VwGH 29.04.2013, 2010/06/0266
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | BauG Stmk 1995 §13; BauG Stmk 1995 §19; BauG Stmk 1995 §22; BauG Stmk 1995 §41 Abs1; BauRallg; VwGG §42 Abs2 Z1; |
RS 1 | Das Stmk BauG 1995 geht davon aus, dass Baubewilligungen vor der Bauführung eingeholt werden müssen (vgl. § 41 Abs. 1 Stmk. BauG 1995 über die Baueinstellung). Gleichwohl sind auch nachträgliche Baubewilligungen möglich (vgl. die bei Hauer/Trippl, Steiermärkisches Baurecht, 4. Auflage, S. 343 f zitierte hg. Judikatur). Auszugehen ist weiters davon, dass der Gesetzgeber die normierten Abstände - soweit er nicht selbst Ausnahmen vorsieht - uneingeschränkt - eingehalten wissen will. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2009/06/0201 E RS 1
(hier: ohne letzten Satz) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des SN in H, vertreten durch DI Dr. Peter Benda, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Brückenkopfgasse 2/1. Stock, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA13B- 12.10-E108/2010-3, betreffend Vorstellung in einer Bausache (mitbeteiligte Partei: CM in E, vertreten durch Mag. Wolfgang Jantscher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Wastiangasse 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Verfahrensgegenständlich ist ein Ansuchen des Beschwerdeführers vom auf Erteilung der Baubewilligung für den Zubau eines Kellers beim bestehenden Pflegeheim auf einem näher bezeichneten Grundstück im Gemeindegebiet der Marktgemeinde E.
In der Bauverhandlung vom erhob die Mitbeteiligte, die Eigentümerin einer an das Baugrundstück angrenzenden Liegenschaft ist, Einwendungen, weil weder der Gebäude- noch der Grenzabstand eingehalten werde. Überdies sei auf Grund des Verwendungszweckes des Kellerzubaues samt vorspringender Terrasse und Flachdach in ungewöhnlichem Ausmaß jedenfalls eine das ortsübliche Maß übersteigende Belästigung, insbesondere durch Lärm sowie durch Lichtentzug, zu erwarten, sodass die Baubehörde gemäß § 13 Abs. 12 Stmk BauG einen größeren, jedenfalls angemessenen Grenz- und Gebäudeabstand vorzuschreiben habe. Widrigenfalls bestehe die Gefahr des Abrutschens von Erdreich an der Grundstücksgrenze im Zuge der Baumaßnahme und dadurch eine massive Gefährdung der Sicherheit des Wohnhauses der Mitbeteiligten.
Mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde E. dem Beschwerdeführer gemäß den §§ 19 und 29 Stmk BauG, LGBl. Nr. 59/1995 idgF, iVm der Verordnung des Gemeinderates vom , mit der der Flächenwidmungsplan 4.0 der Marktgemeinde E. beschlossen worden und der am in Rechtswirksamkeit erwachsen sei, und dem § 32 Abs. 1 Stmk. ROG, LGBl. Nr. 127/1974 idgF, die Baubewilligung "für Kellerzubau, Terrasse, überdachter Müllplatz, Umgestaltung der Parkflächen mit Geländeveränderung" auf einer näher bezeichneten Grundstücksfläche unter Vorschreibung von Auflagen.
Der Berufung der Mitbeteiligten, in der diese - wie in ihren Einwendungen - die Nichteinhaltung des Grenz- und Gebäudeabstandes sowie zusätzliche, wesentliche Belästigungen und Beeinträchtigungen einerseits durch Lärmimmissionen und andererseits durch (bei Verwirklichung des Bauvorhabens) ungehinderte Sicht in ihre Wohnräume geltend machte, gab der Gemeinderat der Marktgemeinde E. mit Bescheid vom keine Folge. Im Übrigen wurde der erstinstanzliche Bescheid vom Amts wegen dahingehend abgeändert, dass anstelle der mit dem erstinstanzlichen Bescheid genehmigten Projektunterlagen jene als genehmigt zu treten hätten, in denen der Geländeverlauf richtig dargestellt sei. Zusammengefasst vertrat die Berufungsbehörde die Ansicht, die Mitbeteiligte werde durch das verfahrensgegenständliche Bauvorhaben nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten verletzt.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid vom hob die belangte Behörde über Vorstellung der Mitbeteiligten den Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde E. vom auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat zurück.
In der Begründung legte sie zunächst dar, welche Rechtsakte der Baubehörde dem nunmehr verfahrensgegenständlichen Bauansuchen vom vorangegangen seien.
Daraus ist auszugsweise Folgendes hervorzuheben:
Der Beschwerdeführer hat mit Eingabe vom um den Um- und Zubau beim bestehenden Wohnhaus in der T.-Gasse zur Nutzung als Miethaus mit fünf Wohneinheiten auf näher bezeichneten Grundstücken angesucht. Der Bürgermeister der Marktgemeinde E. hat mit Bescheid vom die Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen erteilt.
