VwGH 01.02.2018, Ra 2017/10/0202
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | VwGG §30 Abs2; |
RS 1 | Stattgebung - Mindestsicherung - Einer Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die für die Vergangenheit nachgezahlt werden muss, kommt grundsätzlich - sofern nicht seitens des Berechtigten besondere Umstände geltend gemacht werden - nicht jene Dringlichkeit für die laufende Existenzerhaltung des Betroffenen zu, wie dies bei laufenden, für die Zukunft zugesprochenen Leistungen der Fall ist. In der Frage, ob ihm auch die Nachzahlung endgültig zusteht, ist es dem Mitbeteiligten grundsätzlich (d.h. soweit er keine besonderen Umstände geltend zu machen vermag, die eine andere Beurteilung gebieten könnten) zumutbar, den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abzuwarten (vgl. ). Das von der Revisionswerberin (der belangten Behörde) geltend gemachte Interesse, während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine zum laufenden Lebensunterhalt nicht benötigte Zahlung im Hinblick auf die mutmaßliche Uneinbringlichkeit einer allfälligen Rückforderung vorerst nicht leisten zu müssen, überwiegt daher das Interesse des Mitbeteiligten am alsbaldigen Erhalt dieser Nachzahlung (vgl. nochmals den hg. Beschluss vom ). |
Normen | MSG Tir 2010 §18 Abs1; MSG Tir 2010 §2 Abs7; MSG Tir 2010 §5 Abs2 litb; VwGG §42 Abs2 Z1; |
RS 1 | Nach § 18 Abs. 1 Tir MSG 2010 ist das Ausmaß der Leistungen der Mindestsicherung aber im Einzelfall unter Berücksichtigung (ua) der bedarfsdeckenden oder bedarfsmindernden Leistungen Dritter zu bestimmen. Wird demnach der regelmäßig wiederkehrende Aufwand etwa für Nahrung bereits von Dritten (teilweise) gedeckt, so ist dies bei der Ausmessung der Leistung zu berücksichtigen (vgl. ; , Ro 2014/10/0115). |
Normen | |
RS 2 | Ist von einem durch den gewährten Naturalunterhalt ungedeckten Aufwand iSd § 2 Abs. 7 Tir MSG 2010 auszugehen, so ist zu beurteilen, ob insofern von einer auch nur teilweisen Verletzung der Naturalunterhaltspflicht auszugehen ist, die einen Anspruch auf Geldunterhalt begründet (vgl. ). |
Normen | MSG Tir 2010 §17 Abs1; MSG Tir 2010 §18 Abs1; MSG Tir 2010 §2 Abs7; MSG Tir 2010 §5 Abs2 litb; VwGG §42 Abs2 Z1; |
RS 3 | Beim Pflegegeld bzw. bei anderen pflegebezogenen Geldleistungen handelt es sich um Leistungen, die zweckgebunden zur (teilweisen) Abdeckung eines Pflegebedarfs des Empfängers dienen und daher regelmäßig nicht für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, während es sich beim Anspruch des pflegenden Angehörigen auf Abführung der pflegebezogenen Geldleistung als Entschädigung für erbrachte Betreuungsleistungen (vgl. E , 95/08/0189) um ein Einkommen handelt, das uneingeschränkt für den Lebensunterhalt zur Verfügung steht. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/10/0090 B RS 1 |
Normen | MSG Tir 2010 §17 Abs1; MSG Tir 2010 §18 Abs1; MSG Tir 2010 §2 Abs7; MSG Tir 2010 §5 Abs2 litb; VwGG §42 Abs2 Z1; |
RS 4 | Das Pflegegeld ist - soweit es nicht für den Zukauf von Pflegeleistungen Dritter verwendet wird - dem die Pflege erbringenden Angehörigen als Einkommen anzurechnen, weil dieser - auf Kosten seiner sonst bestehenden Verdienstmöglichkeiten - gerade jene Pflegeleistungen erbringt, zu deren Abdeckung (zweckgebunden) das Pflegegeld dient. Ein Unterhaltsanspruch des Gepflegten gegenüber dem pflegenden Angehörigen vermindert sich im Umfang eigener Einkünfte, sodass der Gepflegte die notwendige Mehrbetreuung oder deren Kosten - soweit sie durch die pflegebezogene Geldleistung abgegolten sind - vom pflegenden Angehörigen nicht mehr unter dem Titel der Unterhaltspflicht fordern kann. Ist aber der pflegende Angehörige nicht mehr zur unentgeltlichen Erbringung dieser Betreuungsleistung verpflichtet, kann er vom Gepflegten auch die Abführung der pflegebezogenen Geldleistung als Entschädigung für die erbrachten Betreuungsleitungen fordern. Es handelt sich somit um einen Entschädigungsanspruch des pflegenden Angehörigen. Bei der Berücksichtigung dieses Anspruches als Einkommen des Pflegenden wird kein Abzug für Sozialversicherungsbeiträge vorgenommen (vgl. E , 95/08/0189; E , 97/08/0510; E , 2006/10/0196; E , 2006/10/0059; E , 2011/10/0046). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2015/10/0090 B RS 2
