Suchen Hilfe
VwGH 29.04.2008, 2005/05/0353

VwGH 29.04.2008, 2005/05/0353

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BauO NÖ 1996 §12 Abs1 idF 8200-3;
BauO NÖ 1996 §4 Z11 idF 8200-3;
BauO NÖ 1996 §71 Abs1;
RS 1
Anlassfälle für die Verpflichtung zur Abtretung für Verkehrsflächen sind einerseits die (früher genehmigungspflichtige, jetzt anzeigepflichtige) Änderung von Grundstücksgrenzen, andererseits die Erteilung von bestimmten Baubewilligungen. Der Ansicht, diese Anlassfälle dürften nur alternativ, also einander ausschließend für die Verpflichtung zur Grundabtretung herangezogen werden, ist nicht zu folgen: Die Abtretungsverpflichtung verfolgt letztlich den Zweck, dass die in § 71 NÖ BauO 1996 umschriebenen Anforderungen an Verkehrsflächen erfüllt werden können; die Festlegung von Straßenfluchtlinien dient ja, wie in § 71 Abs. 1 NÖ BauO 1996 klargelegt, der Regulierung der Verkehrserschließung. Solange dieser Zweck nicht erreicht ist, muss es möglich sein, entsprechende Grundabtretungsverpflichtungen auszusprechen. Es kann auch von einer Wahlmöglichkeit der Behörde keine Rede sein: Es liegt im Belieben des Grundeigentümers, wann er einen Anlassfall herbeiführt; regelmäßig wird er zuerst eine Änderung der Grenzen und später, allenfalls nie, die Erteilung einer Baubewilligung begehren.
Normen
BauO NÖ 1996 §12 Abs1 idF 8200-3;
BauO NÖ 1996 §23 Abs4;
BauO NÖ 1996 §4 Z11 idF 8200-3;
BauO NÖ 1996 §69 Abs1 Z1;
BauO NÖ 1996 §71 Abs1;
RS 2
Wenn der Gesetzgeber grundsätzlich festgelegt hat, dass die Straßenfluchtlinien im Bebauungsplan festgelegt werden und nur ausnahmsweise - siehe Hauer/Zaussinger, Niederösterreichisches Baurecht7, 220 -, wenn die Gemeinde seit 1970 ihrer Pflicht zur Erlassung eines Bebauungsplanes nicht nachgekommen ist, in Bescheidform, wobei festgelegt ist, aus welchem Anlass bzw. in welchem Zusammenhang ein solcher Bescheid zu ergehen hat, dann wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass der Bauwerber jedenfalls bei Ausführung eines bewilligten Projekts von festgelegten Straßenfluchtlinien und damit von der daraus resultierenden Abtretungsverpflichtung ausgehen kann. Die Bestimmung des § 23 Abs. 4 NÖ BauO 1996, wonach diese Festlegung im Baubewilligungsbescheid zu erfolgen hat, ist keine Formalanordnung, sondern ermöglicht es dem Bauwerber, seine Bauführung darauf abzustellen; macht er im Hinblick auf die im Bewilligungsbescheid festgelegte Straßenfluchtlinie und die daraus resultierende Abtretungsverpflichtung von der Baubewilligung keinen Gebrauch, dann erlischt die aus dem Anlass der Baubewilligung erfolgte Festlegung und Vorschreibung einer Straßengrundabtretung, wenn die anlassgebende Baubewilligung erloschen ist (Hauer/Zaussinger, aaO, 373).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde der T in Euratsfeld, vertreten durch Dr. Christoph Haffner, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Burgfriedstraße 11, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1-V-02192/01, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde Euratsfeld), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren der Beschwerdeführerin wird abgewiesen.