Mit Bescheid vom wurde ein am eingebrachtes Ansuchen um Baubewilligung für die Errichtung eines Wohnheimes mit 17 Zimmern zurückgewiesen sowie ein weiteres Ansuchen vom um Erteilung einer Baubewilligung für den Um- und Zubau eines Pflegeheimes und das Ansuchen vom auf Erteilung einer Baubewilligung für den Zubau eines Aufzuges beim bestehenden Pflegeheim abgewiesen.
Ein Bauansuchen vom um die Errichtung eines Pflegeheimes mit 14 Betten und eines Aufzuges wurde mit Bescheid des Bürgermeisters vom bewilligt, ebenso ein Ansuchen um Zubau eines Kellers und einer Terrasse mit Aufenthaltsraum beim bestehenden Pflegeheim vom (Bescheid des Bürgermeisters vom ) sowie ein Ansuchen vom für den Einbau von je einem Zimmer im ersten und zweiten Dachgeschoß sowie die Fortführung des Stiegenhauses beim gegenständlichen Pflegeheim (Bescheid des Bürgermeisters vom ).
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde sodann aus, es sei davon auszugehen, dass das dem Verfahren zugrundeliegende ursprüngliche Gebäude, welches seinerzeit ein Amtshaus gewesen sei, vor dem errichtet worden sei. Weiters sei davon auszugehen, dass diverse Zu- und Umbauten sowie eine Nutzungsänderung nach dem vorgenommen worden seien. Es stelle sich nun die Frage, ob bei der baurechtlichen Beurteilung der nach 1984 getätigten baulichen Maßnahmen von einem Bestandsobjekt auszugehen sei, das unter Anwendung des § 40 Abs. 1 Stmk BauG als rechtmäßig zu beurteilen sei (hinsichtlich der Größe und der Nutzung, wie sie zum maßgeblichen Zeitpunkt vorhanden gewesen sei).
Nach Wiedergabe des § 40 Stmk BauG führte die belangte Behörde aus, der diesbezüglich maßgeblichen Judikatur (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2005/06/0355, 2006/06/0150) sei klar zu entnehmen, dass sich die Vermutung der Rechtmäßigkeit gemäß § 40 Abs. 1 leg. cit. bzw. die Feststellung der Rechtmäßigkeit gemäß § 40 Abs. 2 leg. cit. nicht auf einen in der Vergangenheit gelegenen Bestand beziehe, sondern auf jenen Bestand, wie er im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Behörde (gemeint sei dabei die derzeitige Gestaltung) gegeben sei. So beziehe sich § 40 Abs. 1 leg. cit. auf bestehende bauliche Anlagen und Feuerstätten, die vor dem errichtet worden seien, während sich § 40 Abs. 2 leg. cit. auf solche bauliche Anlagen und Feuerstätten beziehe, die zwischen dem und dem errichtet worden seien. Als weiteres Argument ziehe der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Auslegung der Regelung des § 40 (und dabei insbesondere des Abs. 1) die bisherige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum vermuteten Konsens heran und führe aus, dass, wie der vermutete Konsens, sich die Regelung des § 40 allein auf die derzeitige (d.h. die im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkte der Behörde vorliegende) Gestaltung der baulichen Anlage und nicht auf irgendeinen in der Vergangenheit gegebenen Bestand beziehe.
Für den gegenständlichen Fall bedeute dies, dass zwar ein Gebäude vor dem errichtet worden sei, dieses Gebäude zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht mehr in dieser Form bestehe, sondern vielmehr durch Zu- und Umbauten (Errichtung eines Pflegeheimes mit 14 Betten und eines Aufzuges, Zubau eines Kellers und einer Terrasse mit Aufenthaltsraum, Einbau von je einem Zimmer im ersten und zweiten Dachgeschoß sowie Fortführung des Stiegenhauses) verändert worden sei. In Anwendung der zitierten Judikatur könne daher in diesem Fall die Vermutung der Rechtmäßigkeit gemäß § 40 Abs. 1 Stmk BauG nicht herangezogen werden, weil sie sich auf einen in der Vergangenheit gelegenen Bestand beziehen würde, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr vorhanden sei.
Mögen für den seinerzeitigen Altbestand die Grenzabstände von 3,00 m bzw. 3,34 m sowie 1,80 m zu den (im Einzelnen angeführten) Grundstücken auf Grund der Errichtung der baulichen Anlage vor dem als rechtens betrachtet werden, so seien sie jedoch durch die Änderungen des Altbestandes in eine komplett neue, dem Altbestand in keiner Weise mehr entsprechende bauliche Anlage nicht mehr den § 13 Stmk BauG entsprechend. Bei dem dem Berufungsbescheid zugrundeliegenden Kellerzubau sowie der Terrasse handle es sich sohin um eine nicht bewilligungsfähige bauliche Anlage, weil die bereits bestehende bauliche Anlage entgegen den Bestimmungen des Stmk BauG, insbesondere des § 13, errichtet worden sei. Durch den Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde E. seien daher Rechte der Mitbeteiligten verletzt worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift - wie die Mitbeteiligte - die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Beschwerdeführer hat zu beiden Gegenschriften repliziert.
