VwGH vom 15.03.2012, 2010/06/0141

VwGH vom 15.03.2012, 2010/06/0141

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Waldstätten und Dr. Moritz und die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des D M in W, vertreten durch Dr. Felix Graf, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstraße 27, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom , Zl. BHFK-II-4151- 2010/0002, betreffend Zurückweisung von Bauansuchen und baupolizeilichen Wiederherstellungsauftrag gemäß § 40 Abs. 3 Vbg. BauG (mitbeteiligte Parteien: 1. Gemeinde W, 2. W H, 3. I H, die letzteren beiden in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer errichtete auf der Grundlage der mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom erteilten Baubewilligung auf dem Grundstück Nr. 190, KG. W., ein Wohnhaus samt Garage und darüber liegender Terrasse. Nach den der Bewilligung zugrunde liegenden Planunterlagen reichen die geplante Terrasse und die Garage bis an die Grundgrenze des Nachbargrundstückes Nr. 191/1, dessen Eigentümer nunmehr der Zweit- und die Drittmitbeteiligte sind. Eine entsprechende Abstandsnachsicht wurde erteilt.

Zu einem späteren Zeitpunkt wurde anschließend an die Terrasse ebenfalls entlang der Grundgrenze ein Wintergarten errichtet.

Auf Grund einer am durchgeführten Vermessung der M. ZT GmbH wurde festgestellt, bei der durchgeführten Bauführung sei das angeführte Nachbargrundstück in der Weise derart überbaut worden, dass das aufstrebende Garagenmauerwerk eine Überbauung vom 11 cm (westlicher Teil) bzw 13 cm (östlicher Teil), die Terrassenaußenkante eine Überbauung von 15 cm bzw. 16 cm und der Mauersockel entlang des Wintergartens eine Überbauung von 14 cm bzw. 17 cm aufwiesen.

Der Beschwerdeführer beantragte mit Eingabe vom bei der Baurechtsverwaltung Region Vorderland im Hinblick auf die festgestellte Überbauung die Erteilung der nachträgliche Baubewilligung.

Die Bürgermeisterin der mitbeteiligten Gemeinde erteilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom einen Verbesserungsauftrag dahingehend, es sei der Nachweis des Eigentums an den überbauten Flächen im Lichte des § 418 ABGB in der Form zu erbringen, dass die behauptete Redlichkeit der erfolgten Bauführung über die Grenze hinweg und die Wissentlichkeit und Willentlichkeit des Grundeigentümers an der Bauführung (sowohl was die Garage als auch den zu einem späteren Zeitpunkt errichteten Wintergarten betrifft) nachzuweisen sei. Für den Fall der Nichterfüllung des Auftrages innerhalb der gesetzten Frist werde das Bauansuchen zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer nahm dazu mit Schreiben vom Stellung und wies neuerlich darauf hin, dass die Bauführung seinerzeit redlich und auch in Kenntnis des damaligen Eigentümers des Nachbargrundstückes erfolgt sei. Für den Beschwerdeführer sei es zum damaligen Zeitpunkt nicht erkennbar gewesen, dass die Liegenschaftsgrenze (geringfügig) überbaut werde. Weiters falle die vom Beschwerdeführer in Anspruch genommene Grundfläche der Nachbarliegenschaft wertmäßig nicht ins Gewicht. Der Beschwerdeführer habe deshalb selbst bei Unredlichkeit in analoger Anwendung des § 416 ABGB Eigentum am überbauten Grund erworben. Nachdem es sich um einen "unteilbaren" Grenzüberbau handle und eine Rückführung im Sinne des § 415 erster Satz ABGB nicht möglich bzw. wirtschaftlich untunlich sei, komme dem Beschwerdeführer darüber hinaus das Wahlrecht in Bezug auf die Übernahme der überbauten Liegenschaftsfläche gegen Vergütung zu. Eine solche sei den Eigentümern des Nachbargrundstückes bereits angeboten worden, die jedoch nicht angenommen worden sei. Offensichtlich gehe es den Eigentümern des Nachbargrundstückes darum, dem Beschwerdeführer durch die als schikanös zu erachtende "Rechtsausübung" zu schädigen.

