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VwGH vom 21.11.2013, 2012/11/0164

VwGH vom 21.11.2013, 2012/11/0164

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des C H in S an der Stiefing, vertreten durch Mag. Anton Wurzinger, Rechtsanwalt in 8403 Lebring, Stangersdorf-Gewerbegebiet 110/9, gegen den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht iA Nichtigerklärung einer Bewilligung zum Betrieb einer Fahrschule, zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 42 Abs. 4 erster Satz VwGG wird aufgetragen, den versäumten Bescheid binnen acht Wochen unter Zugrundelegung folgender Rechtsanschauung zu erlassen:

Sollte der Beschwerdeführer vor Erlassung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg vom zumindest einen mündlichen Antrag auf Bewilligung des Betriebs der in Rede stehenden Fahrschule gestellt haben, kommt eine auf § 68 Abs. 4 Z. 1 AVG gestützte Nichtigerklärung dieses Bescheides nicht in Betracht.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg (BH) erteilte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom "die Bewilligung zur Errichtung einer Fahrschule zum Ausbilden von Bewerbern um eine Lenkberechtigung der Klassen A, B, C, E und F und zum unentgeltlichen Weiterbilden von Besitzern einer Lenkberechtigung" mit einem näher bezeichneten Standort in Deutschlandsberg "sowie die Aufnahme des Betriebes mit Wirkung vom unter der Bezeichnung ‚Fahrschule H". Als Rechtsgrundlagen waren §§ 108 Abs. 3 und 112 Abs. 1 KFG 1967 angegeben.

Dieser Bescheid wurde vom Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom gemäß § 68 Abs. 4 Z. 1 AVG für nichtig erklärt, dies im Wesentlichen mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe niemals einen Antrag nach § 108 Abs. 3 KFG 1967 gestellt, weshalb es der BH an der Zuständigkeit zur Erteilung einer Bewilligung gemangelt hätte.

Gegen diesen Bescheid, der eine entsprechende Rechtsmittelbelehrung enthielt, erhob der Beschwerdeführer Berufung. Es treffe zwar zu, dass er nie um eine Fahrschulbewilligung gemäß §§ 109 und 110 KFG 1967 angesucht habe. Sehr wohl habe er allerdings mündlich bei Dr. P., dem zuständigen Beamten der BH, "um eine Genehmigung des Betriebs einer Fahrschule gemäß § 112 KFG 1967 angesucht".

Die Berufung wurde vom Landeshauptmann zunächst der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie vorgelegt, die sie ihrerseits zuständigkeitshalber mit Note vom dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark (UVS) abtrat. Unter Beischluss der Verwaltungsakten wurde die Berufung vom UVS zuständigkeitshalber mit Note vom wieder an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie abgetreten.

Mit der hier gegenständlichen, am beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten, Säumnisbeschwerde macht der Beschwerdeführer nunmehr die Säumnis der belangten Behörde, des UVS, mit der Erledigung seiner Berufung gegen den Bescheid vom geltend.

Mit Verfügung vom trug der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG auf, den versäumten Bescheid binnen drei Monaten zu erlassen und eine Abschrift desselben vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.

Mit Schreiben vom bestritt die belangte Behörde, dass sie mit der Erledigung der Berufung säumig sei. Der Landeshauptmann habe seine Entscheidung nach § 68 Abs. 4 Z. 1 AVG nicht als Behörde erster Instanz getroffen, sondern als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde. Dies bedeute, dass der Landeshauptmann als zweite Instanz tätig geworden sei, weshalb § 123 Abs. 1 KFG 1967 nicht zum Tragen komme, wonach der UVS nur über Berufungen gegen Bescheide, die der Landeshauptmann in erster Instanz erlassen hat, zu entscheiden habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des KFG 1967 lauten (auszugsweise):

