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VwGH vom 27.06.2018, Ra 2017/09/0031

VwGH vom 27.06.2018, Ra 2017/09/0031

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die außerordentliche Revision der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W146 2135022-1/2E, betreffend Disziplinarstrafe der Geldstrafe nach dem BDG 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:

Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen; mitbeteiligte Partei: X Y in Z, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Götz und Dr. Rudolf Tobler jun., Rechtsanwälte in 7100 Neusiedl/See, Untere Hauptstraße 72), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte steht als Beamter des Zollamtes E in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

2 Am führte die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen (in der Folge: DK) in Anwesenheit des Mitbeteiligten eine mündliche Verhandlung durch und verkündete im Anschluss daran das Disziplinarerkenntnis. Dieses lautete wörtlich (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Der Mitbeteiligte hat in der Zeit von bis 436 SMS an A übermittelt und dadurch gegenüber dieser Arbeitskollegin eine Verhaltensweise gesetzt, die A unter Druck gesetzt und psychisch massiv belastet hat. Dadurch und durch den beleidigenden Inhalt einzelner SMS hat der Mitbeteiligte die Dienstpflicht des achtungsvollen Umganges mit der Arbeitskollegin nicht beachtet und die Arbeitsbedingungen mit A zerstört sowie die menschliche Würde von A verletzt. Der Mitbeteiligte hat durch dieses Verhalten gegen die Dienstpflichten gem. § 43a BDG 1979 (Achtungsvoller Umgang - Mobbingverbot) schuldhaft verstoßen und dadurch Dienstpflichtverletzungen gem. § 91 BDG 1979 begangen. Es wird daher über den Mitbeteiligten gem. § 92 Abs. 1 Z 3 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in der Höhe von EUR 4.500 (in Worten: Euro viertausendfünfhundert) verhängt. Gem. § 117 BDG 1979 hat der Mitbeteiligte die Verfahrenskosten, soweit sie durch die Reisegebühren der Senatsmitglieder begründet sind, die Zeugengebühren und das im Disziplinarverfahren in Auftrag gegebene Gutachten über die Schuldfähigkeit des Mitbeteiligten zu ersetzen. Die Kosten werden in einem gesonderten Bescheid festgesetzt."

3 Gegen das - mit Bescheid vom schriftlich ausgefertigte - Disziplinarerkenntnis erhob der Mitbeteiligte Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass gemäß § 125 BDG 1979 die Verhandlung zu wiederholen sei, wenn sich die Zusammensetzung des Senates geändert habe und seit der Vertagung mehr als sechs Monate vergangen seien. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben. Bei der Verhandlung am sei die Einvernahme der Zeugin A unterlassen worden. Die Zeugin habe ihr Fernbleiben mit psychischen Problemen entschuldigt. Die Verteidigerin des Mitbeteiligten habe sich ausdrücklich gegen die Verlesung ihrer Zeugenaussage ausgesprochen, trotzdem habe der Vorsitzende die Aussage verlesen und der Entscheidung zugrunde gelegt.

4 Mit dem angefochtenen Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der DK und verwies das Verfahren gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die belangte Behörde zurück. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

5 Das Bundesverwaltungsgericht hielt zusammengefasst fest, dass die DK durch die Verlesung der Zeugenaussagen von A, B und C keine unmittelbare Vernehmung der Zeugen vorgenommen habe und das Verfahren der belangten Behörde einen wesentlichen prozessualen Fehler aufweise.

6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Der Mitbeteiligte machte von der im Vorverfahren eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, im angefochtenen Beschluss sei nicht nachvollziehbar begründet, warum kein Fall des § 28 Abs. 2 VwGVG vorliege bzw. warum das Bundesverwaltungsgericht keine meritorische Entscheidungszuständigkeit angenommen habe.

11 Die Revision ist schon wegen des vorgebrachten Verkennens der Rechtslage durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG normierten Voraussetzungen zulässig und berechtigt.

12 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend in ).

13 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa ; , Ra 2014/09/0043, , Ra 2015/09/0057, und , Ra 2017/20/0498, jeweils mwN).

14 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa das zit. Erkenntnis Ra 2017/20/0498, mwN).

15 Festzuhalten ist auch, dass die Beweiswürdigung in Bezug auf strittige Sachverhaltselemente zu den zentralen Aufgaben der Verwaltungsgerichte selbst zählt, die auf Grund ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in besonderer Weise zur Wahrheitsfindung beitragen können (vgl. , Rn 21).

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass die Verwaltungsgerichte in Anbetracht dessen, dass sie in ihrer Konzeption nun die erste gerichtliche Tatsacheninstanz sind, auf Basis von vorhandenen Ermittlungsergebnissen und allfälligen Ergänzungen in der Sache selbst zu entscheiden haben ().

17 Vorliegend stützt das Bundesverwaltungsgericht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung der Sache offenkundig einzig darauf, dass der DK durch die Verlesung von Zeugenaussagen anstatt der unmittelbaren Vernehmung der Zeugen wesentliche prozessuale Fehler unterlaufen wären. Es könne auch nicht gesagt werden - so das Bundesverwaltungsgericht weiter -, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sei. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG seien daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

18 Diesen Ausführungen ist jedoch keine Begründung dazu entnehmen, warum das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens bzw. die Nachholung der fehlenden Feststellungen durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, dies auch vor dem Hintergrund des § 125 BDG 1979 und des im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht bereits anwendbaren § 125b Abs. 2 BDG 1979 iFd. BGBl. I Nr. 119/2016. Die letztgenannte Bestimmung sieht vor, dass der Vorsitzende im Interesse eines Zeugen die Gelegenheit zur Beteiligung an der Vernehmung des Zeugen derart beschränken kann, dass die Parteien und ihre Vertreter die Vernehmung des Zeugen erforderlichenfalls unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung mitverfolgen und ihr Fragerecht ausüben können, ohne bei der Befragung anwesend zu sein. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die dem § 28 Abs. 2 VwGVG zu Grunde liegenden Zielsetzungen der Verfahrensbeschleunigung und der Vermeidung von "Kassationskaskaden" sowie auf das Gebot der angemessenen Verfahrensdauer nachvollziehbar zu begründen hat, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt (siehe ; , Ro 2015/03/0038; , Ra 2014/04/0031, mwN).

19 Schon aufgrund des aufgezeigten Begründungsmangels hat das Bundesverwaltungsgericht den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit belastet und war dieser daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017090031.L00
Schlagworte:
Begründung Begründungsmangel

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