Die Bürgermeisterin der mitbeteiligten Gemeinde wies mit Bescheid vom das angeführte Bauansuchen gemäß § 13 Abs. 3 AVG 1991 in Verbindung mit § 24 Abs. 3 Vbg. BauG zurück (Spruchpunkt I.) und ordnete in Spruchpunkt II. für den Wintergarten gemäß § 40 Abs. 3 Vbg. BauG die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes innerhalb eines Monates an, somit den vollständigen Abbruch des ohne Baubewilligung südseitig des bestehenden Wohnhauses mit einer überbauten Fläche von 5,3 x 5,00 m errichteten Wintergartens auf der Liegenschaft Nr. 190.

Dies wurde insbesondere damit begründet, dass das Wohnhaus samt Garage und Terrasse nach erteilter Baubewilligung im Jahre 1981 errichtet worden sei und es dabei zu einer geringfügigen Überbauung der Nachbarliegenschaft Nr. 191/1 gekommen sei, für die nunmehr die nachträgliche Erteilung der Baubewilligung beantragt worden sei. Gemäß § 24 Abs. 3 Vbg. BauG sei bei Einbringung eines Bauantrages der Nachweis des Eigentums zu erbringen. Da dem Bauantrag keinerlei Beweise für einen Eigentumserwerb entsprechend dem "§ 428 ABGB" (gemeint offenbar: § 418 ABGB) an der überbauten Fläche beigebracht worden seien, sei dem Beschwerdeführer im Juli 2009 ein Verbesserungsauftrag erteilt worden, entsprechende Nachweise vor allem bezüglich der Redlichkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf die Bauführung auf fremdem Grund sowie die Wissentlichkeit und Willentlichkeit des Eigentümers darüber vorzulegen. Dieser Nachweis sei dem Beschwerdeführer auch durch seine Ausführungen im Schreiben vom nicht gelungen, da zu den Voraussetzungen für einen Eigentumserwerb nach § 418 ABGB gar keine Beweise vorgelegt worden seien. Vielmehr sei darauf hingewiesen worden, dass die Bauführung durch den Beschwerdeführer seinerzeit redlich und auch in Kenntnis des damaligen Eigentümers des Nachbargrundstückes erfolgt sei. Die Baubehörde zweifle besonders daran, dass die Überbauung der Nachbarliegenschaft im Wissen und mit dem Willen des damaligen Eigentümers erfolgt sei. Aus diesem Grund sei es für die Behörde jedenfalls zweifelhaft, dass der Antragsteller Eigentümer der überbauten Grundstücksfläche sei. Der diesbezüglich erforderliche Nachweis sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen.

Abschließend wies die erstinstanzliche Behörde darauf hin, eine Einvernahme des früheren Eigentümers des Nachbargrundstückes dazu habe ergeben, dass er von einer Überbauung seiner Liegenschaft durch die am Nachbargrundstück errichtete Garage und Terrasse nichts gewusst habe. Er habe davon vor einigen Wochen erfahren.

Die Gemeindevertretung der mitbeteiligten Gemeinde wies die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers mit undatiertem, am dem Beschwerdeführer zugestelltem Bescheid als unbegründet ab. Eine Einvernahme des früheren Grundeigentümers des Nachbargrundstückes habe ergeben, dass dieser von einer Überbauung seiner Liegenschaft durch die Garage bzw. die Terrasse nie etwas gewusst habe. Er hätte einer solchen Überbauung auch niemals zugestimmt. Auch die Berufungsbehörde gehe daher davon aus, dass es an einer Grundvoraussetzung des § 418 ABGB für einen Eigentumserwerb beim Bauen auf fremdem Grund fehle, sodass dem Beschwerdeführer der gemäß § 24 Abs. 3 lit. a Vbg. BauG geforderte Nachweis des Eigentums nicht gelungen sei. Für die Berufungsbehörde sei es auch nicht von Bedeutung, ob die in Anspruch genommene Grundfläche der Nachbarliegenschaft wertmäßig ins Gewicht falle oder nicht.

