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VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/11/0066

VwGH vom 22.02.2018, Ra 2017/11/0066

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-042/063/11571/2016-8, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes - AZG (mitbeteiligte Partei: R T, vertreten durch Mag. Bernd Trappmaier, Rechtsanwalt in 2100 Korneuburg, Stockerauer Straße 5/5; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird insoweit, als sie sich gegen die mit dem angefochtenen Erkenntnis erfolgte Behebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens hinsichtlich der Spruchpunkte A 1 bis 9, A 11 bis 16, A 19 bis 22, sowie des (gesamten) Spruchpunktes B samt den damit verbundenen Kostenaussprüchen richtet, als unbegründet abgewiesen.

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom legte der Magistrat der Stadt Wien (in der Folge: belangte Behörde) dem Mitbeteiligten - unter anderem (auf den weiteren Vorwurf der Nichtgewährung einer ununterbrochenen Ruhezeit ist im Revisionsverfahren wegen diesbezüglicher unbekämpfter Einstellung des Beschwerdeverfahrens nicht mehr einzugehen) - Folgendes zur Last:

Er habe es als Arbeitgeber zu verantworten, dass in einer näher bezeichneten Arbeitsstätte

A) zwei Arbeitnehmer entgegen § 9 Abs. 1 AZG zu einer mehr als zehnstündigen Tagesarbeitszeit herangezogen worden seien, weil diese gemäß den Arbeitszeitaufzeichnungen an näher genannten Tagen von 1. März bis in einem näher genannten, jeweils zehn Stunden überschreitenden Zeitausmaß beschäftigt worden seien (die Spruchpunkte A Nr. 1 bis 14 beziehen sich auf die Arbeitnehmerin D, die Spruchpunkte A Nr. 15 bis 22 auf den Arbeitnehmer R),

B) zwei Arbeitnehmer entgegen § 9 Abs. 1 AZG iVm den anzuwendenden Kollektiverträgen zu einer mehr als 55-stündigen Wochenarbeitszeit herangezogen worden seien, weil die Arbeitnehmerin D gemäß den Arbeitszeitaufzeichnungen in der Woche vom 7. März bis 72 Stunden und in der Woche vom 14. März bis 67,5 Stunden (Spruchpunkte B 1 und B 2), sowie der Arbeitnehmer R gemäß den Arbeitszeitaufzeichnungen in der Woche vom 7. März bis 55,5 Stunden beschäftigt worden sei (Spruchpunkt B 3).

Der Revisionswerber habe dadurch zu Spruchpunkt A § 9 Abs. 1

1. Fall AZG und zu Spruchpunkt B § 9 Abs. 1 2. Fall AZG verletzt, weshalb über ihn zu "1." (offenbar gemeint: zu A) eine Geldstrafe von EUR 1.242,-- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von 3 Tagen und 2 Stunden sowie zu "2." (offenbar gemeint: zu B) eine Geldstrafe von EUR 740,-- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und 20 Stunden verhängt wurden. Weiters habe der Revisionswerber gemäß § 64 VStG als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens EUR 124,-- (zu A) und EUR 74,-- (zu B) zu bezahlen.

2 Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Überschreitung der Tages- und der Wochenarbeitszeit ergebe sich aus den von den betroffenen Arbeitnehmern geführten Arbeitszeitaufzeichnungen. Soweit sich der Mitbeteiligte damit rechtfertige, die Übertretungsvorwürfe seien auf nicht verlässlich geführte Arbeitszeitaufzeichnungen seiner Mitarbeiter zurückzuführen, die teilweise die Ruhepausen nicht eingetragen hätten, sei auszuführen, dass an einzelnen Tagen doch Pausen eingetragen worden seien, weshalb davon ausgegangen werde, dass an den übrigen Tagen offensichtlich keine Ruhepausen eingehalten worden seien. Die Höhe des Strafausmaßes im Hinblick auf die Tageshöchstarbeitszeit (Spruchpunkt A) ergebe sich auf Grund der hohen Überschreitungen der Tageshöchstgrenzen und der zahlreichen Fälle in dem kleinen Beobachtungszeitraum. Die Höhe des Strafausmaßes im Hinblick auf die Wochenhöchstarbeitszeit (Spruchpunkt B) ergebe sich aufgrund der zum Teil erheblichen Überschreitung der Wochenarbeitszeit und dem Umstand, dass im Beobachtungszeitraum bei einer Beschäftigten jede Woche die Höchstgrenze überschritten worden sei. Der objektive Unrechtsgehalt der Tat und das Verschulden seien durchschnittlich. Bei der Strafbemessung sei zudem die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Mitbeteiligten mildernd zu werten gewesen, erschwerende Umstände seien nicht vorgelegen.