Begründung

Das Betriebsgrundstück der Beschwerdeführerin Nr. 1251/2 wird im Süden von der Wegparzelle der mitbeteiligten Gemeinde Nr. 2552/2, im Westen von der Landesstraße 6113, Grundstück Nr. 2552/1, umgeben. Das Betriebsgrundstück der Beschwerdeführerin ging aus einer Vereinigung verschiedener Grundstücke hervor; aus diesem Anlass war ihr mit Bescheid der mitbeteiligten Gemeinde vom aufgetragen worden, eine in der Vermessungsurkunde dargestellte Fläche entlang der Wegparzelle Nr. 2552/2 (31 m2) in das öffentliche Gut der Gemeinde abzutreten. In der Begründung wurde darauf verwiesen, dass auf Grund der erfolgten Anzeige der Änderung von Grundstücksgrenzen gemäß § 10 NÖ BauO 1996 die Eigentümer nach § 12 Abs. 1 NÖ BauO 1996 verpflichtet seien, Grundflächen, die zwischen Straßenfluchtlinien liegen und nicht mit einem Gebäudeteil bebaut sind, in das öffentliche Gut der Gemeinde abzutreten. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Über Antrag der Beschwerdeführerin wurde ihr von der gemäß § 1 NÖ Bauübertragungsverordnung zuständigen Bezirkshauptmannschaft Amstetten mit Bescheid vom die baubehördliche Bewilligung für Abbruchmaßnahmen und den Neubau des Betriebsgebäudes, bestehend aus Spenglerei, Schauraum, Magazin, Garage, Lagerhalle und Lagerräumen, auf dem gegenständlichen Betriebsgrundstück erteilt.

Mit Schreiben vom , gerichtet an die Beschwerdeführerin, kündigte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde an, dass aus Anlass der Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung des Betriebsgebäudes der Auftrag erteilt werden würde, die nach den Straßenfluchtlinien zu den öffentlichen Verkehrsflächen gehörenden Grundstücksteile, das sei in einer dem Schreiben angeschlossenen Naturdarstellung eine mit 97 m2 ausgewiesene Fläche entlang der Landesstraße, in das öffentliche Gut der Gemeinde abzutreten. Die Beschwerdeführerin sprach sich dagegen aus.

Mit Bescheid vom erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde unter Bezugnahme auf die Baubewilligung vom der Beschwerdeführerin den Auftrag, die nach den Straßenfluchtlinien zu den öffentlichen Verkehrsflächen gehörenden Grundstücksteile, das sei nach der angeschlossenen Naturdarstellung eine mit 97 m2 ausgewiesene Fläche, in das öffentliche Gut der Gemeinde abzutreten. Die Grundfläche sei frei von in Geld ablösbaren Lasten und geräumt von baulichen Anlagen, Gehölzen und Materialien zu übergeben. Die grundbücherliche Durchführung sei von dem zur Grundabtretung verpflichteten Eigentümer zu veranlassen. Unter einem wurde die Straßenfluchtlinie und das Niveau gemäß § 12 Abs. 1 in Verbindung mit § 71 NÖ BauO 1996 festgesetzt. Dadurch ergebe sich im Bereich des beschwerdegegenständlichen Grundstückes eine Entfernung zwischen den Straßenfluchtlinien von ca. 9,00 m bis 9,50 m. In der Begründung wurde darauf hingewiesen, die Landesstraße 6113 diene im Bereich des Betriebsgrundstückes neben dem Quell- und Zielverkehr auch dem Verkehr zwischen Aufschließungs- und Hauptverkehrsstraßen, weshalb die Entfernung der Straßenfluchtlinien voneinander gemäß § 71 Abs. 5 NÖ BauO 1996 mindestens 8,50 m zu betragen habe.

In ihrer dagegen erstatteten Berufung verwies die Beschwerdeführerin darauf, dass sie die Abtretungsverpflichtung bereits anlässlich des Bescheides vom erfüllt habe. Auch könne sie nach erfolgter Rechtskraft der Baubewilligung nicht mehr zu einer Grundabtretung nach § 12 NÖ BauO verpflichtet werden.

