schon 2 monatigen Krankheitsverlauf (wenn Interesse an der raschen Abklärung einer Schmerzsymptomatik besteht):
sofortige telefonische Terminvereinbarung mit dem radiologischen Institut (auch ohne Zuweisung des Hausarztes), da es lange Wartezeiten auf eine MRT Untersuchung gibt (dies ist allgemein bekannt). Die Überweisung selbst muss erst am Tag der Untersuchung im radiologischen Institut vorgelegt werden.
Einholung einer Überweisung vom Hausarzt zeitnahe.
Beantwortung des gestellten Beweisthemas:
Für die beschriebene zeitliche Verzögerung gibt es keine medizinische Erklärung, auch eine medizinische Indikation hierfür liegt nicht vor."
4 Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom wurde gemäß § 31 der Dienstpragmatik der Landesbeamten 1972, LGBl. 2200, festgestellt, dass der Revisionswerber im Zeitraum vom bis den Anspruch auf Bezüge und Nebengebühren verloren habe.
5 Die Dienstbehörde ging in diesem Zusammenhang davon aus, dass eine sofortige Terminvereinbarung mit einem radiologischen Institut dem Revisionswerber am , sicherlich aber ab möglich und zumutbar gewesen wäre. Dies habe der Revisionswerber ebenso unterlassen wie die zeitnahe Veranlassung der Ausstellung einer Überweisung (durch seinen Hausarzt). Eine solche Überweisung habe sich der Revisionswerber erst am ausstellen lassen.
6 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Dort brachte er insbesondere vor, dass er sich als Ergebnis der am vorgenommenen Untersuchung an ein näher genanntes Röntgeninstitut gewandt habe. Dort sei ihm schon in der Telefon-Warteschleife erklärt worden, dass man für eine Terminvereinbarung die Überweisung bereitzuhalten habe. Zum Beweis dafür, dass für ihn vor dem keine Möglichkeit bestanden habe, eine Terminvereinbarung mit dem Röntgeninstitut vorzunehmen, berief er sich auf seine Einvernahme als Partei.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom wurde diese Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ging in diesem Zusammenhang zunächst von der Schlüssigkeit der von der Dienstbehörde eingeholten Äußerung des Amtssachverständigen aus. Es stellte fest, dass für den Revisionswerber kein Hinderungsgrund zur Erlangung einer Überweisung zur empfohlenen MRT-Untersuchung vorgelegen sei.
9 Nach Wiedergabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen heißt es im Erwägungsteil (auszugsweise):
"Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie, gestützt auf dieses Gutachten, von einer mangelnden Mitwirkung des Beschwerdeführers an der zumutbaren Krankenbehandlung ausging.
Es kann daher ungeprüft bleiben, ob der vom Beschwerdeführer namentlich bezeichnete, öffentlich als Wahlarzt (ohne Kassen) auftretende, behandelnde Orthopäde nicht bereits am selbst eine - wenngleich bewilligungspflichtige - Überweisung ausstellen hätte können und ob stattdessen der Umweg über die Hausärztin womöglich nur zur Umgehung dieser Bewilligung durch die BVA erfolgte. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht seine Untätigkeit im Bezugseinstellungszeitraum, sondern behauptet lediglich, eine Anmeldung beim konkreten Institut sei erst nach erfolgter Ausstellung einer Überweisung möglich. Er behauptet nicht, dass die Ausstellung einer solchen Überweisung bereits durch seinen Wahlarzt nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr kann anhand der öffentlich zugänglichen Richtlinien der BVA als allgemein bekannt angesehen werden, dass seit die bis dahin allgemein bestandene Bewilligungspflicht für MRT-Untersuchungen auf Überweisungen von Wahlärzten eingeschränkt wurde, was den Umweg über die Hausärztin aus der allgemeinen Lebenserfahrung erklärt, nicht jedoch die dabei aufgetretene Verzögerung.
zu 2. Der Rechtsprechung des VwGH zufolge gehört die Diagnose untrennbar zur darauf basierenden Krankenbehandlung (). Dass die Verzögerung der empfohlenen Diagnoseuntersuchung der Genesung tatsächlich abträglich sein kann, kann im Licht der gutachterlichen Aussagen dazu nicht ernsthaft angezweifelt werden (). Die Zumutbarkeit einer MRT-Untersuchung hat der Beschwerdeführer nicht bestritten. Der Beschwerdeführer bestreitet weiters nicht, dass ihm die Bedeutung dieser Untersuchung für die weitere Krankenbehandlung von seinem behandelnden Orthopäden bewusst gemacht worden war (). Die vom Beschwerdeführer verursachte Verzögerung der diagnostischen Untersuchung ist daher einer Entziehung der zumutbaren Krankenbehandlung gleichzusetzen."