Die belangte Behörde wies die dagegen erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Auch nach Ansicht der belangten Behörde fehle es im vorliegenden Fall an einer Grundvoraussetzung des § 418 ABGB für einen Eigentumserwerb beim Bauen auf fremdem Grund, nämlich dass der Nachbar von dem erfolgten Grenzüberbau gewusst habe. Der Nachweis des Eigentums an der überbauten Fläche gemäß § 24 Abs. 3 lit. a Vbg. BauG sei somit nicht erbracht worden. Ob die in Anspruch genommene Grundfläche wertmäßig ins Gewicht falle, sei ohne Belang.

Die belangte Behörde sehe im Übrigen im vorliegenden Fall keinen Anwendungsbereich für die §§ 415 und 416 ABGB. Der Oberste Gerichtshof (OGH) habe dazu festgestellt, dass die allgemeine Regel des § 415 ABGB bei einer Bauführung auch nicht analog herangezogen werden könne (Hinweis auf EvBl. 1970/108). Vielmehr seien hier die Sonderbestimmungen des § 418 ABGB anzuwenden (Hinweis auf das Urteil des OGH SZ 29/60). Dass die Baubehörden auf Grund fehlender Wissentlichkeit des Nachbarn davon ausgegangen seien, der Beschwerdeführer habe kein Eigentum an der überbauten Fläche erworben, sei für die belangte Behörde nachvollziehbar, und der Beschwerdeführer habe nicht darlegen können, dass diese Schlussfolgerung falsch sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat die zunächst dagegen bei ihm erhobene Beschwerde mit Beschluss vom , B 842/10-3, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG abgelehnt und unter einem die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der nach Aufforderung ergänzten Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die §§ 415, 416, 417 (nur Teil) und 418 ABGB sehen Folgendes vor:

"§ 415. Können dergleichen verarbeitete Sachen in ihren vorigen Stand zurückgebracht; vereinigte, vermengte oder vermischte Sachen wieder abgesondert werden; so wird einem jeden Eigenthümer das Seinige zurückgestellet, und demjenigen Schadloshaltung geleistet, dem sie gebührt. Ist die Zurücksetzung in den vorigen Stand, oder die Absonderung nicht möglich, so wird die Sache den Theilnehmern gemein; doch steht demjenigen, mit dessen Sache der Andere durch Verschulden die Vereinigung vorgenommen hat, die Wahl frey, ob er den ganzen Gegenstand gegen Ersatz der Verbesserung behalten, oder ihn dem Andern ebenfalls gegen Vergütung überlassen wolle. Der Schuld tragende Theilnehmer wird nach Beschaffenheit seiner redlichen oder unredlichen Absicht behandelt. Kann aber keinem Theile ein Verschulden beygemessen werden, so bleibt dem, dessen Antheil mehr werth ist, die Auswahl vorbehalten.

§ 416. Werden fremde Materialien nur zur Ausbesserung einer Sache verwendet, so fällt die fremde Materie dem Eigenthümer der Hauptsache zu, und dieser ist verbunden, nach Beschaffenheit seines redlichen oder unredlichen Verfahrens, dem vorigen Eigenthümer der verbrauchten Materialien den Werth derselben zu bezahlen.

Insbesondere bey einem Baue

§ 417. Wenn jemand auf eigenem Boden ein Gebäude aufführet, und fremde Materialien dazu verwendet hat, so bleibt das Gebäude zwar sein Eigenthum; … .

§ 418. Hat im entgegen gesetzten Falle jemand mit eigenen Materialien, ohne Wissen und Willen des Eigenthümers auf fremden Grunde gebaut, so fällt das Gebäude dem Grundeigenthümer zu. Der redliche Bauführer kann den Ersatz der nothwendigen und nützlichen Kosten fordern; der Unredliche wird gleich einem Geschäftsführer ohne Auftrag behandelt. Hat der Eigenthümer des Grundes die Bauführung gewußt und sie nicht sogleich dem redlichen Bauführer untersagt, so kann er nur den gemeinen Werth für den Grund fordern."