In seinem die Berufung abweisenden Bescheid vom führte der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde aus, eine Grundabtretung könne nicht nur einmalig erfolgen, sondern die Möglichkeit entstehe mit jedem Anlassfall gemäß § 12 Abs. 1 NÖ BauO neu. Auch sehe das Gesetz keinen zeitlichen Konnex zwischen der Baubewilligung und der Verpflichtung nach § 12 Abs. 1 NÖ BauO vor.

Mit Bescheid vom gab die belangte Behörde einer dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführerin Folge, behob den angefochtenen Bescheid und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde zurück. Sie stellte zunächst fest, dass es in der mitbeteiligten Marktgemeinde keinen Bebauungsplan gebe. Ein Grundeigentümer müsse die Grundflächen, die zwischen Straßenfluchtlinien liegen, bei Eintritt eines Anlassfalles im Sinn des § 12 Abs. 1 NÖ BauO abtreten, und zwar jedes Mal, wenn vom Grundeigentümer ein derartiger Anlass gesetzt werde. Wenn, wie im gegenständlichen Fall, kein Bebauungsplan in Geltung sei, seien die Straßenfluchtlinien im Grundabtretungsbescheid unter sinngemäßer Anwendung des § 71 NÖ BauO festzusetzen. Danach betrage die Entfernung der Straßenfluchtlinien voneinander bei Sammel- und Geschäftsstraßen mindestens 11,50 m, bei Aufschließungsstraßen 8,50 m. Unter gewissen Voraussetzungen könne davon abgewichen werden. Für die Vorstellungsbehörde stehe hier fest, dass die Straßengrundabtretung in Richtung der Betriebsliegenschaft in das öffentliche Gut der Marktgemeinde auf Grund des nunmehr vorliegenden neuen Anlassfalles sehr wohl zulässig sei. Es sei aber für die Vorstellungsbehörde nicht nachvollziehbar, warum im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen für eine Sammel- oder Geschäftsstraße vorliegen sollen, aber die Entfernung der Straßenfluchtlinien voneinander nur mit 8,50 m festgelegt worden sei, ohne dass die Gründe dafür näher dargelegt worden seien; daher könne die Festlegung der Straßenfluchtlinien nicht nachvollzogen werden.

Daraufhin führte die Baubehörde einen Ortsaugenschein durch; der beigezogene verkehrstechnische Amtssachverständige erstattete am Befund und Gutachten, worin er zum Ergebnis gelangte, dass die im Plan festgelegte Grundabtretung notwendig, aber auch hinreichend sei.

In ihrer Stellungnahme dazu verwies die Beschwerdeführerin auf ihren bisherigen Standpunkt, wonach sie ihre Abtretungsverpflichtung schon seinerzeit erfüllt habe. Sie bestritt, dass die L 6113 eine überörtliche Verbindung sei; es handle sich weder um eine Sammelstraße noch um eine Geschäftsstraße.

Mit Bescheid vom gab der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Marktgemeinde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge, wobei der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides vom wiederholt wurde. Ergänzend wurde ein Hinweis auf das Gutachten des verkehrstechnischen Amtssachverständigen vom aufgenommen und wurden die Rechtsgrundlagen angeführt.

