VwGH vom 05.04.2017, Ra 2017/11/0006

VwGH vom 05.04.2017, Ra 2017/11/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick und Mag. Samm als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision 1. des Mag. Ing. G T und 2. der R T & Co GmbH, beide in Wien, beide vertreten durch die Suppan/Spiegl/Zeller Rechtsanwalts OG in 1160 Wien, Konstantingasse 6-8/9, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW- 042/V/030/1129/2015 und Zl. VGW-042/030/1090/2015-23, betreffend Übertretungen des AZG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom sprach die belangte Behörde aus, der Erstrevisionswerber habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der Zweitrevisionswerberin zu verantworten, dass durch diese Gesellschaft als Arbeitgeberin § 13c Abs. 1 Z. 1 und 2 des Arbeitszeitgesetzes (AZG) iVm. Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 insofern nicht eingehalten worden sei, als die im Unternehmen der Zweitrevisionswerberin beschäftigten Arbeitnehmer zur Lenkung eines LKW zur Güterbeförderung über 3,5 Tonnen zu gesetzwidrigen Arbeitszeiten herangezogen worden seien. Die Ruhepause von 30 Minuten sei von acht näher genannten Arbeitnehmern erst nach mehr als sechs Stunden eingehalten worden, wodurch § 13c Abs. 1 AZG übertreten worden sei (Spruchpunkt I.). Sieben Arbeitnehmer hätten bei einer Tagesarbeitszeit von sechs bis neun Stunden keine Ruhepausen von 30 Minuten gemäß § 13c Abs. 1 Z. 1 AZG eingehalten (Spruchpunkt II.). Die Lenkpause von 45 Minuten sei von drei Arbeitnehmern erst nach mehr als viereinhalb Stunden eingelegt worden, wodurch Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 übertreten worden sei (Spruchpunkt III.). Vier Arbeitnehmer hätten bei einer Tagesarbeitszeit von mehr als neun Stunden keine Ruhepausen von 45 Minuten gemäß § 13c Abs. 1 Z. 2 AZG eingehalten (Spruchpunkt IV.). Dafür wurden über den Erstrevisionswerber gemäß § 28 Abs. 3 Z. 2 bzw. Abs. 5 Z. 2 AZG insgesamt 22 Geldstrafen zwischen EUR 90,-- und EUR 400,-- (insgesamt EUR 3.650,--, Ersatzfreiheitsstrafe 1 Woche, 2 Tage) verhängt. Ferner habe der Erstrevisionswerber gemäß § 64 VStG als Beitrag zu den Kosten der Strafverfahren insgesamt EUR 365,-- zu zahlen. Außerdem seien die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen. Die Zweitrevisionswerberin hafte für die über den Erstrevisionswerber verhängten Geldstrafen und Verfahrenskosten sowie für sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde, in der insbesondere die Nichteinhaltung von Pausen bestritten wurde, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen in Spruchpunkt I. insoweit Folge, als die verhängten Geldstrafen herabgesetzt wurden. In Spruchpunkt II. und III. wurde ausgesprochen, dass der Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde auf 10 % der verhängten Geldstrafe reduziert werde und die Revisionswerber daher gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten hätten. Unter Spruchpunkt IV. sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Zweitrevisionswerberin gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die über den Beschuldigten verhängten Geldstrafen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand hafte. Unter Spruchpunkt V. wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, vom Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegte (außerordentliche) Revision.

4 Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

6 1.1. Das Arbeitszeitgesetz (AZG), BGBl. I Nr. 461/1969 idF. BGBl. I Nr. 3/2013, lautet (auszugsweise):

"Ruhepausen

§ 13c

(1) Abweichend von § 11 Abs. 1 ist die Tagesarbeitszeit

1. bei einer Gesamtdauer zwischen sechs und neun Stunden

durch eine Ruhepause von mindestens 30 Minuten,

2. bei einer Gesamtdauer von mehr als neun Stunden durch

eine Ruhepause von mindestens 45 Minuten,

zu unterbrechen. Die Ruhepause ist spätestens nach sechs

Stunden einzuhalten.

...

Strafbestimmungen

§ 28

...

(3) Arbeitgeber, die

...

2. Ruhepausen gemäß § 13c oder Ruhezeitverlängerungen gemäß § 14 Abs. 3 nicht gewähren;

...

sind, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 1 815 Euro, im Wiederholungsfall von 145 Euro bis 1 815 Euro zu bestrafen.