(hier ohne die beiden letzten Sätze) |
Normen | MSG Tir 2010 §17 Abs1; MSG Tir 2010 §18 Abs1; MSG Tir 2010 §2 Abs7; MSG Tir 2010 §5 Abs2 litb; VwGG §42 Abs2 Z1; |
RS 5 | Der bloße Umstand, dass der pflegende Angehörige bereits eine Pensionsleistung bezieht, vermag nichts daran zu ändern, dass dieser gerade jene Pflegeleistungen erbringt, zu deren Abdeckung (zweckgebunden) das Pflegegeld dient. Ein derart erzieltes Einkommen ist daher auch dann, wenn dieses neben Pensionsleistungen bezogen wird, grundsätzlich zu berücksichtigen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der Bezirkshauptmannschaft Reutte, der gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , Zl. LVwG- 2017/31/0491-5, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei:
E, vertreten durch den Sachwalter H, dieser vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:
Spruch
Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom wurde dem Mitbeteiligten - in Abänderung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom - für den Zeitraum vom bis zum eine Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Höhe von monatlich EUR 471,24 im Jahr 2016 und EUR 475,01 im Jahr 2017 sowie für die Monate Juni 2016, September 2016 und Dezember 2016 jeweils eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von EUR 75,40 zuerkannt.
2 Mit der gegen dieses Erkenntnis an den Verwaltungsgerichtshof erhobenen außerordentlichen Revision ist der Antrag verbunden, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Begründet wird dieser Antrag damit, dass mit dem angefochtenen Erkenntnis eine Mindestsicherungsleistung in der Höhe von EUR 5.413,61 zugesprochen worden sei, die um EUR 4,129,93 über den tatsächlich geleisteten Zahlungen liege. Selbst im Falle eines Erfolgs der Revision würden bereits ausbezahlte Leistungen nicht mehr einbringlich gemacht werden können, zumal dringend zu befürchten sei, dass diese verbraucht würden. Es drohe die Uneinbringlichkeit der Leistung und somit der Verlust öffentlicher Mittel.
3 Der Mitbeteiligte sprach sich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aus. Aufgrund der überlangen Verfahrensdauer sei es nicht zumutbar, auf eine Auszahlung weiter zuzuwarten. Zudem werde nicht dargelegt, warum "durch Rückersatz bzw Aufrechnung allenfalls zu viel bezahlte Beträge nicht doch einbringlich gemacht werden könnten, ehe die jeweiligen Ansprüche verjähren würden".
4 Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof ab Vorlage der Revision auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
5 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch bei Amtsrevisionen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG zulässig. Als "unverhältnismäßiger Nachteil für den Revisionswerber" ist dabei eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Amtspartei zu vertretenden öffentlichen Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung in die Wirklichkeit zu verstehen. Insoweit treten diese öffentlichen Interessen im Falle einer Amtsrevision bei der vorzunehmenden Interessenabwägung an die Stelle jener Interessenlage, die sonst bei einem "privaten" Revisionswerber als Interesse an dem Aufschub des sofortigen Vollzugs der angefochtenen Entscheidung in die Abwägung einfließt (vgl. , mwN).