In der Begründung wurde festgehalten, die Landesstraße Nr. 6113 diene im Bereich des Betriebsgrundstückes neben dem Quell- und Zielverkehr auch dem Verkehr zwischen Aufschließungs- und Hauptverkehrsstraßen. Die Entfernung der Straßenfluchtlinien voneinander habe daher mindestens 8,50 m zu betragen. Es handle sich bei dieser Landesstraße eindeutig nicht um eine Aufschließungs- und Wohnsiedlungsstraße, die dem Verkehr diene, dessen Quellen und Ziele innerhalb dieser Straße liegen, sondern um eine überörtliche Verbindung, die von Euratsfeld Richtung Hochkogel führe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet ab. Unter Hinweis auf ihren Bescheid vom führte die belangte Behörde aus, im Vorstellungsverfahren seien die Gemeinde und die Parteien des Verfahrens an die die Aufhebung tragenden Gründe des aufsichtsbehördlichen Bescheides gebunden, wobei sich diese Bindung auch auf die Aufsichtsbehörde und den Verwaltungsgerichtshof erstrecke. In ihrem Vorbescheid habe die belangte Behörde für das weitere Verfahren bindend ausgesprochen, dass bei jedem Anlassfall im Sinne des § 12 Abs. 1 NÖ BauO 1996 Grundflächen, die zwischen Straßenfluchtlinien lägen, abzutreten seien. Weiters habe die belangte Behörde bindend ausgesprochen, dass die Straßengrundabtretung in Richtung der Landesstraße in das öffentliche Gut der Marktgemeinde auf Grund des neuen Anlassfalles, und zwar der rechtskräftig erteilten Baubewilligung für den Neubau eines Betriebsgebäudes, zulässig sei. Der Bescheid sei lediglich aus dem Grund aufgehoben worden, da nicht nachvollziehbar gewesen sei, warum die Entfernung der Straßenfluchtlinien voneinander nur mit 8,50 m festgelegt worden sei, obwohl die Voraussetzungen für eine Sammel- oder Geschäftsstraße vorgelegen seien. Die Vorstellungsbehörde sei an ihre Rechtsansicht gebunden, sodass auf das Vorbringen, eine Grundabtretung für Straßengrund sei nicht vorzuschreiben gewesen, da kein Anlassfall vorgelegen wäre, nicht einzugehen war. Dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des verkehrstechnischen Amtssachverständigen sei die Beschwerdeführerin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten, sodass die Baubehörden zu Recht die Straßengrundabtretung im Ausmaß von 97 m2 vorschrieben hätten.

Die Behandlung der dagegen erhobenen, ursprünglich an ihn gerichteten Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 142/04, ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Zu den Gesetzesbedenken führte er aus, die Beschwerde berücksichtige nicht ausreichend, dass das Gesamtausmaß der bereits abgetretenen und abzutretenden Grundflächen im Hinblick auf die Grundstücksgröße nicht unsachlich sei; bezüglich der die grundbücherliche Durchführung beinhaltenden Verpflichtung zur unentgeltlichen Grundabtretung im Hinblick auf den Wert von Aufschließungsvorteilen, die nicht mit dem Wert der abzutretenden Grundflächen übereinstimmen müssten, verwies der Verfassungsgerichtshof auf seine Vorjudikatur.

In dem an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Teil dieser Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, wie auch die mitbeteiligte Gemeinde, eine Gegenschrift.

In einem weiteren Schriftsatz vom regte die Beschwerdeführerin an, der Verwaltungsgerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof ein Normenprüfungsverfahren zur Klärung der Rechtsfrage einleiten, ob § 12 NÖ BauO verfassungswidrig sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wiederholte ihren Standpunkt, dass sie nach § 12 Abs. 1 NÖ BauO nur einmal zur Grundabtretung verpflichtet werden könne. Das Gesetz kenne den Anlassfall der Änderung der Grundstücksgrenzen oder der Baubewilligung für den Neubau eines Gebäudes; nur entweder aus dem einen oder aus dem anderen Anlass könne eine Verpflichtung zur Grundabtretung ausgesprochen werden. Die Anlassfälle des § 12 Abs. 1 Z. 1 und 2 NÖ BauO könnten weder mehrmals noch zu einem, der Willkür der Behörde überlassenen Zeitpunkt gegen die Beschwerdeführerin als Grundstückseigentümerin geltend gemacht werden. Zum Zeitpunkt ihrer Bauführung auf dem neuen Grundstück Nr. 1251/2 habe sie darauf vertrauen können, dass ihr keine weitere Grundabtretungspflicht auferlegt werde, nachdem sie diese Pflicht bereits aus Anlass der Änderung der Grundstücksgrenzen erfüllt habe. Die Bauführung sei im Vertrauen auf die Rechtssicherheit über den Verlauf der Grenze ihres Grundstückes zur Landesstraße erfolgt. Die Fertigstellung habe sie noch im Jahre 2001 angezeigt.