10 Zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung vertrat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Rechtsauffassung, der vom Revisionswerber gestellte Beweisantrag schließe es aus, von einem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung auszugehen. Eine solche sei aber nicht erforderlich, weil der Revisionswerber seine Beschwerdebehauptung, eine Terminvereinbarung mit dem Institut sei vor dem nicht möglich gewesen, nicht hinreichend substantiiert habe.
11 Die Revision sei unzulässig, weil die Entscheidung weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche noch eine solche Rechtsprechung fehle. Auch sei die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den hier maßgeblichen Fragen nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof. Der Revisionswerber macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Erkenntnisses sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, es aus diesen Gründen aufzuheben.
13 Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher die Zurückweisung der Revision, hilfsweise deren Abweisung als unbegründet beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 In der Zulässigkeitsbegründung wirft der Revisionswerber zunächst die Frage nach den Konsequenzen einer Verzögerung der Diagnose unter dem Gesichtspunkt des § 31 Abs. 2 letzter Satz DPL 1972 auf. Darüber hinaus rügt er, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vorliegendenfalls aus dem Grunde des Art. 6 EMRK eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt hätte.
15 In der Ausführung der Revision wird vorgebracht, im Falle der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wäre u.a. hervorgekommen, dass dem Revisionswerber das Aufsuchen der Hausärztin erst einige Tage nach dem möglich und zumutbar gewesen sei.
16 Es trifft zu, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der in der Zulassungsbegründung aufgeworfenen materiell-rechtlichen Frage fehlt. Aber auch mit dem ins Treffen geführten prozessualen Zulassungsgrund zeigt die Revision eine grundsätzliche Rechtsfrage auf, weil das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich - wie in der Folge zu zeigen sein wird - in Verkennung der Gesetzeslage (vgl. § 24 Abs. 4 letzter Halbsatz VwGVG) und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der aus Art. 6 Abs. 1 EMRK resultierenden Verhandlungspflicht zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.
17 Die Revision ist aus nachstehenden Gründen auch berechtigt:
18 § 31 Abs. 1, 2 und 4 erster Satz DPL 1972 idF LGBl. 2200- 78 lautet:
"§ 31
Abwesenheit vom Dienst
(1) Ist der Beamte am Dienst verhindert, so hat er dies dem Dienststellenleiter sobald als möglich unter Angabe des Grundes anzuzeigen.
(2) Ist die Dienstverhinderung durch Krankheit verursacht, so hat der Beamte dies durch ein ärztliches Zeugnis nachzuweisen, wenn es die Dienstbehörde verlangt oder wenn die Dienstverhinderung länger als drei Tage dauert. Der Beamte hat dafür vorzusorgen, daß seine Dienstverhinderung überprüft werden kann. Kommt der Beamte diesen Verpflichtungen nicht nach, entzieht er sich einer zumutbaren Krankenbehandlung oder verweigert er die zumutbare Mitwirkung an einer ärztlichen Untersuchung, so gilt die Abwesenheit vom Dienst nicht als gerechtfertigt.
...
(4) Hat eine ungerechtfertigte Abwesenheit vom Dienst länger als einen Tag gedauert oder war der Beamte durch Haft, ausgenommen Untersuchungshaft, an der Dienstleistung verhindert, so verliert er für diese Zeit den Anspruch auf seine Bezüge und Nebengebühren.
..."
19 Gemäß § 31 Abs. 2 letzter Satz DPL 1972 gilt "die Abwesenheit vom Dienst" nicht als gerechtfertigt, wenn sich der Beamte einer zumutbaren Krankenbehandlung "entzieht". Die in Rede stehende Gesetzesbestimmung wirft die Auslegungsfrage auf, auf welchen Zeitraum sich die angeordnete Rechtsfolge, wonach "die Abwesenheit vom Dienst" nicht als gerechtfertigt gilt, im Falle des "sich einer zumutbaren Krankenbehandlung Entziehens" überhaupt bezieht.