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass er kein Eigentum an der überbauten geringfügigen Teilfläche des Nachbargrundstückes erworben habe. In Anwendung der §§ 415 und 416 sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - selbst bei Unredlichkeit - Eigentum an der überbauten Fläche erworben habe, weil die in Anspruch genommene Grundfläche des Nachbargrundstückes im Vergleich zum nicht überbauten Teil geringwertig sei. Er verweist dabei auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/05/0206, und vom , Zl. 2009/05/0068, und das .

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu. Der von der belangten Behörde und den Baubehörden maßgeblich herangezogene § 418 ABGB trifft die grundsätzliche Regelung dafür, wenn mit eigenem Material auf fremdem Grund gebaut wird. Es kommt darauf an, ob die Bauführung mit Wissen und Willen des Grundeigentümers erfolgte. Wusste er nichts davon, erwirbt er das Eigentum an dem Bau, wusste er davon und hat er die Bauführung dem redlichen Bauführer nicht gleich untersagt, so erwirbt Letzterer außerbücherlich Eigentum an der Liegenschaft. Geht es aber nun darum, dass nur ein Teil eines Bauwerkes auf ein fremdes Grundstück ragt (Grenzüberbau), so stößt die Anwendung des § 418 erster Satz ABGB regelmäßig auf die Schwierigkeit, dass das Bauwerk unteilbar ist und deshalb der Nachbar nicht Eigentümer eines Gebäudeteiles werden kann. Bei der Beurteilung der Eigentumsverhältnisse am überbauten Grund sind daher in einem solchen Fall wieder die allgemeineren Regeln der §§ 415, 416 ABGB anzuwenden (vgl. hiezu Koziol/Welser , Bürgerliches Recht, Band 113, S. 324 und die dort angeführte Literatur und Judikatur des OGH; weiters die bereits angeführten hg. Erkenntnisse vom und vom ). In Anwendung der §§ 415, 416 ABGB entsteht grundsätzlich außerbücherliches Miteigentum an dem Bauwerk und an den Liegenschaften; bei geringfügiger Überbauung erwirbt dagegen der Bauführer in Analogie zu § 416 ABGB Alleineigentum an dem Bauwerk und der überbauten Fläche des Nachbargrundstückes. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine solche geringwertige Grenzüberbauung. Die überbaute Fläche macht nämlich lediglich etwas mehr als 1 m2 aus, was in Bezug auf den nicht überbauten Teil des Nachbargrundstückes zweifellos als geringwertig zu beurteilen ist.

Der OGH hat diese Auffassung in Bezug auf einen geringfügigen Grenzüberbau in den Urteilen vom , 4 Ob 266/97, SZ 70/185, und vom , 10 Ob 18/5b (beide zu einem sogenannten Eigengrenzüberbau, bei dem die beiden betroffenen Grundstücke einem Grundeigentümer gehören), vertreten. In einem Urteil aus jüngerer Zeit (vom , 6 Ob 167/10t) wurde ausgesprochen, dass sich diese Rechtsprechung nur auf den Fall des Eigengrenzüberbaues beziehe, jedenfalls aber nicht auf einen Fall anzuwenden sei, in dem die Grundeigentümer verschiedene Personen seien und der Bauführer unredlich sei.

Nach der bereits angeführten hg. Judikatur sind bei einem geringfügigen Grenzüberbau zur Klärung der Eigentumsfrage der Grenzüberbauten die §§ 415, 416 ABGB anzuwenden.

Die belangte Behörde hat - wie die Baubehörden - bei der sich als Vorfrage stellenden Frage des Eigentums an der überbauten Grundstücksfläche des Nachbargrundstückes zu Unrecht allein auf § 418 ABGB abgestellt und zu Unrecht den darauf gestützten Verbesserungsauftrag der Baubehörde erster Instanz als zulässig erachtet. Diese Rechtswidrigkeit des Spruchpunktes I. erfasst auch den mit diesem in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Spruchpunkt II. betreffend die Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages für den Wintergarten. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher insgesamt als inhaltlich rechtswidrig und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff i.V.m. der Verordnung, BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am