VwGH vom 27.01.2015, 2012/11/0186

VwGH vom 27.01.2015, 2012/11/0186

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des P D in W, vertreten durch Mag. Laurenz Strebl und Dr. Hannes Wallisch, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 3, 2. Stock, Top 12, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. 41.550/275- 9/12, betreffend Zusatzeintragung in den Behindertenpass (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Antrag vom beantragte der Beschwerdeführer die Neufestsetzung des Grades seiner Behinderung sowie die Zusatzeintragung im Behindertenpass, dass ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei.

Mit rechtskräftigem Bescheid des Bundessozialamtes vom wurde der Antrag auf Neufestsetzung abgewiesen und der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers mit "weiterhin 80%" angegeben. Nach dem in der Begründung dieses Bescheides genannten ärztlichen Sachverständigengutachten ergibt sich der genannte Gesamtgrad der Behinderung aus mehreren Leidenszuständen (Coronare Zweigefäßerkrankung nach Hinterwandinfarkt, posttraumatischer Knickplattfuß beidseits, Bandscheibenvorfall mit Schmerzsymptomatik und Arthrose des rechten Ellbogengelenks).

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Eintragung des Zusatzes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass gemäß § 42 Abs. 1 Bundesbehindertengesetz (BBG) abgewiesen.

In der Begründung stützte sich die belangte Behörde auf das von ihr auszugsweise wiedergegebene Gutachten des Facharztes für Orthopädie vom , in dem ausgehend von den genannten Leidenszuständen ausgeführt werde, dass sich beim 70-jährigen Beschwerdeführer eine "teilfixierte Fußfehlstellung mit Abnützung des oberen Sprunggelenks beider Füße mit Einschränkung der Gehleistung" finde. Im Bereich der Lendenwirbelsäule sei eine "mehrsegmentale Bandscheibenschädigung, die zu regionalen belastungsabhängigen Schmerzen und einer fallweisen Reizung der

5. Nervenwurzel im linken Bein führt", vorhanden.

Laut Sachverständigem bedeute dies für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, dass dem Beschwerdeführer die Zurücklegung "kurzer Gehstrecken von 300 bis 400 m aus eigener Kraft und unter fallweiser Zuhilfenahme eines einfachen Behelfs (Unterarm-Krücke) möglich" sei.

Dagegen habe der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs eingewendet, dass ihm das Zurücklegen einer Gehstrecke von 300 m nur "mit anschließenden Schmerzen" möglich sei.

In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der maßgebenden Rechtsvorschriften aus, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung der zweckmäßigen Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwere. Die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel liege auch dann vor, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und auf die sichere Beförderung unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirke.

Der medizinische Sachverständige sei im genannten Gutachten vom auf die Leiden des Beschwerdeführers und deren

Ausmaß eingegangen, er habe "die Schmerzzustände ... explizit

erwähnt" und bei seiner sachverständigen Beurteilung berücksichtigt. Ausgehend von der Schlüssigkeit dieses Gutachtens ergebe sich, dass die Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers kein Ausmaß erreichten, das die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bedinge.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig.

Der Antrag des Beschwerdeführers betreffend die in Rede stehende Zusatzeintragung in seinen Behindertenpass ist zulässig, weil diese Eintragung etwa einen der Nachweise der für die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer maßgeblichen Körperbehinderung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 12 lit. b Kraftfahrzeugsteuergesetz 1992 darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/11/0128, mwN).

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt . Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie etwa das - von der belangten Behörde im Akt, Seite 42/8, selbst genannte - Erkenntnis vom , Zl. 2001/11/0242).

Die belangte Behörde meint nun in der rechtlichen Beurteilung, ihrer Entscheidung das von ihr zitierte Sachverständigengutachten zugrunde legen zu können, weil dort die Schmerzzustände des Beschwerdeführers explizit erwähnt worden seien. Damit verkennt sie, dass es bei der Entscheidung über den gegenständlichen Antrag nicht nur um die mit den Gesundheitsschäden - an sich - verbundenen Schmerzen des Betroffenen geht, sondern, wie in der zitierten Judikatur bereits mehrfach klargestellt wurde, um jene Schmerzen (und sonstigen für ihn nachteiligen Auswirkungen), die speziell mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einhergehen.

Wie die Beschwerde zutreffend einwendet, kam der medizinische Sachverständige in seinem Gutachten (vergleichbar mit jenem dem zitierten hg. Erkenntnis Zl. 2008/11/0128 zugrunde liegenden Beschwerdefall) zu dem Ergebnis, dem Beschwerdeführer sei die Zurücklegung einer Gehstrecke von 300 bis 400 m (somit die typische Distanz bis zur nächsten Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel; vgl. das Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/11/0013) aus eigener Kraft, allenfalls unter Zuhilfenahme einer Unterarm-Krücke, "möglich" und gelangte daran anknüpfend zur Einschätzung, diese Gehstrecke sei dem Beschwerdeführer auch zumutbar, ohne zuvor zu klären, mit welchen Auswirkungen, insbesondere mit welchen Schmerzen (Art und Ausmaß) das Zurücklegen dieser Strecke beim Beschwerdeführer verbunden ist.

Indem die belangte Behörde dies verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren für Umsatzsteuer war abzuweisen, weil diese bereits im Pauschalbetrag enthalten ist. Das Mehrbegehren betreffend die Pauschalgebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG war wegen der Gebührenfreiheit gemäß § 51 BBG abzuweisen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2011/11/0054).

Wien, am