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass eine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die für die Vergangenheit nachgezahlt werden muss, grundsätzlich - sofern nicht seitens des Berechtigten besondere Umstände geltend gemacht werden - nicht jene Dringlichkeit für die laufende Existenzerhaltung des Betroffenen zukommt, wie dies bei laufenden, für die Zukunft zugesprochenen Leistungen der Fall ist. In der Frage, ob ihm auch die Nachzahlung endgültig zusteht, ist es dem Mitbeteiligten grundsätzlich (d.h. soweit er keine besonderen Umstände geltend zu machen vermag, die eine andere Beurteilung gebieten könnten) zumutbar, den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abzuwarten (vgl. ).
7 Das von der Revisionswerberin geltend gemachte Interesse, während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine zum laufenden Lebensunterhalt nicht benötigte Zahlung im Hinblick auf die mutmaßliche Uneinbringlichkeit einer allfälligen Rückforderung vorerst nicht leisten zu müssen, überwiegt daher das Interesse des Mitbeteiligten am alsbaldigen Erhalt dieser Nachzahlung (vgl. nochmals den genannten hg. Beschluss vom ).
8 Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war daher stattzugeben.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kacic-Löffler, LL.M., über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Reutte gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , Zl. LVwG- 2017/31/0491-5, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei:
E F in P, vertreten durch Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft Reutte vom wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei vom auf Gewährung von bedarfsorientierter Mindestsicherung gemäß den §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 lit. a, 5 und 9 Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) abgewiesen.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom wurde einer dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahin abgeändert, dass der mitbeteiligten Partei für den Zeitraum vom bis zum eine Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 5 Abs. 2 lit. b TMSG in der Höhe von monatlich EUR 471,24 im Jahr 2016 sowie von monatlich EUR 475,01 im Jahr 2017 zuerkannt werde. Weiters gebühre für die Monate Juni, September und Dezember 2016 gemäß § 5 Abs. 5 TMSG jeweils eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von EUR 75,40. Im Weiteren sprach das Verwaltungsgericht gemäß § 25a VwGG aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges aus, es lege seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde: Der am geborene Mitbeteiligte sei schwerstbehindert und Bezieher des Pflegegeldes der Stufe 6. Aus Mitteln der Rehabilitation würden die Kosten für die Tagesbetreuung beim Verein V. im Ausmaß von nunmehr 180 Monatsstunden getragen. Unstrittig sei, dass der Mitbeteiligte "außerhalb der aus Rehabilitationsmitteln finanzierten Tagesstruktur" wochenweise alternierend bei den getrennt lebenden Elternteilen, nämlich beim Vater H.F. in P. sowie bei der Mutter I.F. in R., untergebracht, betreut und gepflegt werde. Es sei aktenkundig, dass der Mitbeteiligte außer dem Pflegegeld der Stufe 6 sowie der erhöhten Familienbeihilfe über keine Eigenmittel verfüge.
4 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus, Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens sei die Frage, ob die Revisionswerberin im Zeitraum vom bis zum zu Recht einen Mindestsicherungsanspruch verneint habe. Zunächst sei zu berücksichtigen, dass die - wenngleich getrennt lebenden - Elternteile eine aufrechte Haushaltsgemeinschaft mit dem Mitbeteiligten bildeten, zumal diese wochenweise abwechselnd den Mitbeteiligten in deren Wohnung in P. bzw. R. beherbergen, betreuen und pflegen würden. Dieser Umstand sei insofern von Relevanz, als damit "im unterhaltsrechtlichen Sinn ein Naturalunterhaltsanspruch des Kindes befriedigt" werde, der allenfalls das Bestehen eines Geldunterhaltsanspruches zu beseitigen vermöge. Dabei gelte es zu beachten, dass die Eltern in der finanziellen Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse und in der Entscheidung, in welchem Umfang (sparsam oder großzügig) sie Naturalunterhalt an ihre Kinder leisten wollten, grundsätzlich frei seien, solange der gesetzliche Unterhalt nicht unterschritten werde (Verweis auf ).
