VwGH vom 22.12.2010, 2010/06/0208

VwGH vom 22.12.2010, 2010/06/0208

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde der Dr. E W in S, vertreten durch Mag. Dr. Stephan Medwed, Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in 9020 Klagenfurt, Sterneckstraße 43, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom , Zl. 7-B-BRM-1166/5/2010, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. M R in S, vertreten durch Dr. Georg Willenig, Mag. Ingomar Arnez und Mag. Klaus R. Nagele, Rechtsanwälte in 9500 Villach, Bahnhofplatz 4/1, 2. Marktgemeinde S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Kärnten hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Baugesuch vom , das am selben Tag eingebracht wurde, kam die erstmitbeteiligte Partei (kurz: Bauwerber) um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Garage auf einem Grundstück im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde ein. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin eines unmittelbar angrenzenden, bewaldeten Grundstückes.

In der Bauverhandlung vom erhob die Beschwerdeführerin verschiedene Einwendungen gegen das Vorhaben, darunter, dass das geplante Haus samt Garage einen Sicherheitsabstand von 15 m von ihrem Waldgrundstück einzuhalten habe. Die geplanten Abstände seien viel zu gering (gemeint: durch umfallende Bäume könnten Schäden am geplanten Haus entstehen). Sie werde und könne den nun auf ihrem Grundstück ersichtlichen Wald und die dort befindlichen hohen Kiefern, Fichten und Eichen weder schlägern noch roden (was näher begründet wurde). Auch sei der Verlauf der Grundgrenze in den Einreichungsunterlagen unrichtig angenommen worden (sie beschrieb den von ihr angenommenen richtigen Verlauf).

Der Bürgermeister erteilte mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom die angestrebte Baubewilligung mit einer Reihe von Vorschreibungen und erachtete die Einwendungen als unbegründet.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Im Zuge des Berufungsverfahrens modifizierte der Bauwerber das Vorhaben dahingehend, dass Teile der Baulichkeiten von der gemeinsamen Grenze abgerückt wurden.

Nach verschiedenen Verfahrensschritten wurde die Berufung mit dem Bescheid des Gemeindevorstandes vom als unbegründet abgewiesen, zugleich wurde der Bescheid aber um verschiedene Auflagen ergänzt.

Die Beschwerdeführerin erhob Vorstellung. Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Vorstellung Folge gegeben, der Berufungsbescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurückverwiesen.

Nach Darstellung des Verfahrensganges und der Rechtslage hieß es zur Begründung, im Beschwerdefall wiesen bestimmte Anrainergrundstücke (nämlich solche der Beschwerdeführerin, darunter das unmittelbar angrenzende Grundstück) einen Baumbestand auf, der, wie auch die Baubehörde erster Instanz festgestellt habe, eine erhebliche Neigung in Richtung des Baugrundstückes aufweise, sodass eine erhöhte Gefahr bestehe, dass Bäume auf das Baugrundstück fielen. Der dem Verfahren beigezogene forstfachliche Amtssachverständige habe in seiner Stellungnahme vom zusammengefasst ausgeführt, dass einige Bäume (Fichten und Kiefern) eine erhebliche Neigung in Richtung des Baugrundstückes aufwiesen, sodass eine erhöhte Gefahr bestehe, dass sie im Besonderen bei einem Nassschneeereignis auf das angrenzende Baugrundstück fallen könnten. Die Standsicherheit sei für die südlich angrenzend geplanten Baulichkeiten (des Bauwerbers) auch im sogenannten "Normalfall" nicht gegeben.

Im Beschwerdefall hätte die Baubehörde prüfen müssen, ob im Hinblick auf die bestehende Gefährdungslage durch die angrenzenden Bäume der Abstand des geplanten Vorhabens zur Grundstücksgrenze im Sinne des § 8 Abs. 1 der Kärntner Bauvorschriften K-BV) zu vergrößern gewesen wäre. Dadurch, dass eine solche Prüfung unterblieben sei, sei die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Einhaltung der Abstandsbestimmungen verletzt worden. Die vor dem Hintergrund dieser Gefährdungslage im Berufungsbescheid verfügten Auflagen seien nicht ausreichend bestimmt (wurde näher ausgeführt).

Weiche der ausgefertigte Bescheid vom Beschluss des Gemeindevorstandes ab, dann sei dies eine der Unzuständigkeit gleichkommende Rechtswidrigkeit, welche die Gemeindeaufsichtsbehörde von Amts wegen aufzugreifen habe. Das treffe im Beschwerdefall zu (wurde näher ausgeführt).

Im fortgesetzten Verfahren holte die Berufungsbehörde ein statisches Gutachten ein. Dieses Gutachten vom befasste sich mit der Frage, welche Kräfte ein fallender Baum auf die Dachkonstruktion ausüben würde, wobei von einem Baum in der Höhe von 20 m in einer Entfernung von 6 m von einer bestehenden Stützmauer ausgegangen wurde, die wiederum 8 m von der Außenwand des geplanten Gebäudes entfernt ist. Das Gutachten untersuchte hiezu Varianten für die Ausführung eines Dachstuhles (Dimensionierung der Bauteile), der kräftig genug zu sein habe, um einem solchen umfallenden Baum standzuhalten.