3 Der Mitbeteiligte erhob dagegen Beschwerde, in der er im Wesentlichen - wie schon im bisherigen Verfahren - vorbrachte, dass die beiden betroffenen Arbeitnehmer die Eintragungen der Arbeitszeit in die Liste nicht korrekt vorgenommen hätten. Als Beweis dafür beantragte er seine eigene Einvernahme und die der beiden Arbeitnehmer.

4 Mit dem nun in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der der Mitbeteiligte und die beiden betroffenen Arbeitnehmer vernommen wurden - der Beschwerde insoweit Folge, als es das Straferkenntnis bezüglich der Überschreitung der höchstzulässigen Wochenarbeitszeit (Spruchpunkt B) behob und das Verfahren diesbezüglich gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG einstellte. In Bezug auf die Überschreitung der höchstzulässigen Tagesarbeitszeit (Spruchpunkt A) bestätigte es das Straferkenntnis in der Schuldfrage mit der Maßgabe, dass die Positionen Nr. 1 bis 9, Nr. 11 bis 16 und Nr. 19 bis 22 entfallen; der Straf- und Kostenausspruch zu Spruchpunkt A wurde ersatzlos aufgehoben. Der Mitbeteiligte habe gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

Die Erhebung einer ordentlichen Revision wurde für unzulässig erklärt.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus: Die im Akt befindlichen, den Tatzeitraum betreffenden Arbeitszeitaufzeichnungen seien von den beiden Arbeitnehmern insofern nicht korrekt geführt worden, als zwar Beginn und Ende der jeweiligen Tagesarbeitszeit richtig angegeben worden sei, jedoch mehrfach "vergessen" worden sei, die tatsächlich eingehaltene Nachmittagspause zeitgerecht einzutragen. Es sei plausibel, dass im Gastgewerbe grundsätzlich zu Mittag sowie abends mehr Personal benötigt werde und Mitarbeitern im Küchen- und Servicebereich in diesem Zusammenhang eine längere Nachmittagspause eingeräumt werde. Beide vernommenen Zeugen hätten diesbezüglich übereinstimmend und glaubwürdig angegeben, ihre Nachmittagspause für private Zwecke (nach Hause gehen, Erledigungen, Arztbesuche, Treffen mit Freunden) benötigt und auch regelmäßig konsumiert zu haben. Hinweise darauf, dass beide Mitarbeiter zugunsten ihres Chefs, des Mitbeteiligten, Falschaussagen getätigt hätten, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch scheine es im Fall von D nicht nachvollziehbar, dass diese einer regelmäßigen täglichen Arbeitszeit von ca. 14 Stunden über fast drei Wochen hindurch mit einer Pause nur an einem einzigen Tag, selbst bei Zeitausgleich oder finanzieller Abgeltung, zugestimmt hätte. Weiters seien im Betrieb des Mitbeteiligten insgesamt sechs Mitarbeiter beschäftigt gewesen, weshalb auch keine Notwendigkeit ersichtlich sei, gerade die beiden Genannten (D und R) weit über das gesetzlich zulässige Höchstausmaß hinaus zu beschäftigen. Dass die laufend geführten Arbeitszeitaufzeichnungen im Nachhinein korrigiert worden seien, hätten alle Beteiligten glaubhaft dargelegt. Die Tatsache, dass die beiden Zeugen Dienstnehmer des Mitbeteiligten seien, bewirke nicht schon allein die Unzulässigkeit ihrer zeugenschaftlichen Einvernahme.