5 Unter Zugrundlegung des Umstandes, dass die Mutter des Mitbeteiligten Pensionistin und Ausgleichszulagenbezieherin sei und auch der Vater eine lediglich ca. EUR 100,-- über der Mindestpension liegende monatliche Rentenzahlung erhalte, könne kein Zweifel bestehen, dass durch die Leistung von Naturalunterhalt in Form der wochenweise alternierend durchgeführten "Unterbringung, Betreuung und Verpflegung" durch die Kindeseltern in deren Wohnung dem Mitbeteiligten ein "derart valides Bündel von Naturalleistungen" eingeräumt werde, dass dieser Umstand der Existenz eines darüber hinausgehenden Geldunterhaltsanspruches des Mitbeteiligten "im Sinne der Prozentwertmethode" kategorisch entgegenstehe.
6 Dies habe zur Folge, dass dem Mitbeteiligten auf der Ebene der Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes "infolge der faktischen Befriedigung dieser Bedürfnisse im Rahmen der elterlichen Unterhaltspflicht als Naturalunterhalt" keine darüber hinausgehenden Geldleistungen aus Mindestsicherungsmitteln gewährt werden könnten. Andererseits führe dies auch dazu, dass hinsichtlich der Berechnung der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes keine bedarfsmindernden Leistungen gemäß § 17 Abs. 1 und § 18 Abs. 2 TMSG zu berücksichtigen seien, zumal diese bereits - als Naturalunterhalt - auf der Ebene der Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes Berücksichtigung gefunden hätten.
7 Hinsichtlich der Berücksichtigung von Pflegegeldleistungen (§ 15 Abs. 2 lit. c TMSG) bzw. von Mitteln aus der erhöhten Familienbeihilfe (§ 15 Abs. 2 lit. a TMSG) bestimme das TMSG ausdrücklich, dass derartige Mittel bei der Berechnung der Höhe des Einkommens des Hilfsbedürftigen außer Ansatz zu lassen seien. Hinsichtlich der Problematik, ob das Pflegegeld - wenngleich es beim Einsatz der eigenen Mittel durch den Hilfesuchenden kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung außer Ansatz zu lassen sei - nicht allenfalls als Einkommensbestandteil der Kindeseltern zu qualifizieren sei, sei auf die gesicherte Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, "wonach Pflegegeld, welches einem Angehörigen gewährt wird, nur insofern bei der Berechnung der eigenen Mittel herangezogen werden kann, als das Pflegegeld tatsächlich dem Antragsteller zukommt, er somit Pflegeleistungen erbringt und dadurch seine Arbeitskraft nicht entsprechend einsetzen kann" (Verweis auf ). Da beide Elternteile Pensionisten seien und "damit das Pflegegeld nicht den (teilweisen) Ausfall von Einkommen einer Arbeitsleistung substituiert", könne eine Anrechnung des Pflegegeldes nicht erfolgen. Die von der Revisionswerberin vorgenommene Berücksichtigung von Pflegegeldleistungen auf der Ebene der Einkommensberechnung beider Elternteile sei "daher kontraindiziert".
8 Im Ergebnis sei dem Antrag insofern Folge zu geben gewesen, als dem Mitbeteiligten zumindest der Richtsatz des § 5 Abs. 2 lit. b TMSG ungeschmälert zustehe. Der Zuspruch des Richtsatzes in den Monaten Juni, September und Dezember 2016 resultiere aus der Bestimmung des § 5 Abs. 5 TMSG.
9 Den Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der Bezirkshauptmannschaft Reutte.
11 Das Verwaltungsgericht legte die Akten vor. 12 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Das Tiroler Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 99/2010
idF LGBl. Nr. 130/2013 (TMSG), lautet auszugsweise:
"§ 1
Ziel, Grundsätze
...
