VwGH vom 18.05.2011, 2008/03/0027
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des J N in O, vertreten durch Dr. Karl Claus Mag. Dieter Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft in 2130 Mistelbach, Hauptplatz 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Niederösterreich vom , Zl E1-13710-07, betreffend Waffenverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 12 Abs 1 des Waffengesetzes 1996, BGBl I Nr 12/1997 (WaffG), ein Waffenverbot verhängt.
In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst den erstinstanzlichen Bescheid wieder. Danach habe der Beschwerdeführer am im Zuge eines Streitgesprächs J L mit einer Eisenstange bedroht, untermauert durch die Drohung "I daschlog di gleich damit!". Anschließend habe er die Eisenstange gegen J L geworfen und diesen dadurch am rechten Bein verletzt. Auf Grund dieses von der Erstbehörde angenommenen Sachverhalts sei diese zum Ergebnis gekommen, dass nicht auszuschließen sei, dass der Beschwerdeführer in Zukunft durch missbräuchliche Verwendung von Waffen eine Gefahr für die in § 12 Abs 1 WaffG angeführten Schutzgüter darstellen könne. In der Folge gab die belangte Behörde den wesentlichen Inhalt der vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung wieder. Danach habe der Beschwerdeführer bestritten, die ihm zur Last gelegten Handlungen begangen zu haben; vielmehr habe er zur Abwehr eines seitens J L gegen ihn unternommenen Angriffs eine Eisenstange in die Hand genommen, woraufhin dieser einige Schritte zurück gegangen und die Örtlichkeit wieder verlassen hätte. Der Beschwerdeführer habe weder die Eisenstange gegen ihn erhoben noch nach ihm geworfen, sondern diese nur als Abschreckungsinstrument benutzt. Die Verletzung habe sich J L durch einen Sturz außerhalb des Weinkellers, in dem sich das Ganze zugetragen habe, zugezogen.
Nach einer Wiedergabe des § 12 Abs 1 WaffG und von zu dieser Bestimmung ergangener Judikatur führte die belangte Behörde - bezogen auf den Beschwerdefall - Folgendes aus:
"Der gegen Sie erstatteten Strafanzeige der PI H vom , … an die Staatsanwaltschaft Korneuburg, wegen Verdachtes der Vergehen nach §§ 83 und 107 StGB, ist nachstehender Sachverhalt zu entnehmen:
'Sie sind dringend verdächtigt am , gegen 12.00 Uhr auf der Straße vor Ihrem Presshaus in der Kgasse in O, J L. mit eine ca. 1m langen Wagenachse aus massivem Stahl am rechten Bein verletzt zu haben, indem Sie diese Wagenachse gegen seinen Körper schleuderten.
Zuvor hätten Sie diese Wagenachse gegen J L. erhoben und mit den Worten: 'I daschlog di gleich damit!' diesen gefährlich bedroht und in Furcht und Unruhe versetzt. J L. habe durch Ihre Attacke eine Prellung am rechten Knie erlitten. Laut Verletzungsanzeige des LKH … hat J L. eine Prellung am rechten Knie und ein Hämatom erlitten.
Weiters wurden Sie von der PI H am unter … wegen Übertretung nach § 82 Abs. 1 SPG 1991 angezeigt. Demnach haben die einschreitenden Polizisten gegen Sie ein vorläufiges Waffenverbot gem. § 13 WaffG 1996 verhängt.
Als Ihnen dies die Polizisten bekannt gegeben hatten und Ihre Waffen beschlagnahmen wollten, hätten Sie lautstark mit den Beamten zu schreien begonnen: 'Schleich di ausse du Krippel, meine Waffen kriagst du net, schleich die ausse, verschwind endlich!', wobei Sie heftig mit den Armen vor den Beamten herumgeschlagen hätten.
Weiters hätten Sie versucht die Polizeibeamten aus dem Raum, in dem sich die Waffen befanden, hinauszudrängen. Auch hätten Sie in weiterer Folge den Zutritt zur Kammer im Hof, in dem Sie die Waffen in einem Spind aufbewahrt hätten verweigert. Sie seien von den Beamten mehrmals mit den Worten: 'Stellen Sie das Verhalten ein und beruhigen Sie sich' aufgefordert worden, Ihr aggressives Verhalten einzustellen. Erst nach einiger Zeit und nach Rücksprache mit Ihrem Rechtsanwalt hätten Sie sich einigermaßen beruhigt."