6 Es hätten daher nur für jene Tage Überschreitungen der höchstzulässigen Tagesarbeitszeit mit der für eine Bestrafung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können, an denen die Tagesarbeitszeit trotz Berücksichtigung der Nachmittagspausen mehr als zehn Stunden betragen habe. Eine Überschreitung der Wochenarbeitszeit in den im Straferkenntnis angeführten Zeiträumen habe hingegen gar nicht festgestellt werden können.

7 Zur ersatzlosen Behebung des Straf- und Kostenausspruches im Hinblick auf die (verbliebenen) Überschreitungen der Tageshöchstarbeitszeit führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus: Würden dem Schutz von Arbeitnehmern dienende Rechtsvorschriften in Ansehung mehrerer Arbeitnehmer verletzt, lägen mehrere Übertretungen vor. Bestehe ein ausreichend enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Tathandlungen gleicher Art in Ansehung desselben Arbeitnehmers, könne von einem fortgesetzten Delikt ausgegangen werden (Verweis auf ). Im vorliegenden Fall sei daher von zwei selbständig zu ahndenden Verwaltungsübertretungen - den Arbeitszeitüberschreitungen betreffend die Arbeitnehmerin D und jenen betreffend den Arbeitnehmer R - auszugehen gewesen.

8 Die belangte Behörde habe aber eine einheitliche Strafe für beide selbständig zu ahndenden Verwaltungsübertretungen verhängt. Eine Vergleichbarkeit der beiden Einzeldelikte sei im konkreten Fall nicht gegeben, weil der behördliche Spruch nicht erkennen lasse, welche Strafe bezogen auf den jeweiligen Arbeitnehmer verhängt werden könnte, ohne gegen das Verbot der reformatio in peius zu verstoßen. Der Unwertgehalt der einzelnen Arbeitszeitüberschreitungen sei nicht vergleichbar, seien doch bezüglich beider Arbeitnehmer mehrere in engem Zusammenhang stehende Überschreitungen der täglichen Arbeitszeit von jeweils unterschiedlicher Dauer zur Last gelegt worden. Da sich die Tatvorwürfe umfänglich nicht zur Gänze aufrecht erhalten ließen, fehle ein Maßstab, anhand dessen beurteilt werden könne, inwieweit die wegen der qualitativen Reduktion des jeweiligen Tatvorwurfs gebotene Herabsetzung der Geldstrafen unter Wahrung des Verbots der reformatio in peius erfolgen könne. Somit sehe sich das Verwaltungsgericht außer Stande, die für die Strafbemessung von der Behörde herangezogenen Kriterien, nunmehr bezogen auf zwei selbständig zu ahndende Delikte, nachzuvollziehen, und die im bekämpften Straferkenntnis verhängte Gesamtstrafe allenfalls aufzuteilen. Da das bekämpfte Straferkenntnis hierzu keine Feststellungen getroffen habe, wäre eine durch das Verwaltungsgericht nunmehr vorgenommene Aufteilung des als Einheitsstrafe verhängten Strafbetrags rechtswidrig (Hinweis auf ).

9 Gegen dieses Erkenntnis (mit Ausnahme der unter Spruchpunkt A erfolgten Bestätigung des Schuldspruchs zu den Nr. 10, 17 und 18) richtet sich die vom Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten vorgelegte außerordentliche Revision des zuständigen Bundesministers, in der der Revisionswerber beantragt, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben, in eventu in der Sache selbst dahin zu entscheiden, dass die Beschwerde des Mitbeteiligten abgewiesen werde.

10 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurückweisung der Revision.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision ist - wie im Folgenden gezeigt wird - zulässig und teilweise auch begründet.

13 Die belangte Behörde hatte dem Mitbeteiligten angelastet, entgegen § 9 Abs. 1 AZG die Arbeitnehmerin D über die Grenzen der zulässigen Tageshöchstarbeitszeit von zehn Stunden hinaus im Zeitraum bis an 14 Tagen sowie den Arbeitnehmer R im Zeitraum vom bis an acht Tagen beschäftigt zu haben (Spruchpunkt A).

