Suchen Hilfe
VwGH vom 26.03.2015, 2012/11/0044

VwGH vom 26.03.2015, 2012/11/0044

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des G.V. in W, vertreten durch die Spitzauer Backhausen Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 40 - GR-1-3049/2009, betreffend Bewilligung zur Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom stellte die beschwerdeführende Partei den Antrag auf Erteilung einer Bewilligung zur Errichtung einer privaten Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums für Untersuchungen zur Gewebetypisierung von Knochenmarkspendern mit im Einzelnen näher genanntem Leistungsangebot zum Zweck der schnelleren Verfügbarkeit passender Spender für Leukämiepatienten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diesen Antrag (nachdem sie ihn mit Bescheid vom zu Unrecht zurückgewiesen hatte; siehe dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/11/0144) gemäß "§ 4 des Wiener Krankenanstaltengesetzes 1987 - Wr. KAG, LGBl. für Wien Nr. 23/1987, in der geltenden Fassung" ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Ärztekammer habe in ihren Stellungnahmen dargelegt, dass eine - als Nachweis der Strukturqualität eines Gewebetypisierungslabors dienende - Akkreditierung der geplanten Einrichtung bei der European Federation for Immunogenetics (EFI) unabdingbare Voraussetzung für eine Bejahung der Bedarfsfrage sei; der medizinische Amtssachverständige sei davon ausgegangen, dass Gewebetypisierungs-Laboratorien ohne EFI-Akkreditierung im Sinne der "Richtlinien zur Transplantation von Stammzellen" des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen vom nicht geeignet seien, von einschlägigen Spenderzentren herangezogen zu werden. Da die beschwerdeführende Partei den Nachweis einer EFI-Akkreditierung (noch) nicht erbracht habe, verneinte die belangte Behörde das Vorliegen eines Bedarfs mit dem Argument, es sei davon auszugehen, "dass ein Bedarf nur an einer entsprechend qualitätsgesicherten Einrichtung besteht".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Die beschwerdeführende Partei hat darauf repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 79 Abs. 11 VwGG, BGBl. I Nr. 122/2013, sind auf das vorliegende, mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerdeverfahren die Bestimmungen des VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013 weiter anzuwenden.

2. Ausgehend vom Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom , C-169/07, welches aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichtshofs ergangen war, hat der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Beschwerdefall mit Beschluss vom , Zl. A 2010/0039 (2009/11/0224), gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 4 Abs. 2 lit. a des Wiener Krankenanstaltengesetzes 1987 - Wr. KAG, LGBl. für Wien Nr. 23, in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 16/2007, als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Verfassungsgerichtshof hat diesen Antrag mit Erkenntnis vom , G 61/10, G 82/10 und G 120/10, abgewiesen.

3. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nach der im Zeitpunkt seiner Erlassung maßgeblichen Bestimmung des § 4 Wr. KAG in der Fassung LGBl. Nr. 16/2007 zu beurteilen, der auszugsweise lautet:

" B. Errichtung und Betrieb von Krankenanstalten

§ 4

(1) Krankenanstalten bedürfen sowohl zu ihrer Errichtung als auch zu ihrem Betrieb einer Bewilligung der Landesregierung. Anträge auf Erteilung der Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt haben den Anstaltszweck (§ 1 Abs. 3) und das vorgesehene Leistungsangebot genau zu bezeichnen.

