VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0011
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Die Wirkungen eines Feststellungsbescheids können sich nur auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides beziehen. Nach Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen steht die Rechtskraft dieses Bescheides der Erlassung eines neuen Bescheides in derselben Angelegenheit nicht entgegen. Die Verbindlichkeit ("Bindungswirkung") eines Feststellungsbescheides besteht nämlich nur innerhalb der "Grenzen der Rechtskraft", welche mit Inkrafttreten der dementsprechenden Novelle durchbrochen wird (vgl. E A1/06). Damit geht das "Ende" bzw. die "Durchbrechung" der Feststellungswirkung einher (vgl. E , Ro 2015/12/0025; B , 2015/12/0002; E , 2002/12/0247; E , 2003/12/0118). In einem solchen Fall ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides mit geändertem Inhalt für die Durchbrechung der Feststellungswirkung nicht vorausgesetzt (vgl. E , Ro 2015/12/0025). Die Befugnis der Behörde, auf dem Boden der nach Änderung der Rechtslage anzuwendenden, rechtlichen Bestimmungen einen neuen Bescheid zu erlassen, führt aber nicht dazu, dass sie einen zuvor erlassenen Bescheid gemäß § 68 Abs. 2 AVG beheben dürfte. Vielmehr dient § 68 Abs. 2 AVG der (ex-nunc erfolgenden) Beseitigung der Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Bescheides. Der Anwendungsbereich des § 68 Abs. 2 AVG bezieht sich (wie sich aus § 68 Abs. 1 AVG unzweifelhaft ergibt) auf Fälle, in denen der Bescheid zum Zeitpunkt seiner Abänderung oder Behebung nach wie vor Bindungswirkungen entfaltet und der Bescheid der Erlassung eines neuen Bescheides "wegen entschiedener Sache" entgegenstünde. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die Revision der Mag. X Y in Z, vertreten durch Dr. Gerhard Brandl, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Kardinalschütt 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom , Zl. KLVwG- 2770/12/2015, betreffend Aufhebung eines rechtskräftigen Bescheides nach § 68 Abs. 2 AVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtsenat der Stadt Villach), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Stadt Villach hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom wurde ausgesprochen, dass der Revisionswerberin aufgrund ihres Antrages vom gemäß § 74 Abs. 1 und § 94 Abs. 1 lit. a des Kärntner Gesetzes über Bezüge und Pensionen von Organen von Gebietskörperschaften (Kärntner Bezügegesetz 1992) als ehemaliger Vizebürgermeisterin der Stadt Villach ab ein monatlicher Ruhebezug gebühre. Begründend wurde in dem Bescheid festgehalten, dass die der Revisionswerberin anzurechnende ruhebezugsfähige Gesamtzeit 10 Jahre betrage. Darüber hinaus wurde in dem genannten Bescheid eine Berechnung des der Revisionswerberin ab zustehenden Ruhebezugs vorgenommen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom wurde der Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben und der Antrag der Revisionswerberin vom als unzulässig zurückgewiesen. Begründend verwies die Behörde darauf, dass es durch die Novelle LGBl. Nr. 54/2003 zu einer "gravierenden" Änderung des Kärntner Bezügegesetzes 1992 gekommen sei. Mit dieser Novelle sei § 77 Abs. 1 leg. cit. dahingehend geändert worden, dass der Ruhebezug erst ab dem der Vollendung des 65. Lebensjahres folgenden Monatsersten ausbezahlt werde. Das Gesetz sei mit in Kraft getreten. Darüber hinaus verwies die Behörde auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , A 1/06, mit welchem der Verfassungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht habe, dass in der vorliegenden Konstellation im Zeitpunkt des Antrages und auch im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen kein Anspruch, sondern lediglich eine Anwartschaft der Revisionswerberin auf Ruhebezug bestanden habe. Der Verfassungsgerichtshof habe zudem die Auffassung vertreten, dass für die Behörde die Möglichkeit bestehe, nach Änderung der Rechtslage einen neuen Bescheid zu erlassen. Durch die Behebung des Bescheides vom komme es zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung der Revisionswerberin. Ihr Anwartschaftsrecht bleibe unverändert. Dass der Antrag der Revisionswerberin vom unzulässig sei, ergebe sich zudem aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2014/12/0002.
3 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Berufung, welcher mit Bescheid des Stadtsenates der Stadt Villach vom abgewiesen wurde.