14 Zudem sei die Arbeitnehmerin D entgegen § 9 Abs. 1 AZG über die Grenzen der zulässigen Wochenhöchstarbeitszeit von 55 Stunden hinaus beschäftigt worden, nämlich in der Woche vom 7. März bis 13. März und in der Woche vom 14. März bis ; ebenso der Arbeitnehmer R in der Woche vom 7. März bis (Spruchpunkt B).

15 Die belangte Behörde verhängte davon ausgehend über den Mitbeteiligten für die Überschreitung der zulässigen Tageshöchstarbeitszeit eine Geldstrafe von EUR 1.242,-- (betreffend alle zu Spruchpunkt A 1 bis 22 festgestellten Überschreitungen insgesamt) sowie eine Geldstrafe zu Spruchpunkt B in Höhe von EUR 740,-- (betreffend die Überschreitungen der zulässigen Wochenarbeitszeit durch die Arbeitnehmer D und R insgesamt).

16 Hingegen hat das Verwaltungsgericht, ausgehend von den Ergebnissen des von ihm durchgeführten Beweisverfahrens, lediglich eine Überschreitung der zulässigen Tagesarbeitszeit durch die Arbeitnehmerin D am (Spruchpunkt A 10) sowie durch den Arbeitnehmer R am und am (Spruchpunkte A 17 und 18) als erwiesen angenommen. Die weiteren Tatvorwürfe (Spruchpunkte A 1 bis 9, A 11 bis 16, A 19 bis 22; B 1 bis 3) seien demgegenüber nicht erwiesen.

17 Auf dieser Grundlage stellte das Verwaltungsgericht nicht nur das Verwaltungsstrafverfahren hinsichtlich der Spruchpunkte A 1 bis 9, 11 bis 16 und 19 bis 22 sowie B ein, sondern hob (ausgehend von der Annahme der Unzulässigkeit einer an sich gebotenen Aufteilung samt Herabsetzung der Strafe in Bezug auf die beiden betroffenen Arbeitnehmer) auch den Straf- und Kostenausspruch zu Spruchpunkt A insgesamt, also auch hinsichtlich der verbliebenen Spruchpunkte (A 10, 17 und 18) auf.

18 Die dagegen gerichtete Revision macht in ihrer Zulässigkeitsbegründung zum einen geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob bzw. inwieweit händisch geführte Arbeitszeitaufzeichnungen durch entsprechende Zeugenaussagen von Arbeitnehmern in einem Verwaltungsstrafverfahren vor der Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht widerlegt werden könnten. Der Verwaltungsgerichtshof habe sich bisher mit der Frage der Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers, sofern er die Unrichtigkeit der Arbeitsaufzeichnungen behauptet, bzw. mit den an den Gegenbeweis zu stellenden Anforderungen nur im Zusammenhang mit Aufzeichnungen mittels Stechuhr-Kontrollsystemen befasst und ausgeführt, dass bei Bestehen derartiger Kontrollsysteme bloße Zeugenaussagen als Gegenbeweis nicht ausreichend seien (Hinweis auf , und , 2005/11/0183). Ob diese an die Widerlegung der Richtigkeit von Arbeitszeitaufzeichnungen gestellten Anforderungen auch auf andere Formen des Führens von Arbeitszeitaufzeichnungen zu übertragen seien, sei fraglich. Zum anderen weiche das angefochtene Erkenntnis von der nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs gebotenen Aufteilung einer von der Behörde rechtswidrig verhängten Gesamtstrafe in Einzelstrafen pro Übertretung ab (Hinweis auf , , 2007/07/0110 und , 2004/15/0031), bzw. sei diese Judikatur uneinheitlich (Hinweis auf ).