...

(5) Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die

...

2. Lenkpausen gemäß Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 nicht gewähren;

...

sind, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe gemäß Abs. 6 zu bestrafen.

(6) Sind Übertretungen gemäß Abs. 5 nach Anhang III der Richtlinie 2006/22/EG als

1. leichte Übertretungen eingestuft oder in diesem Anhang

nicht erwähnt, sind die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber

a) in den Fällen der Z 1 bis 7 mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 1 815 Euro, im Wiederholungsfall von 145 Euro bis 1 815 Euro,

b) im Fall der Z 8 mit einer Geldstrafe von 145 Euro bis 2 180 Euro, im Wiederholungsfall von 200 Euro bis 3 600 Euro;

2. schwerwiegende Übertretungen eingestuft, sind die

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit einer Geldstrafe von 200 Euro

bis 2 180 Euro, im Wiederholungsfall von 250 Euro bis 3 600 Euro;

3. sehr schwerwiegende Übertretungen eingestuft, sind die

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit einer Geldstrafe von 300 Euro bis 2 180 Euro, im Wiederholungsfall von 350 Euro bis 3 600 Euro,

zu bestrafen.

..."

7 1.2. Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates lautet:

"Artikel 7

Nach einer Lenkdauer von viereinhalb Stunden hat ein Fahrer eine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von wenigstens 45 Minuten einzulegen, sofern er keine Ruhezeit einlegt.

Diese Unterbrechung kann durch eine Unterbrechung von mindestens 15 Minuten, gefolgt von einer Unterbrechung von mindestens 30 Minuten, ersetzt werden, die in die Lenkzeit so einzufügen sind, dass die Bestimmungen des Absatzes 1 eingehalten werden."

8 2. Die Revision ist zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis - wie im Folgenden zu zeigen - der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von Erkenntnissen widerspricht.

9 3. Die Revision ist auch begründet.

10 3.1.1. Das Verwaltungsgericht führt in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses zunächst aus, auf Grund der von ihm durchgeführten Ermittlungen gehe es vom "vorliegenden folgenden Sachverhalt" aus:

"Der Beschwerdeführer vertritt seit die zur Firmenbuchzahl X w eingetragene Firma‚ R GmbH' selbständig und hat als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG zur Vertretung nach außen Berufener zu verantworten, dass durch diese Gesellschaft als Arbeitgeber nachfolgende Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes - AZG, BGBl. Nr. 461/1969 in der geltenden Fassung in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 206 nicht eingehalten wurden, als die im Unternehmen R GmbH, beschäftigten Lenker eines Kraftfahrzeuges, im innerstaatlichen Straßenverkehr beschäftigten Arbeitnehmer zur Lenkung eines LKW zur Güterbeförderung über 3,5 t, nämlich Herr J G, A D, J M, M K, N K, A G, M R und D Z, zu näher genannten gesetzwidrigen Arbeitszeiten und/oder Formverstößen herangezogen wurden bzw. diese begangen hat"

11 3.1.2. Zu diesem "Beweisergebnis" gelange das Verwaltungsgericht "auf Grund folgender Überlegungen":

"Das Beweisverfahren hat ergeben, dass die Pause Taste tatsächlich nicht gedruckt wurde, weshalb von der Richtigkeit der Zeitaufzeichnung auszugehen ist. Auch hat das Beweisverfahren ergeben, dass in einzelnen Fällen, aufgrund entsprechender Erklärungen der Fahrer die Zeitaufzeichnungen korrigiert wurden. Die Länge des Tatzeitraums lässt jedenfalls erkennen, dass die Fahrer nur langsam die Bedienweise des Zeiterfassungssystems erfasst haben. Dies lässt jedenfalls auf ein nicht ausreichendes Kontrollsystem schließen."

12 3.1.3. In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus:

"...

Obiger Sachverhaltsfeststellungen zu Folge ist der inkriminierte Tatbestand erfüllt, weshalb spruchgemäß das Straferkenntnis dem Grunde nach zu bestätigen war. Der Rechtsmittelwerber hat keinerlei Vorbringen welches sich auf die Nichterfüllung des Tatbestandes in subjektiver Hinsicht bezieht, erstattet. Das Verschulden des Rechtsmittelwerbers ist erwiesen, da weder hervorgekommen ist, noch auf Grund der Tatumstände anzunehmen war, dass die Einhaltung der Vorschrift eine besondere Aufmerksamkeit erfordert habe oder dass die Verwirklichung des Tatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können."

