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VwGH vom 24.07.2013, 2012/11/0091

VwGH vom 24.07.2013, 2012/11/0091

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des L M in N, vertreten durch Mag. Dr. Franz Hafner und Dr. Karl Bergthaler, Rechtsanwälte in 4813 Altmünster, Marktstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung und Sport vom , Zl. P1048242/3- PersC/2012, betreffend Befreiung von der Leistung des Grundwehrdienstes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom wies der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport den Antrag des Beschwerdeführers vom auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des Grundwehrdienstes gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm. § 26 Abs. 1 Z. 2 des Wehrgesetzes 2001 - WG 2001 ab.

Begründend führte der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport aus, der abweisenden Entscheidung der Erstbehörde sei das Antragsvorbringen zugrunde gelegen, in dem der Beschwerdeführer ausgeführt habe, dass es ihm nicht möglich wäre, den Grundwehrdienst zu leisten, weil seine Mutter bei der Bewirtschaftung ihres landwirtschaftlichen Betriebes der Unterstützung des Beschwerdeführers bedürfte. Da sein Vater im Jahr 2002 verstorben wäre und sein Bruder, der nicht mehr auf dem elterlichen Hof lebte, einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen wollte, stünde lediglich er für eine entsprechende Mithilfe neben der Lehrausbildung zu Verfügung. Es wäre beabsichtigt, dass der Beschwerdeführer den Betrieb der Mutter in den nächsten Jahren übernähme. Die im Jahr 1957 geborene Mutter wäre seit dem Tod des Vaters alleinige Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Betriebs; die Fläche umfasste 10,14 ha Grünland und 21,34 ha Wald, weiters würden 10,5 ha Grünland und 9 ha Wald zugepachtet. Zum Viehbestand zählten 17 Milchkühe, 7 Stück Jungvieh, ein Schwein und drei Schafe. Das Milchkontingent läge bei 58.211 kg. Der Betrieb wäre mit entsprechenden eigenen Maschinen und Geräten ausgestattet, bei einem jährlichen Arbeitskraftaufwand von 4.282,80 Stunden würde eine kurzfristige Kapitaldienstgrenze in Höhe von EUR 15.054,84 erwirtschaftet. Der Betrieb wäre Mitglied eines Maschinenringes, über den in Notfällen Arbeitskräfte bezogen werden könnten. Die Mutter gälte als einzige vollwertige Arbeitskraft im Betrieb, der im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter lebende Beschwerdeführer stünde aufgrund seiner Lehrausbildung nur in eingeschränktem Maße zu Verfügung.

In seiner Berufung habe der Beschwerdeführer vorgebracht, die Landwirtschaft fiele in die Bergbauernkategorie 3, eine Bewirtschaftung wäre daher äußerst schwierig, weil es nur steile Wiesen gäbe, die maschinell zum Teil fast nicht zu bearbeiten wären, schon gar nicht durch fremde Personen. Die Mutter wäre 55 Jahre alt und seit dem Tod des Vaters und dem Tod des älteren Bruders bei Holzfällerarbeiten gesundheitlich schwer angeschlagen, der Beschwerdeführer wäre täglich am Morgen und am Abend im landwirtschaftlichen Einsatz und hälfe seiner Mutter, so auch am Wochenende. Sein Arbeitgeber käme ihm sehr entgegen, wenn er in der Landwirtschaft helfen müsste. Da die Viehhaltung zu wenig zum Überleben abgäbe, wäre er auch laufend im Wald tätig, um mit dem Holzverkauf das Überleben zu sichern. Diese triste finanzielle Situation wäre auch der Grund für den Beginn einer Lehre als Elektroanlagentechniker, um mit diesem Einkommen die Landwirtschaft abzusichern. Alle maschinellen Tätigkeiten würden vom Beschwerdeführer durchgeführt, fremde Hilfe könnte er sich auch in finanzieller Hinsicht nicht leisten. Bei Ableistung des Grundwehrdienstes müsste die Mutter den landwirtschaftlichen Betrieb schließen, weil sie nicht weitermachen könnte. Der Einsatz von Fremdpersonal wäre auch aus finanzieller Sicht nicht möglich.

Nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsgrundlagen führte der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport aus, im Falle des Beschwerdeführers lägen keine besonders rücksichtswürdigen wirtschaftlichen Interessen vor, die eine Befreiung rechtfertigten, weil wirtschaftliche Interessen nur bei der Mutter als Eigentümerin der Landwirtschaft gegeben wären. Auch wenn der Beschwerdeführer zukünftiger Hoferbe wäre, vermöge dies kein eigenes wirtschaftliches Interesse des Beschwerdeführers darzustellen.

Es lägen aber auch keine besonders rücksichtswürdigen familiären Interessen vor. Solche lägen nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn ein Familienangehöriger in seinen eigenen Belangen der Unterstützung des Wehrpflichtigen bedürfe, die ihm dieser aber wegen der Leistung des Grundwehrdienstes nicht gewähren könne, und wenn der unterstützungsbedürftige Familienangehörige als Folge des Ausbleibens dieser Unterstützung in seiner Gesundheit oder in sonstigen lebenswichtigen Interessen gefährdet würde.

Der Beschwerdeführer habe eine Gefährdung der Gesundheit von Familienmitgliedern nicht geltend gemacht. Die von ihm behaupteten wirtschaftlichen Nachteile für seine Angehörigen im Falle der Präsenzdienstleistung könnten nicht zu besonders rücksichtswürdigen familiären Interessen führen, weil die Angehörigen ihr wirtschaftliches Engagement hinsichtlich der Landwirtschaft eingegangen seien, obwohl sie gewusst hätten, dass der Beschwerdeführer noch seine Präsenzdienstpflicht zu erfüllen habe; sie hätten daher von vornherein so disponieren müssen, dass der Beschwerdeführer während der Ableistung des Präsenzdienstes ausreichend vertreten werden könne. Darüber hinaus sei zur Unterstützung eines Familienmitglieds nicht ausschließlich der vor der Einberufung stehende Sohn, sondern die gesamte Familie berufen. Es sei zwar anzuerkennen, dass die berufliche Tätigkeit des (verbliebenen) Bruders eine Unterstützung der Mutter erschwere, eine solche sei jedoch nicht grundsätzlich unmöglich, sondern bei entsprechender Disposition zumutbar und wirksam.

Der Beschwerdeführer werde schließlich selbst während der Ableistung des Grundwehrdienstes nach Maßgabe der freien Zeit, insbesondere aber an den Wochenenden, Gelegenheit haben, die Mutter bei schweren Arbeiten in der Landwirtschaft zu unterstützen. Falls dennoch eine körperliche Belastung für die Mutter unzumutbar erscheinen sollte, so sei nötigenfalls auch eine vorübergehende Einschränkung der Tierhaltung, auch wenn diese mit Einkommenseinbußen verbunden sei, zumutbar. Darüber hinaus sei es angesichts der vorliegenden Kapitaldienstgrenze zumutbar, Aushilfskräfte über den ortsansässigen Maschinenring anzufordern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Das WG 2001 lautet (auszugsweise):

"Grundwehrdienst

§ 20. Zur Leistung des Grundwehrdienstes sind alle Wehrpflichtigen verpflichtet. Der Zeitpunkt, an dem dieser Präsenzdienst erstmalig anzutreten ist, hat vor Vollendung des 35. Lebensjahres des Wehrpflichtigen zu liegen. Die Wehrpflichtigen sind, sofern militärische Rücksichten nicht entgegenstehen, nach Möglichkeit zum Grundwehrdienst innerhalb von sechs Monaten nach ihrer jeweiligen Heranziehbarkeit zu diesem Präsenzdienst einzuberufen. Der Grundwehrdienst dauert sechs Monate.

