TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 02.04.2014, 2012/11/0145

VwGH vom 02.04.2014, 2012/11/0145

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des TE in V, vertreten durch Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom , Zl. San60- 288/277-2012(11.07.), betreffend Ladung in einer Angelegenheit nach dem SMG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach der insoweit durch das Beschwerdevorbringen bestätigten Aktenlage hat der Beschwerdeführer am in Deutschland ein Kraftfahrzeug unter Wirkung eines "berauschenden Mittels" gelenkt (die an diesem Tag beim Beschwerdeführer entnommene Blutprobe wurde positiv auf Cannabinoide getestet). Die darüber von deutschen Behörden mit Schreiben vom in Kenntnis gesetzte Bezirkshauptmannschaft V. (belangte Behörde) ersuchte daraufhin den behördlichen Sanitätsdienst um Stellungnahme gemäß § 12 Suchtmittelgesetz (SMG), ob und welcher gesundheitsbezogenen Maßnahme iSd § 11 Abs. 2 SMG der Beschwerdeführer bedürfe.

Mit Ladungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer zum Zwecke der "Amtsärztlichen Untersuchung infolge Annahme des Suchtmittelmissbrauchs gemäß § 12 (und § 35) Suchtmittelgesetz (+Führerscheinbegutachtung)" aufgefordert, bei der belangten Behörde am zu erscheinen. Der vom Beschwerdeführer bei dieser Untersuchung am abgegebene Harn führte laut medizinischem Kurzbefund bezüglich Cannabinoide zu einem positiven Ergebnis. Die Amtsärztin führte daher in ihrem Gutachten vom aus, der Beschwerdeführer bedürfe der ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustandes in Form von dreimonatigen Harnkontrollen über die Dauer eines Jahres. Außerdem ist im Gutachten festgehalten, dass der Beschwerdeführer dieser gesundheitsbezogenen Maßnahme ausdrückliche zustimme.

Mit Ladungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer zwecks "Amtsärztlicher Untersuchung infolge Annahme des Suchtmittelmissbrauchs gemäß § 12 SMG (+ vorgeschriebene Harnkontrolle)" zum Erscheinen bei der belangten Behörde aufgefordert. Nachdem der Beschwerdeführer eine dagegen beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde zurückgezogen hatte, befolgte er die Ladung (laut Beschwerdevorbringen: am ). Die Amtsärztin hielt dazu in ihrem Gutachten vom fest:

"Eine gesundheitsbezogene Maßnahme ist offenbar aussichtslos."

Zur Begründung führte die Amtsärztin aus, der Beschwerdeführer vertrete die Ansicht, er müsse keine Harnkontrollen machen und habe sich einen Rechtsanwalt genommen, weil er "das Ganze überhaupt nicht einsieht".

Mit dem nunmehr angefochtenen Ladungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer zum Zwecke der "Amtsärztlichen Untersuchung infolge Annahme des Suchtmittelmissbrauchs gemäß § 12 SMG (+ vorgeschriebene Harnkontrolle)" für den zum Erscheinen bei der belangten Behörde aufgefordert und für den Fall des ungerechtfertigten Fernbleibens eine Zwangsstrafe angedroht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat, zu welcher der Beschwerdeführer eine Äußerung abgab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Suchtmittelgesetz, BGBl. I Nr. 112/1997 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 21/2011 (SMG), lautet auszugsweise:

" Gesundheitsbezogene Maßnahmen bei Suchtgiftmißbrauch

§ 11. (1) Personen, die wegen Suchtgiftmißbrauchs oder der Gewöhnung an Suchtgift gesundheitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 bedürfen, haben sich den notwendigen und zweckmäßigen, ihnen nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen. Bei Minderjährigen haben die Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten im Rahmen ihrer Pflicht zur Pflege und Erziehung dafür zu sorgen, daß sie sich solchen Maßnahmen unterziehen.

(2) Gesundheitsbezogene Maßnahmen sind


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustands,
2.
die ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugs- und Substitutionsbehandlung,
3.
die klinisch-psychologische Beratung und Betreuung,
4.
die Psychotherapie sowie
5.
die psychosoziale Beratung und Betreuung durch qualifizierte und mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertraute Personen.

(3) Für die Durchführung gesundheitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 Z 3 bis 5 sind insbesondere die Einrichtungen und Vereinigungen gemäß § 15 heranzuziehen.

§ 12. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, daß eine Person Suchtgift mißbraucht, so hat sie die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde der Begutachtung durch einen mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinischpsychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammenzuarbeiten hat, zuzuführen. Die Person hat sich den hiefür notwendigen Untersuchungen zu unterziehen.

(2) Ergibt die Begutachtung, daß eine gesundheitsbezogene Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 notwendig ist, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darauf hinzuwirken, daß sich die Person einer solchen zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen Maßnahme unterzieht. Bei der Wahl der gesundheitsbezogenen Maßnahme ist das Wohl der Person, insbesondere der therapeutische Nutzen der Maßnahme, zu beachten. Dabei sind die Kosten im Verhältnis zum Erfolg bei Wahrung der Qualität der Therapie möglichst gering zu halten. Bei mehreren gleichwertig geeigneten Alternativen ist die ökonomisch günstigste zu wählen.

..."