19 Die Revision ist aus den von ihr dargelegten Gründen zulässig; sie ist teilweise auch begründet.

Zur Frage der Widerlegbarkeit "händischer" Aufzeichnungen über die Arbeitszeit:

20 Das Verwaltungsgericht ist nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Einvernahme der Beteiligten - im Wesentlichen auf Basis der als Zeugen vernommenen betroffenen Arbeitnehmer - als Ergebnis einer nicht als unschlüssig zu erkennenden Beweiswürdigung zur Feststellung gelangt, dass eine Überschreitung der zeitlichen Arbeitshöchstgrenzen nur hinsichtlich der Spruchpunkte A 10, A 17 und A 18 festgestellt werden könne, und hat demgemäß im Übrigen das Straferkenntnis behoben und das Verfahren diesbezüglich eingestellt. Die Revision behauptet keine Unschlüssigkeit der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung und macht auch keinen relevanten Mangel des zu Grunde liegenden Verfahrens geltend.

21 Die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Judikatur betreffend die Unzulässigkeit eines bloß auf Zeugenbeweis gestützten Gegenbeweises bei Bestehen eines automationsunterstützt geführten Stechuhr-Kontrollsystems kann aber auf den hier vorliegenden Fall, in dem die Arbeitsaufzeichnungen händisch von den jeweiligen Mitarbeitern selbst geführt wurden, schon mangels Vergleichbarkeit der beiden Zeiterfassungssysteme (ein Stechuhr-Kontrollsystem gewährleistet in der Regel eine zeitunmittelbare Erfassung ohne die Möglichkeit einer späteren Abänderung der Aufzeichnungen) nicht übertragen werden:

22 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa , , Ra 2014/11/0065, , 2005/11/0183, je mit Verweis auf Vorjudikatur) impliziert das Bestehen eines Stechuhr-Kontrollsystems, dass damit, also mit den auf den Stempelkarten aufscheinenden, das Eintreffen im Betrieb einerseits und das Verlassen des Betriebes andererseits markierenden Zeitangaben, der Beginn und das Ende der Arbeitszeit festgehalten, somit die tatsächliche Arbeitszeit gemessen wird. Sofern keine besondere vertragliche Vereinbarung besteht, ist das Betätigen der Stechuhr die jeweils erste und letzte tägliche "Arbeitshandlung". Einem Gegenbeweis, etwa in Form eines Zeugen, kann nur dann entsprechendes Gewicht zukommen, wenn im konkreten Betrieb neben dem Stechuhr-Kontrollsystem ein weiteres Kontrollsystem besteht, aus dem sich die tatsächlichen Arbeitszeiten ergeben (vgl. , und - zusammenfassend - ): Dem erstgenannten Erkenntnis lag zu Grunde, dass im Betrieb zwar "Stempelkarten" zur Zeiterfassung verwendet wurden, denen - dem Vorbringen des damaligen Beschwerdeführers zufolge - aber bloß "untergeordnete Bedeutung" zukam, während die tatsächliche Arbeitszeit der Dienstnehmer in "händischen Aufzeichnungen" festgehalten wurde. Demgemäß wurde vom Verwaltungsgerichtshof die Relevanz des von der Beschwerde behaupteten Verfahrensmangels bejaht, mit dem die Nichteinvernahme der seitens des Dienstgebers zum Nachweis dafür, dass die Stempelkarten die tatsächliche Arbeitszeit nicht wiedergäben, beantragten Zeugen gerügt wurde.

23 Umso mehr muss dies in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, in dem gar kein Stechuhr-Kontrollsystem bestand, sondern nur - von den Arbeitnehmern selbst - händische Aufzeichnungen geführt wurden; ein durch Zeugenbeweis geführter Gegenbeweis zu diesen Aufzeichnungen ist daher zulässig.

24 Die Revision war daher insoweit, als sie sich gegen die mit dem angefochtenen Erkenntnis erfolgte Behebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens hinsichtlich der Spruchpunkte A 1 bis 9, A 11 bis 16, A 19 bis 22, sowie des (gesamten) Spruchpunktes B samt den untrennbar damit verbundenen Kostenaussprüchen richtet, als unbegründet abzuweisen.

25 Hingegen ist die Revision im Übrigen begründet.

Zur Frage der Zulässigkeit der "Aufteilung" einer Gesamtstrafe durch das Verwaltungsgericht:

26 Gemäß § 9 Abs. 1 AZG darf - sofern die Abs. 2 bis 4 nicht anderes bestimmen - die Tagesarbeitszeit zehn Stunden und die Wochenarbeitszeit 50 Stunden nicht überschreiten.

