VwGH vom 17.04.2012, 2008/04/0112
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde der X GmbH in Y, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Dr. Siegfried Sieghartsleitner und Mag. Dr. Michael Pichlmair, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Eisenhowerstraße 27, gegen den Bescheid des Vergabekontrollsenates Wien vom , Zl. VKS - 1744/06, betreffend Vergabenachprüfungsverfahren (erstmitbeteiligte Partei:
Z Gesellschaft m.b.H., vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Tuchlauben 17; zweitmitbeteiligte Partei: ARGE - A GmbH/B GmbH), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Das Land Wien hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Z Gesellschaft m.b.H (erstmitbeteiligte Partei; im Folgenden: Auftraggeberin) schrieb am einen Bauauftrag im Unterschwellenbereich (Errichtung einer Kälteanlage für das Projekt eines Büro- und Geschäftszentrums in Wien - "Town-Town") in einem "einstufigen Verhandlungsverfahren mit öffentlicher Bekanntmachung" aus. In der Ausschreibung wurde "ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei den gegenständlichen Leistungen um KEINE SEKTORENTÄTIGKEIT handelt und daher das BVergG 2006 gemäß des § 175 (vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommene Vergabeverfahren) Ziffer 15 BVergG 2006 bei der Vergabe keine Anwendung findet".
Die Beschwerdeführerin nahm an diesem Vergabeverfahren mit zwei Angeboten (Nr. 4523 und Nr. 4543) teil; das Angebot Nr. 4543 bezeichnete sie als "Alternativangebot", in dem sie statt eines von der Auftraggeberin angeführten Referenzproduktes ein günstigeres Alternativprodukt anbot. Mit E-Mail vom lud die Auftraggeberin die Beschwerdeführerin zu einem Verhandlungstermin (über das Angebot Nr. 4523) ein, teilte aber gleichzeitig mit, dass vom "Alternativangebot" aufgrund Negativreferenzen Abstand genommen werden müsse und darüber nicht verhandelt werde.
Am brachte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde einen Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Auftraggeberin vom , vom Alternativangebot der Beschwerdeführerin Abstand zu nehmen bzw. darüber nicht zu verhandeln, ein.
Im Nachprüfungsverfahren brachte die Auftraggeberin mit Schriftsatz vom vor, den Zuschlag für das gegenständliche Projekt bereits am (an die Zweitmitbeteiligte) erteilt zu haben.
Die Beschwerdeführerin bestritt in einer Replik vom , dass der Zuschlag tatsächlich rechtswirksam erteilt worden sei. Diese Behauptung der Auftraggeberin sei der Beschwerdeführerin erstmals mit dem oben genannten Schriftsatz vom zur Kenntnis gebracht worden. Mangels (früherer) Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung sei der behauptete Zuschlag gemäß § 132 Abs. 2 BVergG 2006 absolut nichtig und entfalte keine Wirkung. Sollte davon ausgegangen werden, dass der Schriftsatz der Auftraggeberin vom eine Mitteilung der Zuschlagsentscheidung darstelle, fechte die Beschwerdeführerin hiermit die Zuschlagsentscheidung an und begehre hilfsweise deren Nichtigerklärung. Sollte aber davon auszugehen sein, dass ein Zuschlag bereits rechtswirksam erteilt worden sei, beantrage die Beschwerdeführerin "in eventu" festzustellen, dass wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006 der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis erteilt worden und damit rechtswidrig gewesen sei.
Den zuletzt angeführten (hilfsweise gestellten) Feststellungsantrag "präzisierte" die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom dahingehend, es möge festgestellt werden, dass bezüglich des gegenständlichen Projektes die Wahl der Direktvergabe nicht zu Recht erfolgt sei, dass wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006 der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis, nämlich dem Angebot der Beschwerdeführerin Nr. 4543, erteilt worden und dieser damit rechtswidrig gewesen sei und dass die Zuschlagserteilung direkt an einen Unternehmer erfolgt sei, ohne dass andere Unternehmer an diesem Vergabeverfahren beteiligt gewesen seien, und dies auf Grund der Bestimmungen des BVergG 2006 offenkundig unzulässig gewesen sei. Die übrigen gestellten Anträge hielt die Beschwerdeführerin vollinhaltlich aufrecht.