Die Beschwerdeführerin äußerte sich ablehnend und verwies insbesondere darauf, dass der konstruktive Entwurf von einer Baumlänge von jeweils 20 m ausgehe, wohingegen eine Baumhöhe von 30 m durchaus üblich und zu erwarten sei.

Der Gemeindevorstand wies mit Bescheid vom die Berufung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die im Berufungsverfahren vorgenommene Projektmodifikation berücksichtigt wurde und nähere Auflagen zur Statik und Sicherheit der Dach- und Deckenkonstruktionen des Bauvorhabens gemäß dem statisch konstruktiven Entwurf des beigezogenen Sachverständigen getroffen wurden. In der Begründung heißt es insbesondere, die Baubehörde habe im Beschwerdefall die Frage des Grenzverlaufes schon deshalb nicht einer näheren Erörterung zu unterziehen, weil für die Beurteilung der Zulässigkeit des hier zu bewilligenden Bauvorhabens auf Grund der dem Bewilligungsansuchen zugrundegelegten Entscheidungsgrundlagen, nämlich insbesondere im Hinblick auf die Projektmodifikation, "die Grenze zwischen dem zu verbauenden Grundstück und dem Grundstück der Berufungswerberin im Hinblick auf die Entfernung des bewilligten Gebäudes von derselben nicht entscheidungswesentlich" sei (gemeint: die erforderlichen Abstandsflächen seien jedenfalls gegeben).

Soweit die Beschwerdeführerin ins Treffen führe, dass eine Baumlänge von 30 m durchaus üblich und auch zu erwarten sei, sei dem zu entgegnen, dass für die Berufungsbehörde grundsätzlich die zum Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Sach- und Rechtslage maßgebend sei. Daher sei bei der Entscheidungsfindung auf ein zukünftiges Ereignis, wie im Beschwerdefall auf einen zu erwartenden Baumwuchs, nicht Bedacht zu nehmen.

Die Beschwerdeführerin erhob Vorstellung.

Die belangte Behörde ergänzte das Ermittlungsverfahren durch Einholung eines Gutachtens zur Frage, ob im Beschwerdefall die Abstandsflächen an der Nordseite des geplanten Vorhabens (nämlich zum Grundstück der Beschwerdeführerin) auf dem Baugrundstück zu liegen kämen und ob auf der Grundlage der ergänzenden statischen Berechnungen und der Auflagen, welche im Berufungsbescheid vom verfügt worden seien, dem Vorhaben die Interessen der Sicherheit entgegenstünden bzw. ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 8 Abs. 1 K-BV gegeben seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Vorstellung keine Folge gegeben. Zur Begründung heißt es zusammenfassend, das im Vorstellungsverfahren eingeholte Gutachten (vom ) habe die Fragen positiv beantwortet (wird näher dargelegt). Eine Vergrößerung der Tiefe der Abstandsflächen im Sinne des § 8 Abs. 1 K-BV sei nicht erforderlich, weil einer möglichen Gefährdung durch umfallende Bäume durch die Auflagen der Berufungsbehörde in statischer Sicht Rechnung getragen worden sei. Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach künftig mit einer Baumhöhe von 25 m zu rechnen sei, sei auszuführen, dass für die Baubehörde jene Sach- und Rechtslage maßgeblich sei, welche zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung bestanden habe, sodass auf allfällige zukünftige Sachverhaltsänderungen wie das weitere Wachstum des Baumes keine Rücksicht zu nehmen sei. Dem Einwand, wonach der Grenzverlauf unrichtig angenommen worden sei und in der Natur um etwa 30 cm von der Darstellung im Plan abwiche, weil die Grenze in der Mitte der im Bereich der nördlichen Grundstücksgrenze bestehenden Betonstützmauer verliefe, sei zu entgegnen, dass gemäß der im Berufungsverfahren erfolgten Projektmodifikation der geringste Abstand des Bauvorhabens zur Innenkante dieser Stützmauer 3,00 m betrage, was ausreichend sei, weil damit auch im Fall des Zutreffens des von der Beschwerdeführerin behaupteten Grenzverlaufes in der Mitte der Mauer keinesfalls eine Abstandsverletzung eintreten könne.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie der mitbeteiligte Bauwerber, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist die Kärntner Bauordnung 1996, LGBl. Nr. 62 (Wiederverlautbarung - K-BO 1996), idF LGBl. Nr. 16/2009 anzuwenden.

