VwGH vom 22.06.2017, Ra 2017/11/0112
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des T L in B, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner Promenade 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. Landesverwaltungsgericht-S-2936/001-2016, betreffend Übertretung des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Amstetten),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es die Übertretung hinsichtlich des R S betrifft, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie die Übertretung hinsichtlich des Arbeitnehmers M R betrifft, zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde (insoweit durch Bestätigung des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom ) der Revisionswerber als (in Deutschland ansässiger) Arbeitgeber im Sinne des § 7b Abs. 1 AVRAG schuldig erkannt, er habe die nach Österreich entsandten "Arbeitnehmer" M. R. und R. S. am an einem näher genannten Arbeitsort im Bundesgebiet beschäftigt und dort deren Lohnunterlagen nicht bereit gehalten. Wegen Übertretung des § 7d Abs. 1 AVRAG wurde über den Revisionswerber gemäß § 7i Abs. 4 Z 1 leg. cit. (soweit es die Übertretung hinsichtlich M. R. betrifft) eine Geldstrafe von EUR 500,-- und (soweit es die Übertretung hinsichtlich R. S. betrifft) eine Geldstrafe von EUR 1.000,-- verhängt. Weiters wurde ihm ein Kostenbeitrag zum Verfahren auferlegt.
2 Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 In der Begründung wird nach einer (wörtlichen) Wiedergabe des Verfahrensgeschehens ausgeführt, dass sich der Revisionswerber hinsichtlich des Arbeitnehmers M. R. einsichtig verantwortet habe, sodass die diesbezügliche Strafe vom Verwaltungsgericht gemäß § 20 VStG auf EUR 500,-- habe herabgesetzt werden können.
4 Hinsichtlich des R. S. habe der Revisionswerber die Tat bestritten und dessen selbständige Tätigkeit eingewendet. Dem entgegnete das Verwaltungsgericht (bloß durch Zitat einer im Verfahren erstatteten Stellungnahme der Finanzpolizei), dass "auch wenn Herr R. S. kein Arbeitnehmer des (Revisionswerbers) ist, so ist doch aufgrund der vorliegenden Tatsachen ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis anzunehmen" (diese Rechtsmeinung wurde sodann untermauert).
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Soweit die Revision zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, es fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Vereinbarkeit des § 7d Abs. 1 AVRAG mit der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG vom , so ist dem das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2016/11/0164, entgegen zu halten, in welchem unter ausführlicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH ausgesprochen wurde, dass die Verpflichtung zur Bereithaltung von Unterlagen betreffend die Lohneinstufung von nach Österreich entsandten Arbeitnehmern eine gerechtfertigte Einschränkung des Dienstleistungsverkehrs darstellt.
8 Abgesehen davon ist auf Art. 3 Abs. 1 lit. a und auf Art. 17 Z 2 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG zu verweisen, die ausdrücklich den Vorrang der Richtlinie 96/71/EG (auf welche die hier maßgebenden Bestimmungen des AVRAG zurückgehen; vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. Ra 2016/11/0133, mit Verweis auf das Erkenntnis vom , Zl. Ra 2015/11/0083) vorsehen.
9 Da die Revision hinsichtlich der Übertretung betreffend den Arbeitnehmer M. R. kein weiteres Zulässigkeitsvorbingen enthält, war sie diesbezüglich mangels Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.
10 Anders verhält es sich, soweit es um die mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte Verwaltungsübertretung des Nichtbereithaltens von Lohnunterlagen des nach Österreich entsandten R. S. am Arbeitsort geht. Die Revision bringt zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht habe die Stellung des R. S. im Verhältnis zum Revisionswerber als "arbeitnehmerähnlich" und dessen Tätigkeit somit nicht als selbständig erwerbstätig qualifiziert, was mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Widerspruch stehe.
11 Hinsichtlich der letztgenannten Übertretung ist die Revision zulässig und aus nachstehenden Gründen zielführend:
12 Die - bezogen auf den angelasteten Tatzeitpunkt - maßgebenden Bestimmungen des AVRAG, BGBl. Nr. 459/1993 hier noch in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 44/2016, lauten auszugsweise:
"§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für Arbeitsverhältnisse, die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen.
(2) Ausgenommen sind Arbeitsverhältnisse ...
...
Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen
§ 7d. (1) Arbeitgeber/innen im Sinne der §§ 7, 7a Abs. 1 oder 7b Abs. 1 und 9 haben während des Zeitraums der Entsendung insgesamt (§ 7b Abs. 4 Z 6) den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel (§ 7b Abs. 1 Z 4), Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem/der entsandten Arbeitnehmers/in für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten, auch wenn die Beschäftigung des/der einzelnen Arbeitnehmers/in in Österreich früher geendet hat. Bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten sind die Lohnunterlagen am ersten Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten. Ist die Bereithaltung der Unterlagen am Arbeits(Einsatz)ort nicht zumutbar, sind die Unterlagen jedenfalls im Inland bereitzuhalten und der Abgabenbehörde auf Aufforderung nachweislich zu übermitteln, wobei die Unterlagen bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktags abzusenden sind. Für die Übermittlung gebührt kein Ersatz der Aufwendungen.
(2) Bei einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung trifft die Verpflichtung zur Bereithaltung der Lohnunterlagen den/die inländische/n Beschäftiger/in. Der/Die Überlasser/in hat dem/der Beschäftiger/in die Unterlagen nachweislich bereitzustellen.
...
Strafbestimmungen
§ 7i. ...
(4) Wer als
1. Arbeitgeber/in im Sinne der §§ 7, 7a Abs. 1 oder 7b Abs. 1 und 9 entgegen § 7d die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder
...
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.
..."
13 Aus den zitierten Bestimmungen ist ersichtlich, dass sowohl der im angefochtenen Erkenntnis als übertreten angenommene § 7d Abs. 1 AVRAG als auch die Sanktionsnorm (§ 7i Abs. 4 Z 1 AVRAG) darauf abstellen, dass näher bezeichnete Unterlagen eines "Arbeitnehmers" nicht bereit gehalten wurden. Das AVRAG enthält zwar keine Legaldefinition des Begriffes Arbeitnehmer, definiert aber in § 1 leg. cit. den Geltungsbereich dieses Gesetzes mit "Arbeitsverhältnissen, die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen". Ob ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis vorliegt, ist daher nach § 1151 Abs. 1 ABGB zu bestimmen, "arbeitnehmerähnliche" Personen sind von den hier maßgebenden Bestimmungen des AVRAG nicht erfasst (vgl. auch Binder, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz, 2. Auflage (2010), Rz 4 und 7 zu § 1).
14 Dass eine arbeitnehmerähnliche Person nicht unter den Begriff des Arbeitnehmers zu subsumieren ist, ergibt sich nicht nur aus den unterschiedlichen Begrifflichkeiten, sondern etwa auch aus § 2 Abs. 2 lit. b AuslBG (der gesondert von der Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis eine solche in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis aufzählt; vgl. zum Begriff der Arbeitnehmerähnlichkeit aus vielen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/09/0214) und aus dem nachstehend zitierten § 3 Abs. 4 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz - AÜG (auf die Arbeitskräfteüberlassung nimmt § 7d AVRAG in seinem Abs. 2 Bezug), der einerseits den Arbeitnehmern die arbeitnehmerähnlichen Personen gegenüberstellt und andererseits betont, dass letztere gerade in keinem Arbeitsverhältnis stehen:
"§ 3. ...
(4) Arbeitskräfte sind Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen. Arbeitnehmerähnlich sind Personen, die, ohne in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, im Auftrag und für Rechnung bestimmter Personen Arbeit leisten und wirtschaftlich unselbständig sind."
15 Vor diesem Hintergrund und dem im Strafrecht geltenden Analogieverbot (vgl. etwa die bei Lewisch/Fister/Weilguni, VStG (2013), referierte Rechtsprechung) scheidet daher die Bestrafung wegen der Nichtbereithaltung von Lohnunterlagen einer nach Österreich entsendeten "arbeitnehmerähnlichen" Person (für letztere kommen Lohnunterlagen schon unter logischen Gesichtspunkten nicht in Betracht) gemäß § 7d Abs. 1 iVm § 7i Abs. 4 Z 1 AVRAG aus.
16 An diesem Ergebnis kann auch die (in der Revisionsbeantwortung angesprochene) Entsende-Richtlinie 96/71/EG, die, wie bereits erwähnt, die Grundlage für die hier maßgebenden Bestimmungen des AVRAG bildet, nichts ändern, die im Übrigen in ihrem Art. 2 Abs. 2 hinsichtlich der Arbeitnehmereigenschaft das Recht des Aufnahmemitgliedstaates für maßgeblich erklärt (vgl. auch das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. Ra 2015/11/0083).
17 Indem das Verwaltungsgericht somit die Auffassung vertrat, die Nichtbereithaltung der Lohnunterlagen von entsendeten arbeitnehmerähnlichen Personen erfülle den Tatbestand des § 7d Abs. 1 AVRAG, hat es die Rechtslage verkannt.
18 Das angefochtene Erkenntnis war somit im bezeichneten Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Schlagworte: | Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 |
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