In der Verhandlung vor der belangten Behörde am verwies der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin auf seinen Schriftsatz vom . Der Rechtsvertreter der Auftraggeberin replizierte, der Zuschlag sei nach dem Standpunkt der Auftraggeberin "ordnungsgemäß am entsprechend den in der Ausschreibung festgelegten Bedingungen … erteilt worden". Eine weitere Äußerung des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin zu diesem Themenkomplex ist dem Protokoll der Verhandlung nicht zu entnehmen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde "die mit Schriftsatz vom gestellten Anträge festzustellen, dass bezüglich der Errichtung der Kälteanlage für das Projekt Town-Town die Wahl der Direktvergabe durch die Auftraggeberin
... offenkundig nicht zu Recht erfolgte sowie dass die
Zuschlagsentscheidung direkt an einen Unternehmer erfolgte, ohne dass andere Unternehmer an diesem Vergabeverfahren beteiligt waren, und dies auf Grund der Bestimmungen des BVergG 2006 offenkundig unzulässig war", ab (Spruchpunkt 1.). Gleichzeitig wies sie den Antrag festzustellen, "dass wegen eines Verstoßes gegen das BVergG 2006 der Zuschlag nicht gemäß den Angaben in der Ausschreibung dem Angebot mit dem niedrigsten Preis, nämlich dem Angebot der Beschwerdeführerin (Angebot Nr. 4543) … erteilt wurde und damit rechtswidrig war", als unzulässig zurück (Spruchpunkt 2.). Abschließend verpflichtete sie die Beschwerdeführerin, die von ihr entrichteten Pauschalgebühren selbst zu tragen (Spruchpunkt 3.).
In der Begründung ihrer Entscheidung setzte sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, erst aufgrund des Schriftsatzes der Auftraggeberin vom über den Zuschlag in Kenntnis gesetzt worden zu sein, nicht auseinander. Sie ging aber davon aus, dass das gegenständliche Vergabeverfahren durch Erteilung des Zuschlages am beendet worden sei. Die belangte Behörde nehme dies trotz des gegenteiligen Standpunktes der Beschwerdeführerin als erwiesen an, zumal diese dem Vorbringen der Auftraggeberin in der Verhandlung vom auch nicht widersprochen habe.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde (zusammengefasst), es stehe aufgrund der im gegenständlichen Verfahren eingeholten Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom , Rs C-393/06, fest, dass die Auftraggeberin als öffentliche Auftraggeberin auf den gegenständlichen Vergabevorgang die Vorschriften des BVergG 2006 anzuwenden gehabt hätte.
Die Beschwerdeführerin habe jedoch die Ausschreibung weder hinsichtlich der Wahl des Vergabeverfahrens noch hinsichtlich der Festlegung, die Bestimmungen des BVergG 2006 nicht zur Anwendung bringen zu wollen, angefochten; die Ausschreibung sei dadurch "bestandsfest" geworden. Im Hinblick darauf könne die Beschwerdeführerin die "zweifellos vorliegende, vergaberechtswidrige Direktvergabe der Leistungen" durch die Auftraggeberin auch nicht mehr im Wege eines Feststellungsantrages bekämpfen, der überdies nach § 27 Abs. 1 WVRG 2003 verspätet wäre. Die in Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides genannten Anträge seien daher abzuweisen gewesen. Zu Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, die begehrte Feststellung komme gemäß § 19 Abs. 2 WVRG 2003 nicht in Betracht, weil die Verstöße gegen das BVergG 2006 rechtzeitig mit einem Antrag auf Nichtigerklärung nach § 13 Abs. 2 Z. 2 WVRG 2003 hätten geltend gemacht werden können und gemacht werden müssen. Das erstmals am gestellte und in der Folge modifizierte Feststellungsbegehren sei deshalb unzulässig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie auch die erstmitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin war darauf gerichtet, die Entscheidung, dass über das Alternativangebot Nr. 4543 nicht verhandelt werde, für nichtig zu erklären. Sämtliche mit dem angefochtenen Bescheid entschiedenen Anträge wurden von der Beschwerdeführerin hingegen nur hilfsweise (eventualiter) gestellt, nämlich für den Fall, dass dem Hauptantrag (wegen zwischenzeitlichen Zuschlages) keine Berechtigung zukommen sollte. Den Hauptantrag hielt die Beschwerdeführerin nach der Aktenlage bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides aufrecht.
Ausgehend davon hat der Verwaltungsgerichtshof von amtswegen wahrzunehmen, dass die belangte Behörde mit der gegenständlichen Entscheidung ihre (funktionelle) Zuständigkeit überschritten hat. Bevor sie über die Eventualanträge der Beschwerdeführerin entscheiden durfte, wäre eine Entscheidung über den Hauptantrag notwendig gewesen. Der Eventualantrag wird seinem Wesen nach nämlich unter der aufschiebenden Bedingung gestellt, dass der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird ein Eventualantrag - wie hier -
vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Entscheidung der Behörde mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0214, mwN).