In seinen Beschwerdegründen geht der Beschwerdeführer davon aus, dass im Zeitpunkt der Erlassung des Ladungsbescheides vom von einem "aktuellen" Suchtmittelkonsum des Beschwerdeführers im Sinne der in der Beschwerde zitierten hg. Judikatur auszugehen gewesen sei.

Der Beschwerdeführer vertritt im Wesentlichen die Rechtsansicht, dass der nunmehr angefochtene Ladungsbescheid vom deshalb rechtswidrig sei, weil dieser auf § 12 SMG gestützte Bescheid auf demselben Sachverhalt beruhe wie der genannte, gleichfalls auf § 12 SMG gestützte Ladungsbescheid vom . Seit dem Ladungsbescheid vom hätte sich kein neuer Sachverhalt ergeben, welcher die Erlassung des angefochtenen Bescheides vom tragen könnte. Der angefochtene Bescheid verstoße daher gegen die Rechtskraft des Bescheides vom bzw. gegen das aus dieser resultierende Wiederholungsverbot.

Die Beschwerde ist - im Ergebnis - begründet:

Im vorliegenden Beschwerdefall wurde der Beschwerdeführer infolge des Vorfalls vom (Lenken eines Kraftfahrzeuges unter der Einwirkung von Cannabinoiden) mit Ladungsbescheid vom zur amtsärztlichen Untersuchung (u.a.) "gemäß § 12 SMG" geladen. Diese Ladung diente, wie dargestellt, dazu, den Beschwerdeführer der Begutachtung durch den Arzt - im Sinne des § 12 Abs. 1 SMG - zuzuführen (vgl. zu den Voraussetzungen eines Ladungsbescheides gemäß § 12 Abs. 1 SMG, der die Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zum Zweck der ärztlichen Begutachtung begründet, das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0039, mwN). Diese amtsärztliche Begutachtung ergab im vorliegenden Fall, dass die ärztliche Überwachung des Beschwerdeführers in Form von dreimonatigen Harnkontrollen für die Dauer eines Jahres notwendig sei.

Vom zuletzt genannten Ladungsbescheid gemäß § 12 Abs. 1 SMG zu unterscheiden sind sowohl der Ladungsbescheid vom als auch der nunmehr angefochtene Ladungsbescheid vom , die nach dem angeführten Betreff "(+ vorgeschriebene Harnkontrolle)" nicht mehr der Klärung des Erfordernisses gesundheitsbezogener Maßnahmen dienten, sondern offensichtlich (siehe auch die Gegenschrift der belangten Behörde) darauf gerichtet waren, auf die tatsächliche Durchführung der (durch die ärztliche Begutachtung bereits für erforderlich erachteten) dreimonatigen Harnkontrollen hinzuwirken. Diese beiden zuletzt genannten Ladungsbescheide stützen sich demnach auf § 12 Abs. 2 SMG.

Die Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist daher anhand des § 12 Abs. 2 SMG zu beurteilen.

Gemäß § 12 Abs. 2 SMG hat die Bezirksverwaltungsbehörde für den Fall, dass (wie gegenständlich) gesundheitsbezogene Maßnahmen gemäß § 11 Abs. 2 SMG notwendig sind, "darauf hinzuwirken", dass sich die Person einer zweckmäßigen, je nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen Maßnahme unterzieht.

Auf Grund des Wortlautes dieser Bestimmung ("darauf hinzuwirken") und der diesbezüglichen Erläuterungen (RV 110 BlgNR XX. GP, 36), die ausdrücklich den Grundsatz der Freiwilligkeit bei der Behandlung von Suchtkranken betonen, ergibt sich, dass die in § 11 Abs. 1 SMG normierte Verpflichtung, sich gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen, nicht mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden kann und daher insoweit eine lex imperfecta darstellt (vgl. Fabrizy , Das österreichische Suchtmittelrecht, 5. Auflage (2012), Rz 5 zu § 12 SMG, und Litzka/Matzka/Zeder , Suchtmittelgesetz, 2. Auflage (2009), Rz 12 zu § 12 SMG).

Der genannte Grundsatz der Freiwilligkeit bei der Behandlung von Suchtkranken erfordert somit, dass die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde jedenfalls dann von (weiteren) Ladungsbescheiden gemäß § 12 Abs. 2 SMG Abstand nimmt, sobald die betreffende Person unmissverständlich zum Ausdruck bringt, sich Maßnahmen gemäß § 11 Abs. 2 SMG nicht unterziehen zu wollen.

Fallbezogen ergibt sich aus dem erwähnten Gutachten vom , dass der Beschwerdeführer deutlich zum Ausdruck gebracht habe, er werde sich den vom Amtsarzt für notwendig erachteten Harnkontrollen im dreimonatigen Abstand (ärztliche Überwachung des Gesundheitszustandes iSd § 11 Abs. 2 Z. 1 SMG) nicht freiwillig unterziehen, sodass diese gesundheitsbezogene Maßnahme laut Amtsarzt "offenbar aussichtslos" sei. Ab diesem Zeitpunkt war die belangte Behörde somit infolge des Grundsatzes der Freiwilligkeit der Behandlung von Suchtkranken nicht mehr berechtigt, unter gleichzeitiger Zwangsandrohung (Ladungsbescheid) im Rahmen des § 12 Abs. 2 SMG auf die Harnkontrollen hinzuwirken.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als rechtswidrig und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am