(4) Leistungen der Mindestsicherung sind so weit zu gewähren, als der jeweilige Bedarf nicht durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte sowie durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Dabei sind auch Hilfeleistungen, die nach anderen landesrechtlichen oder nach bundesrechtlichen oder ausländischen Vorschriften in Anspruch genommen werden können, zu berücksichtigen.
...
§ 2
Begriffsbestimmungen
(1) In einer Notlage befindet sich, wer
a) seinen Lebensunterhalt, seinen Wohnbedarf oder den bei
Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung sowie für ein einfaches Begräbnis auftretenden Bedarf (Grundbedürfnisse) nicht oder nicht in ausreichendem Ausmaß aus eigenen Kräften und Mitteln oder mit Hilfe Dritter decken kann oder
...
(7) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes umfasst den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körper- und Gesundheitspflege, Benützung von Verkehrsmitteln, Reinigung, Kleinhausrat und Strom sowie für andere persönliche Bedürfnisse, die eine angemessene soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen.
...
§ 5
Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes
(1) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes besteht in der Gewährung pauschalierter, monatlicher Geldleistungen (Mindestsätze).
(2) Der Mindestsatz beträgt für
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a) | Alleinstehende und Alleinerzieher | 75 v. H., |
b) | Volljährige, die nicht unter lit. a fallen | 56,25 v. H., |
...
des Ausgangsbetrages nach § 9 Abs. 1.
...
(5) Zusätzlich zum jeweiligen Mindestsatz ist in den Monaten März, Juni, September und Dezember eine Sonderzahlung in der Höhe von 9 v. H. des Ausgangsbetrages nach § 9 Abs. 1 zu gewähren, soweit der Mindestsicherungsbezieher zum Stichtag bereits seit mindestens drei Monaten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfes bezogen hat. Als Stichtag gilt der Erste des jeweiligen Monats.
...
§ 9
Ausgangsbetrag
(1) Der Ausgangsbetrag für die Bemessung der Mindestsätze nach § 5 beträgt für das Kalenderjahr 2010 744,01 Euro.
(2) Die Landesregierung hat für jedes folgende Kalenderjahr unter Bedachtnahme auf die Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 ASVG durch Verordnung einen Anpassungsfaktor festzusetzen (Anpassungsverordnung). Der Ausgangsbetrag für die Bemessung der Mindestsätze nach § 5 für dieses Kalenderjahr ergibt sich jeweils durch Multiplikation des Ausgangsbetrages für das vorangegangene Kalenderjahr mit dem Anpassungsfaktor. Die sich aus dem Ausgangsbetrag ergebenden Mindestsätze sind als Anlage zur Verordnung kundzumachen.
...
§ 15
Einsatz der eigenen Mittel
(1) Vor der Gewährung von Mindestsicherung hat der Hilfesuchende seine eigenen Mittel, zu denen sein gesamtes Einkommen und sein Vermögen gehören, einzusetzen.
(2) Bei der Berechnung der Höhe des Einkommens sind außer Ansatz zu lassen:
a) Leistungen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, ausgenommen Zuwendungen aus dem Familienhospizkarenz-Härteausgleich nach dessen § 38j,
...
c) Pflegegeld nach bundes- oder landesrechtlichen oder
ausländischen Vorschriften oder andere pflegebezogene Geldleistungen.
...
§ 17
Verfolgung von Ansprüchen gegenüber Dritten
(1) Vor der Gewährung von Mindestsicherung hat der Hilfesuchende öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist.
...
§ 18
Ausmaß der Mindestsicherung
(1) Das Ausmaß der Leistungen der Mindestsicherung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung des Einsatzes der eigenen Mittel und der Bereitschaft des Hilfesuchenden zum Einsatz seiner Arbeitskraft sowie der bedarfsdeckenden oder bedarfsmindernden Leistungen Dritter zu bestimmen.
