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VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/11/0313

VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/11/0313

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des J G in I, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG- 2017/14/2368-1, betreffend Akteneinsicht in einer kraftfahrrechtlichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Schreiben der belangten Behörde vom wurde der Revisionswerber als Zulassungsbesitzer eines nach dem Kennzeichen näher bestimmten Kraftfahrzeuges gemäß § 103 Abs. 2 KFG 1967 zur Erteilung der Auskunft aufgefordert, wer dieses Kraftfahrzeug am um 21.45 Uhr an einer bestimmten Örtlichkeit verwendet habe.

2 Mit Anwaltsschriftsatz vom teilte der Revisionswerber mit, er habe am selben Tag Akteneinsicht genommen, doch wesentliche Passagen des Verwaltungsaktes seien geschwärzt gewesen. Der Revisionswerber habe ein wesentliches Interesse zu erfahren, welches Delikt mit seinem Eigentum verübt worden sein soll bzw. welchen Inhalts die Anzeige sei. Unter Hinweis auf § 17 Abs. 3 AVG und das Erkenntnis , beantragte der Revisionswerber, ihm "Akteneinsicht in vollem Umfang" zu gewähren, in eventu darüber mit Bescheid abzusprechen.

3 Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den genannten Antrag auf unbeschränkte Akteneinsicht gemäß § 17 Abs. 3 AVG ab. Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde und machte u.a. geltend, dass der Pflicht zur Begründung jener öffentlichen und privaten Interessen, welche die Einsichtsverweigerung rechtfertigten, nicht entsprochen worden sei.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

5 In der Begründung nahm das Verwaltungsgericht nach der Wiedergabe des Verfahrensgeschehens zunächst Bezug auf näher zitierte (allerdings in Verwaltungsstrafsachen ergangene) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes betreffend das dem § 103 Abs. 2 KFG 1967 zugrunde liegende öffentliche Interesse an der raschen und lückenlosen Strafverfolgung, betreffend die zeitliche Unbeschränktheit der Auskunftspflicht und betreffend die Unzulässigkeit einer grundlosen und somit willkürlichen Lenkeranfrage. Außerdem wurde auf das (ebenfalls eine Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG 1967 betreffende) Erkenntnis , hingewiesen, nach welchem die Kenntnis einer zur Last gelegten Verwaltungsübertretung für die Verpflichtung des Zulassungsbesitzers, dem Auskunftsverlangen der Behörde nachzukommen, nicht erforderlich sei. Im Lichte dieser Judikatur sei das Begehren auf vollinhaltliche Akteneinsicht unberechtigt, weil der dem Revisionswerber zur Kenntnis gebrachte Teil der Anzeige ausreichend sei, um ihm die Beurteilung zu ermöglichen, dass die gegenständliche Anfrage gemäß § 103 Abs. 2 KFG 1967 einerseits nicht grundlos erfolgt sei und andererseits im Interesse einer raschen und lückenlosen Strafverfolgung liege. "Ferner" sei "in diesem Zusammenhang auf § 17 Abs. 3 AVG zu verweisen", wonach von der Akteneinsicht Aktenbestandteile ausgenommen seien, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde. Die Behörde sei durch § 103 Abs. 2 KFG 1967 nicht von der Verpflichtung entbunden, die Angaben des Auskunftspflichtigen zu prüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheine "und dient dazu auch die ‚geschwärzten' Passagen".

Der Revisionswerber gehe zu Unrecht von einem unbeschränkten Recht auf Akteneinsicht aus und die erhobene "Beschwerde sei unberechtigt, zumal ein konkretes, rechtliches (abstrakt nicht ausreichend) für die Erhebung der Beschwerde fehlt".

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der zu ihrer Zulässigkeit ausgeführt wird, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Judikatur (Hinweis auf ) ab, nach der das Verfahren gemäß § 103 Abs. 2 KFG 1967 betreffend die Lenkerauskunft ein Administrativverfahren sei, in welchem der Partei (Zulassungsbesitzer) das Recht auf Einsicht in die diese Sache betreffenden Akten zustehe.