Der von der belangten Behörde herangezogenen Bindungswirkung an die tragenden Aufhebungsgründe der Vorentscheidung hielt die Beschwerdeführerin entgegen, die belangte Behörde könne nicht durch die Wiederholung ihrer unrichtigen Rechtsansicht neues Recht schaffen. Eine Beschwerdeführung gegen den Vorstellungsbescheid vom hätte mangels Beschwer erfolglos bleiben müssen. Außerdem sei durch den letztgenannten Bescheid nicht festgestanden, ob und wie die Straßenfluchtlinie einmal festgelegt werde und ob es überhaupt zu einer Grundabtretung kommen werde. Die Straßenfluchtlinie sei gesetzwidrig festgelegt worden, und zwar weder auf Grund der Flächenwidmung noch auf Grund eines Bebauungsplanes.

Die §§ 12, 23 und 71 NÖ BauO 1996 in der Fassung der Novelle 1999, LGBl. 8200-3 (BO), lauten auszugsweise:

"§ 12

Grundabtretung für Verkehrsflächen

(1) Die Eigentümer sind verpflichtet, Grundflächen, die zwischen den Straßenfluchtlinien liegen und nicht mit einem Gebäudeteil bebaut sind, in das öffentliche Gut der Gemeinde abzutreten, wenn

1. die Änderung von Grundstücksgrenzen (§ 10), ausgenommen in Aufschließungszonen, oder die Herstellung von Einfriedungen (§ 15 Abs. 1 Z. 17), angezeigt wird, oder

2. eine Baubewilligung im Bauland für einen Neu- oder

Zubau eines Gebäudes, ausgenommen Gebäude für öffentliche Ver- und Entsorgungseinrichtungen mit einer Grundrissfläche bis zu 25 m2 und einer Gebäudehöhe bis zu 3 m, oder

-

für die Herstellung einer Einfriedung gegen öffentliche Verkehrsflächen oder

-

für die Herstellung einer Abstellanlage für Kraftfahrzeuge auf bisher unbebauten Grundstücken

erteilt wird.

Erfolgt eine Anzeige nach Z. 1 und ist durch einen Bebauungsplan keine Straßenfluchtlinie festgelegt, ist im Bescheid, mit dem die Grundabtretung vorgeschrieben wird, die Straßenfluchtlinie und deren Niveau zu bestimmen.

Die Grundflächen sind frei von in Geld ablösbaren Lasten und geräumt von baulichen Anlagen, Gehölzen und Materialien zu übergeben. Die grundbücherliche Durchführung ist von dem zur Grundabtretung verpflichteten Eigentümer zu veranlassen.

Die Baubehörde hat dem Eigentümer mit Bescheid die Grundabtretung aufzutragen.

...

§ 23

Baubewilligung

...

(4) Hat eine Grundabtretung nach § 12 Abs. 1 Z. 2 zu erfolgen und ist durch einen Bebauungsplan keine Straßenfluchtlinie festgelegt, ist im Bewilligungsbescheid die Straßenfluchtlinie und deren Niveau zu bestimmen.

...

§ 71

Regelung der Verkehrserschließung

(1) Bei der Regelung der Verkehrserschließung ist die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer und Anrainer und die umweltgerechte Abwicklung des Verkehrs zu berücksichtigen. Die Regelung erfolgt insbesonders durch die Festlegung von Straßenfluchtlinien und vorderen Baufluchtlinien.

(2) Die Straßenfluchtlinien sind für Straßenseiten, an denen bereits die Mehrzahl der angrenzenden Bauplätze bebaut ist, nach den in der Natur bestehenden Straßengrundgrenzen festzulegen.