Auch die Marktgemeinde E. hat (unaufgefordert) eine Stellungnahme abgegeben, in der sie sich den Ausführungen der Beschwerde anschloss.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die gegenständliche Beschwerde wendet sich gegen einen Vorstellungsbescheid, mit dem der Vorstellung des Nachbarn Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde E. aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen wurde.
Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, dass der "Altbestand" der baulichen Anlage, zu dem mit dem nunmehr verfahrensgegenständlichen Ansuchen vom ein Kellerzubau, eine Terrasse, ein überdachter Müllplatz und eine Umgestaltung der Parkflächen mit Geländeveränderung erfolgen sollte, nicht als rechtmäßiger Bestand anzusehen sei. Bei den vorliegenden Bauvorhaben handle es sich um eine nicht bewilligungsfähige bauliche Anlage, weil der "Altbestand" entgegen den Bestimmungen des Stmk BauG, insbesondere des § 13, errichtet worden sei.
Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, hinsichtlich des gegenständlichen Pflegeheimes mit 14 Betten, einem Aufzug, einem Zimmer im ersten und zweiten Dachgeschoß lägen rechtskräftige Baubewilligungsbescheide und auch rechtskräftige Benützungsbewilligungen bezüglich dieser Um- und Zubauten vor. Es liege daher ein mit Bescheiden zur Gänze genehmigtes Bauwerk vor; es komme auf einen vermuteten Konsens gar nicht an. Das Gebäude sei als rechtmäßiger Bestand zu werten, allerdings nicht im Sinne des § 40 Stmk BauG, sondern durch die den gesamten Bau vollständig "deckenden" Baubewilligungen. Es sei lediglich die Frage (der Bewilligungsfähigkeit) des Zubaus an einen rechtmäßigen Bestand zu klären.
In ihrer Gegenschrift begründet die belangte Behörde ihre Ansicht, der Altbestand sei nicht als rechtmäßiger Bestand anzusehen, mit den "vom Beschwerdeführer stets vor der Erteilung von Baubewilligungen getätigten konsenslosen baulichen Maßnahmen, die nachträglich einer Bewilligung zugeführt wurden". Gerade durch diese konsenslosen Bauführungen an dem Bestandsobjekt sei die - möglicherweise ursprüngliche Rechtmäßigkeit - untergegangen.
Abgesehen davon, dass diese Argumentation in sich widersprüchlich ist, weil damit einerseits nachträglich einer Bewilligung zugeführte bauliche Maßnahmen und andererseits (möglicherweise gemeint:) bauliche Maßnahmen, die von einer erteilten Bewilligung abweichen, angesprochen werden, ist dazu Folgendes anzumerken:
Das Steiermärkische Baugesetz geht davon aus, dass Baubewilligungen vor der Bauführung eingeholt werden müssen (vgl. § 41 Abs. 1 Stmk. BauG über die Baueinstellung). Gleichwohl sind auch nachträgliche Baubewilligungen möglich (vgl. die bei Hauer/Trippl, Steiermärkisches Baurecht, 4. Auflage, S. 343f zitierte hg. Judikatur).
Nach den eigenen Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid (siehe im Einzelnen die Wiedergabe der einzelnen Bauansuchen und die darüber ergangenen Bescheide auf den Seiten 4 bis 7, die eingangs zusammengefasst wiedergegeben wurden) liegen hinsichtlich des "Altbestandes" auf der Liegenschaft des Beschwerdeführers, zu dem der hier gegenständliche Zubau erfolgen soll, im Zeitpunkt der Entscheidung des Gemeinderates der Marktgemeinde E. (mangels anderslautender gesetzlicher Regelung ist hier die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides maßgebend, und zwar auch im Fall einer nachträglichen Baubewilligung, vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/06/0226) rechtskräftige Baubewilligungen vor.
Davon ausgehend erweist sich die Ansicht der belangten Behörde als unzutreffend, weil bei Vorliegen rechtskräftiger, wenn auch nachträglicher Baubewilligungen nicht von einem unrechtmäßigen Baubestand die Rede sein kann. Für die Beurteilung der Zulässigkeit des vorliegenden Projekts bedarf es nicht der Heranziehung des § 40 Stmk BauG.
Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | BauG Stmk 1995 §13; BauG Stmk 1995 §19; BauG Stmk 1995 §22; BauG Stmk 1995 §41 Abs1; BauRallg; VwGG §42 Abs2 Z1; |
Schlagworte | Besondere Rechtsgebiete Baubewilligung BauRallg6 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2013:2010060266.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAE-73676