Befreiung und Aufschub

§ 26. (1) Taugliche Wehrpflichtige sind, soweit zwingende militärische Erfordernisse nicht entgegenstehen, von der Verpflichtung zur Leistung eines Präsenzdienstes zu befreien

1. von Amts wegen, wenn und solange es militärische Rücksichten oder sonstige öffentliche Interessen erfordern, und

2. auf ihren Antrag, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

Als sonstige öffentliche Interessen gelten insbesondere gesamtwirtschaftliche oder familienpolitische Interessen sowie die Tätigkeiten von Fachkräften der Entwicklungshilfe nach § 15 des Entwicklungshelfergesetzes. Eine Befreiung ist auch zulässig, wenn eine Voraussetzung nach Z 1 oder 2 während eines Präsenzdienstes eintritt. Befreiungen nach Z 1 hat der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport zu verfügen.

…"

2. Die Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet.

2.1. Vorauszuschicken ist im Beschwerdefall, dass die Beschwerde das Bestehen besonders berücksichtigungswürdiger eigener wirtschaftlicher Interessen des Beschwerdeführers an der Befreiung von der Verpflichtung des Grundwehrdienstes nicht behauptet. Der angefochtene Bescheid ist vom Verwaltungsgerichtshof im Folgenden nur daraufhin zu prüfen, ob entgegen der Sachverhaltsannahme der belangten Behörde Umstände vorliegen, deretwegen vom Bestehen besonders berücksichtigungswürdiger familiärer Interessen des Beschwerdeführers an der Befreiung auszugehen wäre.

2.2.1. Besonders rücksichtswürdige familiäre Interessen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann gegeben, wenn ein Familienangehöriger des Wehrpflichtigen in seinen eigenen Belangen der Unterstützung durch den Wehrpflichtigen bedarf, die ihm dieser wegen der Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes nicht gewähren könnte, und wenn mangels Unterstützung des Angehörigen durch den Wehrpflichtigen eine Gefährdung der Gesundheit oder sonstiger lebenswichtiger Interessen des Angehörigen zu befürchten ist. Zur Gefährdung sonstiger lebenswichtiger Interessen zählt, was die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung nicht ausdrücklich hervorhebt, auch die Gefährdung der Existenzgrundlage (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 2003/11/0026, 0034, und vom , Zl. 2011/11/0086, jeweils mwN.).

2.2.2.1. Die Beschwerde bringt zunächst vor, das Vorbringen im Verwaltungsverfahren, die Mutter des Beschwerdeführers wäre gesundheitlich schwer angeschlagen, hätte impliziert, dass die unterstützungsbedürftige Mutter als Folge des Ausbleibens der Unterstützung durch den Beschwerdeführer, nämlich seiner Arbeitsleistungen, in ihrer Gesundheit gefährdet würde. Dieses Vorbringen hätte die belangte Behörde zu ergänzenden Ermittlungen verhalten.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde jedoch keine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids auf.

2.2.2.2. Zwar ist der Beschwerde einzuräumen, dass das Vorbringen, die Mutter wäre "gesundheitlich schwer angeschlagen", entgegen der Auffassung der belangten Behörde in der Gegenschrift keine unbeachtliche Neuerung darstellt, denn es wurde bereits in der Berufung erstattet. Weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde wurde bzw. wird aber mit konkretem Vorbringen dargelegt, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Mutter aufweist, sodass sie einer persönlichen Betreuung bedürfte, welche nur der Beschwerdeführer zu leisten in der Lage wäre.

2.2.3.1. Wie die weiteren Beschwerdeausführungen zeigen, zielt das Vorbringen zum Gesundheitszustand der Mutter vielmehr darauf ab, dass diese in Anbetracht ihres Alters, des Verlusts ihres Ehemannes und eines der drei Söhne bei einem Arbeitsunfall und wegen des Umstands, dass im Falle der Leistung des Grundwehrdienstes durch den Beschwerdeführer nur noch ihre eigene Arbeitskraft dem landwirtschaftlichen Betrieb zur Verfügung stünde, ihre Existenzgrundlage verlöre.