"§ 108. Ausbildung in Fahrschulen

(3) Die Errichtung einer Fahrschule und die Verlegung ihres Standortes bedürfen der Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde; die Verlegung des Standortes ist nur innerhalb desselben Bundeslandes zulässig. Der Betrieb der Fahrschule darf erst aufgenommen werden, wenn die Bezirksverwaltungsbehörde die Genehmigung hiezu erteilt hat (§ 112 Abs. 1). In der Bewilligung zur Errichtung einer Fahrschule ist anzuführen, für welche Klassen und Unterklassen von Kraftfahrzeugen gemäß § 2 Abs. 1 und 2 FSG Lenker ausgebildet werden dürfen. Die Fahrschulbewilligung und die Betriebsgenehmigung (§ 112 Abs. 1) gelten nach dem Tod ihres Besitzers auch für einen hinterbliebenen Ehegatten und für Nachkommen ersten Grades bis zur Vollendung ihres 30. Lebensjahres. Der Ehegatte oder der Nachkomme hat den Tod des Fahrschulbesitzers unverzüglich der Bezirksverwaltungsbehörde bekannt zu geben. § 41 Abs. 1 bis 3, Abs. 4 erster Satz GewO 1994 und §§ 42 bis 45 GewO 1994 gelten sinngemäß.

Genehmigung des Betriebes einer Fahrschule

§ 112. (1) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Genehmigung für den Betrieb einer Fahrschule zu erteilen, wenn die erforderlichen Räume, Lehrbehelfe und Schulfahrzeuge vorhanden sind und diese und die Bezeichnung der Fahrschule den Bestimmungen des Abs. 3 entsprechen. Vor der Erteilung dieser Betriebsgenehmigung sind die Schulräume, Schulfahrzeuge und Lehrbehelfe zu überprüfen.

§ 123. Zuständigkeit

(1) Für die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Amtshandlungen ist, sofern darin nichts anderes bestimmt ist, in erster Instanz die Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, die Landespolizeidirektion, und in zweiter Instanz der Landeshauptmann zuständig. Entscheidet der Landeshauptmann in erster Instanz, haben über dagegen eingebrachte Berufungen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern zu entscheiden.

(1a) Gegen Bescheide der Bezirksverwaltungsbehörde in den Angelegenheiten der §§ 108 bis 117, § 119 Abs. 2 und § 122a Abs. 4 kann Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes erhoben werden.

…"

1.2. § 27 Abs. 1 VwGG lautet:

"§ 27. (1) Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG kann erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im administrativen Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war."

2.1. Die Beschwerde ist zulässig.

2.1.1. Unstrittig ist, dass die belangte Behörde innerhalb der ihr offenstehenden Entscheidungsfrist seit Einlangen der Berufung über diese nicht entschieden hat.

Die für die Zulässigkeit der Beschwerde maßgebliche Rechtsfrage ist im Beschwerdefall, ob der Landeshauptmann im vorliegenden Fall "in erster Instanz" iSd. § 123 Abs. 1 KFG 1967 entschieden hat. Träfe dies zu, so wäre die belangte Behörde zuständige Berufungsbehörde und in dieser Funktion in Ansehung der offenen Berufung säumig.

2.1.2. Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, der Landeshauptmann habe seinen Bescheid nach § 68 Abs. 4 AVG nicht als Behörde erster Instanz erlassen, sondern als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, weshalb er als zweite Instanz tätig geworden sei. Der UVS sei demnach nicht Berufungsbehörde und die Säumnisbeschwerde unzulässig.

Die Auffassung der belangten Behörde ist verfehlt.

2.1.3. Vorauszuschicken ist, dass im Falle des § 68 Abs. 4 AVG nicht der UVS als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gegenüber der BH in Betracht kommt, sehr wohl aber der Landeshauptmann. Es gibt weiters keinen gesondert geregelten Instanzenzug für nachträgliche Bescheidaufhebungen nach § 68 AVG. Nach der ständigen hg. Judikatur kommt es hiefür auf den Instanzenzug nach den Verwaltungsvorschriften an (vgl. implizit die hg. Erkenntnisse vom , Slg. 73/A, und vom , Slg. 1014/A; ausdrücklich etwa die hg. Beschlüsse vom , Zl. 3278/79, vom , Zl. 88/07/0094, und vom , Zl. 2006/05/0245).

