VwGH 24.01.2013, 2010/07/0002
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | 11997E028 EG Art28; 11997E029 EG Art29; 11997E226 EG Art226; 11997E227 EG Art227; 12010E034 AEUV Art34; 12010E035 AEUV Art35; 12010E258 AEUV Art258; 12010E259 AEUV Art259; 62009CJ0028 Kommission / Österreich; EURallg; Sektorales Fahrverbot A12 2007; VwGG §42 Abs2 Z1; VwRallg; |
RS 1 | Im Urteil vom , C-28/09, Kommission gegen Österreich, hat der EuGH auf Grund einer Klage der Kommission festgestellt, die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 28 EG und 29 EG verstoßen, dass sie in Form der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom , LGBl. Nr. 92/2007, für Lastkraftwagen über 7,5 t, die bestimmte Güter befördern, auf einem Teilstück der Autobahn A 12 im Inntal (Österreich) ein Fahrverbot verhängt hat. Ein in einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH ergangenes, eine Vertragsverletzung feststellendes Urteil bewirkt, dass die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten die in Rede stehende Vorschrift in Übereinstimmung mit der im Vertragsverletzungsurteil dargelegten Auslegung des Unionsrechts zu interpretieren bzw. im Hinblick auf den Vorrang des Unionsrechts die betreffende Vorschrift gänzlich unangewendet zu lassen haben, wenn ihre Anwendung im betreffenden Einzelfall zu einem mit Unionsrecht in Widerspruch stehenden Ergebnis führte. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass das nationale Recht insoweit unangewendet bleibt, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist (vgl. E , 2008/15/0064; E , 2008/09/0275, VwSlg. 17615 A/2009). Da der angefochtene Bescheid diese Verordnung angewendet hat, die Norm aber wegen des vom EuGH ausgesprochenen Verstoßes gegen das Unionsrecht nicht anzuwenden ist, ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet (vgl. E , 99/16/0365). |
Entscheidungstext
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2010/07/0003 E
2010/07/0095 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde des AH in A, vertreten durch Dr. Bernhard Haid, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Universitätsstraße 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats in Tirol vom , Zl. uvs-2008/26/3755- 9, betreffend Übertretung nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft (weitere Partei: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft I vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe am um 8.40 Uhr auf der A 12 Inntalautobahn bei km 86.900 als Lenker eines Sattelzugfahrzeuges, bei dem das höchst zulässige Gesamtgewicht mehr als 7,5 t betragen habe, die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom , LGBl. Nr. 92/2007, missachtet, da er bei dieser Fahrt 24.040 kg (18 Ballen) Altpapier transportiert habe, obwohl seit dem auf der A 12 Inntalautobahn zwischen Strkm 6,350 im Gemeindegebiet von Langkampfen und Strkm 90,0 im Gemeindegebiet von Z das Fahren mit Lastkraftwagen oder Sattelkraftfahrzeugen mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t und Lastkraftwagen mit Anhängern, bei denen die Summe der höchsten zulässigen Gesamtgewichte beider Fahrzeuge mehr als 7,5 t betrage, und mit denen Abfälle, die im Europäischen Abfallverzeichnis aufgenommen sind, sowie Steine, Erden und Aushub transportiert werden, verboten sei. Die Fahrt sei nicht unter die Ausnahmebestimmungen der zitierten Verordnung gefallen und der Beschwerdeführer sei nicht im Besitz einer Ausnahmegenehmigung gewesen. Er habe dadurch die Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom , LGBl. Nr. 92/2007 verletzt, sodass über ihn wegen dieser Verwaltungsübertretung gemäß § 30 Abs. 1 Z. 4 Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) eine Geldstrafe von EUR 300,-- verhängt wurde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.
Nach Wiedergabe des wesentlichen Berufungsvorbringens führte die belangte Behörde begründend aus, aufgrund der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen stehe fest, dass der Beschwerdeführer den objektiven Tatbestand der ihm angelasteten Verwaltungsübertretung verwirklicht habe. Er habe ein Sattelkraftfahrzeug mit einer höchst zulässigen Gesamtmasse von mehr als 7,5 t, welches mit Altpapier beladen gewesen sei, innerhalb des durch die Verordnung LGBl. Nr. 92/2007 festgelegten Fahrverbotsbereiches gelenkt und damit gegen § 3 lit. a Z. 1 der zitierten Verordnung verstoßen. Die betreffende Transportfahrt sei auch unter keine der Ausnahmen des IG-L und der Verordnung LGBl. Nr. 92/2007 gefallen.
