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VwGH 27.01.2010, 2008/04/0101

VwGH 27.01.2010, 2008/04/0101

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §79 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
RS 1
Dem Betriebsinhaber dürfen nicht strengere (ihn stärker belastende) Auflagen vorgeschrieben werden, als dies zur Wahrung der im § 77 Abs. 1 GewO angeführten Schutzzwecke notwendig ist; der Betriebsinhaber darf also nicht ohne Rücksicht darauf, ob derselbe Effekt auch mittels weniger einschneidender Vorkehrungen erreicht werden kann, mit Auflagen belastet werden; bei einer Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Auflagen ist darzulegen, dass (und aus welchen Gründen) eine andere, den Betriebsinhaber weniger belastende Auflage nicht vorgeschrieben werden konnte (vgl. die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO2, E 13 zu § 77 wiedergegebene Judikatur).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der K GmbH & Co in H, vertreten durch Hämmerle & Häusle & Schwendinger, Rechtsanwälte in 6850 Dornbirn, Riedgasse 20/3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Vorarlberg vom , Zl. UVS-414-029/E10-2007, betreffend Vorschreibung von Auflagen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 79 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994 (GewO) für den Betrieb einer Tankstelle an einem bestimmt bezeichneten Standort vorgeschrieben, dass die Befüllung der unterirdischen Tanks nur durch Schwerkraft zu erfolgen habe und das Laufenlassen der Motoren der Tanklastzüge während des Befüllungsvorganges nicht zulässig sei.

Zur Begründung führte die belangte Behörde - soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren wesentlich - aus, der gewerbetechnische Amtssachverständige habe in seinem von der Behörde erster Instanz eingeholten Gutachten ausgeführt, dass der Abstand der Tanklastzüge beim Befüllvorgang zu den nächst gelegenen Wohnnachbarn je nach Standort um etwa 20 bis 30 m bzw. zum Teil über 50 m liege. Das Abfüllen von Treibstoffen eines Tanklastzuges mittels Pumpe erfolge mit einer leicht erhöhten Leerlaufdrehzahl. Nach den einschlägigen Richtlinien könne davon ausgegangen werden, dass der LKW dabei einen Schallleistungspegel von ca. 102 dB aufweise. Auf Grund von Erfahrungen mit ähnlichen Tankstellen könne von einer Dauer von etwa 30 bis 40 Minuten bei einer Befüllung mittels Motorpumpe ausgegangen werden. Unter der Annahme einer Befüllung während der ungünstigsten acht Stunden am Tag ergebe sich ein Beurteilungs-Schallleistungspegel von 91 dB. Dies ergebe für die nächst gelegenen Wohnnachbarn Beurteilungspegel von 63 bis 68 dB in der Nacht und von 52 bis 57 dB am Tag. Die Umgebungsgeräuschsituation werde im Wesentlichen durch den Verkehrslärm auf der unmittelbar vorbeiführenden Landesstraße L 150 bestimmt. Bei den nächst gelegenen Wohnnachbarn verursache diese Straße Umgebungsgeräuschpegel im Bereich von 66 bis 68 dB am Tag und 56 bis 58 dB in der Nacht. Der Grundgeräuschpegel betrage am Tag etwa 45 dB und in der Nacht etwa 35 dB. Dieser Grundgeräuschpegel repräsentiere jenen Zustand, der von den Betroffenen als "Ruhe" erlebt werde. Es sei darauf zu achten, dass dieser Grundgeräuschpegel durch Betriebsgeräusche nicht beeinträchtigt werde. Dabei seien Dauergeräusche besonders kritisch zu betrachten, da diese durch das Fehlen von Pausen die Empfindung der "Ruhe" stark beeinträchtigen könnten. Bei der Beurteilung sei von folgenden Kriterien auszugehen:

Der bestehende Grundgeräuschpegel dürfe durch Dauergeräusche aus der Betriebsanlage nicht verändert werden.

Der Beurteilungspegel von anderen Schallimmissionen aus dem Betriebsgelände dürfe den Grundgeräuschpegel um nicht mehr als 10 dB übersteigen; in Bereichen, in welchen der äquivalente Dauerschallpegel der derzeitigen Schallimmissionen den Grundgeräuschpegel um 10 dB oder mehr übersteige, dürften Schallimmissionen aus dem Betriebsgelände den bestehenden äquivalenten Dauerschallpegel nicht merkbar erhöhen.