Ist die Mehrzahl der angrenzenden Bauplätze

-

noch nicht bebaut oder

-

lassen die gegenwärtigen oder absehbaren Verkehrserfordernisse die Festlegung der Straßenfluchtlinien an den in der Natur bestehenden Straßengrundgrenzen nicht zu,

dann ist bei der Festlegung der Straßenfluchtlinien darauf zu achten, dass

-

die Verkehrsflächen eine verkehrsgerechte Linienführung und eine dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen notwendige Breite aufweisen,

-

Dämme oder Hochstraßen sowie fünf- oder mehrstrahlige Kreuzungen nach Möglichkeit vermieden werden und

-

der Abstand der Kreuzungen voneinander bei Hauptverkehrsstraßen 250 m und bei Sammel- oder Geschäftsstraßen 60 m nicht unterschreitet.

Werden keine vorderen Baufluchtlinien festgelegt, ist bei der Bestimmung der Straßenfluchtlinien § 70 Abs. 6 2. Satz sinngemäß anzuwenden.

...

(5) Die Entfernung der Straßenfluchtlinien voneinander hat dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen zu entsprechen und muss zwischen Baulandflächen mindestens, ausgenommen im Fall des Abs. 2, erster Satz, betragen bei:

1. Hauptverkehrsstraßen 14 m

das sind öffentliche Verkehrsflächen, die sowohl dem Quell- und Zielverkehr als auch dem überörtlichen Durchgangsverkehr dienen; sie bestehen in der Regel aus 2 Fahr- und 2 Parkstreifen sowie den beidseitigen Gehsteigen;

2. Sammel- oder Geschäftsstraßen 11,50 m das sind öffentliche Verkehrsflächen, die neben dem Quell- und Zielverkehr dem Verkehr zwischen Aufschließungs- und Hauptverkehrsstraßen dienen; sie bestehen in der Regel aus 2 Fahr- und einem Parkstreifen sowie den beidseitigen Gehsteigen;

3. Aufschließungsstraßen 8,50 m

das sind öffentliche Verkehrsflächen, die ausschließlich dem Verkehr dienen, dessen Quellen und Ziele innerhalb dieser Straßen liegen; sie bestehen in der Regel aus 2 Fahrstreifen und den beidseitigen Gehsteigen;

4. Wohnsiedlungsstraßen 6 m

..."

Den von der Beschwerdeführerin stets vertretenen Rechtsstandpunkt, dass auf Grund der mit Bescheid vom ausgesprochenen und von ihr erfüllten Abtretungsverpflichtung keine weitere Abtretungsverpflichtung, insbesondere nicht wegen der Baubewilligung vom ausgesprochen werden dürfe, hat die belangte Behörde schon in ihrem im ersten Rechtsgang ergangenen Vorstellungsbescheid abgelehnt. Im Einklang mit den Gemeindebehörden führte sie damals aus, dass die Abtretungsverpflichtung nach § 12 Abs. 1 BO jedes Mal zu erfüllen sei, wenn ein im Gesetz beschriebener Anlassfall gegeben ist. Zu einer Aufhebung des Gemeindebescheides, der sowohl die Abtretungsverpflichtung als auch die Festlegung der Straßenfluchtlinien enthielt, ist es deshalb gekommen, weil die Vorstellungsbehörde nicht nachvollziehen konnte, wieso die Entfernung der Straßenfluchtlinien zueinander mit nur 8,50 m festgelegt worden sei. Eine neuerliche Auseinandersetzung mit der von der Beschwerdeführerin im zweiten Rechtsgang wieder aufgeworfenen Frage, ob die Abtretungsverpflichtung zweimal ausgesprochen werden könne, lehnte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter Hinweis darauf ab, dass sie an die tragenden Ausführungen im Vorbescheid gebunden sei.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt in einem aufhebenden Vorstellungsbescheid nur den tragenden Aufhebungsgründen bindende Wirkung für das fortgesetzte gemeindebehördliche Verfahren zu. Nicht besteht eine Bindung an Rechtsansichten, die für die Aufhebung nicht maßgeblich waren; daher können die Parteien des aufsichtsbehördlichen Verfahrens einen kassatorischen Vorstellungsbescheid ausschließlich deshalb vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpfen, weil die die Aufhebung tragenden Gründe ihrer Ansicht nach unzutreffend seien (siehe beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/05/0277). Jener Teil der Begründung, der darlegt, in welchen Punkten und aus welchen Gründen nach Auffassung der Aufsichtsbehörde Rechte des Vorstellungswerbers nicht verletzt worden sind, der also aufzeigt, welche der in der Vorstellung geltend gemachten oder sonst in Betracht kommenden Rechtsverletzungsmöglichkeiten mangels tatsächlicher Rechtsverletzung keine Aufhebung des gemeindebehördlichen Bescheides nach sich zu ziehen hätte, löst deshalb keine bindende Wirkung aus, weil er den aufhebenden Spruch nicht trägt (hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/05/0228).