(2) Die Bewilligung zur Errichtung einer Krankenanstalt im Sinne des Abs. 1 darf unbeschadet der nach sonstigen Rechtsvorschriften geltenden Erfordernisse nur unter den nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft und nach den Erfordernissen für einen einwandfreien Krankenanstaltsbetrieb notwendigen Bedingungen und Auflagen und nur dann erteilt werden, wenn

a) nach dem angegebenen Anstaltszweck und dem vorgesehenen Leistungsangebot im Hinblick auf das bereits bestehende Versorgungsangebot öffentlicher, privater gemeinnütziger und sonstiger Krankenanstalten mit Kassenverträgen sowie bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch Ambulanzen der genannten Krankenanstalten und niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen, bei Zahnambulatorien auch im Hinblick auf niedergelassene Kassenvertragszahnärzte und Kassenvertragsdentisten, ein Bedarf gegeben ist;

b) das Eigentumsrecht oder sonstige Rechte zur Benützung der für die Anstalt in Aussicht genommenen Betriebsanlage nachgewiesen sind;

c) das für die Unterbringung der Anstalt geplante oder bereits vorhandene Gebäude den hinsichtlich der Aufführung oder Verwendung solcher Gebäude vorgesehenen bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften entspricht;

d) gegen den Bewerber keine Bedenken bestehen.

(2a) ...

(3) Der Bewerber hat dem Ansuchen maßgerechte Baupläne eines Bausachverständigen und Bau- und Betriebsbeschreibungen in der erforderlichen Anzahl anzuschließen. Aus den Bauplänen muß insbesondere der beabsichtigte Verwendungszweck der Anstaltsräume und bei den für die Behandlung, Unterbringung und sonstige Benützung der Patienten sowie für die Unterbringung und den Aufenthalt des Anstaltspersonals bestimmten Räume auch die Größe der Bodenfläche und des Luftraumes zu ersehen sein. Für die Schlafräume der Patienten und des Anstaltspersonals ist ein Verzeichnis über die Anzahl der Betten anzuschließen.

(4) Im Bewilligungsverfahren nach Abs. 2 ist ein Gutachten des Landeshauptmannes einzuholen, das zu dem Antrag vom Standpunkt der sanitären Aufsicht Stellung nimmt. Handelt es sich um die Errichtung einer Krankenanstalt von besonderer sanitärer Wichtigkeit, so ist auch das Gutachten des Landessanitätsrates einzuholen.

(5) Die Errichtung einer Krankenanstalt durch einen Krankenversicherungsträger bedarf nur bei Ambulatorien der in Abs. 2 vorgesehenen Bewilligung. Die beabsichtigte Errichtung einer allgemeinen Krankenanstalt durch einen Sozialversicherungsträger ist der Landesregierung anzuzeigen.

(6) Im Bewilligungsverfahren nach Abs. 2 haben die gesetzliche Interessensvertretung privater Krankenanstalten und betroffene Sozialversicherungsträger, bei selbständigen Ambulatorien auch die Ärztekammer für Wien bzw. bei Zahnambulatorien auch die Österreichische Zahnärztekammer hinsichtlich des nach Abs. 2 lit. a zu prüfenden Bedarfs Parteistellung nach § 8 AVG und das Recht der Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG.

(7) Der Wiener Gesundheitsfonds oder eine an seine Stelle tretende Einrichtung ist bei bettenführenden Krankenanstalten zur Frage des Bedarfes zu hören."

3. Die Beschwerde ist begründet.

3.1. Im vorliegenden Fall vertrat die belangte Behörde die Rechtsansicht, dass der Bedarf am gegenständlichen Ambulatorium schon deshalb zu verneinen sei, weil die beschwerdeführende Partei den (Qualitäts )Nachweis einer EFI-Akkreditierung (noch) nicht erbracht habe. In der Beschwerde wird vorgebracht, die belangte Behörde hätte die Errichtungsbewilligung - allenfalls unter Vorschreibung der EFI-Akkreditierung als Nebenbestimmung - erteilen müssen.

3.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa die Nachweise im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/11/0046) ist ein Bedarf nach einem Ambulatorium dann gegeben, wenn dadurch die ärztliche Betreuung der Bevölkerung wesentlich erleichtert, beschleunigt, intensiviert oder in anderer Weise wesentlich gefördert wird. Als wichtigster Indikator für die Beantwortung der Bedarfsfrage betreffend selbständige Ambulatorien ist nach dieser Rechtsprechung die durchschnittliche Wartezeit anzusehen, die der Patient im Einzugsbereich in Kauf nehmen muss. Dabei ist jedoch Voraussetzung für die Feststellung des Bedarfs, dass das Einzugsgebiet für das zu bewilligende Ambulatorium klar umrissen ist, wobei eine Bindung an Bezirks- und Landesgrenzen nicht gegeben ist.