20 Der Verwaltungsgerichtshof hat im hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/12/0009, zu den Konsequenzen der Verletzung der Bescheinigungspflicht nach § 51 Abs. 2 erster Satz BDG 1979 Folgendes ausgeführt:
"Unterlässt es der Beamte, der in Rede stehenden Verpflichtung fristgerecht nachzukommen, wiewohl ihm dies möglich und zumutbar ist, hat dies zunächst zur Folge, dass der Zeitraum zwischen dem Beginn seiner Abwesenheit und dem Ablauf der Frist zur zeitnahen Vorlage der ärztlichen Bescheinigung unwiderleglich als solcher einer ungerechtfertigten Abwesenheit gilt, und zwar auch dann, wenn eine ärztliche Bestätigung nach dem zuletzt genannten Zeitpunkt (verspätet) nachgereicht wird. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht aber - jedenfalls bei aufrechtem Krankenstand - die Verpflichtung zur Vorlage der ärztlichen Bestätigung auch nach Verstreichen des zu ihrer zeitnahen Vorlage zur Verfügung stehenden Zeitraumes weiter. Unterbleibt somit die Vorlage der ärztlichen Bestätigung für Zeiträume nach Eintritt der Versäumnis, so kommt auch für diese Folgezeiträume der Eintritt der Vermutung des § 51 Abs. 2 zweiter Satz BDG 1979 in Betracht."
21 Der Verwaltungsgerichtshof ist also in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass eine Verletzung der Bescheinigungspflicht auch die Abwesenheit des Beamten vom Dienst für Zeiträume, die vor seiner Verpflichtung zur zeitnahen Vorlage der Bescheinigung liegen, zu einer ungerechtfertigten macht.
22 Die Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Tatbestand des "sich einer zumutbaren Krankenbehandlung Entziehens" wäre freilich nicht sachgerecht. Die Verpflichtung des Beamten zur Vorlage der ärztlichen Bestätigung setzt nämlich schon in zeitlicher Nähe zum Beginn seines "Krankenstandes" ein und soll u. a. der Dienstbehörde die Möglichkeit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit seiner Dienstverhinderung (und zwar auch rückwirkend ab Antritt des Krankenstandes) ermöglichen. Dies rechtfertigt es, im Falle der Verzögerung der zumutbaren Vorlage der ärztlichen Bestätigung eine ungerechtfertigte Abwesenheit vom Dienst auch für Zeiträume anzunehmen, in denen noch keine diesbezügliche Handlungspflicht des Beamten bestand.
23 Demgegenüber kann - wie auch der vorliegende Fall zeigt - eine mögliche Verletzung der Obliegenheit, sich einer zumutbaren Krankenbehandlung zu unterziehen, auch erst geraume Zeit nach Antritt eines sonst gerechtfertigten "Krankenstandes" eintreten. Da dem Dienstgeber vor diesem Zeitpunkt keinesfalls Nachteile aus einer Verzögerung der Genesung des Beamten resultieren können, erschiene es aber nicht sachadäquat, im Falle einer Verletzung dieser Obliegenheit vom rückwirkenden Entfall der Rechtfertigung des Krankenstandes seit seinem Beginn auszugehen. Wiewohl sich die Dienstbehörde im vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheid auf das vorzitierte hg. Erkenntnis vom berief, zog auch sie diese Konsequenz nicht.
24 Der Verwaltungsgerichtshof überträgt die in Rede stehende Rechtsprechung auf den hier maßgeblichen Tatbestand des zweiten Falles des § 31 Abs. 2 letzter Satz DPL 1972 nicht. Er geht vielmehr davon aus, dass die dort umschriebene Konsequenz, wonach die Verhinderung vom Dienst als nicht gerechtfertigt gilt, auf jene Zeiträume zu beziehen ist, während derer sich der Beamte der zumutbaren Krankenbehandlung entzieht.
25 In diesem Zusammenhang teilt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich und der Dienstbehörde, wonach zur "Krankenbehandlung" auch die Diagnose, und zwar einschließlich der zu ihrer Veranlassung vom Beamten zu setzenden Schritte zählt. Auch ist dem angefochtenen Erkenntnis insoweit beizupflichten, als das Hinauszögern einer zumutbaren Krankenbehandlung bewirkt, dass sich der Beamte in den von dieser Verzögerung betroffenen Zeiträumen derselben (im Verständnis des § 31 Abs. 2 letzter Satz DPL 1972) "entzogen" hat.