§ 23 K-BO 1996 trifft nähere Bestimmungen zu den Parteien des Baubewilligungsverfahrens und zu den Einwendungen, die im Baubewilligungsverfahren erhoben werden können. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:

"(2) Anrainer sind:

a) die Eigentümer (Miteigentümer) der an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke und aller weiteren im Einflussbereich des Vorhabens liegenden Grundstücke sowie

b) entfällt

(3) Anrainer im Sinn des Abs 2 dürfen gegen die Erteilung der Baubewilligung nur begründete Einwendungen dahingehend erheben, dass sie durch das Vorhaben in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt werden, die ihnen durch die Bestimmungen dieses Gesetzes, der Kärntner Bauvorschriften, des Flächenwidmungsplanes oder des Bebauungsplanes eingeräumt werden, welche nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Schutz der Anrainer dienen. Einwendungen der Anrainer im Sinn des ersten Satzes können insbesondere gestützt werden auf Bestimmungen über


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a)
die widmungsgemäße Verwendung des Baugrundstückes;
b)
die Bebauungsweise;
c)
die Ausnutzbarkeit des Baugrundstückes;
d)
die Lage des Vorhabens;
e)
die Abstände von den Grundstücksgrenzen und von Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen auf Nachbargrundstücken;
f)
die Bebauungshöhe;
g)
die Brandsicherheit;
h)
den Schutz der Gesundheit der Anrainer;
i)
den Immissionsschutz der Anrainer."
Im Beschwerdefall sind weiters die Kärntner Bauvorschriften, LGBl.
Nr. 56/1985 (K-BV), idF LGBl. Nr. 10/2008 maßgeblich. Die §§ 4 ff K-BV enthalten Abstandsvorschriften. § 8 Abs. 1 K-BV lautet:
8
Vergrößerung der Tiefe von Abstandsflächen

(1) Die sich aus §§ 4 bis 7 ergebende Tiefe von Abstandsflächen ist zu vergrößern, wenn und soweit dies im Hinblick auf die Lage und Form des Grundstückes und auf den Verwendungszweck des zu errichtenden Gebäudes oder bestehender Gebäude im Interesse der Sicherheit oder der Gesundheit oder im Interesse des Schutzes des Ortsbildes sowie zur Gewährleistung eines Lichteinfalles nach § 48 Abs 1 erster und zweiter Satz erforderlich ist.

(2) ..."

Ob ein nicht projektgegenständlicher, bereits bestehender Zaun rechtswidrig grenzüberschreitend errichtet wurde oder nicht, war nicht Gegenstand des zugrundeliegenden Bauverfahrens und ebensowenig des angefochtenen Bescheides. Die Beschwerdeführerin kann daher diesbezüglich durch den angefochtenen Bescheid in keinen Rechten verletzt werden.

Die Berufungsbehörde und die belangte Behörde haben näher begründet, weshalb im Beschwerdefall die Ermittlung des exakten Grenzverlaufes entbehrlich sei, weil nämlich auch dann, wenn sie so verliefe, wie die Beschwerdeführerin behauptet, die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten wären. Dagegen sagt die Beschwerdeführerin nichts; ein von den Abstandsbestimmungen losgelöstes, gleichsam abstraktes Recht auf Feststellung des Grenzverlaufes im Bauverfahren kommt ihr nicht zu.

Die Beschwerdeführerin macht auch nun geltend, es wäre im Sinne des § 8 Abs. 1 K-BV die Tiefe der Abstandsflächen zu vergrößern gewesen, denn die Bäume wüchsen bis auf eine Höhe von 30 m. Es sei daher rechtswidrig, Vorkehrungen nur auf Basis von 20 m hohen Bäumen zu treffen, wo sie doch tatsächlich in der Natur schon zumindest über 25 m hoch seien und eine Baumhöhe von 30 m bis etwa 32 m in diesem Gebiet einen durchaus üblichen Bewuchs darstelle.

Dieser Einwand ist im Ergebnis berechtigt:

Einer der tragenden Aufhebungsgründe der ersten Vorstellungsentscheidung war, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Einhaltung der Abstandsbestimmungen verletzt worden sei, weil nicht geprüft worden sei, ob im Hinblick auf die bestehende Gefährdungslage durch die angrenzenden Bäume (auf ihrem Grund) der Abstand des geplanten Vorhabens zur Grundstücksgrenze im Sinne des § 8 Abs. 1 K-BV zu vergrößern gewesen wäre.

Richtig ist, dass Interessen der Sicherheit zur Vergrößerung der Tiefe von Abstandsflächen führen können. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob sich ein Nachbar auf § 8 Abs. 1 K-BV berufen kann, wenn die Sicherheit des Baugrundstückes gefährdet ist, weil die diesbezüglichen tragenden Aufhebungsgründe in der ersten Vorstellungsentscheidung Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfaltet haben, eine Bindungswirkung, die sich auch auf den Verwaltungsgerichtshof erstreckt (zu dieser Bindungswirkung siehe beispielsweise Hauer , der Nachbar im Baurecht6, Seite 191 ff mwN.)

Kommt aber der Beschwerdeführerin auf Grund der Bindungswirkung der ersten Vorstellungsentscheidung ein solches Mitspracherecht zu, kann dieses nicht auf die gerade zum Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungsbehörde gegebene Höhe der jeweiligen Bäume beschränkt werden. Vielmehr ist dabei die absehbare Entwicklung in die Überlegungen miteinzubeziehen, daher auf die Höhe abzustellen, die solche Bäume üblicherweise erreichen (nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin mehr als 20 m). Zur "Sachlage", die die Behörden bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen hatten, gehört auch das zu erwartende Wachstum der Bäume.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am