Hier hat die belangte Behörde in ihrem aufhebenden Bescheid vom die Rechtsauffassung der Gemeindebehörden zu § 12 Abs. 1 BO ausdrücklich bestätigt und betont, dass allein die zweimalige Abtretungsverpflichtung Rechte der Vorstellungswerber nicht verletzt. Diese Rechtsauffassung der belangten Behörde konnte daher keine bindende Wirkung auslösen, sie hat den aufhebenden Spruch nicht getragen. Die Beschwerdeführerin hätte damals diese Rechtsauffassung der Vorstellungsbehörde nicht mit Erfolg beim Verwaltungsgerichtshof bekämpfen können. Tragend für die Aufhebung war allein die nach Auffassung der Vorstellungsbehörde unzureichende Begründung bezüglich des Abstandes zwischen den festgelegten Straßenfluchtlinien.

Durch die verfehlte Berufung auf eine eingetretene Bindung hat die belangte Behörde ihre aus § 58 Abs. 2 AVG resultierende Begründungspflicht verletzt. Dieser Verfahrensfehler beruht auf einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht gebilligten Rechtsauffassung, sodass schon deshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben ist.

Aus prozessökonomischen Gründen wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die belangte Behörde sich nicht allein auf die Bindung berufen hätte, sondern die im ersten Rechtsgang vertretene Auffassung im nunmehr angefochtenen Bescheid ausdrücklich wiederholt hätte:

Anlassfälle für die Verpflichtung zur Abtretung für Verkehrsflächen sind einerseits die (früher genehmigungspflichtige, jetzt anzeigepflichtige) Änderung von Grundstücksgrenzen, andererseits die Erteilung von bestimmten Baubewilligungen. Der Ansicht der Beschwerdeführerin, diese Anlassfälle dürften nur alternativ, also einander ausschließend für die Verpflichtung zur Grundabtretung herangezogen werden, ist nicht zu folgen: Die Abtretungsverpflichtung verfolgt letztlich den Zweck, dass die in § 71 BO umschriebenen Anforderungen an Verkehrsflächen erfüllt werden können; die Festlegung von Straßenfluchtlinien dient ja, wie in § 71 Abs. 1 BO klargelegt, der Regulierung der Verkehrserschließung. Solange dieser Zweck nicht erreicht ist, muss es möglich sein, entsprechende Grundabtretungsverpflichtungen auszusprechen. Es kann auch von einer Wahlmöglichkeit der Behörde, wie von der Beschwerdeführerin angesprochen, keine Rede sein: Es liegt im Belieben des Grundeigentümers, wann er einen Anlassfall herbeiführt; regelmäßig wird er zuerst eine Änderung der Grenzen und später, allenfalls nie, die Erteilung einer Baubewilligung begehren.