Bei der Bedarfsprüfung sind nach der zitierten Judikatur die im Einzugsgebiet des Ambulatoriums gelegenen bestehenden Behandlungseinrichtungen zu berücksichtigen. Die Größe des Einzugsgebietes hängt unter anderem wesentlich vom jeweiligen medizinischen Fachgebiet in der Weise ab, dass bei häufig in Anspruch genommenen Leistungen (z.B. allgemein- oder zahnmedizinischen Leistungen) das Einzugsgebiet kleiner ist als bei selten in Anspruch genommenen Facharztleistungen.

Vor diesem Hintergrund erfordert die Prüfung der Bedarfslage Feststellungen hinsichtlich des in Frage kommenden Einzugsgebietes des Ambulatoriums sowie darüber, in welchem Umfang ein Bedarf der in Frage kommenden Bevölkerung nach den angebotenen Untersuchungen besteht und inwieweit er durch das vorhandene Angebot befriedigt werden kann. Dazu sind insbesondere Feststellungen hinsichtlich der Anzahl, der Verkehrslage (Erreichbarkeit) und Betriebsgröße der in angemessener Entfernung gelegenen bestehenden Behandlungseinrichtungen sowie deren Ausstattung und Auslastung (Ausmaß der Wartezeiten) erforderlich (vgl. auch hiezu das zitierte Erkenntnis Zl. 2012/11/0046, mwN).

3.3. Nach dem Wortlaut des ersten Satzes des § 4 Abs. 2 Wr. KAG darf eine Errichtungsbewilligung unter den nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft und nach den Erfordernissen für einen einwandfreien Krankenanstaltsbetrieb notwendigen Bedingungen und Auflagen und nur dann erteilt werden, wenn die in lit. a bis d leg. cit genannten Voraussetzungen vorliegen.

Ist eine EFI-Akkreditierung als Qualitätskriterium nach - auf medizinischer Expertise (hier: Stellungnahmen der medizinischen Amtssachverständigen und der Ärztekammer) beruhender - Ansicht der Behörde unabdingbare Voraussetzung für eine Errichtungsbewilligung für das gegenständliche Ambulatorium, so handelt es sich dabei um eine "nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft und nach den Erfordernissen für einen einwandfreien Krankenanstaltsbetrieb" notwendige Bedingung nach dem ersten Satz des § 4 Abs. 2 Wr. KAG, nicht jedoch um ein Kriterium für die in lit. a leg. cit geregelte Bedarfsprüfung.

Daraus ergibt sich, dass eine Bedarfsprüfung im gegenständlichen Fall unabhängig vom Vorliegen der EFI-Akkreditierung stattzufinden gehabt hätte. Dabei wäre - in Anlehnung an die zitierte hg. Judikatur - zu ermitteln gewesen, ob das beantragte Ambulatorium durch bessere Erreichbarkeit und geringere Wartezeiten zur Verbesserung der Möglichkeit, Knochenmark zu spenden, ebenso beitragen würde wie zur Verkürzung der für die Bestimmung der Knochenmarkspenden und Weiterleitung an die jeweiligen Patienten benötigten Zeiten.

Wäre ein Bedarf an dem beantragten Ambulatorium festgestellt worden, so hätte die belangte Behörde eine Errichtungsbewilligung unter der Bedingung der EFI-Akkreditierung zu erteilen gehabt (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/11/0012, mwN zu Nebenbestimmungen in Bescheiden).

4. Da die belangte Behörde dies verkannte, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung beruht (gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z 1 der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014) auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
RAAAE-73158