Die Ausführungen des Beschwerdeführers, mit denen er eine "Gemeinschaftsrechtswidrigkeit" der Verordnung LGBl. Nr. 92/2007 darzutun versuche, würden nicht geteilt. Zwar führe er zutreffend aus, dass der EuGH mit seiner Entscheidung vom , C-320/03, Kommission gegen Österreich, eine ähnlich lautende Verordnung zur Einführung eines sektoralen Fahrverbotes als "gemeinschaftsrechtswidrig" qualifiziert habe; es treffe jedoch entgegen der offenkundigen Ansicht des Beschwerdeführers nicht zu, dass der EuGH eine solche Maßnahme jedenfalls für unzulässig angesehen habe. Grundsätzlich stelle das sektorale Fahrverbot eine Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen des Warenverkehrs dar, doch könnten solche Beschränkungen insbesondere durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes oder des Gemeinwohls sachlich gerechtfertigt sein. Der Landeshauptmann von Tirol habe nun bei Erlassung der neuen sektoralen Fahrverbotsverordnung den Bedenken des EuGH Rechnung getragen. Das verfügte Fahrverbot für Schwerfahrzeuge mit bestimmten Gütern stelle eine notwendige verhältnismäßige Maßnahme zur Reduktion der Luftschadstoffbelastung dar. Die behauptete "Gemeinschaftsrechtswidrigkeit" der Verordnung sei nicht erkennbar.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , Zl. B 701/09-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzte der Beschwerdeführer das Beschwerdevorbringen und machte Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Dazu erstattete der Beschwerdeführer ein weiteres Vorbringen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 30 Abs. 1 Z. 4 IG-L begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu EUR 2.180 zu bestrafen, wer einer gemäß §§ 14 und 16 Abs. 1 Z. 4 erlassenen und entsprechend kundgemachten Anordnung gemäß § 10 zuwiderhandelt.
Aufgrund der §§ 10 und 16 Abs. 1 Z. 4 IG-L erließ der Landeshauptmann von Tirol die Verordnung LGBl. Nr. 92/2007, mit der auf der A 12 Inntal Autobahn der Transport bestimmter Güter im Fernverkehr verboten wird. § 3 dieser Verordnung lautet:
"§ 3
Verbot
Das Befahren der A 12 Inntal Autobahn in beiden Fahrtrichtungen von km 6,350 im Gemeindegebiet von Langkampfen bis Straßenkilometer 90,00 im Gemeindegebiet von Zirl ist mit folgenden Fahrzeugen verboten:
Lastkraftwagen oder Sattelkraftfahrzeugen mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t und Lastkraftwagen mit Anhängern, bei denen die Summe der höchsten zulässigen Gesamtgewichte beider Fahrzeuge mehr als 7,5 t beträgt, zum Transport folgender Güter:
a) ab dem :
1. alle Abfälle, die im Europäischen Abfallverzeichnis aufgenommen sind (entsprechend der Entscheidung der Kommission über ein Abfallverzeichnis, 2000/532/EG, in der Fassung 2001/573/EG),
2. Steine, Erden, Aushub.
b) ab dem :
Rundholz und Kork,
Nichteisen- und Eisenerze,
Kraftfahrzeuge und Anhänger,
Stahl, ausgenommen Bewehrungs- und Konstruktionsstahl für die Belieferung von Baustellen,
Marmor und Travertin,
Fliesen (keramisch)."
Die Beschwerde vertritt die Auffassung, dass das verordnete Fahrverbot (§ 3 der genannten Verordnung) dem Gemeinschaftsrecht, nämlich Art. 27 und 28 EGV widerspreche. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre die belangte Behörde daher zu dem Ergebnis gekommen, dass die gegenständliche Verordnung mangels Rechtsgrundlage "keine Rechtswirkung" entfalte und daher keine "verwaltungsstrafrechtliche Haftung" des Beschwerdeführers bestehe.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde erfolgreich eine Unionsrechtswidrigkeit der dem Beschwerdefall zugrundeliegenden Verordnung und damit eine Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides auf:
Im Urteil vom , C-28/09, Kommission gegenÖsterreich, auf dessen nähere Ausführungen verwiesen wird, hat der EuGH auf Grund einer Klage der Kommission festgestellt, die Republik Österreich habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 28 EG und 29 EG verstoßen, dass sie in Form der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom , LGBl. Nr. 92/2007, für Lastkraftwagen über 7,5 t, die bestimmte Güter befördern, auf einem Teilstück der Autobahn A 12 im Inntal (Österreich) ein Fahrverbot verhängt habe.
Ein in einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH ergangenes, eine Vertragsverletzung feststellendes Urteil bewirkt, dass die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten die in Rede stehende Vorschrift in Übereinstimmung mit der im Vertragsverletzungsurteil dargelegten Auslegung des Unionsrechts zu interpretieren bzw. im Hinblick auf den Vorrang des Unionsrechts die betreffende Vorschrift gänzlich unangewendet zu lassen haben, wenn ihre Anwendung im betreffenden Einzelfall zu einem mit Unionsrecht in Widerspruch stehenden Ergebnis führte. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass das nationale Recht insoweit unangewendet bleibt, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/15/0064, sowie vom , Zl. 2008/09/0275, VwSlg. 17.615 A/2009, jeweils mwN).
Da der angefochtene Bescheid diese Verordnung angewendet hat, die Norm aber wegen des vom EuGH ausgesprochenen Verstoßes gegen das Unionsrecht nicht anzuwenden ist, ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/16/0365) und daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
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Normen | 11997E028 EG Art28; 11997E029 EG Art29; 11997E226 EG Art226; 11997E227 EG Art227; 12010E034 AEUV Art34; 12010E035 AEUV Art35; 12010E258 AEUV Art258; 12010E259 AEUV Art259; 62009CJ0028 Kommission / Österreich; EURallg; Sektorales Fahrverbot A12 2007; VwGG §42 Abs2 Z1; VwRallg; |
Schlagworte | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2013:2010070002.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
MAAAE-73728