Im Weiteren führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, sie sehe keinen Grund, an der Richtigkeit der Angaben in der an die Staatsanwaltschaft Korneuburg erstatteten Strafanzeige zu zweifeln, zumal sich die Beamten bewusst gewesen seien, dass die Anzeige der Staatsanwaltschaft vorgelegt werde und eventuelle falsche Angaben ein Verfahren gemäß § 302 StGB zur Folge haben könnten. Weiters seien die Angaben von J L detailliert und nachvollziehbar. Dieser sei von der Erstbehörde als Zeuge einvernommen worden; ihm musste bewusst sein, dass er seine Angaben auch vor Gericht bezeugen werde müssen; er hätte sich im Fall einer Falschaussage der Gefahr der Verfolgung nach §§ 288 bzw 289 StGB ausgesetzt. Demgegenüber könne der Beschwerdeführer vor Gericht als Angeklagter bzw Beschuldigter jederzeit ungestraft die Unwahrheit sagen. Es würden deshalb die Angaben des Beschwerdeführers als reine Schutzbehauptungen gewertet, um dem drohenden Waffenverbot zu entgehen. Laut Akteninhalt "dürfte die Sache eher so gelagert gewesen sein", dass der Beschwerdeführer konsenslos einen öffentlichen Platz abgesperrt habe und auf Grund dieser Absperrung von J L zur Rede gestellt worden sei, was offenbar ausgereicht habe, dass er derart in Rage geraten sei, dass er J L zuerst bedroht und dann verletzt habe. Sogar bei der Amtshandlung mit der Polizei sei er derart aggressiv gewesen, dass sich die Beamten genötigt gesehen hätten, ihn anzuzeigen. Erst seinem Rechtsvertreter dürfte es gelungen sein, ihn etwas zu beruhigen, weshalb die Beamten nicht genötigt gewesen seien, ihn festzunehmen.
Die belangte Behörde sei zur Annahme der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen im Rahmen der von ihr vorzunehmenden freien Beweiswürdigung schon deshalb berechtigt, weil die "Überzeugungskraft der ihr vorliegenden Beweise (deren innerer Wahrheitsgehalt) auch nach den Erfahrungen des täglichen Lebens für eine solche Annahme" spreche. Zudem stellten Protokolle von Polizeidienststellen "durchaus probate Mittel für eine mittelbare Beweisaufnahme im Sinne des § 55 AVG dar", weshalb es nicht notwendig gewesen sei, nochmals die Zeugen bzw den Beschwerdeführer selbst niederschriftlich einzuvernehmen, weil nicht zu erwarten gewesen sei, dass die Aussagen anders als bisher gelautet hätten. Der festgestellte Sachverhalt, der zeige, dass der Beschwerdeführer dazu neige, unbeherrscht und äußerst aggressiv zu reagieren, begründe eine Prognose im Sinne des § 12 Abs 1 WaffG.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. § 12 Abs 1 WaffG lautet:
"§ 12. (1) Die Behörde hat einem Menschen den Besitz von Waffen und Munition zu verbieten (Waffenverbot), wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser Mensch durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte."
2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl etwa das Erkenntnis vom , Zl 2005/03/0206, mwN) dient die Verhängung eines Waffenverbotes der Verhütung einer missbräuchlichen Verwendung (das ist eines "gesetz- oder zweckwidrigen Gebrauches") von Waffen. Dabei genügt es, wenn konkrete Umstände vorliegen, die die Besorgnis erwecken, dass von der Waffe ein gesetz- oder zweckwidriger ("missbräuchlicher") Gebrauch gemacht und dadurch eine Gefährdung im Sinne des § 12 Abs 1 WaffG herbeigeführt werden könnte. Hierbei ist nach dem dem Waffengesetz allgemein innewohnenden Schutzzweck bei der Beurteilung der auch mit dem Besitz von Schusswaffen verbundenen Gefahr ein strenger Maßstab anzulegen. Der Verbotstatbestand des § 12 Abs 1 WaffG setzt voraus, dass auf Grund objektiver Sachverhaltsmerkmale eine qualifiziert rechtswidrige Verwendung von Waffen (nämlich durch gesetz- oder zweckwidrigen Gebrauch) zu befürchten ist. Liegt diese Voraussetzung vor, so hat die Behörde gemäß § 12 Abs 1 WaffG vorzugehen und ein Waffenverbot auszusprechen, ohne dass ein bisher untadeliges Vorleben dem entgegenstünde. Wesentlich ist, dass dem Betroffenen die missbräuchliche Verwendung von Waffen zuzutrauen ist. Der Begriff der "missbräuchlichen Verwendung" einer Waffe ist nicht restriktiv auszulegen (vgl zum Ganzen auch etwa das hg Erkenntnis vom , Zl 2005/03/0220).
2.2. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der von der belangten Behörde angenommene, der Verhängung des Waffenverbots zu Grunde gelegte Vorfall und das dabei vom Beschwerdeführer zu Tage gelegte Verhalten jedenfalls eine Gefährdungsprognose im Sinn des § 12 Abs 1 WaffG indizierte (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , Zl 2005/03/0012, und vom , Zl 2005/03/0134).
3.1. Die Beschwerde rügt, es sei nicht eindeutig zu erkennen, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt habe, zumal sie den von der Erstbehörde angenommenen Sachverhalt zwar wiedergegeben habe, dann aber in "im Konjunktiv gehaltene 'Feststellungen' geflüchtet" sei, ohne darzulegen, von welchem Sachverhalt sie selbst ausgehe.