13 3.2. Die Revision bringt - auf das Wesentliche zusammengefasst und soweit im Folgenden von Bedeutung- vor:

Gemäß § 5 Abs. 1 VStG liege es an der Behörde, den Beweis zu erbringen, dass ein Beschuldigter den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung verwirklicht habe. Dementsprechend habe die Behörde auch alle erforderlichen Beweise aufzunehmen und sei es nicht Sache des Beschuldigten sich frei zu beweisen.

14 Bereits in ihrer Stellungnahme vom hätten die Revisionswerber dargelegt, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen tatsächlich gesetzeskonform eingehalten worden seien, auch wenn diese in Einzelfällen nicht auf den Tachoscheiben eingetragen gewesen seien. Damit hätten die Revisionswerber gleichzeitig aufgezeigt, dass die Tachoscheiben alleine kein geeignetes Beweismittel für die behaupteten Verwaltungsübertretungen darstellten.

15 Im gegenständlichen Verfahren sei aufgezeigt worden, dass Ruhepausen und Lenkpausen iSd. § 13c Abs. 1 AZG und Art. 7 Verordnung (EG) Nr. 561/2006 gewährt und eingehalten worden seien und die vereinzelte fehlerhafte Aufzeichnung dieser Pausen im Kontrollsystem einen rein formalen Mangel bilde, jedoch keine Verwaltungsübertretung nach § 28 Abs. 3 Z. 2 oder Abs. 5 Z. 2 AZG darstelle.

16 Sowohl die belangte Behörde als auch das Verwaltungsgericht hätten es trotz entsprechender Angaben und Vorbringen der Revisionswerber unterlassen, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Die Revisionswerber hätten nicht nur ihr Kontrollsystem und ihre Überwachungs- sowie Vorbeugemaßnahmen (Schulungen, Fahrtenbuch, etc.) erörtert, sondern die Übertretung nach § 28 Abs. 3 Z. 2 und Abs. 5 Z. 2 AZG bestritten und widerlegt.

17 3.3. Damit wird im Ergebnis eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses aufgezeigt:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind die Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG zu begründen. Vor dem Hintergrund des § 38 VwGVG iVm. § 24 VStG hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung iSd. § 58 AVG zu begründen. Im Sinne des § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen, sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Das Verwaltungsgericht hat somit den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen und die Gründe anzugeben, welche das Verwaltungsgericht in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. Ra 2014/02/0150, vom , Zl. Ra 2016/11/0094, vom , Zl. Ra 2014/09/0041, und vom , Zl. Ra 2014/03/0038).

18 Entgegen den dargelegten Anforderungen fehlen aber in dem in Revision gezogenen Erkenntnis die maßgebenden Überlegungen des Verwaltungsgerichts zum Sachverhalt, zumal, wie die Wiedergabe oben zeigt, das Verwaltungsgericht gar keine Feststellungen getroffen hat, die eine Subsumtion des als erwiesen erachteten Sachverhalts unter die herangezogenen Strafbestimmungen ermöglichen würde.

19 Eine Verwaltungsübertretung nach § 28 Abs. 3 Z. 2 iVm.

§ 13c Abs. 1 AZG liegt nämlich nur vor, wenn Ruhepausen nicht eingehalten bzw. nicht gewährt wurden. Eine Verwaltungsübertretung gemäß § 28 Abs. 5 Z. 2 AZG iVm. Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 ist gegeben, wenn keine Fahrtunterbrechung eingelegt wurde bzw. keine Lenkpausen gewährt wurden. Aus den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses ergibt sich jedoch nicht, dass und aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht es als erwiesen ansieht, dass solche Pausen von den Lenkern nicht eingehalten wurden bzw. dass die Zweitrevisionswerberin die erforderlichen Pausen nicht gewährte. Schon deshalb ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Tatbild einer Verwaltungsübertretung nach § 28 Abs. 3 Z. 2 bzw. Abs. 5 Z. 2 AZG verwirklicht wäre.

20 3.4. Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 lit. b und c VwGG aufzuheben.

21 4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF. BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am