27 Gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 AZG sind Arbeitgeber, die Arbeitnehmer über die Höchstgrenzen der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit (u.a.) gemäß § 9 hinaus einsetzen, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, mit einer Geldstrafe von EUR 72,-- bis EUR 1.815,--, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von EUR 145,-- bis EUR 1.815,-- zu bestrafen.

28 Gemäß § 22 Abs. 1 VStG sind die Strafen nebeneinander zu verhängen, wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder wenn die Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt.

29 Der Verwaltungsgerichtshof hat schon bisher die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Überschreitung der zulässigen täglichen Arbeitszeit und der zulässigen Wochenarbeitszeit um zwei verschiedene Delikte und nicht um ein fortgesetztes Delikt handelt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegen weiters dann, wenn Rechtsvorschriften, die dem Schutz von Arbeitnehmern dienen, in Ansehung mehrerer Arbeitnehmer verletzt werden, mehrere Übertretungen vor. Liegen zwischen Tathandlungen gleicher Art in Ansehung desselben Arbeitnehmers nicht mehr als zwei Wochen (enger zeitlicher Zusammenhang), so kann jedenfalls insofern - also bezogen auf einen Arbeitnehmer - von einem fortgesetzten Delikt ausgegangen werden. Zu einem fortgesetzten Delikt können nur einzelne Verstöße gegen eine bestimmte Rechtsvorschrift unter den oben genannten Voraussetzungen zusammengefasst werden, nicht aber auch Verstöße gegen verschiedene Vorschriften (vgl. zum Ganzen , mwN).

30 Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2014, dass die Berufungsbehörde für den Fall, dass die erstinstanzliche Behörde (so wie im vorliegenden Fall) rechtswidrig, nämlich in Verstoß gegen das Kumulationsprinzip des § 22 VStG, eine Gesamtstrafe anstelle von Einzelstrafen pro betroffenem Arbeitnehmer verhängt hat, mehrere Einzelstrafen zu verhängen hat, die Gesamtstrafe insofern also "aufzuteilen" ist (vgl. ; , 2010/02/0105; , 2007/07/0110; , 2004/15/0031; , 2004/02/0293).

31 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Auffassung vertreten, die nach dem Gesagten gebotene Korrektur der von der belangten Behörde verhängten Gesamtstrafe von EUR 1.242,-- zu Spruchpunkt A für die (verbliebene) Überschreitung der zulässigen Tageshöchstarbeitszeit durch die beiden Arbeitnehmer D (am , Spruchpunkt A 10) und R (am 7. und , Spruchpunkte A 17 und 18) durch Aufteilung und Reduktion der Gesamtstrafe unter Verhängung zweier Einzelstrafen sei nicht möglich, ohne gegen das Verbot der reformatio in peius zu verstoßen. Die beiden, nunmehr im verwaltungsgerichtlichen Verfahren reduzierten Tatvorwürfe seien nicht vergleichbar und es fehle damit am erforderlichen, durch die belangte Behörde vorgegebenen Maßstab für die gebotene Aufteilung samt Reduktion der Strafen.

32 Mit dieser Auffassung ist das Verwaltungsgericht nicht im Recht.

33 In Verwaltungsstrafsachen (vgl. zur Qualifikation einer Angelegenheit als "Verwaltungsstrafsache" ) haben die Verwaltungsgerichte jedenfalls, also ohne dass die ausnahmsweise nach § 28 VwGVG bestehende Möglichkeit zur Aufhebung des Bescheids zum Tragen kommen könnte (vgl. dazu , und die daran anschließende Folgejudikatur), in der Sache selbst zu entscheiden (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist). Diese grundsätzliche Verpflichtung zu einer reformatorischen Entscheidung ist schon verfassungsgesetzlich vorgegeben (Art. 130 Abs. 4 erster Satz B-VG) und wird einfachgesetzlich in § 50 VwGVG wiederholt bzw. konkretisiert.