4 Gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Villach erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Kärntner Landesverwaltungsgericht.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
6 Das Verwaltungsgericht stützte seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass der Bürgermeister der Stadt Villach nach Ansicht des Verwaltungsgerichts zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom nicht zuständig gewesen sei, über den Antrag der Revisionswerberin vom inhaltlich abzusprechen. Der Antrag der Revisionswerberin wäre richtigerweise als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Die Behörde habe daher zu Recht den Bescheid vom gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben und den Antrag der Revisionswerberin vom auf Zuerkennung eines Ruhegenusses ab als unzulässig zurückgewiesen. Dem Vorbringen der Revisionswerberin, wonach es sich bei dem Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom um einen Leistungsbescheid handle, der ab vollstreckbar sei, sei entgegenzuhalten, dass der Bürgermeister der Stadt Villach mit dem Bescheid vom unzuständiger Weise eine inhaltliche Entscheidung getroffen habe. Vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , A 1/06, hätten der Revisionswerberin keinerlei Rechte aus dem in Rede stehenden Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom erwachsen können, wobei es im Übrigen unstrittig sei, dass die Revisionswerberin weiterhin ein Anwartschaftsrecht auf einen Ruhebezug habe und dieses Anwartschaftsrecht durch die Behebung des Bescheides vom nicht berührt worden sei. Den Ausspruch betreffend die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 ?-VG.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in welcher die Revisionswerberin zur Zulässigkeit ausführt, dass das Verwaltungsgericht insofern von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, als es unzutreffender Weise davon ausgegangen sei, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Behebung des gegenständlichen Bescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG gegeben seien. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts greife die Behebung des Bescheides vom in gravierender Weise in die Rechtsposition der Revisionswerberin ein. Durch den Bescheid vom seien der Revisionswerberin jedenfalls Rechte erwachsen. Dadurch dass der Revisionswerberin nicht mehr zum , sondern erst zum ein Anspruch auf Bezug eines Ruhegenusses zustehen solle, komme es in offenkundiger Weise zu einer Beeinträchtigung der Rechte der Revisionswerberin. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürften selbst rechtswidrige Bescheide nicht gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben beziehungsweise abgeändert werden. Diese Rechtsprechung habe das Verwaltungsgericht außer Acht gelassen.
8 Gleichzeitig mit der gegenständlichen Revision erhob die Revisionswerberin gegen das angefochtene Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom , E 3244/2016-5, ablehnte.
9 Die vorliegende Revision erweist sich aus den in der Revision dargelegten Gründen als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
10 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurückweisung der Revision, hilfsweise deren Abweisung.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens über die vorliegende Revision erwogen:
12 § 68 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:
"Abänderung und Behebung von Amts wegen
§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
(2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden..."
13 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Villach vom wurde spruchgemäß festgehalten, dass der Revisionswerberin ab ein monatlicher Ruhebezug gebühre. Es handelt sich dabei um einen Feststellungsbescheid, der bei seiner Erlassung auf einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt () Bezug nahm und durch die Behörde vor diesem Zeitpunkt unter Berufung auf § 68 Abs. 2 AVG behoben wurde.
14 Hinsichtlich der Wirkungen dieses Feststellungsbescheides ist zunächst festzuhalten, dass sich diese nur auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom beziehen konnten und nach Änderung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen mit Inkrafttreten der Novelle LGBl. Nr. 54/2003 die Rechtskraft dieses Bescheides der Erlassung eines neuen Bescheides in derselben Angelegenheit nicht entgegenstand. Die Verbindlichkeit ("Bindungswirkung") eines Feststellungsbescheides besteht nämlich nur innerhalb der "Grenzen der Rechtskraft", welche mit Inkrafttreten der Novelle LGBl. Nr. 54/2003 durchbrochen wurde (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , A1/06). Der Verwaltungsgerichtshof spricht auch von einem (damit einhergehenden) "Ende" bzw. einer "Durchbrechung" der Feststellungswirkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/12/0025, den hg. Beschluss vom , 2015/12/0002, sowie die hg. Erkenntnisse vom , 2002/12/0247, und vom , 2003/12/0118). In einem solchen Fall ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides mit geändertem Inhalt für die Durchbrechung der Feststellungswirkung nicht vorausgesetzt (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom ).
15 Die Befugnis der Behörde, auf dem Boden der nach Änderung der Rechtslage anzuwendenden, rechtlichen Bestimmungen einen neuen Bescheid zu erlassen, führt aber nicht dazu, dass sie einen zuvor erlassenen Bescheid gemäß § 68 Abs. 2 AVG beheben dürfte. Vielmehr dient § 68 Abs. 2 AVG der (ex-nunc erfolgenden) Beseitigung der Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Bescheides. Der Anwendungsbereich des § 68 Abs. 2 AVG bezieht sich (wie sich aus § 68 Abs. 1 AVG unzweifelhaft ergibt) auf Fälle, in denen der Bescheid zum Zeitpunkt seiner Abänderung oder Behebung nach wie vor Bindungswirkungen entfaltet und der Bescheid der Erlassung eines neuen Bescheides "wegen entschiedener Sache" entgegenstünde.
16 Im vorliegenden Fall, wo eine "Durchbrechung" der Feststellungswirkung aber ohnehin bereits eingetreten war, bestanden keine sich aus dem Bescheid vom ergebenden Bindungswirkungen mehr. § 68 Abs. 2 AVG stellt somit bereits unter diesem Gesichtspunkt keine taugliche Rechtsgrundlage für die Behebung des Bescheides vom dar und lagen sohin die Voraussetzungen für die Behebung des Bescheides nach § 68 Abs. 2 AVG nicht vor. Es kam folglich auch der Behörde keine Zuständigkeit zur Behebung des Bescheides nach dieser Bestimmung zu.
17 Aus den dargelegten Gründen verkannte das Landesverwaltungsgericht Kärnten, indem es die auf § 68 Abs. 2 AVG gestützte Behebung des Bescheides vom bestätigte, die Rechtslage und belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Das angefochtene Erkenntnis war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes zu beheben.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Allgemein Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Zulässigkeit und Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Bindung an diese Voraussetzungen Umfang der Befugnisse Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017120011.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
BAAAE-73694