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist davon auszugehen, dass dann, wenn eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde von ihrer nach § 68 AVG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch macht und einen rechtskräftigen Bescheid aufhebt, abändert oder wie vorliegend für nichtig erklärt, sie eine von der ursprünglichen "Sache" zu unterscheidende "Sache" entscheidet. Sie entscheidet dabei eben nicht im Instanzenzug, wozu sie im Falle des Landeshauptmannes in Ansehung von Bescheiden der BH vorliegend gemäß § 123 Abs. 1a KFG 1967 auch gar nicht zuständig wäre. Eine solche Inanspruchnahme einer Zuständigkeit nach § 68 AVG durch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde stellt eine Entscheidung in erster Instanz dar. Diese Auffassung liegt auch den erwähnten hg. Beschlüssen vom , Zl. 3278/79, und vom , Zl. 88/07/0094, zugrunde. In beiden Fällen ging es um die Zuständigkeit des Landesagrarsenates als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde gegenüber der Agrarbezirksbehörde, in beiden Fällen wurde ein Instanzenzug an den Obersten Agrarsenat bejaht, weil der Ausschluss eines Instanzenzuges nach Entscheidungen des Landesagrarsenates auf die Fälle beschränkt sei, in denen dieser bereits als Rechtsmittelbehörde eingeschritten sei. In Zl. 88/07/0094 wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass der Landesagrarsenat, der eine Entscheidung der Agrarbezirksbehörde nach § 68 Abs. 4 AVG für nichtig erklärt hatte, dies als erste Instanz getan habe. Gegen diese Auffassung sprechen auch nicht die erwähnten hg. Beschlüsse vom , Slg. 73/A, vom , Slg. 1014/A, vom , Zl. 2006/05/0245, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/05/0246, weil in diesen Entscheidungen der Verwaltungsgerichtshof jeweils davon ausging, dass es keinen Instanzenzug gegen Entscheidungen der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde nach § 68 AVG mehr gab. Eine Aussage dahin, dass die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde ihrerseits nach § 68 AVG nicht in erster Instanz entschieden hätte, ist in den genannten Entscheidungen jedoch nicht enthalten.

2.1.4. Der Landeshauptmann hat im Beschwerdefall demnach in erster Instanz entschieden. Aus § 123 Abs. 1 KFG 1967 ergibt sich daraus die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über die Berufung.

Die belangte Behörde ist folglich säumig und die Beschwerde zulässig.

3.1. In der Sache ist zunächst hervorzuheben, dass sich die Berufung des Beschwerdeführers nur gegen die Nichtigerklärung der mit Bescheid der BH vom erfolgten Bewilligung der Aufnahme des Betriebes mit Wirkung vom unter der Bezeichnung "Fahrschule H" richtete, nicht aber gegen die unter einem erfolgte Nichtigerklärung der dem Beschwerdeführer (ebenfalls mit dem erwähnten Bescheid der BH vom ) erteilten Fahrschulerrichtungsbewilligung.

3.2. Da das KFG 1967 für einen Antrag auf Bewilligung der Aufnahme des Betriebs einer Fahrschule (§ 112) nicht die Schriftform verlangt, genügte ein mündlicher Antrag. Einen solchen gestellt zu haben hat der Beschwerdeführer bereits in der Berufung behauptet und auch den Beamten der BH genannt, dem gegenüber er den Antrag gestellt habe. Sollte ein mündlicher Antrag gestellt worden sein, läge die im Bescheid des Landeshauptmannes vom angenommene (funktionelle) Unzuständigkeit der BH nicht vor, was zur Konsequenz hätte, dass eine auf § 68 Abs. 4 Z. 1 AVG gestützte Nichtigerklärung des Bescheides der BH vom nicht in Betracht käme.

3.3. Auf der Grundlage der unter Pkt. 3.2. dargelegten Rechtsanschauung wird folglich zu klären sein, ob vom Beschwerdeführer wie behauptet ein mündlicher Antrag gestellt wurde, und darauf aufbauend sein Rechtsmittel zu erledigen sein.

4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am