Die Abtretungsverpflichtung betrifft nach dem Einleitungssatz des § 12 Abs. 1 BO Flächen, die zwischen Straßenfluchtlinien liegen; das Vorliegen von Straßenfluchtlinien (nach der Legaldefinition des § 4 Z. 11 BO ist die Straßenfluchtlinie die Grenze zwischen öffentlichen Verkehrsflächen und anderen Grundflächen) ist also Tatbestandsvoraussetzung einer Grundabtretungsverpflichtung. Straßenfluchtlinien müssen nach § 69 Abs. 1 Z. 1 BO im Bebauungsplan festgelegt werden. Besteht kein Bebauungsplan, so kennt die BO zwei Möglichkeiten zur Festlegung:

Bei angezeigter Grenzänderung erfolgt nach dem zweiten Satz des § 12 Abs. 1 BO die Festlegung gleichzeitig mit der Verpflichtung zur Grundabtretung. Beim Anlassfall der Baubewilligung ist hingegen nach § 23 Abs. 4 BO im Bewilligungsbescheid die Straßenfluchtlinie festzulegen.

Wenn der Gesetzgeber grundsätzlich festgelegt hat, dass die Straßenfluchtlinien im Bebauungsplan festgelegt werden und nur ausnahmsweise - siehe Hauer/Zaussinger, Niederösterreichisches Baurecht7, 220 -, wenn die Gemeinde seit 1970 ihrer Pflicht zur Erlassung eines Bebauungsplanes nicht nachgekommen ist, in Bescheidform, wobei festgelegt ist, aus welchem Anlass bzw. in welchem Zusammenhang ein solcher Bescheid zu ergehen hat, dann wird eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass der Bauwerber jedenfalls bei Ausführung eines bewilligten Projekts von festgelegten Straßenfluchtlinien und damit von der daraus resultierenden Abtretungsverpflichtung ausgehen kann. Die Bestimmung des § 23 Abs. 4 BO, wonach diese Festlegung im Baubewilligungsbescheid zu erfolgen hat, ist keine Formalanordnung, sondern ermöglicht es dem Bauwerber, seine Bauführung darauf abzustellen; macht er im Hinblick auf die im Bewilligungsbescheid festgelegte Straßenfluchtlinie und die daraus resultierende Abtretungsverpflichtung von der Baubewilligung keinen Gebrauch, dann erlischt die aus dem Anlass der Baubewilligung erfolgte Festlegung und Vorschreibung einer Straßengrundabtretung, wenn die anlassgebende Baubewilligung erloschen ist (Hauer/Zaussinger, aaO, 373).

Hier erfolgte die Festlegung der Straßengrundgrenze und der Ausspruch der Abtretungsverpflichtung mit Bescheid des Gemeindevorstandes vom ; der Anlassfall war aber eine Baubewilligung vom , sodass auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom nicht einzugehen ist. Wie oben ausgeführt, hätte die Festlegung der Straßenfluchtlinie gemäß § 23 Abs. 4 BO aber schon im Baubewilligungsbescheid vom durch die nach der NÖ Bau-Übertragungsverordnung zuständige Bezirkshauptmannschaft erfolgen müssen. Für eine spätere Festlegung wie auch für einen späteren Ausspruch der Abtretungsverpflichtung, die ja die Festlegung der Straßenfluchtlinie zur Voraussetzung hat, fehlt eine Rechtsgrundlage.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung berücksichtigt ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BauO NÖ 1996 §12 Abs1 idF 8200-3;
BauO NÖ 1996 §23 Abs4;
BauO NÖ 1996 §4 Z11 idF 8200-3;
BauO NÖ 1996 §69 Abs1 Z1;
BauO NÖ 1996 §71 Abs1;
Sammlungsnummer
VwSlg 17440 A/2008
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2008:2005050353.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAE-73346