34 Eine weitere, für die Beantwortung der im Revisionsfall aufgeworfenen Frage wesentliche Differenzierung zwischen Verwaltungsstrafsachen und anderen Verwaltungssachen wird ebenfalls schon auf Verfassungsebene festgelegt: Gemäß Art. 130 Abs. 3 B-VG liegt - außer in Verwaltungsstrafsachen und in den zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen gehörenden Rechtssachen - Rechtswidrigkeit nicht vor, soweit das Gesetz der Verwaltungsbehörde Ermessen einräumt und sie dieses im Sinne des Gesetzes geübt hat. Die danach bestehenden Einschränkungen für die verwaltungsgerichtliche Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen (vgl. dazu etwa ) gelten demnach nicht in Verwaltungsstrafsachen. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht hier nicht bei der Ermessenskontrolle beschränkt, sondern hat - in Verwaltungsstrafsachen - auch das im Gesetz vorgesehene Ermessen zu üben.

35 Bei der Bemessung einer Strafe handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist (vgl. nur etwa ; , Ra 2016/02/0201, je mwN).

36 Gemäß § 51 Abs. 6 VStG (in seiner bis zur Außerkraftsetzung durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 33/2013, geltenden Fassung) durfte auf Grund einer vom Beschuldigten oder auf Grund einer zu seinen Gunsten erhobenen Berufung keine höhere Strafe verhängt werden als im angefochtenen Bescheid.

37 Dieser Regelung entsprechend wird nun in § 42 VwGVG normiert, dass auf Grund einer vom Beschuldigten oder auf Grund einer zu seinen Gunsten erhobenen Beschwerde in einem Erkenntnis oder in einer Beschwerdevorentscheidung keine höhere Strafe verhängt werden darf als im angefochtenen Bescheid.

38 Das damit normierte Verbot der reformatio in peius verbietet jede Erhöhung einer Geldstrafe oder auch nur einer Ersatzfreiheitsstrafe. Solange es zu keiner Erhöhung der Strafe kommt, hindert das Verschlechterungsverbot aber nicht eine rechtliche Korrektur des erstinstanzlichen Bescheides. Insbesondere steht es der richtigstellenden Anlastung des Verhaltens als Begehung mehrerer Verwaltungsübertretungen und der entsprechenden Richtigstellung des Strafausspruchs nicht entgegen (vgl. , , 2004/02/0293, , 2003/02/0076, , 96/11/0098, in welchen Entscheidungen der Verwaltungsgerichtshof jeweils den geltend gemachten Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius verneint hat, ohne dass das Vorliegen eines - erkennbaren - Maßstabs für die gebotene Aufteilung der Strafe als maßgeblich angesehen worden wäre). Das Verbot der reformatio in peius verhindert auch nicht die Heranziehung anderer Strafzumessungsgründe (vgl. ; , 2006/09/0031).

39 Der genannte Grundsatz verlangt freilich die Herabsetzung der Höhe der Strafe im Fall einer Einschränkung des Tatzeitraums oder einer sonstigen "qualitativen oder quantitativen Reduktion" des Tatvorwurfs, sofern nicht andere Strafbemessungsgründe heranzuziehen sind, die eine Beibehaltung der festgesetzten Strafhöhe dennoch rechtfertigen (vgl. ; , 2007/07/0015; , 2007/05/0235; , 2006/09/0031; , 90/19/0110).

40 Auf den Revisionsfall bezogen bedeutet dies, dass das Verwaltungsgericht einerseits die von der belangten Behörde entsprechend Spruchpunkt A verhängte Gesamtstrafe von EUR 1.242,-- entsprechend den von den Übertretungen betroffenen zwei Arbeitnehmern auf zwei Einzelstrafen aufzuteilen und dabei andererseits eine Reduktion der Strafe vorzunehmen hatte (bei deutlich niedrigerer Summe der beiden Einzelstrafen gegenüber der seitens der belangten Behörde festgesetzte Gesamtstrafe), weil von den insgesamt die Arbeitnehmerin D betreffenden 14 Überschreitungstagen nur mehr einer verblieben war und von den den Arbeitnehmer R betreffenden acht Überschreitungen nur mehr zwei Tage.