26 Vor diesem Hintergrund ist es für die Frage des Beginnes des Entfalles der Bezüge hier entscheidend, ab wann den Revisionswerber (unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und des dem § 31 Abs. 2 letzter Satz DPL 1972 immanenten "Zumutbarkeitskalküls", wobei in diesem Zusammenhang die Pflichten des Beamten nicht überspannt werden dürfen und sich an dem allgemein üblichen Verhalten von Patienten orientieren) die Obliegenheit zum Aufsuchen der Hausärztin zwecks Veranlassung der Ausstellung einer Überweisung getroffen hat.
27 Nun hat die Dienstbehörde und - ihr folgend - das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich dem Revisionswerber zwar vorgeworfen, dass er die Ausstellung einer solchen Überweisung "nicht zeitnah" veranlasst habe, ohne sich jedoch mit der Frage zu beschäftigen, ab wann dem Revisionswerber die Unterlassung einer derartigen Veranlassung als "Entziehung" vorzuwerfen sei.
28 Schon in Ermangelung diesbezüglicher Feststellungen bzw. Annahmen erweist sich das angefochtene Erkenntnis als rechtswidrig. Der Zeitpunkt des Einsetzens einer solchen Handlungspflicht kann nämlich nicht schon mit der Kenntnisnahme des Erfordernisses einer solchen Untersuchung anlässlich des Besuches des Revisionswerbers bei einem Facharzt für Orthopädie gleichgesetzt werden. Die Frage, wann dem Revisionswerber das Aufsuchen der Hausärztin zwecks Ausstellung einer Überweisung möglich und zumutbar war, hängt - wie oben ausgeführt - von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere auch von den Ordinationszeiten der Hausärztin ab.
29 Darüber hinaus gilt auch, dass - worauf der Revisionswerber zutreffend hinweist - ein "Entziehen" im Verständnis des § 31 Abs. 2 letzter Satz DPL 1972 vorsätzliches Verhalten des Beamten voraussetzt (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom , 2003/12/0054, wonach von einem "Entziehen" im Verständnis dieser Gesetzesbestimmung nur dann gesprochen werden könne, wenn der Beamte die Notwendigkeit einer derartigen Behandlung überhaupt erkennt). Im - hier vorliegenden - Fall einer Verzögerung der "Krankenbehandlung" im oben aufgezeigten Verständnis liegt ein "Entziehen" folglich dann vor, wenn der Beamte es ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, dass durch seine Handlungen bzw. Unterlassungen eine solche Verzögerung herbeigeführt wird.
30 Vorliegendenfalls ist unstrittig, dass - im Hinblick auf die vom Revisionswerber beantragte Einvernahme als Partei - ein wirksamer Verzicht auf eine sonst nach Art. 6 Abs. 1 EMRK gebotene mündliche Verhandlung nicht vorlag.
31 Bei den hier strittigen Bezügen handelt es sich um "civil rights" im Verständnis der zitierten Konventionsbestimmung. Von einer mündlichen Verhandlung hätte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich unter diesen Voraussetzungen lediglich dann Abstand nehmen dürfen, wenn die nach der Rechtsprechung des EGMR zulässigen Ausnahmen von der Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK für nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen oder hochtechnische Fragen Platz gegriffen hätten (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/12/0067). Mit der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 letzter Halbsatz VwGVG beschäftigt sich die Begründung für die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht.
32 Selbst wenn man - mangels substantiierter Bestreitung der diesbezüglichen Annahme der Dienstbehörde in der Beschwerde - von der Unstrittigkeit des Vorliegens (irgendeiner) dem Revisionswerber anzulastenden Verzögerung der zumutbaren Veranlassung der Ausstellung eines Überweisungsscheines ausgehen wollte, könnte (schon infolge der Klärungsbedürftigkeit der oben in Rz 27f angeführten, auch den Tatsachenbereich betreffenden Fragen) nicht davon gesprochen werden, dass vorliegendenfalls "nur Rechtsfragen" und keine sonstigen strittigen Sachverhaltsfragen maßgeblich waren.
33 Aus all diesen Gründen hing der Ausgang der Rechtssache von - weder von der Verwaltungsbehörde noch vom Gericht konkret erörterten - Tatsachenfragen ab, sodass die nach der Rechtsprechung des EGMR für die Ausnahme von einer Verhandlungspflicht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK umschriebene Voraussetzung des ausschließlichen Vorliegens einer Rechtsfrage zu verneinen war.
34 Durch die Unterlassung der mündlichen Verhandlung ist das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aus den in Rz 28 ausgeführten Gründen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Demnach war es auf Grund der - prävalierenden - inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
35 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am
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XAAAE-73733