Auch damit gelingt es der Beschwerde aber nicht, eine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids aufzuzeigen.

2.2.3.2. Die belangte Behörde ist auf die vom Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren behauptete schwierige wirtschaftliche Lage des landwirtschaftlichen Betriebs der Mutter in ihrer Bescheidbegründung eingegangen, hat aber - im Ergebnis - die Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass sich daraus noch keine Existenzgefährdung der Mutter ergäbe.

Zwar trifft es zu, dass die belangte Behörde der behaupteten Einstufung des Betriebs als Bergbauernbetrieb der Kategorie 3 mit erschwerter Bewirtschaftbarkeit keine besondere Bedeutung beigemessen hat und ohne nähere Ermittlungen zur finanziellen Leistungsfähigkeit der Mutter davon ausgegangen ist, dass die Bewirtschaftung des Betriebs durch die Mutter, den Beschwerdeführer im Rahmen seiner dienstfreien Zeit und durch den Bruder des Beschwerdeführers insgesamt ausreichend gesichert sei, das Beschwerdevorbringen zeigt aber die Relevanz der behaupteten Feststellungsmängel nicht auf.

Zum einen fehlt jegliches konkretes Vorbringen zur Einkommens- und Vermögenslage der Mutter, sodass nicht dargetan wird, dass es der Mutter aus finanziellen Gründen nicht möglich wäre, für die verhältnismäßig kurze Dauer der Ableistung des Grundwehrdienstes durch den Beschwerdeführer (gemäß § 20 WG 2001 sechs Monate) dessen Arbeitskraft, die er derzeit - ungeachtet seiner Berufsausbildung als Elektroanlagentechniker - dem landwirtschaftlichen Betrieb zur Verfügung stellen kann, durch diejenige eines Dritten zu substituieren. Dass im landwirtschaftlichen Betrieb Tätigkeiten anfielen, die ausschließlich der Beschwerdeführer persönlich verrichten könnte, oder dass die Arbeitskraft von Dritten auch gegen Entgelt, etwa im Rahmen einer Anstellung, wegen des fehlenden Angebots von Arbeitskräften nicht bereitgestellt werden könnte, wird in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht. Das Vorbringen, über den ortsansässigen Maschinenring könnten Arbeitskräfte nur "in Notfällen" bezogen werden, was nicht geeignet wäre, die Unterstützung durch den Beschwerdeführer zu ersetzen, reicht nicht aus, das Fehlen der Möglichkeit zur Anstellung Dritter für einige Monate darzutun.

Zum anderen fehlt auch konkretes Vorbringen, aus dem sich ergäbe, weshalb eine Unterstützung der Mutter durch den Bruder des Beschwerdeführers nicht in einem Ausmaß möglich wäre, die zur Überbrückung der Dauer des Grundwehrdienstes des Beschwerdeführers reichte. Im Verwaltungsverfahren wurde zwar vorgebracht, dass der Bruder selbst einen Hof übernommen habe (so in der Antragsbegründung und den beigelegten Unterlagen), es fehlen aber Angaben zur (auch: finanziellen) Leistungsfähigkeit des Bruders. Wie die belangte Behörde zutreffend hervorhebt, sind nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Unterstützung eines Familienmitglieds nicht nur derjenige berufen, der zur Erfüllung seiner Wehrpflicht herangezogen werden soll, sondern vielmehr alle Familienangehörigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/11/0056; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/11/0231). Die Beschwerde zeigt auch in dieser Hinsicht die mangelnde Möglichkeit zur Überbrückung der Zeit des Grundwehrdienstes nicht auf.

2.2.4. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht ersichtlich, weshalb die belangte Behörde bei Durchführung des vom Beschwerdeführer angeregten Ortsaugenscheins zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Im Unterbleiben des Ortsaugenscheins ist daher auch kein relevanter Verfahrensmangel zu erblicken.

2.3. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
OAAAE-73227