41 Aus dem vom Verwaltungsgericht für seine gegenteilige Vorgangsweise ins Treffen geführten hg. Erkenntnis vom , 86/08/0250, ist für seine Auffassung schon deshalb nichts zu gewinnen, weil in diesem die hier aufgeworfene Frage gar nicht behandelt wurde.

42 Die (vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis vertretene) Auffassung, mangels eines von der Verwaltungsbehörde vorgegebenen bzw. aus den Gründen ihrer Entscheidung zumindest erkennbaren Aufteilungsmaßstabs (für die erforderliche Aufteilung einer unzulässig verhängten Gesamtstrafe an Stelle mehrerer Einzelstrafen) sei dem Verwaltungsgericht die von § 22 VStG gebotene Korrektur verwehrt, ist mit den eben aufgezeigten Vorgaben nicht vereinbar:

43 Das Verwaltungsgericht, das gemäß Art. 130 Abs. 4 erster Satz B-VG in Verwaltungsstrafsachen immer in der Sache selbst entscheidet, dem daher in jedem Fall die Befugnis und Verpflichtung zu allenfalls erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zukommt (vgl. ), ist in seiner Ermessenskontrolle nicht beschränkt. Es hat demgemäß auch, zumal es seine Entscheidung an der im Entscheidungszeitpunkt bestehenden Sach- und Rechtslage auszurichten hat (vgl. abermals ), gegebenenfalls eine seit der behördlichen Entscheidung erfolgte "qualitative oder quantitative Reduktion" des Tatvorwurfs ebenso zu berücksichtigen wie neu hinzugetretene Strafbemessungsgründe. Ein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius liegt auch dann nicht vor, wenn das Verwaltungsgericht im Rahmen der vorzunehmenden eigenen Bewertung von Milderungs- und Erschwerungsgründen trotz Wegfalls eines von der Verwaltungsstrafbehörde für die Bemessung der Strafe herangezogenen Erschwerungsgrundes die verhängte Strafe nicht herabsetzt, wenn es in der Lage ist zu begründen, dass andere Umstände vorlagen, die es rechtfertigen, das Ausmaß der verhängten Strafe für angemessen zu halten (vgl. , mwN).

44 Der hier vertretenen Auffassung steht - im Lichte der durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2014 begründeten, oben aufgezeigten (auch) verfassungsgesetzlichen Vorgaben betreffend die Stellung der Verwaltungsgerichte - weder das von der Revision angesprochene hg. Erkenntnis vom , 94/09/0049, das in einem vergleichbaren Fall bei der dortigen Fallkonstellation mangels erkennbaren Aufteilungsmaßstabs die unzulässige Verhängung einer Gesamtstrafe als von der Berufungsbehörde nicht korrigierbar angesehen hat, noch das (darauf Bezug nehmende) hg. Erkenntnis vom , 2013/17/0811, entgegen, weil beide Entscheidungen zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2014 ergangen sind. Nicht entgegen steht dem auch der hg. Beschluss vom , Ra 2017/17/0310, mit dem eine Revision in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz zurückgewiesen wurde: Mit diesem wurde nämlich fallbezogen bloß zum Ausdruck gebracht, dass der mit dem Zulässigkeitsvorbringen der Revision geltend gemachte Widerspruch zum Erkenntnis 2013/17/0811 nicht vorliege, weil ohnehin ein zweifelsfrei erkennbarer Aufteilungsschlüssel vorgelegen sei, ohne dass damit eine Aussage über das Erfordernis eines solchen Schlüssels getroffen worden wäre.

45 Nach dem Gesagten hätte das Verwaltungsgericht also an Stelle der Behebung des Straf- und Kostenausspruchs hinsichtlich der verbliebenen Überschreitungen der Tageshöchstarbeitszeiten (Spruchpunkte A Nr. 10, 17 und 18) eine neue, den Vorgaben nach §§ 19, 22 VStG und § 42 VwGVG Rechnung tragende Strafbemessung vornehmen müssen.

46 Insoweit war der Revision stattzugeben und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017110066.L00
Schlagworte:
Ermessen VwRallg8 Umfang der Abänderungsbefugnis Reformatio in peius Beweismittel Zeugenbeweis

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