3.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Ausführungen des angefochtenen Bescheids in ihrer Gesamtheit eindeutig erkennen lassen, dass die belangte Behörde davon ausging, der Sachverhalt habe sich so zugetragen, wie er in der Strafanzeige vom wiedergegeben ist ("kein Grund an der Richtigkeit
der Angaben in der Strafanzeige ... zu zweifeln"; "die Angaben von
J L detailliert und nachvollziehbar", etc).
3.3.1. Die Beschwerde erweist sich jedoch insofern als berechtigt, als sie die Feststellungen angreift, die von der belangten Behörde der Verhängung des Waffenverbots zu Grunde gelegt wurden. Der Beschwerdeführer macht zu Recht geltend, dass Verfahrensvorschriften verletzt wurden, bei deren Beachtung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
3.3.2. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde unterliegt insoweit der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes, als zu beurteilen ist, ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, sie also den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut bzw den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechen. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter diesen Gesichtspunkten stand hält, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen, das heißt ihr mit der Begründung entgegen zu treten, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw ein anderer
Sachverhalt schlüssig begründbar wäre. Unter Beachtung dieser
Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat und ob der Sachverhalt in einem mangelfreien Verfahren erhoben worden ist (vgl etwa das zitierte Erkenntnis Zl 2008/03/0064).
3.3.3. Die belangte Behörde hat - anders als die Erstbehörde, die das von ihr verhängte Waffenverbot alleine auf die Tätlichkeit des Beschwerdeführers gegenüber J L gestützt hat - die Bestätigung der Verhängung des Waffenverbots entscheidend auch damit begründet, dass der Beschwerdeführer nach Verhängung eines vorläufigen Waffenverbots gegen ihn im Zuge der Amtshandlung den einschreitenden Polizisten gegenüber sich aggressiv verhalten und versucht habe, sie aus dem Raum des Hauses, in dem sich seine Waffen befanden, hinauszudrängen und weiters den Zutritt zu einer weiteren Räumlichkeit, in der Waffen verwahrt worden seien, verwehrt habe.
Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang geltend, die belangte Behörde habe dadurch Sachverhaltselemente in ihre rechtliche Beurteilung miteinbezogen, die ihm nicht bekannt gewesen seien, was sein Parteiengehör verletzt habe.
Schon dieses Vorbringen ist zielführend: Will die Berufungsbehörde ihrer Entscheidung in wesentlichen Punkten einen anderen Sachverhalt unterstellen als die erstinstanzliche Behörde, muss sie zur Wahrung des Parteiengehörs der Partei Gelegenheit geben, sich zu den neuen Sachverhaltsannahmen zu äußern (vgl die in Walter/Thienel, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 698, unter E 347 ff dargestellte hg Judikatur).
Der Umstand, dass der Erstbescheid die Wendung enthält "Außerdem sind folgende Verwaltungsübertretungen bei der PI H vorgemerkt: - Übertretung nach § 5 StVO mit FS Entzug - Übertretung nach § 4 StVO - Anzeige (aggressives Verhalten)", ohne dass dazu Näheres festgestellt wurde, entband die belangte Behörde nicht von ihrer sie nach § 45 AVG treffenden Verpflichtung, dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, sich zu den neuen, von ihr der Erlassung des angefochtenen Bescheides zu Grunde gelegten Sachverhaltsannahmen zu äußern.
3.3.4. Diesem Verfahrensmangel kommt auch Relevanz zu: Zwar würde bereits das dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegte Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber J L (Bedrohung, Körperverletzung) die Verhängung eines Waffenverbots rechtfertigen (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2006/03/0172), doch sind auch die diesbezüglich getroffenen Feststellungen nicht das Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens:
Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid den von der Erstbehörde angenommenen Sachverhalt bekämpft, konkret vorgebracht, wie sich das Geschehen zugetragen haben soll, und zum Beweis dafür seine Einvernahme beantragt.
Dem ist die belangte Behörde nicht nachgekommen. Der Beschwerdeführer wurde weder im Verfahren vor der Erstbehörde noch vor der belangten Behörde einvernommen.
Die belangte Behörde hat zwar mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Konsequenzen einer unrichtigen Aussage (Strafbarkeit im Fall einer Zeugenaussage; Straflosigkeit im Fall einer unbeeideten Parteienaussage) nachvollziehbare Erwägungen, die sich mit dem Beweiswert der Beweisergebnisse auseinander setzen und Argumente genannt, die im Rahmen der Beweiswürdigung eine Rolle spielen können. Dies berechtigte sie jedoch nicht dazu, in vorgreifender Beweiswürdigung (eine andere Aussage sei nicht zu erwarten) eine Einvernahme des Beschwerdeführers rundweg abzulehnen.
Auch insofern erweist sich das Verfahren vor der belangten Behörde als nicht frei von Mängeln.
4. Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.
Wien, am