(2) Zu den bedarfsdeckenden oder bedarfsmindernden Leistungen Dritter zählt neben den Leistungen, auf die der Hilfesuchende einen Anspruch nach § 17 Abs. 1 hat, auch das Einkommen der mit ihm in Lebensgemeinschaft lebenden Person oder der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden und ihm gegenüber unterhaltsverpflichteten Personen, soweit dieses den Mindestsatz nach § 5 Abs. 2 lit. b zuzüglich des auf diese Person entfallenden Wohnkostenanteiles übersteigt. Von diesem Einkommen sind allfällige Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Dritten in Abzug zu bringen.
(3) Hat der Hilfesuchende auf eine bedarfsdeckende oder
bedarfsmindernde Leistung keinen Anspruch nach § 17 Abs. 1, so ist
diese bei der Bestimmung des Ausmaßes der Mindestsicherung nur zu
berücksichtigen, soweit sie
a) regelmäßig in einem Ausmaß erbracht wird, das wesentlich
zur Deckung der Grundbedürfnisse des Hilfesuchenden beiträgt, oder
b) in einem Ausmaß erbracht wird, das wesentlich zur
Bewältigung außergewöhnlicher Schwierigkeiten des Hilfesuchenden beiträgt.
..."
14 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, es bestehe "hinsichtlich der Thematik der Anrechnung eines Naturalunterhaltes in der Mindestsicherung" keine gesicherte Rechtsprechung. Es bedürfe bei einer solchen Entscheidung zwecks der exakten Bestimmung des Ausmaßes der Mindestsicherung stets der Bewertung des Naturalunterhaltes, um diesen bedarfsmindernd in Anrechnung bringen zu können. Das Verwaltungsgericht habe dies ohne nähere Begründung unterlassen. Zudem habe das Verwaltungsgericht die von ihm erwähnte Rechtsprechung hinsichtlich der Anrechnung von Pflegegeld in der Mindestsicherung "inhaltlich unrichtig ausgelegt". Es komme nicht darauf an, ob die pflegende Person im Arbeitsleben stehe oder nicht - auch Pensionisten sei ein Zusatzverdienst möglich -, sondern darauf, dass dieser Person mindestsicherungsrechtlich mehr Einkommen zur Verfügung stehe, welches sie für die Abgeltung an Pflege- und Betreuungsleistungen erhalte.
15 Die Revision erweist sich als zulässig und - im Ergebnis - als begründet.
16 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass das angefochtene Erkenntnis - worauf in der Revision ausdrücklich hingewiesen wird -
schon aus folgenden Gründen keinen Bestand haben kann: Das Verwaltungsgericht geht - nach Ausweis der oben wiedergegebenen Begründung - offenbar davon aus, dass der Mitbeteiligte "außerhalb der aus Rehabilitationsmitteln finanzierten Tagesstruktur" (im Ausmaß von 180 Monatsstunden) von seinen Eltern Naturalunterhalt durch "Unterbringung, Betreuung und Verpflegung" in den beiden Wohnungen erhalte.
17 Bei Zugrundelegung dessen ist allerdings der Zuspruch des vollen Mindestsatzes für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 Abs. 2 lit. b TMSG schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 2 Abs. 7 TMSG den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körper- und Gesundheitspflege, Benützung von Verkehrsmitteln, Reinigung, Kleinhausrat und Strom sowie für andere persönliche Bedürfnisse, die eine angemessene soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen, umfasst. Nach § 18 Abs. 1 TMSG ist das Ausmaß der Leistungen der Mindestsicherung aber im Einzelfall unter Berücksichtigung (u.a.) der bedarfsdeckenden oder bedarfsmindernden Leistungen Dritter zu bestimmen. Wird demnach der regelmäßig wiederkehrende Aufwand etwa für Nahrung bereits von Dritten (teilweise) gedeckt, so wäre dies bei der Ausmessung der Leistung zu berücksichtigen gewesen (vgl. zur Bedarfsminderung durch Sachleistungen Dritter in Bezug auf Nahrung etwa die Erkenntnisse ; , Ro 2014/10/0115).