7 Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist aus dem von ihr vorgetragenen Grund zulässig, sie ist aus nachstehenden Überlegungen auch begründet.

10 § 103 KFG 1967 lautet auszugsweise:

"§ 103. Pflichten des Zulassungsbesitzers eines Kraftfahrzeuges oder Anhängers

...

(2) Die Behörde kann Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw. zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer - im Falle von Probe- oder von Überstellungsfahrten der Besitzer der Bewilligung - zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. (Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.

..."

11 § 17 AVG lautet:

"Akteneinsicht

§ 17. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien bei der Behörde in die ihre Sache betreffenden Akten Einsicht nehmen und sich von Akten oder Aktenteilen an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen oder auf ihre Kosten Kopien oder Ausdrucke erstellen lassen. Soweit die Behörde die die Sache betreffenden Akten elektronisch führt, kann der Partei auf Verlangen die Akteneinsicht in jeder technisch möglichen Form gewährt werden.

(2) Allen an einem Verfahren beteiligten Parteien muss auf Verlangen die Akteneinsicht in gleichem Umfang gewährt werden.

(3) Von der Akteneinsicht sind Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.

(4) Die Verweigerung der Akteneinsicht gegenüber der Partei eines anhängigen Verfahrens erfolgt durch Verfahrensanordnung."

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem vom Revisionswerber zitierten Erkenntnis () wie folgt ausgeführt:

"Aus § 17 Abs. 4 AVG ergibt sich, dass die Verweigerung der Akteneinsicht gegenüber der Partei in einem anhängigen Verfahren nur eine Verfahrensanordnung im Sinne des § 63 Abs. 2 AVG darstellt, deren Rechtswidrigkeit erst und nur mit dem Rechtsmittel gegen den das Verfahren abschließenden Bescheid geltend gemacht werden kann. Ist hingegen über das Akteneinsichtsbegehren einer Person abzusprechen, der im laufenden Verwaltungsverfahren Parteistellung nicht zukommt oder deren Parteistellung sich auf ein bereits abgeschlossenes Verfahren bezogen hat, hat dies durch einen (verfahrensrechtlichen) Bescheid zu geschehen, der im Instanzenzug bekämpft werden kann (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2000/11/0100, mwN.).

Der oben dargestellte Grundsatz, dass die Verweigerung der Akteneinsicht gegenüber der Partei in einem anhängigen Verfahren nur eine Verfahrensanordnung darstellt, deren Rechtswidrigkeit erst bei der Anfechtung des in der Sache ergehenden Bescheides als Verfahrensmangel geltend gemacht werden kann, kommt ferner in solchen Verfahren nicht zum Tragen, in denen ein die Angelegenheit abschließend erledigender Bescheid im Sinne des § 63 Abs. 2 AVG nicht in Betracht kommt. In solchen Verfahren hat über die Verweigerung der Akteneinsicht ein im Instanzenzug anfechtbarer Bescheid zu ergehen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/11/0259).

Eine solche Konstellation war, wie die belangte Behörde grundsätzlich zutreffend erkannte, im vorliegenden Fall gegeben, weil das Verfahren, in dem die Aufforderung zur Auskunftserteilung gemäß § 103 Abs. 2 KFG 1967 ergeht, ein Administrativverfahren ist, in dem der Zulassungsbesitzer - im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin - Partei ist und kein die Angelegenheit abschließender Bescheid ergeht. Der Aufforderung nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Bescheidqualität zu (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom , Zl. 91/11/0073, mwN.).

Die Beschwerdeführerin war demnach im Verwaltungsverfahren (Administrativverfahren) Partei und hatte das Recht auf Einsicht in die diese Sache betreffenden Akten. ..."

13 Diese Rechtsprechung (vgl. ebenso das Erkenntnis ) gilt angesichts der im Wesentlichen unveränderten Rechtslage auch für den vorliegenden Fall, sodass einerseits über das Begehren des Revisionswerbers auf Akteneinsicht förmlich abzusprechen war und dem Revisionswerber andererseits im Administrativverfahren gemäß § 103 Abs. 2 KFG 1967 Parteistellung und das Recht auf Einsicht in den betreffenden Verfahrensakt zukommt, soweit nicht bestimmte Aktenteile gemäß § 17 Abs. 3 AVG von der Akteneinsicht ausgenommen sind.