Bei einem Grundgeräuschpegel am Tag von 45 dB und in der Nacht von 35 dB ergebe sich eine "Grenze der zumutbaren Störung" im Sinn der ÖAL-Richtlinie Nr. 3 von 55 dB am Tag und 45 dB in der Nacht. Aus den Ergebnissen für die örtliche Schallimmission sei ersichtlich, dass der energieäquivalente Dauerschallpegel der Umgebung (Verkehrslärm) diese Grenze sowohl tags als auch nachts bereits überschritten habe. Es sei deshalb zu fordern, dass durch den neu hinzutretenden Lärm der energieäquivalente Dauerschallpegel der Umgebung nicht weiter erhöht werde. Um dies zu erreichen, sollten die Schallimmissionen der zu beurteilenden Geräuschquelle mindestens 6 bis 10 dB unter dem energieäquivalenten Dauerschallpegel der Umgebung zu liegen kommen. Dies bedeute, dass am Tag ein Grenzwert für den Beurteilungspegel von 56 dB und in der Nacht von 46 dB nicht überschritten werden sollte. Im gegenständlichen Fall verursache das Abfüllen der Treibstoffe mittels Motorpumpe am Tag einen um 1 dB höheren Beurteilungspegel von 57 dB und in der Nacht einen deutlich höheren Beurteilungspegel von 68 dB.

Insgesamt ergebe die Beurteilung der Lärmeinwirkungen auf die Nachbarobjekte durch das Abfüllen der unterirdischen Tanks mittels Motorpumpe, dass die bestehende schalltechnische Situation deutlich verändert werde. Die Geräusche während des Abfüllvorganges in der Dauer von 30 bis 40 Minuten würden sich auf Grund der gleich bleibenden Motorgeräusche auf hohem Niveau deutlich vom bereits bestehenden Umgebungslärm (Verkehrslärm) unterscheiden, weil sie keine Verkehrspausen mehr zulassen würden und somit das Empfinden der Ruhe deutlich beeinträchtigt werde.

In einer Gutachtensergänzung vom habe der gewerbetechnische Amtssachverständige ausgeführt, es sei richtig, dass die Überschreitung des Richtwertes am Tag eher geringfügig sei. Es sei jedoch - wie im Gutachten ausgeführt - zu berücksichtigen, dass sich das gleichmäßige Motorgeräusch vom bestehenden Verkehrslärm unterscheide.

Der medizinische Amtssachverständige habe in seinem von der belangten Behörde eingeholten Gutachten ausgeführt, dass das Motorgeräusch bei der Befüllung der Tanks am Tag - für die Nacht habe die Beschwerdeführerin auf motorische Pumpvorgänge verzichtet - rechnerisch eine Erhöhung des äquivalenten Dauerschallpegels um 1 dB ergebe. Das Laufenlassen eines LKW-Motors auf erhöhter Leerlaufdrehzahl beinhalte eine besondere akustische Lästigkeit. Das Geräusch sei für die Anrainer zuordenbar und lokalisierbar. Es komme der emotionale Belastungsfaktor hinzu, dass sich die exponierten Nachbarn in Kenntnis darüber befänden, dass diese Lärmbelästigung unrechtmäßig und unnotwendig sei. Im Organismus führe die Einwirkung von Geräuschen zu kurz- oder längerfristigen Aktivitätsveränderungen verschiedener Körperfunktionen und zur Freisetzung von Stresshormonen. Es komme zu einer Erhöhung der Herzfrequenz, des systolischen und diastolischen Blutdrucks, einer Steigerung der Atemfrequenz, einer Herabsetzung der Hauttemperatur und einer Verminderung des Fingerpulses. In Alltagssituationen trete dazu die emotionale Bewertung des Geräusches (Verärgerung, Wut, ...) wodurch bereits bei niedrigeren Schallpegeln vegetative Reaktionen beobachtet werden könnten. Weiters würden durch die Lärmbelästigung Unlustgefühle bis hin zur Depression sowie weitere vegetative Reaktionen ausgelöst. Bei länger anhaltender oder sich wiederholender Lärmbelastung könne der erhöhte Blutdruck auf lange Sicht zu einer beschleunigten Alterung des Gefäßsystems und zu vorzeitigem Infarktrisiko oder Schlaganfallrisiko führen.

Zur Frage, ob aus medizinischer Sicht eine Einschränkung der Auflage auf die Nachtzeit möglich sei, habe der Sachverständige geantwortet, dass die beschriebenen Auswirkungen auf den Organismus auch für die Tageszeit gelten. In Mittagspausen- oder Feierabendsituationen könne sich die Lärmstörung ebenso nachteilig auswirken wie in der Nacht, unter Umständen mit zusätzlichen tageszeittypischen Effekten. Den dem Lärm ausgesetzten Personen könne buchstäblich "der Appetit vergehen", infolge der emotionalen Reaktionen könne es zu Magenschleimhautentzündungen und Geschwürskrankheiten kommen.