2. Im fortgesetzten Verfahren wird im Übrigen Folgendes zu beachten sein:
2.1. Vor dem Hintergrund des zitierten Urteils des EuGH ist nicht (mehr) strittig, dass die gegenständliche Vergabe (ungeachtet der Tatsache, dass die Auftraggeberin dabei keine Sektorentätigkeit ausgeübt hat) als Bauauftrag einer öffentlichen Auftraggeberin nach den Vorschriften des BVergG 2006 zu erfolgen hatte. Da das Vergabeverfahren schon im März 2006 eingeleitet wurde, ist noch das BVergG 2006 in der Stammfassung BGBl. I Nr. 17/2006 anzuwenden.
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erkannt, dass alle tatsächlich in den Anwendungsbereich des BVergG 2006 fallenden Vergaben nachprüfbar sein müssen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/04/0207). Ausgehend davon vermag ein in der Ausschreibung enthaltener (fehlerhafter) genereller Ausschluss des BVergG 2006 dessen (grundsätzliche) Anwendbarkeit und den darin vorgesehenen Rechtsschutz nicht zu beseitigen; die Anwendbarkeit des BVergG 2006 an sich sowie die Zuständigkeiten der Vergabekontrollbehörden entziehen sich einer gestaltenden Festlegung durch die Auftraggeberin. Eine solche kann daher auch nicht bestandfest werden.
Nach dem BVergG 2006 richtet sich die Anfechtbarkeit von Entscheidungen allerdings danach, welches Verfahren von der Auftraggeberin tatsächlich gewählt und durchgeführt wird. Bleibt die (allenfalls falsche) Wahl des Vergabeverfahrens unangefochten, wird diese Entscheidung bestandskräftig; der weitere Ablauf des Verfahrens hat sich dann nach dieser (nicht mehr angreifbaren) Wahl zu richten (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/04/0207, mwN).
2.3. Im vorliegenden Fall hat die Auftraggeberin - bestandfest - ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger öffentlicher Bekanntmachung gewählt. Insofern stellt sich - wie an dieser Stelle zur Klarstellung festzuhalten ist - die Frage, ob sie (zu Unrecht) eine Direktvergabe gewählt habe, von vornherein nicht.
2.4. Gemäß § 131 erster Satz BVergG 2006 hat der Auftraggeber den im Vergabeverfahren verbliebenen Bietern unverzüglich und nachweislich mitzuteilen, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll (Mitteilung der Zuschlagsentscheidung). Eine Verpflichtung zur Mitteilung besteht in den in § 131 Z. 1 bis 8 leg. cit. näher angeführten Fällen nicht; dass ein solcher Ausnahmefall im gegenständlichen Verfahren vorlag, ist nicht ersichtlich und ergibt sich bislang weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus dem Vorbringen der Parteien.
Gemäß § 132 Abs. 2 BVergG 2006 ist ein unter Verstoß gegen die gemäß § 131 erster Satz leg. cit. bestehende Verpflichtung zur Mitteilung der Zuschlagsentscheidung erfolgter Zuschlag absolut nichtig.
Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, das gegenständliche Vergabeverfahren sei durch Erteilung des Zuschlages am beendet worden. Mit dem bestreitenden Vorbringen der Beschwerdeführerin, die ihren Hauptantrag darauf gestützt hat, dass der Zuschlag mangels Mitteilung der Zuschlagsentscheidung an sie gemäß § 132 Abs. 2 BVergG 2006 absolut nichtig sei, beschäftigt sich die belangte Behörde nicht. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage ist aufgrund der zuvor dargestellten Rechtslage aber entscheidungswesentlich und daher erforderlich.
Sie erübrigt sich auch nicht deshalb, weil die Beschwerdeführerin - wie die belangte Behörde argumentiert - dem Vorbringen der Auftraggeberin in der Verhandlung am nicht widersprochen hat. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin von ihrem bis dahin eingenommenen Standpunkt (demzufolge der Zuschlag nicht rechtswirksam erteilt worden sei), auch in der genannten Verhandlung nicht abgewichen ist, ist die Rechtsfrage der Nichtigkeit einer Zuschlagserteilung nämlich der Dispositionsbefugnis der Parteien entzogen.
Die belangte Behörde wird sich daher vor Entscheidung über den Hauptantrag der Beschwerdeführerin auf der Grundlage des bisher Gesagten damit beschäftigen müssen, ob die Zuschlagsentscheidung der Beschwerdeführerin mitzuteilen war, ob diese Mitteilung erfolgte und welche Konsequenzen mit einer allenfalls unterbliebenen Mitteilung verbunden sind.
3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am