14 Entscheidungswesentlich ist daher, ob gegenständlich die Verweigerung der Akteneinsicht in die betreffenden Aktenbestandteile zum Schutz konkreter in § 17 Abs. 3 AVG genannter Interessen erforderlich ist.

15 Wird die Akteneinsicht verweigert, so ist in der Begründung des Bescheides nachvollziehbar dazulegen, welche Aktenteile davon betroffen sind und welche öffentlichen oder privaten Interessen dies im konkreten Fall rechtfertigen (vgl. etwa , sowie weitere, bei Hengstschläger/Leeb, AVG I (2. Ausgabe 2014) § 17 Rz 11, referierte Judikatur).

16 Gegenständlich fehlt im angefochtenen Erkenntnis eine nachvollziehbare Begründung, weshalb von der Akteneinsicht die "geschwärzten" Aktenteile der Anzeige (die offenbar das straßenverkehrsrechtliche Fehlverhalten des angezeigten Lenkers betreffen) im Hinblick auf die in § 17 Abs. 3 AVG genannten Interessen auszunehmen seien.

17 Soweit sich das Verwaltungsgericht einerseits auf die (zur Strafbarkeit wegen Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG 1967 ergangene) Judikatur bezieht, wonach die Kenntnis der zur Last gelegten Verwaltungsübertretung für die Verpflichtung des Zulassungsbesitzers, dem Auskunftsverlangen der Behörde nachzukommen, "nicht erforderlich" sei und andererseits meint, es fehle (daher) ein "konkretes, rechtliches" (zu ergänzen: Interesse) an der uneingeschränkten Akteneinsicht, so übersieht es, dass es auf das Kriterium der Erforderlichkeit der Akteneinsicht in diesem Zusammenhang nicht ankommt:

18 Vielmehr ist einer Partei (nach dem Gesagten somit auch dem Zulassungsbesitzer im Administrativverfahren nach § 103 Abs. 2 KFG 1967) Akteneinsicht ohne Rücksicht darauf zu gewähren, zu welchem Zweck die Einsicht begehrt wurde (vgl. VwGH (verstärkter Senat) , 2012/10/0002), sodass sie auch nicht verpflichtet ist zu begründen, zu welchem Zweck sie Akteneinsicht benötigt ().

19 Aber auch der lediglich pauschale Verweis des Verwaltungsgerichts auf das öffentliche Interesse an der raschen und lückenlosen Strafverfolgung, dem die Auskunftspflicht nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 dient, vermag die Erfüllung eines der Ausnahmetatbestände des § 17 Abs. 3 AVG nicht zu begründen. Es ist nämlich nicht ersichtlich, weshalb die Einsicht in jene das straßenverkehrsrechtliche Fehlverhalten beschreibenden Aktenteile die Aufgaben der Behörde gefährden oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen könnte. Auch wenn nämlich die Anfrage nach § 103 Abs. 2 KFG 1967 nicht zur Bekanntgabe eines Lenkers führen sollte (was das Verwaltungsgericht im Falle der Bekanntgabe des deliktischen Verhaltens zu befürchten scheint; deutlicher die belangte Behörde in der Revisionsbeantwortung) oder eine unrichtige Bekanntgabe eines Lenkers erfolgt, hat die Behörde (das Verwaltungsgericht) im jeweiligen Strafverfahren (fallbezogen: betreffend das straßenverkehrsrechtliche Fehlverhalten) - im Rahmen der freien Beweiswürdigung - die Lenkereigenschaft zu beurteilen und ist dabei nicht an die vom Zulassungsbesitzer gemäß § 103 Abs. 2 KFG 1967 erteilte Auskunft gebunden (vgl. ). Im Rahmen der freien Beweiswürdigung kann auch berücksichtigt werden, wenn der Zulassungsbesitzer einen (anderen) Lenker nicht namhaft macht.

20 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen der vorrangig wahrzunehmenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017110313.L00
Schlagworte:
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

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