18 Davon abgesehen wird aber mit der - nicht näher konkretisierten - Annahme, die Eltern leisteten Naturalunterhalt durch "Unterbringung, Betreuung und Verpflegung" in den beiden Wohnungen, von vornherein nicht dargelegt, welche der in § 2 Abs. 7 TMSG genannten regelmäßig wiederkehrenden Aufwendungen durch diesen Unterhalt nicht abgedeckt werden. Wären die genannten Bedarfe durch den Naturalunterhalt der Eltern abgedeckt, käme die Gewährung von Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 Abs. 2 lit. b TMSG im Grunde des § 18 Abs. 1 TMSG nicht in Betracht. Wäre insofern aber von einem durch den gewährten Naturalunterhalt ungedeckten Aufwand im Sinne des § 2 Abs. 7 TMSG auszugehen, so wäre zu beurteilen, ob insofern von einer auch nur teilweisen Verletzung der Naturalunterhaltspflicht auszugehen ist, die einen Anspruch auf Geldunterhalt begründet (vgl. etwa ).
19 Das Verwaltungsgericht geht im Weiteren davon aus, dass das vom Mitbeteiligten bezogene Pflegegeld der Stufe 6 allein deshalb nicht als Einkommensbestandteil der - pflegenden - Eltern zu qualifizieren sei, weil beide Elternteile Pensionisten seien und damit das Pflegegeld nicht den (teilweisen) Ausfall von Einkommen einer Arbeitsleistung substituiere.
20 Dem ist nicht zu folgen:
21 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich beim Pflegegeld bzw. bei anderen pflegebezogenen Geldleistungen um Leistungen, die zweckgebunden zur (teilweisen) Abdeckung eines Pflegebedarfs des Empfängers dienen und daher regelmäßig nicht für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, während es sich beim Anspruch des pflegenden Angehörigen auf Abführung der pflegebezogenen Geldleistung als Entschädigung für erbrachte Betreuungsleistungen um ein Einkommen handelt, das uneingeschränkt für den Lebensunterhalt zur Verfügung steht. Das Pflegegeld - soweit es nicht für den Zukauf von Pflegeleistungen Dritter verwendet wird - ist nach der ständigen hg. Judikatur dem die Pflege erbringenden Angehörigen als Einkommen anzurechnen, weil dieser - auf Kosten seiner sonst bestehenden Verdienstmöglichkeiten - gerade jene Pflegeleistungen erbringt, zu deren Abdeckung (zweckgebunden) das Pflegegeld dient. Ein Unterhaltsanspruch des Gepflegten gegenüber dem pflegenden Angehörigen vermindert sich im Umfang eigener Einkünfte, sodass der Gepflegte die notwendige Mehrbetreuung oder deren Kosten - soweit sie durch die pflegebezogene Geldleistung abgegolten sind -
vom pflegenden Angehörigen nicht mehr unter dem Titel der Unterhaltspflicht fordern kann. Ist aber der pflegende Angehörige nicht mehr zur unentgeltlichen Erbringung dieser Betreuungsleistung verpflichtet, kann er vom Gepflegten auch die Abführung der pflegebezogenen Geldleistung als Entschädigung für die erbrachten Betreuungsleistungen fordern (vgl. , mit Verweis auf ; , 95/08/0189; , 2006/10/0196; , 2006/10/0059; , 2011/1070046).
22 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes vermag der bloße Umstand, dass der pflegende Angehörige bereits eine Pensionsleistung bezieht, nichts daran zu ändern, dass dieser gerade jene Pflegeleistungen erbringt, zu deren Abdeckung (zweckgebunden) das Pflegegeld dient. Ein derart erzieltes Einkommen wäre daher auch dann, wenn dieses neben Pensionsleistungen bezogen wird, grundsätzlich zu berücksichtigen.
23 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
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Norm | VwGG §30 Abs2; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017100202.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
PAAAE-73390