Daraus folgerte die belangte Behörde, dass die vorgeschriebene Auflage zur Vermeidung einer Gesundheitsgefährdung der Nachbarn erforderlich sei und daher niemals außer Verhältnis zu dem dazu erforderlichen Aufwand stehen könne. Es brauche nicht darauf eingegangen zu werden, ob die Nachbarn nachträglich zugezogen seien, weil Auflagen zur Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen gemäß § 79 Abs. 2 GewO auch zum Schutz solcher Nachbarn vorgeschrieben werden könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegenden Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Begehren, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt u.a. vor, die belangte Behörde habe eine Prüfung unterlassen, ob nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen das Auslangen gefunden hätte werden können. Insbesondere habe sich die belangte Behörde mit dem Berufungsvorbringen betreffend die Betankung mittels lärmarmer LKW nicht beschäftigt.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dürfen dem Betriebsinhaber nicht strengere (ihn stärker belastende) Auflagen vorgeschrieben werden, als dies zur Wahrung der im § 77 Abs. 1 GewO angeführten Schutzzwecke notwendig ist; der Betriebsinhaber darf also nicht ohne Rücksicht darauf, ob derselbe Effekt auch mittels weniger einschneidender Vorkehrungen erreicht werden kann, mit Auflagen belastet werden; bei einer Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Auflagen ist darzulegen, dass (und aus welchen Gründen) eine andere, den Betriebsinhaber weniger belastende Auflage nicht vorgeschrieben werden konnte (vgl. die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO2, E 13 zu § 77 wiedergegebene Judikatur).

Die Beschwerdeführerin hat - wie im angefochtenen Bescheid dargestellt - in der Berufung u.a. gerügt, dass nicht geprüft worden sei, ob durch gelindere Mittel die Gesundheit und das Leben der Nachbarn geschützt werden könnten. Es hätte ausgereicht vorzuschreiben, dass motorunterstützte Betankungen in der Nacht sowie in den Tagesrandzeiten (6.00 Uhr bis 8.00 Uhr und 19.00 Uhr bis 22.00 Uhr) sowie in der Mittagszeit (12.00 Uhr bis 13.00 Uhr) nicht zulässig seien, oder dass die motorunterstützte Betankung nur mittels lärmarmer LKW gestattet sei.

Nach den - mit der Aktenlage übereinstimmenden - Feststellungen der belangten Behörde ist der gewerbetechnische Sachverständige davon ausgegangen, dass ein Tanklastzug beim Pumpvorgang mit leicht erhöhter Leerlaufdrehzahl nach "den einschlägigen Richtlinien" einen Schallleistungspegel von 102 dB entwickle. Davon ausgehend kam er zum Ergebnis, dass der (um 10 dB unter dem energieäquivalenten Dauerschallpegel der durch Verkehrslärm geprägten Umgebung liegende) Beurteilungspegel von 56 dB während der Tagzeit durch die Betankungsvorgänge um 1 dB überschritten werde, wozu die besondere Charakteristik des gleich bleibenden Motorgeräusches komme.

Auf Grund des dargestellten Berufungsvorbringens wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, durch entsprechende Ergänzung des gewerbetechnischen Gutachtens abzuklären, ob diese Beurteilung auch bei der Verwendung lärmarmer LKW gilt bzw. inwiefern sich die Situation für die Nachbarn bei Vorschreibung der motorunterstützten Betankung ausschließlich durch lärmarme LKW verbessern würde.

Der medizinische Sachverständige hat zunächst ausgeführt, dass die von ihm angeführten nachteiligen Auswirkungen des Lärms auf den Organismus auch für die Tagzeit gelten. Unmittelbar im Anschluss daran hat er allerdings ausgeführt, dass sich die Lärmstörung in Mittagspausen oder in Feierabendsituationen ebenso nachteilig auswirken könne wie in der Nacht.

Insbesondere im Hinblick auf das dargestellte Berufungsvorbringen wäre die belangte Behörde gehalten gewesen abzuklären, ob die medizinische Beurteilung auch bei Einschränkung des Verbots der motorischen Tankbefüllung auf die Nachtzeit sowie die Tagesrandzeiten und die Mittagszeit aufrechtzuerhalten ist.

Schon aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
GewO 1994 §74 Abs1 Z1;
GewO 1994 §74 Abs1 Z2;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §77 Abs2;
GewO 1994 §79 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete
Allgemein
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2010:2008040101.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAE-73666